Stroud, Jonathan – Drachenglut

Jonathan Stroud gehört zurzeit für das Genre der fantastischen Jugendbücher zu den angesagtesten Schriftstellern Großbritanniens. Doch Stroud hat sich längst in ganz Europa und darüber hinaus einen Namen gemacht. Mit der [Bartimäus-Trilogie 353 hat er eine großartige Jugendbuchreihe abgeliefert, die zu Recht mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet und beim Lesepublikum begeistert aufgenommen wurde. Mit „Drachenglut“ hat Boje nun ein früheres Werk des Autors veröffentlicht, das in England bereits 1999 erschien ist.

Obwohl es auf dem Buchrücken als „Fantasy vom Feinsten“ angepriesen wird, sollte der Leser keinen Vergleich zu „Bartimäus“ ziehen, um nicht anschließend enttäuscht zu werden. „Drachenglut“ richtet sich zwar aufgrund der einfachen Sprache auch vorrangig an junge Leser, doch der Roman spielt im Gegensatz zu „Bartimäus“ in der realen Welt und weist nur einige wenige fantastisch-mystischen Elemente auf – auch wenn dies das optisch ansprechende Cover mit einem glühenden Drachenauge und der Klappentext auf dem Buchrücken aus verkaufstechnischen Gründen nicht unbedingt zu erkennen geben.

_Inhalt_

Tom Aubrey ist erst seit kurzem Pfarrer des kleinen Ortes Fordrace und schon jetzt mit seiner hektischen Art bei einigen der verschlafenen Gemeindemitgliedern nicht so gut angesehen. Er bringt neues Leben in die Gemeinde hinein und damit genau das, was die konservativen Dörfler am wenigsten wünschen. Die Startschwierigkeiten sind jedoch plötzlich alle vergessen, denn mit einem eigenartigen Fund ändert sich die Situation drastisch. Bauarbeiter, die das Fundament der Kirche ausbessern und die zum Teil maroden Wände stützen wollen, stoßen nämlich über einen im Erdreich vergrabenen Gegenstand. Nachdem der Pfarrer informiert und die Grube gesichert ist, stellt sich der Fund als riesiges Kreuz heraus, das mit feinen Reliefs versehen ist. Der eingravierten Symbolik nach könnte es aus der Keltenzeit stammen – lange bevor das Dorf gegründet wurde. Leider ist einer der Balken abgebrochen, so dass das Kreuz nicht vollständig geborgen werden kann.

Dennoch ist das Dorf Feuer und Flamme und alle Bewohner sind in Aufruhr. So etwas hat man hier lange nicht mehr erlebt. Die Presse stürzt sich gierig auf jede noch so kleinen Neuigkeit und Museumswärter reisen extra aus der Nachbarstadt an, um das Kreuz so schnell wie möglich untersuchen zu können. Tom fühlt sich in seinem Element und genießt es, sich vor der Gemeinde als fähiges Kirchenoberhaupt beweisen zu können.

Doch die Erfolgsmomente schwinden genauso schnell, wie sie gekommen sind. Nur einen Abend nach dem grandiosen Fund wird in der Kirche eingebrochen. Zunächst scheint nichts gestohlen, doch dann bemerkt Pfarrer Tom Aubrey, dass aus dem gegrabenen Loch ausgerechnet das fehlende Balkenstück entfernt wurde. Das kann kein Zufall sein, irgendjemand will nicht, dass die Bewohner mehr über die Funktion des Kreuzes in Erfahrung bringen kann. Vom Ehrgeiz gepackt, forscht der Pfarrer auf eigene Faust nach und gerät immer mehr hinter die Geheimnisse des keltischen Kreuzes.

Parallel zur Handlung um Tom wird die Perspektive auf eine weitere Person namens Michael gerichtet. Auch er wohnt wie Tom Aubrey in Fordrace. Zusammen mit seinem Bruder Stephen und seiner älteren Schwester Sarah, die im Übrigen eine Beziehung zu Tom pflegt, versucht er sein Leben ohne den schützenden Einfluss seiner Eltern zu arrangieren. Michael spaziert gerne zum Wirrin, einem Höhenrücken etwas abseits gelegen, um dort die Seele baumeln zu lassen und seinen Gedanken nachzuhängen. So auch an dem Tag, an dem das Kreuz ausgegraben wird. Dies hätte er besser nicht getan, denn was er nicht weiß, ist, dass unter dem Wirrin seit Jahrhunderten ein Drache schlummerte – der nun durch die Aushebung des Kreuzes erwacht. Zwar kann er sich noch nicht selbst erheben, aber er schickt Michael seine düsteren Träume und kann auf ihn eine Macht übertragen, die ihm besondere, äußerst machtvolle Fähigkeiten verleiht.

Michael ist zunächst völlig überfordert und kann seine Kräfte nicht richtig einordnen. Verstört kehrt er zu Stephen und Sarah zurück. Diese erkennen ihren Bruder nicht wieder. Sie vermuten sogar, dass er zu Drogen gegriffen hat. Doch Michael lässt Stephen schließlich in seine Augen blicken und zeigt ihm, was nun tief in seinem Inneren brodelt: die Macht des Drachen, die sich in seinen nun rötlich pulsierenden Pupillen widerspiegelt.

Die Fäden von Tom und Michael laufen schließlich beide zusammen und die vier Hauptcharaktere finden sich in einem Strudel der Ereignisse wieder, der ihnen alles abverlangt. Und nicht alle sind stark genug, um sich dem Angebot einiger düsterer Gesellen, den Drachen aus seinem Schlaf zu wecken, entgegenzustellen.

_Bewertung_

Schon nach der Lektüre der ersten Seiten wird klar, dass Jonathan Stroud mit „Drachenblut“ nicht an seinen „Bartimäus“-Erfolg anknüpfen kann. Natürlich lässt sich der vorliegende Roman nicht direkt mit seinem Bestseller vergleichen, da er ein völlig anderes Genre bedient und nur vereinzelt fantastische Motive eine Rolle spielen. Aber sowohl was die Gestaltung der Charaktere, des Plots als auch der Stilistik angeht, spielt der Roman in einer deutlich niedrigeren Liga. Dies sollte nicht heißen, dass „Drachenblut“ ein schlechtes Buch geworden wäre. Im Gegenteil, die Hauptfiguren sind sympathisch und werden miteinander in eine spannende Konstellation gesetzt. Zwar bleiben sie, nicht zuletzt durch die Kürze des Romans, insgesamt recht blass, ihre Motivationen sind allerdings stets nachvollziehbar. Auch die Geschichte vermag den Spannungsbogen bis zum Ende zu halten. Da im Laufe des Geschehens immer mehr Geheimnisse um die Symbolik und Bedeutung des Kreuzes gelüftet werden, die die Ereignisse in ein neues Licht rücken, fiebert der Leser mit Tom, Michael, Stephen und Sarah und ihren jeweiligen Interessen. Überraschungen und unerwartete Wendungen darf man nur wenige erwarten, und selbst diese sind meist vorhersehbar. Dafür gestaltet sich der Plot dann doch zu klassisch. Stroud beherrscht also sein Handwerk und hält den Leser bei der Stange; ihn faszinierend in seinen Bann zu schlagen, gelingt ihm aber nicht.

Als größter Minuspunkte muss dabei auch das Ende gewertet werden, das leider den geweckten Erwartungen nicht entsprechen kann, ein anderer finaler Ausgang wäre wünschenswerter gewesen.

_Fazit_

Wer seine Ansprüche nicht zu hoch ansetzt und keinen neuen „Bartimäus“ erwartet, wird mit „Drachenglut“ gut unterhalten. Der Roman erreicht auf keiner Ebene den Witz und Charme von Strouds Bestseller, sondern präsentiert sich lediglich als nette Unterhaltungsliteratur – nicht mehr und nicht weniger.

Das Buch ist solide geschrieben, die Übersetzung ins Deutsche ordentlich und für einen entspannten Lesenachmittag durchaus zu empfehlen. Eine Meisterleistung ist Stroud jedoch nicht geglückt. Zu bedenken gilt hier, dass es eben etliche Jahre vor seinem großen Wurf erschienen ist. Dass der Roman in Deutschand nachveröffentlicht worden ist, lässt sich unter dem Gesichtspunkt von Strouds wachsender Beliebtheit durchaus nachvollziehen – aber eher unter verkaufstechnischen als unter qualitativen Gründen.

http://www.boje-verlag.de/
http://www.drachenglut-dasbuch.de/

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