Jo Nesbø – Die Larve

Es ist schon allzu faszinierend, wie es Jo Nesbø in all den Jahren, den er seinem schmierigen Hauptermittler Harry Hole auch mal jenseits von Recht und Ordnung hat walten lassen, immer wieder das Potenzial hat aufbringen können, eben jenen dreckigen harten Hund wieder derart in die Spur zu bringen, dass selbst seine vorangegangenen Meisterleistungen noch einmal übertroffen werden konnten. In acht aufeinander folgenden und doch sehr stark zusammenhängenden Thrillern hat er seinen Charakter geformt, ihn im positiven Sinne versaut, aber eben auch eine Leidenschaft entwickeln lassen, die bis heute im gesamten Kriminalsegment unerreicht bleibt. „Die Larve“ ist nun der neunte Geniestreich aus Nesbøs unnachahmlicher Serie. Und wieder einmal muss man konstatieren, dass der norwegische Autor sich selbst übertroffen hat.

Inhalt

Die Zeiten, in denen Harry Hole seine Zeit der Osloer Polizei gewidmet hat, ist vergangen. Bereits seit drei Jahren hat er seiner gesamten Vergangenheit abgeschworen, hat Drogen und Alkohol aus seinem Leben verbannt, aber auch die Gedanken an seine gescheiterte Liebe zu Rakel nach und nach aufgegeben. Inzwischen vertreibt er sich seine Zeit als Geldeintreiber in Hongkong und wechselt dabei nicht nur einmal auf die andere Seite des Gesetzes, um seinen Lebensunterhalt zu sichern.

Doch es ist wieder einmal Rakel, die ihn aus der derzeitigen Scheinrealität herauslöst und ihn bittet, nach Nordeuropa zurückzukehren, um ihren Sohn Oleg vor einer Mordanklage zu schützen. Dieser wurde kürzlich unter Einfluss einer neuen Modedroge völlig unzurechnungsfähig in einem düsteren Loch gefunden, in dem sich auch die Leiche von Gusto Hanssen befand – ein Weggefährte Olegs‘, der offensichtlich ebenfalls im Millieu unterwegs war und womöglich von seinem Freund im rausch getötet wurde. Des Weiteren wird auch Gustos Schwester Irene vermisst, und auch hier scheinen Verbindungen zu Oleg auf der Hand zu liegen.

Harry kehrt gegen all seine früheren Absichten tatsächlich nach Norwegen zurück und versucht sich mit allen Mitteln Zugang zum Angeklagten zu verschaffen. Doch Oleg verweigert jedwede Kooperation, und als Harry sich mit Unterstützung einiger ehemaliger Polizeibeamter Gewissheit verschafft, dass in der Tat nur der Sohn seiner langjährigen Geliebten für den Mord verantwortlich sein kann, zieht er seine Schlüsse und plant seine endgültige Rückkehr nach Hongkong. Doch dann kommt Bewegung in die Sache: Beate Lønn, Leiterin der Kriminaltechnik der lokalen Polizeistation und ebenfalls enge Vertraute Holes‘ erhält einen entscheidenden Hinweis. Widerstrebend folgt Hole seinen Instinkten und begibt sich in sein altes Betätigungsfeld zurück, nicht ahnend dass der eigenwillige Mordfall vielleicht der letzte in seinem gesamten Leben sein wird.

Persönlicher Eindruck:

Inzwischen dürfte es wohl so etwas wie eine Blaupause für eine Rezension zu einem Nesbø-Roman geben. Die Art und Weise, wie der Skandinavier Charaktere beschreibt und wachsen lässt, war schon immer atemberaubend und erhält hier eine wahrhaftig fantastische Fortsetzung. Doch wesentlich faszinierender ist der Umstand, dass Nesbø es auch zum neunten Mal schafft, sich völlig neu zu erfinden, den Spannungsaufbau aus einer neuen Perspektive aufzunehmen und schließlich auch unter unterschiedlichen Voraussetzungen frisch zu definieren. Da akzeptiert man auch mal, dass sich die ersten Kapitel in „Die Larve“ ein wenig länger ziehen, weil die Rückkehr des Protagonisten nicht nur vorbereitet, sondern auch wieder eine dreijährige Erzählpause erklärt und beschrieben werden muss, damit der Strang der Dinge seine Authentizität bewahrt. Und dann, genau in jenem Moment, in dem die Story rasant Fahrt aufnimmt und sich die Ereignisse regelrecht überschlagen macht der Autor wieder einen strikten Break und erklärt den Plot vorzeitig für beendet, schafft hierbei gezielt Verwirrung und greift später nach neuen Fäden, die er schließlich zu dicken tauen zusammenwebt, um seine Leser mit der Aufklärung des Falles und all seiner intriganten Nebenschauplätze zu erschlagen. Willkommen in der Welt des Meisters, willkommen in der Welt von Harry Hole und seinem Schöpfer Jo Nesbø!

Es gibt grundsätzlich gar nicht mehr viel zu alldem zu ergänzen, was aus meiner Feder schon über diesen Mann geschrieben wurden. Vielleicht, dass sein neuer Roman noch aufregender ist? Oder dass der Mut, seine Hauptdarsteller zu vernichten auch diesmal grenzenlos scheint? Wie wäre es schließlich mit derr Steigerung des enorm rauen Tons, der in „Die Larve“ angeschlagen wird, dabei aber eben auch so ehrlich klingt? Oder hat sich vielleicht einmal jemand Gedanken gemacht, wie es gelingen kann, einen vermeintlichen Ganoven wie Hole über so viele Bücher auf einem solchen Level zu präsentieren, ohne dass sich der Autor hierbei inhaltlich wiederholt?

Es sind Attribute und Qualitäten, die der Mann aus Oslo nicht nur erneut ausgepackt, sondern diesmal noch ein ganzes Stück weiter verfeinert hat. Die Liebe zu Rakel erreicht eine neue Stufe, das nahezu autoaggressive, sich stets anklagende Verhalten von Harry nimmt komplett neue Züge an, und die Schere zwischen Gosse und politischer Spitze (wenn hier auch nur angedeutet) könnte kaum so eng beisammen bleiben, würden nicht einige inhaltliche Kunstgriffe dies gewährleisten. „Die Larve“ ist schlussendlich eine weitere Lobeshymne auf Jo Nesbø, und es ist dazu eine, die sich der Autor selbst geschenkt hat. Wenn der letzte Vorhang fällt, muss man lange nach Luft schnappen. Auch das ist ein bekanntes Element bei der Verköstigung der norwegischen Oberklasse. Aber die Intensität, sie war nie so groß wie hier!

Fazit:

Er ist der König, er bleibt der König, und an seinem Thron wird nach „Die Larve“ wahrscheinlich auch niemand rütteln können. Jo Nesbø präsentiert sich in seinem neunten Harry-Hole-Roman einmal mehr als der stärkste Thriller-Autor der Jetztzeit. Selbst Jussi Adler Olsen wird dies anerkennen müssen!

Hardcover: 576 Seiten
Originaltitel: Gjenferd
ISBN-13: 978-3550088735

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