Carol Berg – Tor der Verwandlung (Rai-Kirah-Saga 1)

Seyonne ist seit sechzehn Jahren Sklave im derzhischen Kaiserreich. Nach all diesen Jahren des Elends und der Erniedrigung ist er ein gebrochener Mann, dessen einziges Ziel es ist, weitere Misshandlungen so gut wie möglich zu vermeiden. Doch dann wird er an den Kronprinzen verkauft, und schlagartig ändert sich alles! Nicht nur, dass dieser Fremdling das Feadnach in sich trägt, eine Art helles Licht und Zeichen dafür, dass er zu Großem bestimmt ist; Seyonne entdeckt, dass der Botschafter des benachbarten Volkes der Khelid von einem Dämon besessen ist. Und Seyonne ist der Einzige, der fähig ist, die Gefahr zu erkennen. Aber welcher adlige Derzhi hört schon auf einen Sklaven?

Die Handlungsträger

Seyonne ist ein bemerkenswerter Mensch. Nicht nur, weil er intelligent und zäh ist, sondern vor allem, weil er trotz aller Quälereien durch seine Unterdrücker keinen Hass auf sie empfindet. Aleksander bedeutet eine Herausforderung für ihn, weil er ihn auf eine Weise wahrnimmt, wie es vor ihm kein anderer Herr getan hat. Natürlich spricht Seyonne als Sklave immer nur leise und nur wenn er gefragt wird, und er bewegt sich mit seinen Antworten stets auf einem scharfen Grat. Dennoch gelingt es ihm, seinen Herrn zu beeindrucken. Bei aller Unterwürfigkeit hat Seyonne sich tief im Innersten einen Ort bewahrt, der unangetastet geblieben ist. Dieser Kern hat ihn am Leben erhalten, und dieser Kern ist es, mit dem er Aleksander erreicht.

Dabei ist Aleksander alles andere als einfach zu erreichen! Weder seine Eltern noch sein Likai – sein Erzieher und Ausbilder – waren in der Lage, dem eigensinnigen Kerl anständige Manieren beizubringen. Er ist egozentrisch, taktlos, unbeherrscht und vergnügungssüchtig. In wenigen Wochen soll er zum Thronfolger des Kaiserreiches gesalbt werden, die damit verbundenen Verpflichtungen jedoch erfüllt er nur mit offensichtlicher Verachtung und Langeweile. Seyonnes tief empfundener, gerechter Zorn rüttelt ihn aus seiner Selbstgerechtigkeit auf. Aber erst die ungeheuerliche Heimtücke der Dämonen bringt Aleksander dazu, erwachsen zu werden.

Da es sich in diesem Buch bei den Hauptbösewichten um Dämonen handelt, kann nicht im üblichen Sinne von einem Gegner gesprochen werden. Der Dämon, dem Seyonne und Aleksander entgegentreten, hat keine eigene Persönlichkeit, er besteht vielmehr aus dem Hunger an Angst und Qual, von dem sich die Dämonen nähren, und ansonsten aus den gesammelten üblen Charakterzügen all der Wirte, in denen er sich jemals eingenistet hatte.

Die Khelid, die sich mit den Dämonen zusammengetan haben, um die Derzhi zu stürzen, treten eigentlich erst gegen Ende deutlicher in den Vordergrund. Allerdings ist der Botschafter in Capharna der Einzige, der dabei deutlicher an Profil gewinnt, ehe er von der Bildfläche verschwindet, insofern handelt es sich hier mehr um eine kollektive Gegnerschaft zwischen zwei Völkern. Der Feind bleibt, zumindest vorerst, noch eigenartig gesichtslos.

Die Darstellung der beiden Hauptcharaktere macht das aber locker wett. Die Autorin hat die allmähliche Annäherung zweier grundverschiedener und im Grunde verfeindeter Männer sowohl glaubwürdig als auch eindringlich dargestellt. Dabei ist nicht nur Aleksander einer Charakterentwicklung unterworfen, sondern auch Seyonne. Sehr gelungen!

Auch die Spannung hat unter der eher vagen Darstellung in keiner Weise gelitten, im Gegenteil. Vor allem an der Dämonenaustreibung zeigt sich wieder einmal, dass weder Ströme von Blut noch exzessive Folter notwendig sind, um eine Bedrohung deutlich zu machen. Vielmehr hat die Autorin ihr Hauptaugenmerk auf die düstere Umgebung gerichtet, die in ihrer Eindringlichkeit den beiden Protagonisten in nichts nachsteht. Dazu trägt sicherlich auch bei, dass es sich bei dieser Umgebung um das Innere einer menschlichen Seele handelt. Den Monsterfaktor hat sie dagegen lediglich gestreift.

Aber auch außerhalb dieser direkten Konfrontation mit den Dämonen ist jede Menge Spannung geboten. Dabei empfand ich es als sehr angenehm, dass die verzwickten und bedrohlichen Situationen, in die Seyonne und Aleksander geraten, nicht aus deren Dummheit oder Trotz resultierten. Carol Berg hat die äußeren Zwänge um ihre beiden Figuren so aufgebaut, dass sie nicht die Möglichkeit hatten, sich dem Netz um sie herum völlig zu entziehen. Das hat einen Handlungsverlauf zur Folge, der an einen Gebirgsbach mit Hochwasser erinnert. Es erfordert die ganze Kraft und Geschicklichkeit der Protagonisten, in den Engpässen, Stromschnellen und Strudeln nicht unterzugehen. Dabei wirkt der Gegner zu keiner Zeit übermächtig, das Geschehen zu keiner Zeit gekünstelt oder unecht.

Außerdem hat die Autorin den Kampf gegen die Dämonen für einen interessanten Kulturentwurf genutzt. Die Tätigkeit der Ezzarier, zu denen auch Seyonne gehört, ist eine geheime Angelegenheit. Eine Dämonenaustreibung besteht in einem komplexen Zusammenspiel von vier verschiedenen Zauberern, und natürlich ist sie gefährlich. Deshalb ist innere und äußere Reinheit eines der wichtigsten Gebote für einen Ezzarier, woraus sich wiederum weitreichende Folgen für den Sklaven Seyonne ergeben.

All das zusammen ergibt ein wirklich sehr, sehr gutes Buch. Carol Berg hat nicht nur eine spannende Geschichte erzählt, sondern ihr auch eine komplexe Basis aus politischen Verflechtungen und persönlichen Beziehungen gegeben, sowohl zwischen den Protagonisten als auch zwischen Seyonne und den übrigen Ezzariern. Die Entwicklungen dieser Beziehungen sind tiefgreifend, aber gleichzeitig völlig frei von Kitsch oder Pathos. Das macht das Buch, das abgesehen von dem Aspekt der Dämonenaustreibung mit nur wenigen besonderen Fantasy-Elementen aufwartet, zu einer interessanten und fesselnden Lektüre, in der Action, Personenentwicklung und Hintergrund gekonnt ausbalanciert sind. Ich bin sehr gespannt auf die Fortsetzung!

Carol Berg schreibt ihre Bücher nebenbei. Hauptberuflich ist die studierte Mathematikerin und Computerwissenschaftlerin als Software-Entwicklerin bei HP tätig. „Tor der Verwandlung“ ist der erste Band der Trilogie Rai-Kirah und ihr erstes Buch überhaupt. Seither hat sie den vierbändigen Zyklus The Bridge of D’Arnath geschrieben sowie einen Zweiteiler und die Romane „Song of the Beast“ und „Unmasking“, der im November neu auf den Markt kommt. Nahezu alle ihre Bücher haben irgendeinen Preis gewonnen. Eine beachtliche Leistung für eine Hobby-Autorin. Höchste Zeit also, dass ihre Bücher endlich auch auf Deutsch erscheinen. Bisher ist allerdings nur „Tor der Verwandlung“ erhältlich, auf den zweiten Band „Tor der Offenbarung“ muss der Leser noch bis Februar nächsten Jahres warten.

Broschiert: 605 Seiten
Originaltitel: The Rai-Kirah-Saga 1: Transformation
www.blanvalet-verlag.de
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