Anonymus – Die liebestolle Gräfin. Erotischer Roman

Die Philosophie der Lust

Gräfin Sidonie Stellamare liebt das Geld über alles, sie wettet gern und spekuliert mit Aktien. Als sie durch einen Zufall Hektor van Karkoel kennenlernt, erhofft sie sich von ihm entscheidende Tips und Hinweise. Der Millionär ist dazu auch gern bereit – allerdings unter einer ganz bestimmten Voraussetzung. Die Gräfin muss zahlen, und zwar mit ihrem Körper und ihrer Liebe.

Sidonie Stellamare kennt keine Skrupel und geht auf dieses Angebot ein. Gemeinsam erleben beide in den nächsten Monaten alle Höhen des Liebesrausches, der nicht enden will. (Verlagsinfo) Dieser Klappentext verschweigt verschämt die Beteiligung des Äffchens Mao und des buckligen Karkoel-Partners Udo Lankhout an den Liebesspielen, vom Afrikaner Poulpoul ganz zu schweigen.

Der Autor

„Der Roman erschien anonym um die Jahrhundertwende (1900). Es scheint das Werk eines Wiener Literaten zu sein, der Zugang zu den besten kreisen der Donaustadt hatte, deren ausschweifendes Privatleben er eingehend beschreibt.“ (Verlagsinfo)

Der Autor versteckt sich hinter dem üblichen Namen „Anonymus“, vermutlich ca. 1910 in Wien. Der Autor – vielleicht der fleißige Ernst Klein alias „Richard Werther“ – beschreibt bereits rasante Autos, Telefone, feudale Hotels in Wien und verruchte Theaterstücke, deren Schauplatz ein Bordell ist. Ebenso einen Nacktball – Dekadenz, wohin man schaut. Und damals, vor dem Großen Krieg, gehörte Bessarabien, das heutige Moldawien, noch zum Königreich Rumänien. Unerwartet ist indes die Erwähnung von amerikanischer Musik wie dem Jazz und dem Blues vor diesem Hintergrund. Die Angabe „Jahrhundertwende“ erscheint daher etwas zu früh zu liegen.

Richard Werther ( in Wirklichkeit Ernst Klein), geboren 1876 in Wien, gestorben 1951 in New York, war Journalist und übersiedelte 1908 nach Berlin. Dort arbeitete er für den Berliner Lokalanzeiger. Nebenbei veröffentlichte er zahlreiche pornografische Romane und übersetzte pornografische Klassiker. Ebenfalls verfasste er unter Pseudonym mehrere Sensationsdramen, die allein in Berlin bis zu 350 Aufführungen erfuhren. Eines seiner Werke trägt den Titel „Der skandalöse Ball“, und genau so einer findet in dem vorliegenden Buch statt, nur eben in Wien statt in Graz.

Herausgeber: Peter Schalk. Sein Begleitwort fehlt und wird sehr vermisst. In dieser Hinsicht ist die Goldmann-Erotika-Reihe besser editiert. In den meisten Moewig-Ausgaben von Erotika fehlen Nachwörter ebenfalls.

Handlung

Gräfin Sidonie Stellamare hat sich nach dem unvorhergesehenen Ableben eines Mannes in Rumänien – ausgerechnet der Finanzminister – aus ihrem Stammland absetzen müssen. Heute Abend taucht sie, mit Diamanten geschmückt, in einem verruchten Wiener Theaterhaus auf, in dem das aufgeführte Stück in einem Bordell spielt. Das ist ihre Welt: gewagte Sinnlichkeit, buhlende Mannsbilder und die Frau im Mittelpunkt. Neben sie setzt sich ein besagtes Mannsbild, dem sie maskuline Kraft schon am Stiernacken ansieht. Er stellt sich als Hektor van Karkoel vor, der bekanntermaßen ein Millionär mit guten Kontakten zur Rennbahn wie auch zur Finanzwelt ist.

Da Sidonie derzeit etwas knapp bei Kasse ist, würde sie allzu gern etwas mit Aktien spekulieren sowie auf ein Pferd setzen. Sie erhofft sich von Karkoel entscheidende Tipps und Hinweise. Das ließe sich einrichten, meint Karkoel, allerdings unter einer ganz bestimmten Voraussetzung. Die Gräfin muss zahlen, und zwar mit ihrem Körper und ihrer Liebe. Sidonie Stellamare kennt keine Skrupel und geht auf dieses Angebot ein. Er lädt sie in seine Villa in Hietzing ein.

Das erste Stelldichein

Es ist ein „Tusculum“, wie es im Lateinbuch steht: ein Ort fürs Lustwandeln, für die Erholung und Entspannung, aber auch für Sex. Stumm ist die Dienerschaft ebenso wie Sidonies Äffchen Mao, das Anfälle von Eifersucht an den Tag legt. Als ein weiterer Mann eintritt, darf sie sich also nicht beschweren. Karkoel stellt seinen buckligen und blassen Sekretär Udo Lankhout vor. Gemeinsam erleben die drei – den Affen nicht eingerechnet – an diesem Abend einige Höhen des Liebesrausches. Ein flotter Dreier, findet Sidonie, ist nicht zu verachten. Karkoel entdeckt an ihrer Anatomie einige Attribute, die auf große Sinnlichkeit schließen lassen.

Schon bald revanchiert sich Karkoel mit einigen lukrativen Tipps, die Sidonie in die Lage versetzen, ihren Aufenthalt in der schönen Donaumetropole standesgemäß fortzusetzen. Eines Morgens reitet sie im Wiener Prater aus, dessen weitläufige Wiesen und Alleen für den Pöbel gesperrt sind, und sich kilometerweit frei von solchem Krimskrams wie etwa einem Riesenrad ausdehnen. Karkoel taucht in seinem Reitstall auf, und nett zeigt er ihr den Gewinner des letzten Rennens im Hippodrom. Zusammen brechen sie zu einem Ausritt auf.

Massage XXL

Nach einem Bad bzw. einer Dusche sind beide bereit zu neuen Schandtaten. Karkoel lässt zwecks Massage seinen Afrikaner Poulpoul rufen. Der schwarzhäutige Mann geht erst munter an Karkoel zu Werke, doch als die noch wartende Gräfin eine weiße Brust hervorlugen lässt, ist der Masseur erheblich abgelenkt. Die Dienerin Asta entkleidet Sidonie noch weiter, und als auch die zweite gräfliche Brust das Kerzenlicht erblickt, kennt Poulpoul kein Halten mehr.

Allerdings ist ihm der direkte Angriff ebenso verboten wie ein Techtelmechtel mit der Jungfrau Asta. Da er unbekleidet ist, zeigt sich seine Erregung recht konkret, und nun kennt die Gräfin kein Halten mehr. Ihr Interesse gilt nicht mehr der süßen Asta, sondern sie bietet sich dem Afrikaner an. Das eine führt zum anderen, und am Schluss sind alle vier befriedigt und Asta keineswegs mehr eine Jungfrau.

Der Nacktball

Sidonie hat ihrem frustrierten Gönner versprochen, ihn für den Verlust Astas zu entschädigen. Sie hat sich dafür eingesetzt, dass er Poupoul nicht für die Defloration der Dienerin bestraft, aber nun bietet sie ihm Ersatz aus einem Mädchenpensionat an. Dieser Kontakt muss allerdings mit Fingerspitzengefühl eingefädelt werden, denn schließlich geht es um minderjährige Mädchen, die mit Herren zusammengebracht werden sollen. Die beste Gelegenheit für die Transaktion ist ein Nacktball.

Diese ultrageheime Veranstaltung, die schon im 18. Jahrhundert vom Grafen Fürstenfeld eingerichtet wurde, soll Damen der „Gesellschaft“, also nicht dem Pöbel, Zugang zu diversen Lustbarkeiten verschaffen. Letztere sind in Separees des Tanzsalons zu bekommen. Nur die Männer sind maskiert, die Damen gehen unmaskiert, tragen zumeist einen Büstenhalter und Strümpfe. Sie haben den Vorteil, den Erregungszustand ihres jeweiligen Tanzpartners hautnah und ganz objektiv beurteilen zu können, was umgekehrt jedoch nicht der Fall ist. Karkoel kommt mit seinem Sekretär Lankhout, ausgestattet mit Passwort und gräflicher Einladung.

Der Abend wird ein voller Erfolg, vor allem deshalb, weil sich die Separees als wirklich geräumig erweisen. Ausgestattet mit einem Bidet, können sich die Damen damit reinigen, nachdem die Männer die Fracht ihrer Hoden entladen haben. Karkoel macht die Bekanntschaft Klothildes, der Vorsteherin des Mädchenpensionats, und benutzt sie ebenso wie sie ihn benutzt. Da sie mit seiner höflichen und zurückhaltenden Art zufrieden ist, lädt sie ihn zu einem Besuch ein.

Das Mädchenpensionat

Klothilde hat alles bestens vorbereitet, als Karkoel alleine in ihrem Pensionat eintrifft. Ihm stehen dreieinhalb Stunden Zeit zur Verfügung, bis um 13 Uhr Mittagessen angesagt ist. Sie hat für ihn die vier schönsten Mädchen ausgewählt, alle zwischen 16 und 17 Jahren alt. Marga ist nicht nur die älteste und erfahrenste unter ihnen, sondern auch die Anführerin der kleinen Clique, also ist sie die beste Schülerin für Karkoels „Lehrtätigkeit“. Die Vorstellung, ein Lehrer zu sein, ist für Monsieur etwas gewöhnungsbedürftig, leuchtet ihm aber angesichts der Lokalität schließlich ein.

Nachdem er mit Marga seinen konkreten Anschauungsunterricht der männlichen Anatomie angefangen hat, weist er sie in die Geheimnisse der Befriedigung eines Mannes ein. Er stachelt ihre Neugier auf neues Wissen an, erregt ihre Sinnlichkeit und gewinnt zudem ihr völliges Vertrauen. Sodann führt sie ihn und seine männlichen Reize ihren drei Mitschülerinnen vor, die schließlich einsehen, dass sie sich, nach all den Geschichten, die sie gehört haben, die Realität des Dinges an sich nicht entgehen lassen dürfen.

Als auch Klothilde, die Vorsteherin, ihnen Gesellschaft leistet und sich mit einem milchgefüllten Godemiché vergnügt, gibt es für die Mädchen kein Halten mehr. Die Entjungferung Margas war bestimmt erst der Anfang, ist sich Karkoel sicher, als er wieder abreist. Und Klothilde nimmt ihm das Versprechen ab, sich auch mit ihr zu vergnügen. Sie vermisst den Vorsteher des nahe liegenden Knabenpensionats, der nach Berlin versetzt worden ist, sehr.

Im Literaturklub

Karkoel gehört einem geheimen Klub für die Freunde französischer Literatur an, doch der Klub ist nur Tarnung, um die immer wieder zuschlagende Sittenpolizei zu täuschen. (Gerade erst ist Simone, eine Bordellwirtin, zu sechs Jahren Haft verurteilt worden.) Als Intimus weiß er, wann die letzte Vorstellung der Frühjahrsaison stattfindet, und lädt dazu seine Freundin Sidonie ein. Selbstverständlich ist auch sein Sekretär mit von der Partie. Sidonie sagt gerne zu, warnt aber, dass sie womöglich heute oder am nächsten Tag ihre Monatsblutung bekommen werde. Das lässt Lankhout aufhorchen, er bekommt strahlende Augen. Sie lädt ihn zu sich ein, übermorgen. Die Darbietungen, untermalt von klassischer Musik des Orchesters, sind exquisit. Es wird ein denkwürdiger Abend, denn, wie man sich denken kann, endet er in einer Swinger-Orgie.

Lankhouts Endspiel

Zwei Tage später besucht Udo Lankhout die Gräfin im Hotel Imperial. Es herrscht bereits diese entsetzliche Schüle des Frühsommers, wenn die Mücken den Donauniederungen entfleuchen, um über die Menschen herzufallen, die sich einen Aufenthalt an der Kanalküste nicht leisten können. Karkoel ist dorthin bereist abgereist, und Lankhout will ihm in Kürze folgen.

Nachdem tags zuvor ihre Krämpfe verklungen sind, empfängt ihn die Gräfin mit leichter, sommerlicher Kleidung, einem seidenen Teagown. Darunter trägt sie nichts, doch aus Interesse fordert sie ihn auf, seine Lebensgeschichte zu erzählen, um seine Vorliebe für Blut verstehen zu können. Seine Lebensgeschichte ist durchaus interessant, doch das Ende überlebt die Gräfin nicht, hat Lankhout doch seine Vorliebe für Blut gleich in die Tat umgesetzt…

Mein Eindruck

Es ist ein Tanz auf dem Vulkan, den der Leser hier zu sehen bekommt. Sowohl die Wiener Gesellschaft als auch die Gräfin leben auf Pump, in der Hoffnung, dass schon alles gut gehen wird. Die Wiener Gesellschaft scheint keine Geschlechtskrankheiten zu kennen und fährt auf ihren Swinger-Abenden und Nacktbällen volles Risiko.

Sidonie bekommt Tipps für Aktien und Rennpferde, sie hat eine Schwäche für Wetten. Und wenn sie Freunde wie Karkoel hat, braucht sie sich keine Sorgen zu machen. Vorausgesetzt sie zahlt den erwarteten Preis, nämlich die Teilnahme an schrankenlosen Liebesspielen. Aber an diesen Spielen nehmen stets auch andere teil, und in der Regel ist es der etwas unheimlich anmutende Sekretär des Millionärs.

Da er durch seine krüppelhafte Anatomie in der Attraktivität gehandicapped ist, muss er sich wie ein Schmarotzer den Liebesspielen seines Dienstherrn anschließen, um noch ein paar Krümel Sex abzubekommen. Ob Karkoel von seiner Vorliebe für Blut weiß, ist anzunehmen, denn Lankhout begleitet ihn überallhin. Deshalb liegt der Verdacht nahe, dass er zumindest billigend in Kauf nimmt, wenn Lankhout seiner Vorliebe freien Lauf lässt und dabei lästige Zeuginnen beseitigt.

Der Mord am Schluss kommt für den Leser wie eine kalte Dusche. Alles fing doch so gut an: die Liebessspiele, der Nacktball, der Literaturklub – und wem der pädophile Sinn danach steht: auch die Lehrstunden im Mädchenpensionat. Und nun das, als müsste das Vergnügen stets mit einer dunklen Seite, die Sünde mit einer Buße versehen sein.

Der Verdacht auf eine eigene Philosophie, die hier unters Volk gebracht werden soll, kommt auf. Denn der unbekannte Autor lässt sich immer wieder zu Sentenzen und philosophischen Absätzen hinreißen, in denen seine ganz spezielle Weltanschauung sichtbar wird. Er lehnt offenkundig die Schranken der vorherrschenden Religionen ab, besonders die des in Österreich-Ungarn dominanten Katholizismus. (Wien war das Zentrum der Gegenreformation im Hl. Römischen Reich dt. Nation, zumindest bis 1806, als es von Napoleon aufgelöst wurde.)

Doch wenn es keine religiös begründete Moral mehr gibt, was soll dann der Leitfaden für die Handlungen und Empfindungen der Menschen sein, fragt sich der Leser leicht beunruhigt. Dass die Wiener Oberen Zehntausend die Moralgesetze mit Füßen treten, solange das Volk nichts davon erfährt, wird ja mehrfach demonstriert. Das Kapitel im Mädchenpensionat stellt dar, worauf es dem Autor ankommt: die rücksichtsvolle Beschaffung von Lustgefühlen, besonders wenn daran die holde Weiblichkeit beteiligt ist.

Karkoel ist ein Lust- und Machtmensch, aber auch ein Wolf muss sich mal wie ein Schaf verkleiden, wenn er nicht das Wild verjagen will, sprich: die Jungfrauen, die ihm Klothilde verschafft hat. Diese Vorsteherin, die auf Sexentzug ist, hat ebenfalls die Moralgesetze über Bord geworfen – und diese Einstellung wendet sie nun auf ihre Schützlinge an. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Karkoel macht sein Geld wie ein wahrer Kapitalist, nämlich mit Ölaktien, Anteilsscheinen und natürlich mit Pferdewetten. Im Liebesspiel scheint er kein Wässerchen trüben zu können, doch er wird vom Autor als „wahres Mannsbild“ präsentiert, als Inbild von bullenhafter Stärke, der sich keine Frau entgegenstellen darf. Schon gar nicht eine fremdländische Halbweltdame wie Sidonie Stellamare, die in der Wiener Gesellschaft weder Wurzeln noch Verbindungen besitzt. Sie muss in ihrer eigenen Währung zahlen: mit ihrem Körper. Verfällt dieser, wie es nun mal unvermeidlich ist, wird auch ihr Wert fallen.

Dieses Gedankengut, das auf männliche Dominanz, weibliche Unterwürfigkeit und die Wahrungen Geld und Sex aufgebaut ist, muten im Rückblick wie Protofaschismus an. Mit dem Unterschied, dass das Ideal der völkischen Gemeinschaft, die der Faschismus zum Dogma erhob, in diesem Roman an keiner Stelle realisiert wird. Es gibt zwar eine Gemeinschaft, aber das sind die Oberen Zehntausend von Wien, und die sind, wie demonstriert wird, völlig egoistisch in ihrer lustorientierten Vergnügungssucht.

Textschwächen

S. 9: „Gemälde von Hodler“. Der Schweizer Maler Ferdinand Hodler stellte maskuline Gestalten dar, die wie Karkoel aussehen sollen. Hodler „war ein Schweizer Maler des Symbolismus und des Jugendstils. Eine besondere Rolle spielen seine Selbstbildnisse als Selbstbiographie in einzelnen Schaffensperioden. Er ist einer der bekanntesten Schweizer Maler des 19. Jahrhunderts.“ (Wikipedia) Viele seiner Gemälde zeigen Frauen.

S. 57: „Genäschig”: Dialektausdruck für „naschhaft“.

S. 62: “fröhnt“ statt „frönt“. „Frönen“ kommt von „Fron“, also Zwangsdienst.

S. 66: “dieses (Separee) wi]e]der verließ…“ Das E fehlt.

S. 66: „Ungemein[e], für die Allgemeinheit gleich einer Bombe wirkende Enthüllungen…“: Das E fehlt.

S. 75ff.: siehe S. 62.

S. 82: “er ward sozusagen jünger ohne Steinach“: Wird nicht erklärt.

S. 102: „Ein[i]ge Tage widmete er noch (statt „nach“) Strapazen …. vollkommener Ruhe und entfloh der Großstadt.“ Das I fehlt und statt „noch“ muss es „nach“ heißen.

S. 111: „Als näch[s]te Pointe trat eine Frau auf.“ Das S fehlt.

S. 113: „Der Lichtkegel ei[n]es dritten Scheinwerfers…“: Das N fehlt.

S. 123: „hatte sei den Vater auf den Gedanken gebraucht“: Ein Buchstabendreher. Statt „sei“ sollte es „sie“ heißen.

Unterm Strich

Der Buchtitel lässt den Leser erwarten, er bekomme eine Biografie vorgesetzt, in der eine weibliche Figur die Hauptrolle spielt. Weit gefehlt. Schon in der ersten Sexszene übernimmt Karkoel die Leitung des Geschehens, und im Mädchenpensionat dreht sich erst recht alles um ihn. Flankiert werden seine Auftritte in den Szenen „Nacktball“ und „Nachtklub“ durch Persönlichkeiten der Wiener Gesellschaft. Und in der letzten Szene spielt die titelgebende Gräfin nicht den Täter, sondern das Opfer. Das verleiht der Geschichte zwar keinen tragischen, aber doch einen ziemlich endgültigen Abschluss.

Und man darf sich mit Recht fragen, warum das sos ein sollte. Die Gräfin will Wohlstand, Reichtum und Vergnügen. Sie ist bereit, dafür mit dem Vergnügen der Männer an ihrem Körper zu bezahlen. Das ist ja nichts Neues, doch der Verdacht kommt auf, dass eine Frau, der es nur um das Kapital und das Vergnügen geht, keine vollwertige Frau, sondern vielmehr eine entbehrliche Frau sein muss. Ungefähr wie ihr Äffchen, das seine Schuldigkeit getan hat und nach der ersten Sexszene nie wieder auftaucht.

Der Autor suggeriert hinterlistig, dass diese „Gräfin“ aus dem rumänischen Nirgendwo erstens ein moralisches Leichtgewicht und zweitens durch ihre Kinderlosigkeit nicht einmal eine „richtige“ Frau sei. Diese Unterstellung ist ganz schön fies, denn dadurch muss der Leser auch alle anderen Frauenfiguren neu bewerten. So etwa die lustorientierte Klothilde. Ihre Aufgabenerfüllung und Amtsführung als Vorsteher einer Mädchenschule wird sofort ins Zwielicht gerückt, und ihre Schützlinge kann man danach nur bedauern: Ihr Wert steht und fällt mit dem Wert, den sie für das Vergnügen des Mannes haben. Das mag in einem Porno für ein männliches Publikum nicht weiter verwundern. Aber diese Darstellung von Frauen, seien sie jung oder alt, ist typisch für das Patriarchat um das Jahr 1900.

Weltanschauung

Es ist aber auch Teil der persönlichen Philosophie des unbekannten Autors („Richard Werther“?). Da er die Moralgesetze der Religionen ablehnt und die Scheinheiligkeit der Oberen zehntausend vorführt, bleiben nicht mehr allzu viele Werte übrig. Nächstenliebe? Vergiss es! Achtung und Barmherzigkeit? Nie von gehört! Nein, es ist wohl eher alles, was dem Mann Vergnügen, Macht und Anerkennung verschafft, das nunmehr zählt. Vor allem Macht über das schöne Geschlecht: Wenn Sidonie Kapital haben will, muss sie in Naturalien zahlen. Wenn sie die Geheimnisse der Anlagetipps und Erwerbvorrechte erlangen, muss sie zahlen. Und als sie denkt, sie habe endlich ihre finanzielle und gesellschaftliche Unabhängigkeit erlangt, schlägt Karkoels Schatten zu.

Attraktionen

Was macht nun also den Reiz dieses Romans aus? Sicherlich nicht die Gewalt, und Action schon gleich gar nicht. Nein, es sind die Frissons der diversen Tabuverletzungen und Grenzüberschreitungen. Da hat ein Afrikaner, der Angehörige einer „Untermenschenrasse“, Sex a) mit einer erwachsenen Frau (Sidonie) und b) gleich darauf mit einer weißen Jungfrau. „Interracial sex“ ist bis heute ein großes Tabu im Bibelgürtel der USA – und anderswo. Dass der pädophile Sex mit minderjährigen Mädchen ein Tabu darstellt, bedarf keines Kommentars.

Daneben gibt es wie stets „Schauwerte“, so etwa in der Nachtklub-Szene: Eine Frau, die auf Kommando Milch aus ihren Brüsten verspritzt, dito ein Mann, der auf Kommando Sperma ejakuliert. Diverse weitere „Attraktionen“ sollen den Leser unterhalten, darunter der flotte Dreier in der ersten Sexszene. Insgeheim ist der Leser, dass weder Sex mit Kinder oder Tieren noch irgendwelche S&M-Praktiken oder gar skatologische Aktivitäten vorkommen. Insofern ist dieser Roman noch von der harmloseren Sorte.

Taschenbuch: 127 Seiten.
ISBN-13: 9783453500655

www.heyne.de

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