Joe Fernwright, kleiner Handwerker und Meister der aussterbenden Kunst des Topfheilens, steckt in einer Sackgasse. In einer keramiklosen Zeit, die offensichtlich für seine Fähigkeiten keine Verwendung mehr hat, wartet er seit Monaten tagtäglich untätig in seiner Werkstatt auf Arbeit. Endlich eröffnet ihm der Auftrag eines außerirdischen Überwesens von einem fernen Planeten die Chance, sich aus dieser hoffnungslosen Situation zu befreien. Joe Fernwright entschließt sich, den Auftrag anzunehmen und verlässt die Erde, um auf dem Planeten Plowman, gemeinsam mit einer bunt zusammengewürfelten Gruppe verschiedener Spezialisten unterschiedlichster Spezies, das gigantische Projekt anzugehen. Ein alle Grenzen sprengendes Abenteuer beginnt.
Das Vorhaben – und der Roman – entpuppt sich schon bald als Reise in metaphysische, philosophische Dimensionen, wie es typisch für Philip K. Dicks Romane ist. Diese Hintergründigkeit hebt den Roman deutlich aus der Masse einfacher gestrickter SF-Storys hervor. Dazu wimmelt die Geschichte von skurrilen Einfällen und seltsamen Wesen, die den Leser mit wunderbarer Leichtigkeit in die Tiefen von Dicks Gedankenwelt eintauchen lassen. Besonders köstlich etwa die Seelsorgerzelle, in der sich Verunsicherte gegen Münzeinwurf entsprechend den Regeln des Zen, der puritanischen Ethik, der römisch-katholischen Kirche, des Islam oder wahlweise des mosaischen Glaubens beraten lassen können.
Oder das Spiel, mit dem man in jener Gesellschaft (unter einem repressiven, pseudosozialistischen System, das völlig abgewirtschaftet wurde) die Langeweile des Alltags betäubt – ein Ratespiel, bei dem zuvor per Computerübersetzung verstümmelte Buchtitel wieder dechiffriert werden müssen. (… darauf kam Dick im Jahr 1969!)
Dann der Android, der Schriftsteller werden möchte und Klassiker zitiert (überhaupt, die werden im Roman öfters zitiert, vor allem Goethes Faust – und auch klassische Musik spielt immer wieder eine Rolle). P. K. Dicks Begeisterung für die deutsche Sprache und seine Leidenschaft für Musik blitzen in dem Roman immer wieder durch. Auch in der Szene, in der das Radioprogramm mit seinen absonderlichen Wechseln zwischen geistlicher/klassischer Musik und Werbung für Korsetts, Mittel gegen Menstruationsbeschwerden, Hämorrhoidensalbe und Katzenstreu beschrieben wird. Selbst solche Slapstickszenen führen kleine, hintergründige Extrabotschaften mit sich und regen zum Denken an, ohne belehrend zu wirken. Schon die Idee, das Heilen zerbrochener Keramik zu einem Handwerksberuf der Zukunft zu machen – und den Besten dieser Zunft zum Helden eines Romans – hat eine metaphorische Extradimension – verdeutlicht die Allegorie. Das Thema Vorherbestimmung/Vorhersage der Zukunft fügt Dick im „galaktischen Topfheiler“ einmal als Ergebnis einer computergenerierten Partnerschafts-Simulation ein, ein andermal als geheimnisvolles Buch der mysteriösen Kalenden, die einzig damit beschäftigt sind, darin die Zukunft vor(aus)zuschreiben.
Zum Ende hin wird der Roman stetig surrealer und zeigt immer deutlicher seine erweiterte Dimension. Metaphysische, theologische und philosophische Fragen – die Suche nach dem wahren Wesen des Menschen, dem Sinn der Existenz, der Frage nach Vorbestimmung, nach Täuschung und Realität, der Struktur der Zeit – sind in Dicks Roman so spritzig verpackt, dass man sich trotz der „Schwere“ der Themen bestens amüsiert. Im Backcovertext wird der Roman sehr treffend als „faszinierend absurde Parabel“ bezeichnet – dass die Handlung an manchen Stellen etwas holpert, an anderen die Logik wackelt, tritt angesichts der Aussagekraft auf anderer Ebene völlig in den Hintergrund – das Buch bleibt eine in vielerlei Hinsicht zum Nachdenken anregende und gleichzeitig kurzweilige Lektüre, ein Stück Literatur weit jenseits der Trivialität.
Zum zwanzigsten Todestag Philip K. Dicks begann der |Heyne|-Verlag im Jahr 2002 damit, ausgewählte Werke des Autors sukzessive in einer neuen Taschenbuchreihe auf den Markt zu bringen. Mit „Der galaktische Topfheiler“ wurde jetzt, im Januar 2005, Band 11 der Edition herausgebracht – der nächste ist für April angekündigt – weitere werden folgen.
Die Reihe präsentiert sich einheitlich im seriös-distinguierten Nadelstreifenlook (in von Band zu Band unterschiedlicher Grundfarbe) – darauf prangen schlicht und edel, in silberglänzenden Prägelettern Titel und Verlagsname, in Blau der Autorenname. Diese Aufmachung hebt nun auch optisch Philip K. Dicks Werk aus der vorurteilsbeladenen Trivialecke heraus. „Der galaktische Topfheiler“ kommt in einem die winterlich fröstelnden Finger wärmenden sonnigen Orangecover daher.
Beklagenswerterweise verzichtete Heyne in diesem Band auf ein einführendes bzw. erläuterndes Vor- oder Nachwort. Es findet sich lediglich der dürre Hinweis, es handele sich um eine erstmals ungekürzte deutsche Ausgabe, und zwar die Übersetzung von Joachim Pente (*) in von Alexander Martin neu durchgesehener und vollständig überarbeiteter Version. Weder wurden eine bibliographische Einordnung des Romans, noch etwas ausführlichere Anmerkungen zur Überarbeitung, noch gar eine leicht vertiefte Betrachtung Dicks wechselvoller Biographie angefügt.
(*) 1976 bzw. 1984 erschien der Roman bereits in deutscher Übersetzung (von Joachim Pente) – unter dem Titel „Joe von der Milchstraße“. Allerdings in gekürzter Fassung: 168/192 Seiten hatte der Roman in jener Version (Fischer/Moewig). Die hier besprochene, ungekürzte Ausgabe ist 207 Seiten lang.
Ob die Neuausgabe denn nun – abgesehen vom geschmackvoll schlichten Design des Covers – auch von den inhaltlich Qualitäten her betrachtet einen Gewinn gegenüber den Vorgängern darstellt, lässt sich, ohne allzu sehr in Details zu gehen, vielleicht so beantworten: Wer bei Übersetzungen Wert auf eine gelungene Kombination aus inhaltlicher Werktreue, möglichst weitgehend erhaltener „Handschrift“ des Autors und dabei noch gutes Deutsch legt, ist mit der Neubearbeitung bestens bedient. Auch die Wahl des Titels zeugt vom Bestreben des Verlags, das Werk Dicks in dieser Edition möglichst originalgetreu wiederzugeben.
Vom einzigen kleinen Wermutstropfen – dem fehlenden Vor- oder Nachwort – abgesehen, kann ich Heynes ungekürzte Neuausgabe von P. K. Dicks „Der galaktische Topfheiler“ jedem Freund tiefgründiger und origineller Literatur wärmstens empfehlen! Dass dieser Roman unter Dicks Werken bisher eher wenig beachtet wurde, wird sich durch die Neuausgabe hoffentlich ändern: Das Buch hat es verdient.
|Originaltitel: „Galactic Pot-Healer“, 1969|
_Susanne Jaja_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de veröffentlicht.|