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Benson, Ann – siebte Geißel, Die

|Originaltitel: The Plague Tales|

1348, Cervere, Aragon: Ein Patient des jüdischen Arztes Alejandro Canches stirbt an einer unerklärlichen Krankheit. Der Arzt exhumiert und untersucht die Leiche und wird dabei ertappt und eingekerkert. Sein Vater, ein örtlicher Geldverleiher, erlässt der Kirche ihren Schuldenberg und erkauft die Freiheit seines Sohnes. Dieser verlässt daraufhin das Land und lässt sich nach einer langen und gefahrvollen Reise unter falschen Namen in der Papststadt Avignon wieder als Arzt nieder.

2005, London, England: Die amerikanische Chirurgin Janie Crowe muss in einem totalitären England unter schärfsten Kontrollen der „Bio-Polizei“ wissenschaftliche Grabungen ausführen, um die ihr aufgezwungene Umschulungsmaßnahme zur forensischen Archäologin zu bestehen.

Als Johann, Erzbischof von Canterbury, an der Pestilenz stirbt und England an der Seuche dahinsiecht, wählt der päpstliche Leibarzt Alejandro aus, um am Hof Edwards III. die königliche Familie vor dem schrecklichen Tod zu beschützen. Während Alejandro bei Hofe eingeführt wird und seine Schutzmaßnahmen nur mit Mühe gegen die störrischen und verständnislosen Mitglieder der Königsfamilie durchsetzen kann, stößt Janie Crowe bei ihren Ausgrabungen auf das Ur-Bakterium „Yersinia Pestis“.

Ann Benson ist ein beeindruckender Erstling gelungen, in dem sie geschickt und spannend verschiedene Stilrichtungen vermischt. Das Streben nach Wissen und die Reisen Alejandros erinnern gelegentlich an Gordons „Der Medicus“ und die Schilderungen der Zustände am königlichen Hof lassen Parallelen zu Follets „Die Säulen der Erde“ aufkommen. Nicht, dass Ann Benson etwa kopiert hätte. Die Bilder des Mittelalters, die sie zu erzeugen vermag, sind aber ähnlich anschaulich und überzeugend und versetzen den Leser jederzeit in den Glauben, dass es genau so und nicht anders vor seiner Haustür aussieht, wenn er es denn schaffen würde, das Buch aus der Hand zu legen. Im krassen Gegensatz dazu steht das England im Jahr 2005, in dem Janie Crowe nach der großen Biokatastrophe arbeitet und bei dem George Orwell hätte Pate stehen können. Biocops, Bodyscans und maximale Sterilität bestimmen den täglichen Alltag und bald wird Crowe, angetrieben vom gleichen medizinischen Wissensdurst wie Alejandro, selbst zu einer Gejagten des Systems. Dazu flechtet Benson in beide Epochen noch Fantasy-Elemente ein und lässt den Ärzten unkonventionelle Hilfe durch Heiler mit übersinnlichen Kräften zukommen.

Das alles scheint nur auf den ersten Blick gegensätzlich und zusammenhanglos. Mit viel Liebe zum Detail entwickelt Benson langsam die Gemeinsamkeiten und Zusammenhänge zwischen den Epochen und liefert einen spannenden und rundum schlüssigen Roman, der große Hoffnungen auf den oder die Nachfolger weckt.

Ann Benson ist ausgebildete Musikerin und war vor ihrem ersten Roman „Die siebte Geißel“ als Sachbuchautorin tätig.

Benson, Ann – Schreckenskammer, Die

_Die Story:_

|Nordfrankreich, Mitte des 15. Jahrhunderts:|

Die Äbtissin Guillemette la Drapière ahnt Böses, als eine Frau in das Kloster kommt und dem Bischof von Nantes berichtet, dass ihr Sohn verschwunden ist. Obwohl sich der Bischof dagegen ausspricht, kann er es nicht verhindern, dass sie Ermittlungen aufnimmt. Dabei erfährt sie, dass in der näheren Umgebung von Nantes unzählige Kinder, überwiegend Jungs, verschwunden sind. Daraufhin übernimmt der Bischof im Auftrag des Herzogs die Ermittlungen, die auf einen Verdächtigen hinweisen: Auf Gilles de Rais, Ritter, Baron der Bretagne, Marshall von Frankreich – ein mächtiger Adliger und zudem fast ein Sohn von Guillemette, die seine Amme war und ihn zusammen mit ihren zwei Söhnen aufgezogen hatte.

Die Äbtissin wehrt sich dagegen, dass der ihr so vertraute Adlige diese Kinder entführt und gefoltert haben soll, doch die Zeugenaussagen, die sich plötzlich häufen, lassen kaum Zweifel zu, und verschwand nicht ihr ältester Sohn, als er mit Gilles zu einem Jagdausflug unterwegs war? Die Unwissenheit über das Schicksal ihres Sohnes hatte sie jahrelang gequält, doch nun kann sie die Wahrheit herausfinden, indem sie die vermissten Kinder aufspürt und Gilles‘ finstere Machenschaften aufdeckt …

|Los Angeles, Gegenwart:|

Die Polizistin Lany Dunbar erhält einen Anruf von einer Mutter, die ihren Sohn vermisst. Eine Zeugin will gesehen haben, wie der Junge morgens in das Auto seiner Mutter eingestiegen ist, doch diese war zu der Zeit bei der Arbeit gewesen. Ihr Vorgesetzter gibt ihr daraufhin die Fälle eines Kollegen, die sich ebenfalls um vermisste Jungs drehen, die angeblich von einem Verwandten oder Bekannten entführt wurden. Doch auch hier hatten die Verdächtigen ein unwiderlegbares Alibi.

Nachdem weitere Kinder verschwinden und Lany ältere ungelöste Fälle hervorholt, ergibt sich ein schrecklicher Verdacht: Da die Opfer sich alle sehr ähnlich sehen und die Umstände der Entführungen ähnliche Muster zeigen, sieht Lany in ihrem Verdächtigen einen Serientäter. Diese Spur führt sie nach New York, wo sich ähnliche Fälle zugetragen haben, und damit zu einem möglichen Täter, der in beiden Städten zur passenden Zeit verweilte: Wilbur Durand, reich, introvertiert, Special-Effect-Macher für Horrorfilme. Sie findet endlich Beweise, um ihn verhaften zu lassen, als der beste Freund ihres Sohnes in die Klauen des Monsters gerät …

_Meine Meinung:_

Die Inhaltsangabe auf der Rückseite des Buches gibt vom Inhalt nicht viel preis, aber eine Äbtissin im Mittelalter und eine Polizistin in der Gegenwart, die jeweils das gleiche Verbrechen aufklären, das klingt für den Anfang schon mal richtig gut.

Das erste Kapitel entführt den Leser ins Frankreich des 15. Jahrhunderts, doch kaum dort heimisch geworden, reißt ihn das zweite Kapitel ins Los Angeles der Gegenwart, um beim dritten Kapitel wieder ins Mittelalter zurückzukehren. So wechselt die Autorin mit jedem Kapitel den Schauplatz, die Zeit und die Hauptfigur. Das stört am Anfang noch nicht so sehr, da die beiden Geschichten ja erst entwickelt werden, doch je mehr der Roman fortschreitet und je mehr der Leser in die beiden Geschichten eintaucht, desto mehr irritiert der immense Sprung, denn wie so gerne praktiziert, erfolgt an fast jedem Kapitelende ein Leckerchen, das den Leser gebannt festhält und zum Weiterlesen zwingt. Und das bei beiden Geschichten!

Ist die Äbtissin gerade noch dabei, Gilles nachzuspionieren, bekommt die Polizistin auf einmal ein neues Indiz, während die Äbtissin an der Gerichtsverhandlung teilnimmt. Das ist verwirrend, aber auch wahnsinnig spannend. Obwohl es schwerfällt, ist man zwischendurch immer wieder gezwungen, den Roman zur Seite zu legen und das gerade gelesene Kapitel zu resümieren, um dann die andere Zeitebene ins Gedächtnis zu holen. Zwei Romane in einem sind halt nicht einfach so hintereinander wegzulesen, aber genau hat durchaus seinen Reiz, denn von Langeweile ist auf diesen 570 Seiten nichts zu finden. Ein Ereignis jagt das nächste, eine neue Entdeckung ist schauriger als die folgende.

Dabei sind sich die zwei ermittelnden Frauen sehr ähnlich in ihrer Art und Weise: Beide verfügen über Lebenserfahrungen; die Äbtissin durch ihr fortgeschrittenes Alter und den frühen Verlust ihres jüngsten Sohnes, und die Polizistin durch ihre Arbeit und die daraus resultierende Konfrontation mit Verbrechen und Gewalt. Während sich die Äbtissin durch ihre enge Beziehung zu dem Täter in einem seelischen Konflikt befindet, muss die Polizistin miterleben, dass der Freund ihres Sohnes in die Hände des Täters fällt. Beide befinden sich somit in einer brisanten Lage, die trotz allem dem festen Willen nach der Ergreifung und Bestrafung des Täters nichts anhaben kann.

An ihrer jeweiligen Seiten glänzen ein Bischof und ein Psychologe, die ebenfalls Parallelen aufweisen. Beide unterstützen die jeweilige Frau nach Kräften, jeder auf seine Art. Der Bischof übernimmt die offiziellen Ermittlungen, der Psychologe die Profilerstellung. Beide nehmen Beschützerstellungen ein, beide werden zum Vertrauten.

Das dritte Zwillingspaar sind natürlich die beiden Täter. Der hochrangige Adlige Milord Gilles de Rais, der so tapfer an der Seite der Jungfrau Jeanne d’Arc gegen die Engländer gekämpft hatte, und der im Filmgeschäft erfolgreiche Wilbur Durand – zwei mächtige und einflussreiche Männer, deren Überführung alles andere als leicht ist. Die Autorin zeichnet einen ähnlichen Hintergrund für die beiden Männer, das typische Bild eines Serientäters: eine schlechte, grausame Kindheit, die aus unschuldigen Kindern solche Monster macht. Was man ihnen antat, geben sie nun weiter. Was ihr säet, das erntet ihr, sagt immerhin schon die Bibel. Und die muss es ja wissen. Was immer man davon hält, Ann Benson hat es zumindest sehr überzeugend dargestellt.

Ebenso überzeugend kommt der gesamte Roman daher. Die amerikanische Autorin Ann Benson verwendet für ihre beiden Ermittlerinnen die Ich-Perspektive, deren Vorteil unbestreitbar das Identifikationspotenzial ist, das dadurch im Leser geweckt wird, zumal die Gefühle der beiden Frauen deutlicher und plastischer dargestellt werden können als in der Erzähl-Perspektive des Allwissenden. Dazu kommen ein ausgewogenes Tempo – die Handlung wird immer stetig vorangetrieben – und gut dosierte Detailbeschreibungen. Die Dialoge sind lebendig, die Figuren entstehen dem Leser vor dem inneren Auge, der Leser sieht, fühlt, riecht und schmeckt. Unterhaltsam und spannend geschrieben!

Zu der historischen Figur Gilles de Rais (Gilles de Montmorency-Laval, Baron de Rais): Ann Benson hat sehr genau recherchiert, um das Leben und vor allem die Taten des Adligen im historischen Teil zum Hauptthema machen zu können. Insofern ist die Lektüre geschichtlich natürlich sehr lehrreich (auch wenn dies ein sehr dunkles Kapitel daraus ist). Da sich die Prozessakten über die Verhandlungen gegen de Rais bis heute erhalten haben und in der Nationalbibliothek von Paris und Nantes aufbewahrt werden, ist der Fall auch gut rekonstruierbar. Die Amme des Adligen hieß tatsächlich Guillemette la Drapière, der Bischof von Nantes (Jean II. de Châteaugiron von Nantes, Jean de Malestroit) hatte den Prozess als Bischof und als Kanzler geführt. De Rais hatte unter Androhung von Foltern die Verbrechen gegen die Kinder, Hexerei und Ketzerei gestanden. Mehr als 400 Kinder sollen auf sein Konto gehen, verurteilt wurde er in 140 Fällen.

Für den Grund seiner Taten habe ich während der Recherche zwei mögliche Gründe gefunden: Zum einen soll sein Großvater, der ihn aufgezogen hatte, ihn sexuell missbraucht haben, daraus soll Gilles de Rais schließlich selbst Lust entwickelt haben, die er später schließlich an Kindern aus der Umgebung, die hauptsächlich zwei seiner Diener ihm zuführten, ausgelassen hat. Andere Quellen geben an, er hätte ein Buch des römischen Historikers Suetonius gelesen, in welchen der römische Kaiser beim Missbrauch von Kindern dargestellt wurde. Während seines Prozesses soll er gesagt haben: „Das Buch war mit Abbildungen versehen, auf denen das Treiben heidnischer Kaiser dargestellt war; und in diesem feinen Buche, wie es Tibenus und Caracalla und andere Kaiser mit Kindern trieben, und es ihnen besonderes Vergnügen bereitete, sie zu quälen. Das erweckte in mir Wunsch, sie nachzuahmen, und noch am gleichen Abend tat ich das, was mir auf den Abbildungen vorgemacht wurde.“ Was es auch immer gewesen sein mag, er missbrauchte die Kinder und tötete sie danach auf grausame Art und Weise.

Ann Benson beschreibt keinen Missbrauch direkt, aber das Grauen und die Gewaltbereitschaft sind beständig zugegen. Das Buch durchziehen diese Gräueltaten, und wenn auch keine davon szenisch dargestellt wird, so reichten mir bereits die erzählten Einzelheiten, um Abscheu zu wecken. Und trotzdem weiß die Autorin, dass solche Abscheulichkeit auch fasziniert. Die Menschen sind sensationslüstern, und in einem Roman darf man dies ausleben. Wie viele Menschen bleiben bei einem Unfall stehen, um zu gaffen? Zu viele, aber Schreckliches ist eben auch anziehend, und ein Mensch, der Schreckliches tut, ist ebenso anziehend. Somit ist de Rais auch eine schillernde, mächtige Präsenz in diesem Roman und seine Taten sind grausam interessant. Wie kann ein Mensch solche Taten begehen, fragt sich der Leser, und taucht immer tiefer in einen – ja! menschlichen – Abgrund hinein, dem er sich morbiderweise nicht entziehen kann. Dass der Täter der Neuzeit nur ein Abklatsch einer so schillernden, mächtigen Figur sein kann, versteht sich von selbst, allerdings haben seine Taten den gleichen entsetzlich faszinierenden Untergrund. Wie kann ein Mensch solche Taten begehen? Und dann auch noch an Kindern?

Zartbesaitete oder auch gerade Mütter mit kleineren Kindern sollten dieses Buch nicht zur Hand nehmen, alle anderen, die makabere Lektüre goutieren oder die Faszination des Bösen fühlen möchten, sollten direkt in die Buchhandlung eilen, um das Buch abzugreifen. Es gibt fürs Geld 570 sehr spannende Seiten, die sogar noch historisches Wissen vermitteln. Ich jedenfalls habe diesen Roman regelrecht verschlungen.

|Originaltitel: Thiefs of Souls
Originalverlag: Delacorte 2002
Aus dem Amerikanischen von Klaus Berr
Taschenbuch, 576 Seiten|
http://www.blanvalet-verlag.de

Weitere Romane der Autorin:
[„Die siebte Geißel“ 18 (1997)
„Die brennende Gasse“ (1998)
„Der Fluch des Medicus“ (2006)

Ann Benson – Die siebte Geißel [Plague Tales 1]

1348 erforscht ein spanischer Arzt die Pest und gerät dabei ins Visier der stets misstrauischen Inquisition. Sechseinhalb Jahrhunderte später stößt eine Forscherin auf seine Präparate und entfesselt ahnungslos eine neue, dieses Mal globale Pestwelle … – Interessante, gut recherchierte Mischung aus Historienroman und Wissenschaftsthriller, die aber unter Klischees leidet und sich in einer „Against-All-Odds“-Lovestory vertändelt, ohne deshalb jedoch zu Boden zu gehen. Ann Benson – Die siebte Geißel [Plague Tales 1] weiterlesen