Westerfeld, Scott – Weltensturm

Captain Laurent Zai und Meisterpilot Jocim Marx von der kaiserlichen Raumflotte befinden sich in tödlicher Gefahr. Denn ihre Mission gestattet kein Versagen. Es würde einen Blutfehler darstellen, der nur mit dem Verlust des ewigen Lebens gesühnt werden kann. Denn Anastasia Vista Khaman, Schwester und Thronerbin des Auferstandenen Kaisers, der den Tod überwunden hat und seit 1600 Jahren über das Reich der Achtzig Welten herrscht, wurde von den Rix als Geisel genommen. Zusätzlich ist es den Rix-Invasoren gelungen, auf Legis XV ein globales KI-Verbundbewusstsein zu installieren, etwas, das dem Kaiserreich ein Gräuel und deshalb verboten ist.

Dieser Coup stellt den Auftakt eines weiteren Kriegs gegen die Rix dar, der Kaiser beruft umgehend einen Kriegsrat ein, zu dem auch Senatorin Nara Oxham gehört. Sie macht sich Sorgen um ihren Geliebten Captain Laurent Zai, aber auch um Legis XV. Denn der Kaiser ist willens, Zai und die gesamte Bevölkerung des Planeten sowie auch seine eigene Schwester zu opfern, wenn er nur sein |Geheimnis| bewahren kann, das in die Hände des Verbundbewusstseins der Rix zu fallen droht.

_Der Autor_

Scott Westerfeld (05.05.1963) wurde in Texas geboren. Er lebt und arbeitet heute abwechselnd in New York und Sydney, Australien. „Weltensturm“ ist ein Sammelband der im Jahr 2003 erschienenen Romane „The Risen Empire“ und „The Killing of Worlds“, |Tor Books| teilte das ursprünglich „Succession“ genannte Werk. Der Roman ist somit wieder vereint und in sich abgeschlossen. Der deutsche Science-Fiction-Autor Andreas Brandhorst zeichnet für die einem Extralob würdige exzellente Übersetzung verantwortlich. Einziger kleiner Makel ist, dass „the Lazarus-Symbiant“ auch in der Übersetzung als „Symbiant“ anstelle des deutschen „Symbiont“ bezeichnet wird. Das irritiert ein wenig während der Lektüre.

_Never judge a book by its cover_

Man sollte ein Buch nie anhand seines Covers oder seines Klappentextes bewerten, angesichts haarsträubender Vergleiche zu |Dune|, |Star Wars| und anderen Space-Operas in einigen Rezensionen und dem extrem pathetisch-trivialen Klappentext des |Heyne|-Verlags möchte ich dennoch darauf eingehen. Die an und für sich recht hübsche Umschlaggestaltung schlägt in dieselbe Kerbe, was bedauerlich ist. Der etwas reißerische Titel „Weltensturm“ ist mir unerklärlich und passt nicht zum Inhalt und soll wohl den Verkauf fördern. Das Gegenteil könnte der Fall sein, was sehr schade wäre!

Denn hinter dem vermeintlichen 08/15-Schinken eines unbekannten Autors verbirgt sich eine Space-Opera, die einige aktuelle und dennoch erfolgreiche Langweiler etablierter Autoren wie Peter F. Hamilton und Stephen Baxter mühelos übertrifft. Vergleiche mit Frank Herbert, Isaac Asimov und Dan Simmons, um Thematik und Stil Westerfelds zu beschreiben, sind zwar nahe liegend, aber leider auch irreführend und bemüht, darum möchte ich kurz das Universum des „Risen Empire“ vorstellen.

_Das ewige Leben der lebenden Toten_

Das Kaiserreich der Achtzig Welten umfasst einen dreißig Lichtjahre großen Raumsektor und hat gegenüber anderen menschlichen Reichen einen entscheidenden Vorteil: den Lazarus-Symbianten, der ewiges Leben nach dem Tod ermöglicht. Ursprünglich suchte der Auferstandene Kaiser nach Heilung für seine todkranke Schwester Anastasia, aber er fand das Geheimnis des ewigen Lebens. Oder des ewigen Todes, denn der Lazarus-Symbiant verbindet sich nur mit den Körpern toter Wesen. Um in den Genuss der Unsterblichkeit zu kommen, muss man sterben. Seit dem Erfolg der „Heiligen Experimente“ an Katzen und dem heroischen Selbstversuch des Kaisers verehrt man ihn und seine Schwester Anastasia, von ihren gläubigen Anhängern schlicht „der Grund“ genannt, wie Halbgötter. Das Reich basiert auf dieser unglaublichen Errungenschaft, jeder kann sich die Unsterblichkeit verdienen. Wer im Kampf für Kaiser und Reich fällt und dessen Körper nicht zu stark beschädigt ist, der zieht in eine Art Walhall ein, ihm werden die Ehre des Lazarus-Symbianten und der Aufstieg in die Reihen der „Grauen“, der auferstandenen Toten, zuteil. Diese bilden seit Jahrhunderten die Führungsschicht des Reichs, ein ultrakonservativer und stets kaisertreuer Block.

Die Schranke der Lichtgeschwindigkeit wurde in dieser Zukunft nicht überwunden, eine Vorliebe der Grauen neben der Betrachtung für Normalsterbliche kontrastloser schwarzer Bilder und Wände sind jahrhundertelange Pilgerfahrten mit relativistischen Geschwindigkeiten. Außerirdische Rassen sind nicht bekannt, dafür hat sich die Menschheit in unterschiedliche Gruppierungen entwickelt. Neben dem Reich der Achtzig Welten existieren beispielsweise noch die Tungai, die den Tod mit überlegener Biotechnologie lange hinauszögern, aber nicht verhindern können. Auch die Rix sind nicht unsterblich, aber ihre Götter sind es nahezu. Die Rix sind Cyborgs, die ihren menschlichen Körper nach und nach mit maschinellen Komponenten verbessern und ersetzen. Sie sehen sich als Geburtshelfer künstlicher Intelligenzen an, die, wenn sie zu einem gewaltigen planetaren Verbundbewusstsein verschmelzen, gottgleiches Wissen und Fähigkeiten entwickeln. Im Kaiserreich und vielen anderen Reichen werden KIs in ihrer Entwicklung gezielt beschränkt, was zur Folge hat, dass man den Rix technologisch hinterherhinkt. Die Grauen sind erklärte Feinde der gefürchteten Rix, die erste „Rix-Inkursion“ forderte unzählige Opfer und schürte zusätzlich zu den ideologischen Differenzen den Hass, vor allem auf Seiten des Kaiserreichs.

Politisch brodelt es im Kaiserreich. Die „pinken“ Säkularisten wie Nara Oxham lehnen das ewige Leben ab, sie sterben. Denn nach ihrer Überzeugung sind es die unsterblichen Dickköpfe aus längst vergangenen Zeiten, die Kreativität und Fortschritt behindern. Als Beispiel dient Nara Oxham der Fall Galileo Galileis, dessen heliozentrisches Weltbild sich in ihrer Überzeugung nur deshalb durchsetzen konnte, da die alten Kirchenfürsten mitsamt ihren überholten Vorstellungen starben – wohingegen das Kaiserreich seit Jahrhunderten stagniert und zurückfällt. Der Tod wird als Motor der Veränderungen und der Evolution gesehen, eine Vorstellung, die das Reich spaltet, denn ebenso viele gieren nach dem ewigen Leben.

_High-Tech-Drohnen statt Raumjäger_

Scott Westerfeld greift gar nicht so weit in die Zukunft, wenn er anstelle von Piloten in Raumjägern ferngesteuerte oder autonome Drohnen in Kampfeinsätzen verwendet. So ist Meisterpilot Jocim Marx dank computergestützten synästhetischen Sehens in der Lage, ganze Schwärme von Kampfdrohnen in Weltraumschlachten zu befehligen oder selbst vollständig zu steuern. Daten und Diagramme werden dabei als Sinnesreizung ins Hirn projiziert und können visualisiert werden; so markiert Nara Oxham im Parlament die Angehörigen verschiedener Parteien mit unterschiedlichen farbigen Punkten und kann bei Bedarf Dossiers zu ihnen ansehen. Die Fähigkeit zur [Synästhesie]http://de.wikipedia.org/wiki/Syn%C3%A4sthesie wird operativ erzeugt, die bereits heute bekannte Wahrnehmung der Sinnreize eines Sinnorgans gekoppelt mit denen eines anderen (zum Beispiel Farben als Töne hören oder Töne als Farben sehen) wird so nutzbringend angewendet. Marx steuert vom staubkorngroßen Mikrogleiter bis zur Weltraumkampfdrohne alles von seinem Leitstand an Bord von Captain Zais Fregatte |Luchs| aus, was ungewöhnliche Perspektiven und Möglichkeiten eröffnet.

Raumschlachten sind in diesem Universum an die Regeln der realen Physik gebunden, die nur selten ein wenig gebeugt werden. Hier gieren keine Raumschiffe oder erzeugen Triebwerksgeräusche wie in actionlastigen Science-Fiction-Filmen aus Hollywood. Dass sie nicht minder spannend sind, liegt nicht nur an den ungewöhnlichen Perspektiven aus der Sicht von Marx beziehungsweise seinen Drohnen, Westerfeld beschreibt die Probleme der Besatzung der |Luchs| und wie sie sich mit Glück und dank der verschlagenen Raffinesse Captain Zais dennoch gegen einen überlegenen Kreuzer der Rix halten kann, trotz schwerer Schäden und einem vermeintlich selbstmörderischen Auftrag. Hier springt Westerfeld häufig zwischen Marx, Zai und seinem ersten Offizier Hobbes sowie dem einfachen Soldaten Bassiritz – diese Erzähltechnik ist ein Markenzeichen des Romans. So erleben wir die Handlung aus der Sicht der Rixkämpferin h__rd, des Verbundbewusstseins „Alexander“, der Senatorin Nara Oxham und einiger anderer Charaktere, kurz sogar aus Sicht der Kindkaiserin Anastasia oder der illegalerweise überentwickelten KI von Nara Oxhams Haus! Westerfelds KIs sind leider eher simpel gestrickt und können nicht die Faszination und Komplexität anderer Cyberspace-Welten vermitteln, aber insbesondere der direkte Einblick in die Gedankenwelt der „feindlichen“ Rix ist erhellend und dient der besseren Reflexion über die beiden Parteien.

Einigen Charakteren merkt man an, dass sie in einem frühen Stadium der Planung des Romans entstanden sind. Westerfeld wollte laut seiner Webseite schon seit seiner Jugend George Lucas zeigen, wie eine Space-Opera auszusehen hat. Er störte sich maßlos an den aller Physik spottenden Effekten in |Star Wars|. Der smarte und tapfere Captain Zai ist so auch durchaus ein Stereotyp; interessanterweise wird er in der Folge auch kaum näher charakterisiert, zugunsten der weiblichen Charaktere wie seinem ersten Offizier Hobbes oder seiner Geliebten Nara Oxham. Auch die Rix h__rd und Rana Harter stellen weibliche Charaktere dar, die allesamt deutlich tiefer dargestellt als ihre männlichen Kollegen. Auch Meisterpilot Jocim Marx geht in seiner Rolle als Pilot genauso auf wie Zai in der des Captains und bietet wenig mehr. Diese Vorliebe für weibliche Charaktere scheint auch auf andere Romane Westerfelds zuzutreffen, seine 2005/06 erschienenen Romane „Uglies“, „Pretties“ und „Specials“ haben mit Tally Youngblood eine weibliche Hauptfigur, die sich für ihr natürliches Aussehen anstelle der ab dem sechzehnten Lebensjahr vorgesehenen Standard-Schönheitsoperation entscheidet.

Diese Romane gehören jedoch nicht dem Genre der Space-Opera an, bedienen sich aber lose an dieser bereits in „Weltensturm“ vorgestellten Idee: Durch Genmanipulation hat sich die Menschheit selbst perfektioniert und von Erbkrankheiten befreit, allerdings merkt man fast zu spät, was man eigentlich erreicht hat. Menschliche Monokulturen, perfekt angepasst aber auch inflexibel und anfälliger gegenüber unbekannten Krankheiten. Westerfelds Idee ist es, dass als krank oder schlecht erkannte Merkmale oft versteckte Vorteile haben: Sichelzellenanämie macht immun gegenüber Malaria, Autismus ist oft mit Genie verbunden. All diesen genetischen Reichtum hat man jedoch vernichtet, und die ehemals Armen und Kranken, die sich keine Verbesserung leisten konnten, werden zum wichtigsten genetischen Pool der Menschheit, der sogenannten „Seuchenachse“, die sogar im Kriegsrat des Kaisers eine eigene Stimme hat.

Die Ursache hinter den Angriffen der Rix und treibende Kraft hinter den Aktionen des Kaisers, die Captain Zai auszuführen hat, ist das bereits erwähnte |Geheimnis|. Andeutungen auf das Geheimnis des Kaisers ziehen sich von Beginn an durch den Roman, dessen Enthüllung fatale Folgen für das Reich haben wird. Bis Westerfeld die Katze aus dem Sack lässt, bietet er abwechslungsreiche und für das Space-Opera-Genre sogar anspruchsvolle Science-Fiction, wie man sie gerne öfter lesen würde.

_Fazit:_

Ein gelungener Roman, der einige Werke jüngeren Datums bekannterer Autoren mühelos in den Schatten stellt. Schade nur, dass Scott Westerfeld derzeit keine weiteren Science-Fiction-Romane plant, er hat sich mittlerweile ausschließlich dem Feld der Young Adult Novels zugewandt. Bedauerlich, denn frischer Wind könnte viele ein wenig selbstgefällig und langatmig gewordene Science-Fiction-Autoren wachrütteln. „Weltensturm“ ist eine ungewöhnlich tiefschürfende Space-Opera mit allem, was dazugehört – und noch viel mehr.

Homepage des Autors:
http://www.scottwesterfeld.com/

http://www.heyne.de

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