Niven, John – Kill Your Friends

Dass die Musikbranche nicht unbedingt das Paradies auf Erden ist, sollte jeder wissen, der sich ein wenig intensiver mit dem ‚Business‘ auseinandersetzt. Viele Künstler verlieren trotz treuer Fangemeinde ihre Plattenverträge, weil sie nicht genug verkaufen. Nicht immer ist dabei der Künstler selbst schuld. Häufig liegt der Fehler in der Promotionabteilung, die das Produkt nicht entsprechend in der Medien- oder Clubwelt platzieren konnte. Miese Verkaufszahlen sind aber nicht nur für die SängerInnen oder Gruppen gefährlich. So genannte |A & R|-Leute, die für das Auffinden neuer Musikacts oder Trends zuständig sind, dürfen sich nicht zu viele Fehltritte, sprich gescheiterte Projekte leisten, wenn sie nicht vor die Tür gesetzt werden wollen.

John Niven hat als |A & R|-Manager gearbeitet. Er weiß also, worüber er in „Kill Your Friends“ schreibt, auch wenn zu hoffen ist, dass die Erlebnisse von Protagonist Steven Stelfox so wenig biografische Züge wie möglich tragen. Stelfox ist nämlich nicht unbedingt ein Sympathieträger. Er ist drogenabhängig, misanthrop, und wenn es um die Karriere geht, greift er auch einmal zu unsauberen Mitteln. Die Bezeichnung ‚Arschloch‘ ist vermutlich noch milde für den |A & R|-Manager einer großen Plattenfirma, der nur wenige wirkliche Erfolge in letzter Zeit verbuchen konnte. Im Gegenteil hat er solche Rohrkrepierer unter Vertrag genommen wie beispielsweise den schwarzen Drum-’n‘-Base-Produzenten Rage, der Unmengen von Vorschüssen verschlingt, aber entweder gar nichts oder nur schlechte Musik abliefert. Ohne Frage braucht Steven mal wieder einen Hit, doch zwischen all den Orgien, die er mit seinen Kollegen in England, Nizza oder Amerika feiert, bleiben ihm nur wenige klare Minuten, die zudem häufig für die Konkurrenzkämpfe mit anderen |A & R|s draufgehen. Als Kollegen, die der Egozentriker als Loser wahrnimmt, karrieretechnisch an ihm vorbeiziehen, während seine eigene Laufbahn den Bach hinuntergeht, greift Steven zu radikalen Mitteln …

Die Taschenbuchreihe |Heyne Hardcore| hat es sich auf die Fahnen geschrieben, Literatur, die nicht unbedingt brav ist, eine Heimat zu geben. „Kill Your Friends“ ist dementsprechend nichts für Zartbesaitete. Niven beschönigt nichts und macht sich noch nicht mal die Mühe, einen moralisch integeren Protagonisten zu entwerfen. Steven Stelfox, der aus der Ich-Perspektive erzählt, ist boshaft, zynisch und nimmt kein Blatt vor den Mund. Er lästert schamlos über seine Kollegen, über Frauen im Allgemeinen und all die Indiebands, die von den |A & R|-Managern tagtäglich hinters Licht geführt werden. Er bemerkt dabei nicht, dass er nach den zahllosen Drogen- und Alkoholexzessen ein ziemliches Wrack ist, doch der Autor schafft es, die Verzweiflung des jungen Mannes zwischen den Zeilen zu transportieren. Der Leser sieht folglich recht gut, was in Wirklichkeit passiert, während Stelfox weiterhin seiner hedonistischen Illusionen aufsitzt.

In diesem Zusammenhang spielt der Schreibstil eine wichtige Rolle, denn er muss auf der einen Seite Steven so authentisch wie möglich darstellen und auf der anderen seine Verzweiflung durchschimmern lassen. John Niven meistert dies grandios. Bereits nach wenigen Zeilen fühlt man sich als Leser so, als ob man Stelfox schon sehr lange kennen würde – vielleicht nicht unbedingt persönlich, aber als Romanfigur. Der flüssige Schreibstil mit Wiedererkennungswert korrespondiert gut mit Stelfox‘ Gedankenwelt und bietet eine durchaus interessante Sichtweise auf das Leben. Diese ist selten politisch korrekt. Zugegeben sind einige der Erniedrigungen und Bezeichnungen für Frauen oder Ausländer ziemlich grenzwertig. Der kalte, abschätzige Erzählstil hebt sich aber nicht nur dadurch hervor, sexuelle Kontakte mit möglichst kreativen Begriffen zu umschreiben oder eine möglichst hohe Anzahl von Fäkalausdrucken auf jeder Seite vorzuweisen. Des Weiteren kann Niven auch mit seinem Wortschatz, der eben nicht nur aus ordinären Begriffen besteht, und seinen gelungenen Bildern und Metaphern glänzen. Es bleibt zotig, aber Niven vergisst darüber nicht, wie man ein gutes, eindringliches Buch schreibt.

Wenn ein Roman derart auf eine Hauptperson und ihre Gedankenwelt fixiert ist, hat die Handlung es häufig schwer. Das gilt auch für „Kill Your Friends“. Man darf keinen von vorne bis hinten durchkonstruierten Plot erwarten. Gerade am Anfang wird viel Nebensächliches erzählt, und manch einer wird gerade die detaillierten Beschreibungen von Stelfox‘ Exzessen etwas überzogen finden. Niven gelingt es allerdings trotzdem, Substanz in seine Geschichte zu bringen. Er übertreibt es nicht, die unehrliche und selten erfolgreiche Arbeit des |A & R| Steven Stelfox in aller Länge und Breite zu schildern, da es ihm nicht um ein Konterfei der Musikindustrie zu gehen scheint. Stattdessen bringt er auf halber Strecke tatsächlich noch etwas wie eine ‚echte‘ Handlung unter, die sich trotz gegenläufiger Erwartungen als solide und passend herausstellt.

Für Freunde der etwas derberen Unterhaltung ist „Kill Your Friends“ eine gute Adresse. Das Buch vereint einen hassenswerten Protagonisten mit Wortwitz, Zynismus und Boshaftigkeit und überzeugt auch handwerklich auf ganzer Linie. Der Schreibstil, so politisch unkorrekt er auch anmutet, ist für Leute, die derartige Bücher gerne lesen, ein Fest.

http://www.heyne-hardcore.de

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