Asaf Hanuka – Der Realist

Inhalt

Frieden – ein Begriff, den Asaf Hanuka schon seit einer gefühlten Ewigkeit sucht, aber noch immer nicht gefunden hat. In seiner Heimat Tel Aviv reihen sich Attentate und kriegerische Handlungen mittlerweile regelmäßig in den Alltag ein – doch dabei ist er eigentlich nur ein durchschnittlicher Mensch, der nicht mehr vom Leben verlangt, als ein ewiges Bündnis mit der weißen Taube, eine weiße Flagge für sich und all die anderen Israelis, die seit Jahr und Tag immer wieder mit der schaurigen Realität verfremdeter Religionen, sozialer Missstände und den eben ganz alltäglichen Belastungen konfrontiert werden. Hanuka ist einer von ihnen – und das will er der Welt nun noch einmal mit Nachdruck zeigen.

Mein Eindruck:

Hanuka und seine teils surrealen Bilder und Skizzen sind nicht erst seit gestern ein geschätztes Gut voller symbolischer Werte. Der Autor und Zeichner hat schon zahlreiche seiner Onepager in den New York Times untergebracht, sich als Illustrator für den Oscar-prämierten Streifen „Waltz With Bashir“ verdient gemacht, aber auch den Online-Bereich mit zahlreichen Geschichten aus dem Leben eines israelischen Durchschnittsmenschen gepflastert. Eine genaue Übersicht über sein Werk erfolgt nun in „Der Realist“, einem Sammelwerk der zahlreichen einst nur digital verfügbaren Episoden, die Asaf Hanuka in den letzten Jahren veröffentlicht hat. Und wer auch nur im entferntesten eine Vorstellung von der Kraft seiner Bilder hat, der wird wissen, dass ein solches Kompendium weit über das hinaus geht, was die traditionelle, aber auch die zeitgemäße Comickunst in der Regel zu bieten hat.

In „Der Realist“ beschreibt Hanuka vor allem viele Verlustsituationen und schmerzliche Begebenheiten, allesamt Berichte und Erzählungen, die von einer subtil platzierten Depression, zudem aber vor allem auch von einer tiefgreifenden Melancholie gezeichnet sind. Und es sind nicht jene terroristisch gefärbten oder gar dschihadistisch geprägten Szenarien, die auch vor Israel in den letzten Jahrzehnten nicht Halt gemacht haben, die in der Sammelausgabe der einzelnen Graphic Novels den Ton angeben. Nein, es sind beschauliche Situationen, eigentlich allzu typische Episoden aus dem Leben eines Jedermanns, die Hanuka in den Fokus nimmt – und dort sieht er vor allem auch sich selbst, den introvertierten Lebenskünstler, dessen größte Kunst wohl darin besteht, grundsätzlich zu überleben und als Mensch in einer Region zu bestehen, die schlussendlich von allem betroffen ist, nur eben nicht von der gewünschten Beständigkeit. Es sind keine politischen Messages, zumindest nicht im Kern, die „Der Realist“ vorstellen und auch nach außen tragen möchte. Weit gefehlt, wenn man glaubt, die vermeintlichen Tagebucheinträge mit illustrierten Backings seien auf den allgemeinen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen basierend aufgebaut. Nein, es ist wirklich nur das, was dem Autor zur jeweiligen Zeit seines Blog-Eintrags beschäftigt und bewegt hat, angefangen beim Verlust der Wohnung bis hin zu vielen eigenartig pointierten, gar schon skurrilen Situationen, die das Leben eines mittelständigen Bürgers in Tel Aviv mitnehmen und weitestgehend auch belasten.

Es ist ein Stimmungsbild einer Stadt im unsicheren Wandel, aufgezeichnet am Beispiel seiner unscheinbaren Bevölkerungsteile, in den Illustrationen aber auch wieder mit sonderbaren Elementen bestückt, die den eben genannten skurrilen Charakter erst anfächern. Sie sind durchaus da, die Szenen, in denen Hanuka wachrütteln möchte, aber sie sind nicht das beherrschende Thema in einer atmosphärisch unglaublich dichten Zusammenfassung der von ihm erlebten, letzten fünf Jahre im Schmelztiegel so vieler Kulturen, Religionen und Unterschiede. Überdies ist „Der Realist“ natürlich auch ein autobiografisches Werk, in dem der Autor unglaublich viele Selbstoffenbarungen zulässt und sie nicht nur in den Texten, sondern auch in seinen ausgefallenen Bildern visualisiert. Doch die Detailschärfe ist nur insoweit zulässig, dass immer noch Interpretationsspielraum bleibt und die globale Sicht der Dinge nicht verloren geht. Jeder kann etwas für sich mitnehmen und herausziehen – und auch wenn der Standort der Erzählungen klar definiert sind, macht hanuka auf verblüffende Art und Weise deutlich, dass ein Stück von Tel Aviv, ja ein Stück von Israel überall auf der Welt zu finden ist. Es drängt sich eben nur nicht immer so spektakulär nach vorne – ebenso wenig wie der Urheber dieses dicken Kompendiums, der im Stillen agiert, Stilles inszeniert, mit seinen kurzen Geschichten aber ein gwräuschloses, aber doch spürbares Feuerwerk inszeniert. Und davon kann man irgendwie nicht genug bekommen.

Ausgaben wie „Der Realist“ sind in der hiesigen Comiclandschaft eine Rarität, vor allem wenn man den Kontrast zum Titel in den surreal anmutenden Überspitzungen mancher Zeichnung in Betracht zieht. Aber diese Kontrastwirkung, hin und wieder auch durch konterkarierte, zunächst sehr überraschende Situationskomik verursacht, sie ist es, die dem Buch seinen Glanz verleiht. Und ein Buch, das eigentlich gar nicht glänzen will, dafür aber auf inhaltlicher Ebene so hell erstrahlt, das darf man als seltenes Geschenk einfach nicht vernachlässigen, geschweige denn übergehen!

Fazit:

Vielleicht ist der Titel nicht sofort ansprechend, vielleicht werden von „Der Realist“ auch Erwartungshaltungen ausgesandt, die das Interesse mindern. man sollte sich aber als Gönner der illustrierten Kurzgeschichte auf jeden Fall mal einen kurzen Überblick über den Hanuka-Blog und die vielen kleinen Kompositionen verschaffen, die Asaf Hanuka in den letzten Jahren eingspielt hat. Spätestens hier wird der Funke überspringen, und spätestens dann wird man realisieren, dass diese gesammelten Werke in ihrer Gesamtheit ein echtes Meisterwerk stellen!

Hardcover: 192 Seiten
Originaltitel: The Realist
ISBN-13: 978-3864255946

www. cross-cult.de

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