Anonymus – Bekenntnisse eines Schriftstellers. Erotischer Roman

Er liebt das Leben und, was für ihn viel wichtiger ist, er liebt die Frauen. Sie beflügeln ihn, sie regen ihn an, und sie verschaffen ihm jenen prickelnden Reiz, den er so liebt. Er ist kein Sexprotz, aber ein Genießer, der sich an den Schönheiten des Lebens erfreut. Und nichts ist vergnüglicher als der Umgang mit hübschen und bezaubernden Frauen. Dass seine Liebesaffären nicht immer ganz reibungslos verlaufen, stört ihn nicht sehr, denn er weiß, dass es oft viel wichtiger ist, die Gunst des Augenblicks zu nutzen, als sich Gedanken über die Zukunft zu machen.. (Verlagsinfo)

Der Autor

Der Anonymus ist vermutlich ein angesehener Autor, der sich mit einem Thema beschäftigte, das ihn brennend interessierte: die Liebe in ihrer mannigfaltigsten Form. Um die Jahrhundertwende (1900) konnten es sich allerdings selbst angesehene Schriftsteller nicht erlauben, solch freimütige Bücher unter ihrem Namen zu veröffentlichen. (gekürzte Verlagsinfo)

Dass es sich beim dem Autor um Ernst Klein handelt, ist in der Literaturwissenschaft unbestritten; dieser veröffentlichte oft unter dem Pseudonym „Richard Werther“ oder „James Grunert“.

Handlung

Der Ich-Erzähler wächst in einer „kleinen Landeshauptstadt Österreichs“ als Sohn einer sehr schönen Mutter und eines kränklichen, aber reichen Vaters auf, wobei für ihn die Mutter zum Inbegriffs des Weiblichen und der Liebe wird: Sie ist die erste Frau, die er unbekleidet in der Umkleidekabine des Schwimmbads erblickt. Alle anderen Frauen werden an ihr gemessen. Das muss auch das Dienstmädchen erfahren und einige andere Damen, so etwa die mollige Klavierlehrerin.

Der schöne Junge

Seine frenetische Selbstbefriedigung lässt ihn kränklich aussehen, und so wird er für drei Jahre auf ein Jungeninternat in der Schweiz geschickt. Dort entdeckt er seine Liebe für das eigene Geschlecht in Gestalt eines „süßen blonden Jungen“. Dieser Namenlose erwidert die faszinierte Zuneigung, die ihm unser Held entgegenbringt. Doch er warnt ihn eindringlich, irgendein Zeichen der Zuneigung an den Tag zu legen: Jede Schwulität wird strengstens vom Direktorium geahndet, bis hin zum Schulverweis. Qualen der Erregung stören seine Nächte. Endlich bittet ihn sein süßer Junge zu einem Stelldichein in einer Blockhütte am Rande des Schulgeländes. Doch dazu kommt es nicht: Er müsse sofort abreisen, heißt es – sein Vater sei gestorben.

Nach dem Tod des Vaters nimmt sich Mutter einen Hofmeister als Hauslehrer für den Jungen. Doch der hat offenbar mehr Nähe zu ihr erlangt als erwartet: Sie wird erneut schwanger. Das weiß sie indes geschickt zu verbergen. Nach den drei Jahren Internat hat unser Jüngling zwar einen kleinen Bruder, darf ihn aber nie sehen. Und den Hofmeister, der der Mutter einen Heiratsantrag gemacht hatte, hat die Mutter in die Wüste geschickt. Dafür hat sie nun viele Freundinnen, darunter Rita Hellmer.

Die Kurtisane

Rita Hellmer wird die große Liebe unseres Chronisten: Eineinhalb Jahre verwöhnt die üppige Schönheit ihn und bringt ihm allerlei bei, doch eines Tages, als er in ihr Boudoir platzt, muss er entdecken, dass ihre Gunst keineswegs ihm allein gewährt wird: Ein anderer Bursche vögelt sie. Mit gebrochenem Herzen und nach einem bitteren Abschiedsbrief zieht unser Held von dannen. Selbst das Angebot eines kleinen Trostficks des Dienstmädchens reizt ihn nicht. Er sieht den jungen Burschen in den Straßen der Residenzstadt wieder: Er will wissen, wohin Rita Hellmer gezogen sei. Später hört er, sie sei eine Fürstin geworden.

Die Verkäuferin

Jede Menge Dienstmädchen und Verkäuferinnen bevölkern die Metropole. Da sie zu einem Hungerlohn rackern, sind ihre weiblichen Reize minderwertig. Er folgt einem dieser mageren Hungerhaken in den Dom der Stadt. Vor der Statue eines halbnackten Heiligen rubbelt sie sich einen runter. Sie kennt nicht mal dessen Namen, sagt sie auf Anfrage. Doch die beiden kommen zusammen und nehmen sich ein Hotelzimmer in der Vorstadt. Sie will selbst dafür aufkommen, denn schließlich habe sie dafür gespart. Als er entgegnet, schließlich sei er ihr gefolgt, nicht umgekehrt, weil er sie wollte, lenkt sie ein: Sie teilen sich den Zimmerpreis. Doch auch dieser Reiz der verborgenen Liebe läuft sich tot und sie trennen sich.

Die Madonna

Mutter hat sich auf Weltreise begeben, nun ist er buchstäblich mutterseelenallein. Wie gut, dass sich in Marie ein 17-jähriges Dienstmädchen als Trost anbietet. Doch sie hat große Hemmungen, sich auf Sex einzulassen: Was, wenn sie ein Kind davon bekäme? Diese Möglichkeit fällt ihm jetzt zum ersten Mal ein. Da er aber keine Ahnung von Verhütung hat und sie ihn liebgewinnt, kommt es zum Unvermeidlichen: Sie ist guter Hoffnung. Was für ein Missgeschick, noch dazu zur öffentlichen Schande, als die Sache ruchbar wird. Als sie im Kindbett bei einer diskreten Amme verstirbt und er zu ihrer Bestattung erscheint, überschlagen sich Klatschmäuler und -spalten, so dass er auf Anraten seines Onkels auf Reisen geht.

Reisebekanntschaften

Reisen bildet, auch in sexueller Hinsicht. In einem Schweizer Hotel lernt er ein rätselhaftes Paar kennen: Sie eine hochgewachsene Schwedin, er ein kleiner Wasauchimmer. Sie erblicken in unserem Chronisten den idealen Vermittler: Da der Kleine keinen mehr hochkriegt, soll unser Mann die Schwedin beglücken. Ihre rotblonden Achselhaare regen ihn auf, doch ihre abgeschmackten Allüren und die Tatsache, dass der Kleine zusieht, törnen unsern Mann beträchtlich ab.

Das Zimmermädchen wäre einer Affäre nicht abgeneigt, doch sie hat einen Plan, der unserem Erzähler Rätsel aufgibt: Sie spart für die Heirat mit einem feschen österreichischen Offizier, muss aber dessen Kaution aufbringen. Zwei Jahre später sieht er sie als Handschuh Verkäufer wieder: Der Offizier hat die Kaution im Kasino verjubelt und sich dann vor Scham erschossen. Na, servus!

Der Schriftsteller

Nach so vielen Abenteuern und Liebschaften findet er, dass sich das Schreiben eines Buches lohnen würde. Allerdings wird das Buch über seine Mutter zwar im Ausland ein Erfolg, doch im Heimatland von der Obrigkeit verboten. Offenbar sind Lobeshymnen auf die Mutter schlüpfrig und verdächtig. Als nächstes Projekt nimmt er ein Theaterstück in Angriff. Eine Luftveränderung täte ihm gut, findet er und reist nach München. Das ist immerhin eine angeblich liberale Metropole, wo Satirezeitschriften wie der „Simplicissimus“ erscheinen und Satiriker wie karl Valentin auftreten können, ohne auf der Stelle verhaftet zu werden.

Doch hier begegnet unser Schriftsteller Fans, die ihn gleich erkennen. Ihre Absichten sind erst zweideutig, dann offen feindselig, als er nicht tut, was sie wollen…

Mein Eindruck

Wie in jedem erotischen Roman über das Liebesleben von Heteros kommen auch hier Männlein und Weiblein vor, mit einem auffallenden Unterschied: Bis eine Frau auftaucht, muss der Leser bis zum Schlusskapitel warten. Was ist mit dem Rest der holden Weiblichkeit passiert, mag sich der Leser fragen. Nun, sie ist eingeteilt in Mädchen einerseits und Weiber andererseits. Letztere werden auch salopp „Frauenzimmer“ genannt. Das Inbild einer Frau ist nämlich „das Weib“.

Der finstere Verdacht könnte aufkommen, dass eine Art sexuelle Ideologie des 19. Jahrhunderts dahintersteckt. Die werde ich hier nicht ausloten, das überlasse ich den Sexologen. Aber selbst Sigmund Freud weist an vielen Stellen solche Vorurteile auf, die sich im Vokabular niederschlagen. Deshalb darf dies nicht unerwähnt bleiben. Und Frauen? Die gibt es auch, aber nur in einem einzigen Exemplar: Der Ausdruck „Frau“ ist die Ehefrau des Berichterstatters reserviert – und eine einzige Enttäuschung: Sie mag nur Oralsex, denn Penetration tut ihr weh. Na, servus – wie soll man dadurch zu Nachwuchs kommen? Er verlässt sie wieder und bereut, dass er sich je in den Hafen der Ehe verirrt hat.

Aber nach dem Tod der Mutter, der ihn Jahr nach lang aus der Bahn wirft, hat er wohl seinen moralischen Kompass, soweit vorhanden, verloren. Er hat sich zuvor in Salzburg mit zwei hübschen Schwestern namens Lotte und Elly eingelassen, nach seiner Genesung sieht er sie in Wien wieder. Dort führen sie eine Art Pension, in der es aber zugeht wie im Bordell: Hier werden Orgien gefeiert. Dadurch vernachlässigt er jedoch seine Herzensdame Anna, was auch nicht gutgeht.

Immerhin ist er ein Schriftsteller, der lernt, dass das Lesevolk echte Kunst nicht zu schätzen weiß, dafür aber Schund geradezu verschlingt. Reich geworden, hat er Zugang zu besseren Kreisen, scheut aber auch vorm Slumming im Rotlichtviertel nicht zurück. Hier lernt er mehrere Autoren kennen, die dies weidlich ausnützen, ihr Geschmier als „Dreck“ verscherbeln und ihren Tageslohn bestens mit „Weibern“ und Alkohol verjubeln. Dann schon lieber fürs Theater schreiben. Unter den Schauspielern lernt unser Autor jedoch einige Charaktere kennen, die ebenfalls recht gewöhnungsbedürftig sind.

Unterm Strich

Diese Abfolge von – mehr oder weniger – erotischen Episoden nennt sich „Roman“, doch unterhalten habe ich mich kaum einmal gefühlt. Wie in vielen der Softpornos, die Ernst Klein schrieb, entsteht eher der Eindruck, dass er im Gewand eines solchen Werdegangs seiner Hauptfigur ein Sittengemälde der Zeit des Fin de siècle zeichnen und vermitteln will. Er hat dies schon für Berlin, Wien und Graz bewerkstelligt, nun erweitert er den Horizont um Zürich, Salzburg und München.

Das es im Liebesleben des Chronisten so manchen Höhenflug, aber auch etliche Jammertäler gibt, gleicht sein Werdegang vom Jüngling zum Mann einer Achterbahn. Was so hoffnungsvoll beginnt, endet am Schluss mit einer Ehe, die eine Katastrophe darstellt. Als wolle der Autor zwischen den Zeilen einen ironischen Kommentar abgeben, wirft das Ehedesaster ein positives Licht auf die vorhergehenden Liebesepisoden, als wolle zu Ausdruck bringen: Zwar ist das Experimentieren mit Risiken verbunden, aber wenigstens hat Mann dabei die Freiheit, aus seinen Fehlern zu lernen. Wohingegen Mann in der Ehe quasi feststeckt.

Am interessantesten sind die Frauenporträts. Da er von der heiligen Mutter geprägt worden ist, verliebt sich der Chronist am liebsten in „reine und heilige“ Mädchen, die noch nicht „Weib“ sind und deshalb gut als „Madonna“ taugen. Als Beispiel möge die junge Verkäuferin dienen, die beinahe sein Kind zu Welt gebracht hätte. Beinahe.

Das Bild der Anti-Madonna ist ebenfalls nicht zu übersehen. Rita Hellmer ist zwar eine sehr zugängliche Lehrerin in Sache Sex, doch eine Bindung liegt ihr fern: Sie ist die Kurtisane par excellence und dürfte es noch weit in der Welt bringen. Die beiden Salzburger Schwestern gehen schon sehr in Ritas Richtung, denn sie sind süchtig nach Sex – mit jedem Mannsbild, das sich ihnen bietet.

Anna hat das Unglück, dass er sie aus ihrem Bordellmilieu – gegen gutes Geld herausholt und ehrbar wird, er sie aber schon bald betrügt, weil er ebenfalls sexsüchtig geworden ist. Nur Moral und Standfestigkeit gewährleisten die „reine Liebe“, doch er ist nicht mehr in der Lage, sich dazu aufzuraffen – wie ein Projekt, das er wie ein Ideal anstrebt, nur um dann doch wieder dem inneren Schweinehund der Lust nachzugeben. Das Geld, das er ihr reichlich gibt, dürfte sie kaum trösten. Er jedoch ekelt sich vor sich selbst. Dieser Ekel taucht immer wieder auf und macht die Lektüre keineswegs zu einer reinen Freude.

Ernst Klein, der Autor, hat etliche bessere Romane geschrieben, aber nur wenige schlechtere.

Taschenbuch: 125 Seiten.
ISBN 9783453500426


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