Foster, Robert / Pesch, Helmut W. – große Mittelerde-Lexikon, Das

Vielleicht eine mögliche Erklärung, warum das vorliegende Buch erst 22 Jahre nach der englischen Fassung auch bei uns erschien, ist wohl der Hype, den Peter Jackson dank seiner Verfilmung der „Herr der Ringe“-Trilogie losgetreten hat. Mittelerde ist aber viel mehr als nur der Ringkrieg, was sich in den vielen auf den Markt geschwemmten Publikationen zum Film nur zum Teil widerspiegelt. Fosters „Das große Mittelerde-Lexikon“ befasst sich jedoch nicht nur mit diesem kleinen Ausschnitt, sondern liefert interessante Backgrounds in Stichwortform über die gesamte Bandbreite von Tolkiens faszinierender Welt. Bemerkenswerterweise stammt das Werk diesmal nicht von |Klett-Cotta|, dem angestammten Tolkien’schen Haus- und Hof-Verlag in Deutschland, der sich sonst für die Publikationen hierzulande (fast) exklusiv verantwortlich zeichnet, sondern von |Bastei Lübbe|.

_Zum Inhalt_
Für diese aktuell gültige Fassung des Lexikons aus dem Jahre 1978 sind die Informationen aus vielen Quellen auch außerhalb des Herrn der Ringe zusammengetragen worden. Unter anderem: „Letters“ (dt.: „Briefe“), „Lost Tales of Middle-Earth“ (dt.: „Das Buch der verlorenen Geschichten Mittelerdes Band 1 und 2“), „The Silmaril“ (dt.: „Das Silmarillion“) und aus „The Hobbit“ sowie anderen Publikationen, wie „The History of Middle-Earth“ (dt.: „Nachrichten aus Mittelerde“) oder „The Adventures of Tom Bombadil“, um nur die Wichtigsten zu nennen. Zumindest letzteres Werk dürfte hierzulande kaum bekannt sein, da es auf Deutsch bislang noch nicht veröffentlicht wurde.

Bereits im Vorwort weist der Autor darauf hin, dass er lediglich „hofft“, ein vollständiges Werk abgeliefert zu haben, das frei von Fehlern ist – hierzu muss man wissen, dass die Geschichten von Tolkien (da über einen Zeitraum von Jahrzehnten verfasst und zusammengetragen) selbst immer wieder von ihm redigiert und angepasst wurden. Somit sind durchaus erkennbare Inkonsistenzen in der Logik oder Doppeldeutungen unausweichlich, für die Foster nichts kann und die in der Natur der Sache liegen. Wann immer Begriffe nicht eindeutig zuzuordnen sind, wird jedoch gesondert darauf hingewiesen.

Für die deutsche Version zeichnet sich Helmut W. Pesch verantwortlich, dem es oblag, sogar noch mehr Arbeit investieren zu müssen, da die deutschen Versionen, Nomenklaturen, Eigennamen etc. nicht nur teils stark von den Originalen Tolkiens abweichen, sondern zudem zwei verschiedene Übersetzungen in deutschsprachigen Raum veröffentlicht wurden. Die Neueste stammt von Wolfgang Krege (2000) und gilt gegenüber der von Margaret Carroux und E. M. von Freymann (letzte Überarbeitung 1991) als die exaktere – wenn auch viele die Ur-Übersetzung für die stimmungsvollere halten. Dementsprechend musste für die Eindeutschung des Lexikons wesentlich mehr Aufwand betrieben werden.

Neben dem etwa 750 Seiten starken Hauptteil des alphabetisch sortierten Lexikons finden sich am Anfang das Vorwort des Autors, das Vorwort des deutschen Überarbeiters und Übersetzers und eine kurze Einführung, wie dieses Buch zu verwenden ist. So erhält der interessierte Leser einen kurzen Einblick hinter die Kulissen der wichtigsten Sprachen und Zeitrechnungen Mittelerdes, ihre Grammatik und Unterschiede der Deutungen. Im Anhang stehen noch einige Ahnentafeln und Zeitleisten zur Verfügung, an denen man ablesen kann, wann welche Kultur innerhalb der vier Zeitalter mit welcher Sprache gesprochen hat oder noch „heute“ (will heißen: zur Zeit des Ringkriegs) spricht.

Die meisten Begriffe, die uns in Tolkiens Werken begegnen, sind auf „Quenya“ (der Sprache der Hochelben, „Eldar“ genannt) oder auf „Sindarin“ (der Sprache der Grauelben, der „Sirdar“ und „Noldor“) basierend. Hinzu kommt die Gemeinsprache, der sich alle verschiedenen Völker untereinander bedienen: das „Westron“ (die Sprache der Westernis „Númenor“, die einen Teil von allem enthält), sowie spezielle lokale Dialekte, beispielsweise etwa die Sprachen der Hobbits, Rohirrim oder auch Mordors. Wann immer ein ethymologischer Zusammenhang besteht oder Mehrfachbedeutungen vorhanden sind, so ist meist ein Querverweis dazu vorhanden oder die Begriffe stehen (mehrfach) direkt untereinander mit unterschiedlichen Erklärungen nebst Quellenangaben.

_Meinung_
Der Stoff dürfte den meisten viel zu trocken daherkommen und richtet sich ausschließich an Hardcore-Fans und wirklich Interessierte, die tiefer in die komplexe Materie von Tolkiens Welt einzutauchen gedenken. Zwar sind die Querverweise und Erklärungen zu den Begriffen ganz nett zu lesen, verraten aber demjenigen, der nicht oder nur wenig mit der Geschichte Mittelerdes vertraut ist, sicherlich nicht viel. Um das Buch wirklich schätzen zu können, bedarf es der Kenntnis nicht nur der Filme und des Romans zum Herrn der Ringe und dem Hobbit. Die meisten, die sich dieses Buch eventuell zulegen möchten, werden sicherlich zumindest diese Teile der Story kennen und deshalb mehr erfahren wollen.

Leider setzt das Lexikon in einigen Passagen die Print-Versionen der Romanvorlagen und auch des Silmarillions voraus („leider“ ist hier als Relativ zu verstehen – diese Bücher gehören eh in jede Bibliothek). Auf das ihnen beigelegte Kartenmaterial wird oftmals verwiesen, doch dem Lexikon selbst hat man weder Illustrationen noch eigene Karten spendiert, was ich bedauerlich finde, denn „Fremde“ bekommen hier Orte um die Ohren gehauen, die als böhmische Dörfer gelten, wenn man zum Beispiel nur die Filme kennt oder aber den Herrn der Ringe zwar irgendwann mal gelesen, jedoch die Bücher nicht (mehr) zur Hand hat.

Über die Vollständigkeit der behandelten Begriffe kann man nicht meckern, bislang habe ich zu jedem Komplex, zu dem ich weitere Informationen suchte, auch tatsächlich Auskunft erhalten, wenn auch manchmal über Umwege, weil das entsprechende Wort zwar gelistet, aber eben an anderer Stelle erläutert wird. So springt man zuweilen von Querverweis zu Querverweis, bis man schlussendlich die gewünschte Information gefunden hat. Das ist bei Lexika aber nun wirklich nichts bahnbrechend Neues – schließlich ist es kein Roman, der eine Geschichte chronologisch erzählt, sondern ein Nachschlagewerk.

Ein interessanter Aspekt ist, dass man im Vorbeilesen ganz andere Dinge findet, als man explizit gesucht hat, und sich dann immer weiter festliest. Auf seiner Suche nach anderen Informationen stolpert man über diese fast automatisch, weil sie einem per Zufall ins Auge springen, wenn man sich von Schlagwort zu Schlagwort hangelt. Das Nachschlagewerk ist bestimmt kein Buch, das man von vorne nach hinten (quasi buchstäblich von A bis Z) durchackert und hinterher die Weisheit Mittelerdes mit Löffeln gefressen hat, vielmehr greift man dazu, wenn man bestimmte Namen, Orte oder Begebenheiten wieder in Erinnerung rufen und die Zusammenhänge besser verstehen lernen will. Nebenher nimmt man eine Menge der von Tolkien eigens für Mittelerde erfundenen Sprache(n) auf.

_Fazit_
Wer alleine nur die bisher erschienenen Verfilmungen gesehen hat, mag sich das fette Nachschlagewerk für recht günstige zehn Euro gerne zulegen. Es ist ein guter Anfang, um weiter ins faszinierende Thema Mittelerde einzudringen, wird aber dem Betreffenden höchstwahrscheinlich nicht sehr hilfreich sein, denn die Filme reißen das Gesamtbild allenfalls leicht an. Leser der Romane Mittelerdes kommen da schon etwas besser weg und werden eine ganze Menge bekannter Gestalten, Mythen und Begebenheiten wiederfinden, doch auch hier gibt es zu bedenken, dass der Ringkrieg zwar das umfassendste Werk ist und auch den Löwenanteil in diesem Lexikon einnimmt, doch nicht wenige der Begriffe und Personen sind aus den früheren Zeitaltern entlehnt.

Die Kenntnis (mindestens) des Silmarillions ist somit schon fast absolute Bürgerpflicht, von der restlichen als Quellen angegebenen Literatur mal ganz zu schweigen. Man muss schon den Willen mitbringen, sich auch auf eine vollkommen ausgestaltete, fiktive Sprache einzulassen, will man das Lexikon effektiv nutzen und vor allem verstehen. Trotzdem muss auch ich, als recht beschlagener Fan, das Fehlen von Kartenmaterial oder Illustrationen bemängeln. Neueinsteigern verwehrt das den Zugang zum ansonsten exzellenten Nachschlagewerk enorm. Im Gegensatz zu manch unnötigen 08/15-Publikationen, die im Kielwasser der Filme rausgehauen wurden, gehört das große Mittelerde-Lexikon fraglos zu den wirklich empfehlenswerten Veröffentlichungen aus dem Bereich der Sekundärliteratur über Mittelerde.

_Die Buchdaten auf einen Blick:_
Originaltitel: „The Complete Guide to Middle-Earth“
– Ein alphabetischer Führer zur Fantasy-Welt von JRR Tolkien –
Genre: Sekundärliteratur / Quellenliteratur
Ersterscheinung: 1971, überarbeitet 1978 – Ballantine / Random House
Deutsche Erstveröffentlichung: Dezember 2002 – Bastei Lübbe
Übersetzung und Überarbeitung: Helmut W. Pesch
Titelillustration: Arndt Drechsler
Seiten: 810 / Paperback
ISBN: 3-404-20453-0