Bujold, Lois McMaster – Barrayar – Cordelias Ehre

In den USA längst Kult, nun auch in Deutschland als Neuauflage: Lois McMaster Bujolds Space-Opera |Barrayar| wird von |Heyne| im Doppelpack neu aufgelegt. „Barrayar – Cordelias Ehre“ enthält die ersten beiden Romane des zehnbändigen Barrayar-Zyklus: „Scherben der Ehre“ und den mit dem |Hugo-Award| ausgezeichneten Roman „Barrayar“.

Um die Qualitäten dieses Zyklus und Lois McMaster Bujolds zu unterstreichen, sollte Folgendes nicht unerwähnt bleiben: Mit _fünf_ |Hugos|, einem |Nebula Award| (zwei, zählt man auch Novellen) und unzähligen anderen Preisen wurde die 1949 geborene amerikanische Autorin bereits ausgezeichnet. Drei |Hugos| und den |Nebula Award| brachte ihr alleine der |Barrayar|-Zyklus ein. Nebenbei bemerkt, auch im Fantasybereich ist die Autorin überaus erfolgreich, sowohl [Chalions Fluch 517 als auch „Paladin der Seelen“ (Hugo-Award-Gewinner) wurden mehrfach prämiert.

Dieser Doppelband stellt den Auftakt zu der beliebten Space-Opera dar, deren eigentlicher (Anti-)Held Miles Vorkosigan erst im nächsten Band als „Der Kadett“ (ab Februar 2005 im |Heyne|-Doppelband „Der junge Miles“) seinen Auftritt hat. Vorerst agieren seine Eltern Cordelia Naismith und Aral Vorkosigan – deren Liebesbeziehung sich von Anfang an dramatisch gestaltete …

_Captain Naismith und der Schlächter von Komarr_

|Barrayar| spielt in ferner Zukunft, die Menschheit beherrscht bereits die überlichtschnelle Raumfahrt, Wurmlöcher dienen als Sprungtore in ferne Sonnensysteme. Viele kleine Sternenreiche stehen im permanenten Konflikt, insbesondere um strategisch und wirtschaftlich bedeutsame Systeme mit vielen Wurmlöchern. Die Gesellschaft des technologisch und kulturell leicht rückständigen Kaisterreichs Barrayar erinnert an einen Mix aus dem Zarentum der Romanovs (die Adelskaste der „Vor“ stellt Offiziere und Regierung, der Kaisertitel ist erblich) und Stalinismus, dank Politoffizieren und ausgeprägtem Geheimdienstapparat. Der berechtigte Ruf der Grausamkeit eilt den Barrayanern voraus, insbesondere mit dem Nachbarreich Cetaganda und der kleineren Beta-Kolonie kommt es schon nahezu traditionell zu blutigen Gefechten.

|Scherben der Ehre|

Als Kommandantin des betanischen Erkundungskommandos muss man mit dem Unvorhergesehenen rechnen – auch mit dem Überfall einer barrayanischen Militärpatrouille. Während Cordelias Erkundungstrupp getötet wird, kann sie vorerst entkommen und ihr Schiff warnen.

Cordelia wird schließlich vom Captain der Barrayaner persönlich gefangen genommen. Aber warum ist er völlig alleine mit ihr im Dschungel und nicht an Bord seines Kreuzers? Zu ihrem Entsetzen stellt sich Aral Vorkosigan als der „Schlächter von Komarr“ heraus, der von seinem Polit-Offizier offensichtlich bewusst in Stich gelassen wurde. Auf dem Fußmarsch quer durch die Wildnis zurück zu seinem Schiff kommen sich beide näher und lernen sich schätzen. Cordelia hilft sogar dem altmodischen, ehrenhaften Aral, sein Kommando wiederzuerlangen und eine Meuterei niederzuschlagen. Trotz ihrer großen gegenseitigen Zuneigung flieht Cordelia schließlich, um ihrem Oberkommando eine Warnung zukommen zu lassen: Die Barrayaner planen eine Offensive im Escobar-System, der Krieg steht unmittelbar bevor.

|Barrayar|

Während des Krieges gegen die Barrayaner gerät Captain Naismith erneut in Gefangenschaft, diesmal allerdings in keine annähernd so angenehme. Dabei erhält sie tiefe Einblicke in die barrayanische Gesellschaft: Dynastische Streitigkeiten sind für die kriegs- und siegesgewohnten Barrayaner der eigentliche Grund für die verlustreiche Offensive im Escobar-System. In diesem perfiden Plan des Kaisers, der seinen erstgeborenen Sohn opfert, spielt der wieder in den Admiralsstand erhobene Aral Vorkosigan eine wichtige Rolle.

Trotz ihrer geheimen Kenntnisse schenkt er Cordelia im Rahmen eines Gefangenenausstauschs die Freiheit. Die sich als zweischneidiges Schwert entpuppt: Man hält sie für eine Doppelagentin, die man einer Gehirnwäsche unterzogen hat. Den Schlächter von Komarr lieben? Absurde Behauptungen über angebliche Kriegsgründe aufstellen? Offensichtlich wurde Cordelia von den Barrayanern völlig gebrochen, man steckt sie in ein Militärsanatorium und traktiert sie, bis ihr keine andere Möglichkeit als Flucht bleibt.

Auf Barrayar wird aus Captain Naismith bald Lady Vorkosigan, doch auch hier kommt das Paar nicht zur Ruhe. Aral Vorkosigan wird zum Regenten des Kaisers ernannt – und damit zur Zielscheibe für Attentäter. Bei einem missglückten Giftgas-Attentat wird zudem Cordelias ungeborenes Kind in Mitleidenschaft gezogen. Die nötige Behandlung Cordelias beschert ihrem Sohn brüchige Knochen und andere körperliche Schwächen, nur modernste Technik kann ihn überhaupt retten und in einem externen Bruttank am Leben erhalten.

Als Erbe der Vorkosigans will Arals Vater einen Krüppel nicht akzeptieren. Die feudalistische, körperbetonte Kultur der Barrayaner ist in vielerlei Hinsicht rückständig, Cordelia selbst als ehemalige Offizierin passt nicht in ihr Weltbild.

Inmitten all dieser Probleme kommt es kurz nach dem Tod des Kaisers zum Putsch: Cordelia und Aral müssen nicht nur um das Leben ihres von aller Welt verachteten, noch nicht einmal geborenen Kindes fürchten, sondern auch ihr eigenes und das des Thronerben Prinz Gregor schützen – und ihm seine Krone zurückerobern.

_Erzählkunst kontra Klischee_

Eine Frage stellt sich zwangsläufig: Wie konnte so eine Seifenoper den |Hugo Award| gewinnen? Nach wenigen Seiten finden sich die Hauptakteure sehr attraktiv, bis zur hundertsten Seite hat Aral Vorkosigan Cordelia bereits zwei schüchterne Heiratsanträge unterbreitet. Sergeant Bothari ist offenkundig ein handelsüblicher Psychopath, und während die Betaner Cordelia für eine Doppelagentin halten und vergraulen, ist es offenkundig für die Barrayaner kein Problem, sie als Ehefrau des Regenten zu akzeptieren. Eine feudale, rückständige Kriegerkultur, ein in Space-Operas häufig abgegriffenes, beliebtes Klischee, rundet das fragwürdige Bild ab.

Die Erklärung ist sehr einfach: Dafür ist alles andere mehr als gelungen. Spannung und Action werden wortwörtlich von der ersten Seite an geboten, Unwichtiges konsequent gerafft und ausgespart – Cordelias Flucht nach Barrayar und ihre Hochzeit mit Aral nehmen nur wenige Seiten ein, die Hochzeit gar nur drei Zeilen. Cordelia und Aral sind ein sympathisches, dynamisches Duo, die toughe Kommandantin und ihr ehrenhafter Adliger alter Schule erobern schnell das Herz des Lesers. Dasselbe gilt auch für Nebenfiguren wie den psychopathisch angehauchten Sergeant Bothari und andere Personen des Vorkosigan-Haushalts, die dem Leser in der Art einer Familie ans Herz wachsen.

Trotz der schnellen und handlungsorientierten Erzählung spielt ein Großteil der Handlung im psychologischen Bereich: Technik ist eher Mittel zum Zweck in Bujolds Science-Fiction. Wenn Charaktere wie Bothari auf einmal an Tiefe sowie der Konflikt zwischen Cordelia und dem alten Piotr Vorkosigan wegen Miles an Plastizität gewinnen, dann zeigt sich, was den |Barrayar|-Zyklus ausmacht: Bujolds mitreißende Erzählkunst überzeugt sowohl mit temporeicher äußerer Handlung als auch mit der spannenden Thematisierung innerer Konflikte, die nahtlos in dieselbe integriert sind.

_Es wird noch besser …_

Lois McMaster Bujold ist eine begnadete Erzählerin. Innovative, neuartige Ideen oder gar Welten schaffen ist nicht ihre Stärke. Das hat sie aber auch gar nicht nötig. Nur wenige Autoren können eine Geschichte so mitreißend und kurzweilig über fast 600 Seiten hinweg erzählen und dabei so trefflich darstellen und charakterisieren. Einmal in die Hand genommen, möchte man „Barrayar – Cordelias Ehre“ gar nicht mehr weglegen.

Gerade dass Bujold im Vergleich zu gängigen Space-Operas zwar auch Action bietet, die Handlung sich aber weitgehend im Inneren abspielt, unterscheidet |Barrayar| vom üblichen Einerlei. Vielleicht trifft aber gerade deshalb der Vorwurf der Trivialität diesen Zyklus besonders: Denn bei anderen Sagas wie |Star Wars| kommt man gar nicht erst auf die Idee, unter dem Pathos nach einem tieferen Sinn zu suchen.

Am besten vergleicht man |Barrayar| mit einem leckeren, italienischen Speiseeis an einem sonnigen Tag: Man genießt es in einem Zug. Danach ist es weg, rückstandslos verschwunden – und man möchte mehr davon.

|Heyne| lässt den Leser nicht im Stich: Mit „Der junge Miles“ ist bereits der nächste |Barrayar|-Doppelband erschienen, und mit Miles Vorkosigan betritt die wohl beliebteste Figur von Lois McMaster Bujold zusammen mit den Dendarii-Söldnern die Bühne – die Abenteuer des körperlich behinderten Miles in der ihn kontrastierenden Barrayaner-Gesellschaft erhielten ebenfalls einen |Hugo Award|. Übersetzer der gesamten Serie ist wie bei Bujold üblich Michael Morgental, hohe Qualität ist somit gewährleistet – Setzfehler früherer Ausgaben wurden zudem vollständig eliminiert.

Wer Unterhaltung sucht, findet sie im Barrayar-Universum im Übermaß!

Die offizielle Homepage der Autorin:
http://www.dendarii.com/