Ann Benson – Die siebte Geißel [Plague Tales 1]

1348 erforscht ein spanischer Arzt die Pest und gerät dabei ins Visier der stets misstrauischen Inquisition. Sechseinhalb Jahrhunderte später stößt eine Forscherin auf seine Präparate und entfesselt ahnungslos eine neue, dieses Mal globale Pestwelle … – Interessante, gut recherchierte Mischung aus Historienroman und Wissenschaftsthriller, die aber unter Klischees leidet und sich in einer „Against-All-Odds“-Lovestory vertändelt, ohne deshalb jedoch zu Boden zu gehen.

Das geschieht:

Im Spanien des Jahre 1348 will der Arzt und Wissenschaftler Alejandro Canches mehr über Krankheiten erfahren, indem er die Körper jener, die ihnen zum Opfer gefallen sind, öffnet und studiert. Doch Mutter Kirche hasst es, wenn die Körper ihrer verstorbenen Kinder zu Forschungszwecken aufgeschnitten werden. Canches muss sich vorsehen, denn er leicht in den Ruf eines Häretikers oder gar Hexers geraten und damit ihr Leben riskieren. Dem Misstrauen ist er als Jude erst recht ausgesetzt.

Als Pestwelle Spanien heimsucht, wird Canches unvorsichtig und wird bei der Autopsie eines Seuchenopfers ertappt. Zuflucht vor den Häschern der Inquisition und der kirchenhörigen Obrigkeit sucht er ausgerechnet in Avignon, zu dieser Zeit Sitz des päpstlichen Stuhls. Dort bleibt Canches das Pech treu: Gegen seinen Willen wird er als Seuchendoktor nach England an den Hof König Edwards III. gesandt. Dort verliebt er sich in die Hofdame Adele. Mit ihr möchte er in Frankreich einen Neuanfang wagen, doch zuvor will er endlich das Geheimnis der Pest lüften …

2005 arbeitet Canches‘ Nachfahrin Janie Crowe als Chirurgin und forensische Archäologin. Nach jahrzehntelangem Einsatz von Antibiotika sind viele Krankheitserreger resistent geworden. Die alten Seuchen kehren zurück, voller Angst schotten sich Länder rigoros voneinander ab. In Großbritannien hat ein totalitäres Regime die Regierungsgewalt übernommen, nachdem ein katastrophaler Seuchenzug die Bevölkerung grausam dezimiert hat. Reisende werden nur ungern ins Land gelassen.

Die US-Bürgerin Crowe will in England nach der Ursache der Krankheit suchen, der auch ihre Familie zum Opfer fiel. Sie findet die Unterlagen, die Alejandro Canches sechseinhalb Jahrhunderte zuvor in London zurücklassen musste. Zu dem Fund gehört neben dem medizinischen Journal auch ein unscheinbares Tuch, das infiziert ist mit den zwar eingetrockneten, aber nichtsdestotrotz quicklebendigen Erregern der Pest von 1348 – einer Abart dieser Krankheit, gegen die es in der Gegenwart keinerlei Gegenmittel gibt. Ahnungslos hält Janie Crowe die Büchse der Pandora in ihren Händen, die noch einmal – und dieses Mal endgültig – die Menschheit ausrotten kann …

Das Beste zweier Welten bzw. Zeiten

Weder an medizinischen Thrillern noch an ‚historischen‘ Romanen herrscht auf dem modernen Buchmarkt Mangel, denn beide Genres waren und sind sehr beliebt. Deshalb konnte es nur eine Frage der Zeit sein, bis jemand auf die Idee kam, sie miteinander zu verschmelzen. Dass es ausgerechnet einer anerkannten Kapazität auf dem Gebiet der Perlstickerei mit einem Faible für Medizingeschichte so erfolgreich gelang, ist natürlich ein wenig überraschend, aber der Autorin nicht negativ anzukreiden.

So unwahrscheinlich es klingen mag: Die Ausgangssituation entspricht der historischen Realität. Die Pest des Jahres 1348 war im Vorjahr in einigen norditalienischen Hafenstädten ausgebrochen, nachdem die Krankheitserreger ihre asiatische Heimat auf dem Rücken einheimischer Wanderratten, die sich gern auf Handelsschiffen einnisteten, verlassen hatten. In gewaltigen Wellen zog die Seuche in den nächsten Jahren und Jahrzehnten wie ein Flächenbrand wieder und wieder über den europäischen Kontinent. Ein Drittel der damaligen Weltbevölkerung wurde ausgelöscht; eine Katastrophe vergleichbaren Ausmaßes hat es zumindest in historischer Zeit nicht wieder gegeben.

Die Erinnerung an die mittelalterliche Pandemie mischt Ann Benson in ihrem Romanerstling geschickt mit der modernen Furcht vor einer möglichen Wiederkehr der alten Seuchen. Aus der Luft gegriffen ist dies offenbar nicht, wenn man den Horrormeldungen über zunehmend antibiotikaresistente Viren glaubt und sich an die ungewöhnlich aggressiven Grippezüge vergangener Jahre erinnert. Insofern ist es dramaturgisch geschickt, die Parallelen zwischen der Welt von 1348 und der von 2005 zu ziehen und die Unterschiede herauszuarbeiten.

Vergangenheit mit bekannten Klischees

Das Mittelalter wird gern als „dunkel“ und „barbarisch“ beschrieben. Das mag aus heutiger Sicht zutreffen. Ann Benson macht allerdings deutlich, dass unter Umständen gewisse Aspekte brutaler Unmenschlichkeit jederzeit wiederkehren können. Die Furcht vor einer Krankheit, gegen die es kein Heilmittel gibt, bietet den idealen Nährboden für die Verfechter drastischer Schutz- und Abwehrmethoden. Unter dem Deckmantel der Staatsräson und der situationsbedingten Notwendigkeit ist es dann nicht weit bis zu quasi-diktatorischen Regierungsformen.

Ob es nun erforderlich war, die Medizinerin/Archäologin Janie Crowe unbedingt zu einer geistigen wie biologischen Verwandten des unerschrockenen Magisters Canches zu machen, sei einmal dahingestellt. Die Lektüre wird durch andere Elemente wesentlich stärker beeinträchtigt. Da ist eine Dramaturgie, die ziemlich ausgetretenen Bahnen folgt; wirklich neu ist nur das Schlagen des Handlungsbogens über stolze 650 Jahre.

Ansonsten wimmelt es ein wenig zu sehr von alten Bekannten: Wir haben, um bei den Hauptpersonen zu bleiben, den redlichen Doktor Canches, der – obwohl umzingelt von Neidern, Dummköpfen und fanatisch-vernagelten Kirchenfürsten – unbeirrt und heldenhaft seinen Weg geht und auch noch Jude ist. Canches‘ rastlose Forscherseele allein genügt offenbar nicht, seine Außenseiterrolle für die Leserschaft glaubhaft zu verdeutlichen. Ihm zur Seite steht die geliebte Adele, eine jener energischen, freigeistigen Gutfrauen, die nur ein dummer Zufall in die geistig enge (= chauvinistische) Welt des Mittelalters geworfen haben kann.

Die Gegenwart – zumindest erfolgreich

Besser, weil glaubhafter, ist Benson die Figur der Janie Crowe gelungen; dies vielleicht, weil diese abseits jener Klischees dargestellt wird, in die der Historien-Roman gern verfällt. Dennoch wird die Allmacht der Liebe erneut an vielen Stellen ein wenig zu penetrant beschworen; hier gerät die Geschichte zu sehr zum Zwitter zwischen historischem Medizinthriller und seifenopernhaftem Liebesroman, werden Gefühle mit Gefühlsdusel verwechselt.

Dennoch weiß „Die siebte Geißel“ trotz solcher Einschränkungen und gewisser Längen zu fesseln. Diese Einschätzung wurde vom Publikum offensichtlich geteilt: Auch hierzulande kamen die schon erwähnten Fortsetzungen auf den Markt und (zumindest im angelsächsischen Sprachraum) auf diverse Bestsellerlisten. Weil es beim ersten Mal so gut geklappt hatte, blieb Benson bei ihrer doppelsträngigen Erzählweise und verfolgte die Geschichte/n von Dr. Canches und Adele einerseits und Dr. Crowe andererseits weiter; die Gesetze der Wahrscheinlichkeit nicht mehr nur strapazierend, sondern unbekümmert brechend.

Autorin

Ann Benson wurde 1949 geboren. Sie studierte Biologie am Upsala College und an der University of Massachusetts. Sie arbeitete nach ihrem Abschluss als Produktentwicklerin sowie als Designerin. Bensons Spezialgebiet ist die Perlenstickerei. Sie schrieb mehrere Bücher über entsprechende Themen.

In den 1990er Jahren kombinierte Benson ihre naturwissenschaftlichen Kenntnisse mit ihrer Faszination des Mittelalters. Nach ausgiebige Recherchen erschien 1997 The Plague Tales (dt. Die siebte Geißel), ein in der nahen Zukunft angesiedelter Science Thriller mit einem gleichrangigen Handlungsstrang, der um 1350 in Spanien und England spielt. Der Erfolg dieses Debüts führte zu zwei Fortsetzungen. Darüber hinaus veröffentlichte Benson einen serienunabhängigen Historien-Thriller, der ebenfalls auf zwei Zeitebenen spielt.

Taschenbuch: 638 Seiten
Originaltitel: The Plague Tales (New York : Delacorte Press 1997)
Übersetzung: Elke vom Scheidt
Website der Autorin
http://www.randomhouse.de/blanvalet

Der Autor vergibt: (3.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)