Mary Logue – Totes Wasser

Das geschieht:

Pepin County ist abgelegener Landstrich im US-Staat Wisconsin. Farmer bilden die Mehrheit der Bevölkerung, die Umgebung wird von schier endlosen Getreidefeldern geprägt. Das Verbrechen blieb bisher durchschaubar. Auch der neue Fall der Polizistin Claire Watkins scheint Routine zu sein: Aus einer Scheune ist eine große Menge kostspieliger Pestizide verschwunden. Was nach einem simplen Diebstahl aussah, wird jedoch rasch bedrohlich Direkt vor dem Polizeirevier wird ein Blumenbeet vergiftet, dann eine Schar Hühner ausgerottet.

Dahinter steckt kein Kinderstreich. Vor Ort findet die Polizei jeweils einen menschlichen Fingerknochen. Die Drohung ist klar: Hier ‚übt‘ ein Wahnsinniger mit dem Gift und lernt es zu dosieren. Ebenso sicher sind sich Watkins und ihre Kollegen, dass sich der Dieb nicht mit Attentaten auf Grünzeug und Federvieh zufrieden geben wird. Tatsächlich hat der Rachefeldzug für eine ungesühnte Bluttat begonnen. Vor fünfzig Jahren wurde die gesamte Familie Schuler auf ihrer Farm niedergemetzelt. Sieben Personen fanden einen grausamen Tod. Jeder Leiche wurde ein Finger abgeschnitten. Das Verbrechen wurde niemals aufgeklärt. Vielleicht haben sich die braven Bürger und Nachbarn auch nicht besonders intensiv bemüht: Die Schulers stammten aus Deutschland und galten nach dem Ende des II. Weltkriegs als unerwünschte Zeitgenossen.

Der Rächer will die Menschen von Pepin County offensichtlich in ihrer Gesamtheit bestrafen. Das versucht Claire Watkins verzweifelt zu verhindern. Doch die Schar der Verdächtigen ist groß. Im Wettlauf mit der Zeit gräbt sie immer tiefer in der Geschichte ihres Heimatortes und stößt dabei auf sorgfältig vertuschte Hinweise, die längst zur Aufklärung des alten Verbrechens hätten führen können. Deshalb muss Watkins einen Zweifrontenkrieg führen – gegen den Giftmischer, der bald die ersten menschlichen Opfer attackiert, und gegen jene, die den Schulers einst Böses wollten …

Langsam aber unerbittlich

„Thriller“: Das bedeutet allzu oft den dramaturgischen Overkill durch eine von irren Killern und fanatischen Polizisten bevölkerte Handlung, die durch mörderische Schießereien, Verfolgungsjagden und Explosionen angereichert wird. Auf der Strecke bleiben Logik und Atmosphäre, was vielen Lesern gar nicht mehr auffällt. Dass Spannung auch aus einem ruhigen, aber ausgeklügelten und psychologisch unterfütterten Plot entstehen kann, macht erst die Lektüre von Büchern wie „Totes Wasser“ (wieder) deutlich.

Pepin County ist als Schauplatz kein Ort für Hektik. Platt ist das Land in Wisconsin. Die Bewohner lassen sich Zeit. Es bleibt ihnen kaum anderes übrig, denn es ist entweder brütend heiß oder eiskalt hier. Gearbeitet wird in der modernen Landwirtschaft; riesige Maisfelder werden bestellt.

Aber die Menschen sind weder langsam im Denken noch chronisch gemeinschaftlich, wie es das Klischee fordert. Missgunst, Hass und die anderen Schattengewächse der Seele treiben auch hier kräftig aus. Anders als in der Großstadt spielt sich das Böse mehr im Verborgenen ab, denn die Farmen stehen einsam.

Zeit zur Reife

So ist es seit jeher gewesen. Der Mord an der Schuler-Familie, vor allem aber dessen Vertuschung verdeutlichen es. Gleichzeitig eignet sich das alte Grauen vorzüglich als Aufhänger für einen Kriminalroman: Was wäre, wenn nach einem halben Jahrhundert der Tag der Abrechnung doch käme? Für Marie Logue wird diese Prämisse zum idealen Sprungbrett für eine Geschichte, die sie nach den Regeln des Genres dekliniert.

Wobei sie es sich nicht einfach macht. „Totes Wasser“ besticht durch die knappe und doch klare Schilderung der kleinen Welt von Pepin County. „Lokalkolorit“ ist ein Wort, das gern bemüht wird, wenn eine Geschichte in der Provinz spielt. Hier darf man es als Auszeichnung werten, denn Logue präsentiert uns eine ländliche Gemeinde auf der Höhe ihrer Zeit: dem 21. Jahrhundert. Landwirtschaft wird mit Hightech und Chemie betrieben. Bäuerliche Romantik ist schon von daher fehl am Platze.

Die Präsenz des ungesühnten Schuler-Mordes verdeutlicht uns die Autorin mit einem einfachen Kunstgriff: Sie löst die Bluttat in Einzelszenen auf, die über die gesamte Handlung verteilt werden. Auf diese Weise wird aus einer anonymen deutschen Auswandererfamilie eine Menschengruppe mit Gesichtern und Geschichten, was mehr als jede „Oh-wie-furchtbar!“-Tirade belegt, dass Mord niemals verjährt.

Gar nicht glorreiche Zeiten

Dass die Zeiten sich auch auf dem Land längst geändert haben, beweist nicht zuletzt die Existenz von Claire Watkins: Sie ist keine einfache Dorfpolizistin, sondern wurde eigens als Ermittlerin eingestellt. Das moderne Verbrechen hat auch Pepin County längst gefunden. Es bedarf Spezialisten, um es in Schach zu halten.

Watkins‘ aktueller Fall ist dennoch ein ganz spezieller. Er wurzelt tief in der Vergangenheit und rührt an eines der vielen düsteren Kapitel der US-amerikanischen Geschichte. Der II. Weltkrieg wurde verlustreich gegen Nazi-Deutschland und Japan geführt. Die Emotionen gingen hoch, patriotische Hasstiraden gegen ‚den Feind‘ gehörten zum Alltag. Darüber geriet freilich oft in Vergessenheit, dass es zahlreiche deutsche und japanische Amerikaner gab, die von Hitler oder Hirohito nichts wissen wollten. Sie wurden wie die Schulers trotzdem mit Misstrauen betrachtet, attackiert, interniert.

Mary Logue erzählt ihre Geschichte nie plakativ, und sie konfrontiert uns nicht mit von vornherein Verdächtigen. Stattdessen treibt sie mit dem Handlungsfluss und führt ihre Figuren dort ein, wo ihr Auftreten sinnvoll ist. Bei diesen Gelegenheiten steigt die Erinnerung an die Schuler-Affäre in den Beteiligten auf. Geschickt lässt Logue dies als logische Konsequenz erscheinen, denn genau diese Reaktion will der Täter ja erzwingen. Die Leute sollen sich erinnern.

Wem dieser Tobak zu stark ist, sei beruhigt: Mary Logue mischt neben einiger Psychologie genug Kriminalistik sowie die heute obligatorischen Seifenoper-Elemente in die Handlung. Claire Watkins hat vor nicht allzu langer Zeit gar tragisch ihren geliebten Gatten verloren. Ein neuer Mann wirbt um sie, was die üblichen emotionalen Verwicklungen zur Folge hat, zumal Claire allein erziehende Mutter einer zwölfjährigen Tochter ist, was selbstverständlich alle Sorgen & Nöte aufblühen lässt, die für diese Konstellation vorgesehen sind.

Autorin

Geboren wurde Mary Logue 1952 als eines von fünf Kindern in Lake Elmo, Minnesota, wo sie auch aufwuchs und Schule und Studium (unterbrochen von einem in Frankreich verbrachten Jahr) hinter sich brachte. Ebenfalls noch in Minnesota schrieb Logue Artikel und Rezensionen über Rockmusik. In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre wechselte sie nach New York, war dort ebenfalls journalistisch tätig und ging dann zum Verlag Simon and Schuster, wo sie eingehende Manuskripte redaktionell betreute.

In dieser Zeit entstand Logues erster veröffentlichter Roman „Red Lake of the Heart“. Die Autorin verließ New York und ging zurück nach Minnesota. In Minneapolis unterrichtete sie kreatives Schreiben. Unter ihren Schülern befand sich der spätere Thriller-Autor Pete Hautman, der seitdem ihr Lebensgefährte ist und mit dem sie gemeinsam eine Serie von Kinder-Thrillern schreibt.

Mary Logues Werk umfasst neben ihren Thrillern zahlreiche Kinder- bzw. Jugendbücher. Über ihr Leben und ihre Arbeit informiert diese Website.

Taschenbuch: 255 Seiten
Originaltitel: Bone Harvest (New York : Ballantine 2004)
Übersetzung: Friederike Barkow
http://www.fischerverlage.de

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