Tufts, Gayle – Miss Amerika

Wer in Berlin aufmerksam Radio hört, aber auch wer das deutsche TV-Showgeschäft im Auge behält, dem dürfte Gayle Tufts schon mal begegnet sein. Die schnell sprechende Frau mit dem breiten amerikanischen Akzent wundert sich dort schon seit etwa drei Jahren öffentlich über die Eigenarten von Amerikanern und Deutschen. Das scheint bei ihr so eine Art Bestimmung zu sein, denn schon der Titel ihres ersten Buches von 1998 „Absolutely unterwegs – Eine Amerikanerin in Berlin“ zeigt sehr deutlich, was bei Gayle Tufts Programm ist.

Tufts ist gelernte Schauspielerin, die sich in Deutschland mittlerweile als Entertainerin und Schauspielerin einen Namen gemacht hat. Sie stand für Disneys „Glöckner von Notre Dame“ zusammen mit Dirk Bach auf der Bühne und wirkte bei den „Vagina Monologen“ mit. Die Amerikanerin lebt seit 1991 in Berlin und hat Deutschland ganz offensichtlich so sehr ins Herz geschlossen, dass sie sich gar nicht mehr losreißen kann. Im Laufe der Jahre ist sie mit mittlerweile zwölf Bühnenprogrammen durch die Lande getourt, bei denen jeweils das Comedy- und Grand-Prix-Urgestein Thomas Hermanns als Regisseur beteiligt war.

In „Miss Amerika“, Gayle Tufts‘ aktuellem Buch, widmet sie sich wieder einmal dem ganz normalen Alltagswahnsinn, wie sie ihn als Amerikanerin in Deutschland erlebt. Dabei wundert sie sich über so manche Eigenart der Deutschen, denn streng jahreszeitliche Ernährungsgewohnheiten wie die Spargelzeit sind ihr nicht minder fremd als die allgemein so klar und gut durchstrukturierte Lebensweise, die sie mit den Deutschen verbindet.

Nun könnte man meinen, dass es nicht unbedingt neu ist, die Deutschen mitsamt ihren klischeebeladenen Eigenarten humoristisch aufs Korn zu nehmen, doch Gayle Tufts geht die Sache auf ihre ganz eigene und obendrein sehr erfrischende Art an. Ihr Markenzeichen ist das „Dinglish“. Sie plaudert in atemberaubendem Tempo einfach wild drauf los und mixt dabei ohne Rücksicht auf Verluste Deutsch und Englisch. Beispiel gefällig?

|“In Deutschland gibt es dagegen feste Regelungen. Winterschlussverkauf wird zu Winterschlussverkaufszeiten gefeiert. Jawoll! Ende Januar, alles ist dunkel und trübe, das Wetter ist scheiße – let’s go give unser Geld aus!“| (S. 39)

Tufts Art, einfach wild drauflos zu plaudern hat etwas wunderbar Offenes. Sie wirkt absolut unverfälscht und ehrlich und lebt ihren Humor im Wesentlichen in Alltagsgeschehnissen aus. Da findet man herrlich treffsichere Beobachtungen, die Tufts mit einem Humor verknüpft, der gleichermaßen abgründig wie feinfühlig ist. Mal mag man vor Lachen laut losprusten, mal schmunzelt man leise in sich hinein. Tufts beherrscht wunderbar treffsichere Vergleiche und krönt ihre Beobachtungen auf diese Weise stets mit einem humoristischen Sahnehäubchen.

Gayle Tufts ist eine lebhafte und temperamentvolle Frau mit einem ebenso charmanten wie knallhartem Humor, den man binnen kürzester Zeit lieb gewinnt. Sie ist gnadenlos ehrlich, lässt aber immer wieder auch einen gewissen Respekt durchblicken, beispielsweise, wenn sie das wohlorganisierte Alltagsleben der deutschen „Wirtschaftswunder-Hausfrauen“ mit ihrem eigenen alltäglichen Chaos vergleicht.

„Miss Amerika“ vereint unterschiedliche Aspekte auf seinen knapp 250 Seiten. Zum einen Gayle Tufts‘ Beobachtungen in ihrem deutschen Lebensalltag, zum anderen Tufts‘ Erlebnisse mit dem „Reverse-Cultureshock“, wie sie ihn erlebt, wenn sie zurück in ihre Ex-Heimat kommt. Gerade auch das Thema Bush und Tufts‘ Unglauben darüber, dass so ein Mann wiedergewählt werden konnte, kommen mit einem humoristischen Unterton immer wieder zum Ausdruck. Auch die Tücken des Alterns, die im Leben einer Mittvierzigerin logischerweise immer wieder durchschimmern, sind ein Thema.

Tufts „Dinglish“ ist dabei anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, wirkt aber weniger lächerlich, als man auf den ersten Blick meinen mag. Gerade wenn man sich einmal die Autorenlesung zum Buch aus dem |DAV| vornimmt, offenbart sich die liebenwürdige Schrulligkeit dieses Sprachmixes so richtig. Tufts erweckt eben den Eindruck, als wäre sie auch in ihrer Art zu Reden ganz sie selbst, ohne sich zu verstellen.

Zumindest ist sie für mich die Einzige, der ich „Dinglish“ zugestehen mag. Bei ihr ist es einfach nett und sympathisch. Wenn sonst im alltäglichen Sprachgebrauch Deutsch und Englisch gnadenlos verquirlt werden und teilweise unsinnige Sprachgebilde entstehen, wirkt es meistens albern, obwohl es doch stets so wahnsinnig cool sein soll. Nicht so bei Gayle Tufts. Ihr kauft man ihr Dinglish ab. Bei ihr wirkt es einfach echt und goldrichtig.

„Miss Amerika“ kann man dabei durchaus in den unterschiedlichen Darreichungsformen empfehlen. Das Buch enthält logischerweise die vollständigen Texte, die CD dafür eine wesentlich besser erlebbare Portion Gayle Tufts. Wenn man die Texte von ihr selbst vorgelesen bekommt, hat das noch einmal einen besonderen Reiz, wenn die Gags und Pointen auch noch mit Tufts individueller Betonung und ihrem Sprachwitz garniert werden.

Unterm Strich kann man Gayle Tufts‘ „Miss Amerika“ getrost weiterempfehlen, sowohl zum Lesen, als auch zum Hören. Tufts Humor weiß zu überzeugen, ist weder zu derb noch zu lahm. Die Amerikanerin versteht sich auf eine genaue Beobachtungsgabe und wohlakzentuierte Pointen. Sie trifft den Nagel stets auf den Kopf und lässt dabei immer wieder einen liebenswerten und lebensfrohen Charakter erkennen. Fazit: Ein absolut liebens- und empfehlenswerter Beitrag zur Völkerverständigung. Oder noch kürzer auf den Punkt gebracht: Awesome!

Buch:
Gustav Kiepenheuer Verlag
ISBN [3-378-01080-0]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3378010800/powermetalde-21
http://www.aufbau-verlag.de

CD:
Der Audio Verlag
ISBN [3-89813-520-9]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3898135209/powermetalde-21

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