Claire Fuller – Eine englische Ehe

Die junge Studentin Ingrid genießt ihr Leben und hat große Pläne. Ihre Freundin Louise und sie wollen es anders machen als ihre Mütter: Mit einer vernünftigen Ausbildung und einem spannenden Job wollen sie selbst verantwortlich sein für ihr Leben, sie wollen reisen und frei sein. Keinesfalls wollen sie sich mit Kindern so abhängig machen von ihren Ehemännern wie ihre eigenen Mütter es getan haben.

Doch dann verliebt Ingrid sich in ihren Literaturprofessor Gil und beginnt eine Affäre mit ihm. Er ist als Frauenheld berühmt-berüchtigt, doch Ingrid ist festen Glaubens, dass sie die Richtige für ihn ist und er nur eine Frau wie sie gesucht hat. Als sie schließlich ungeplant schwanger wird, heiratet Ingrid ihren ehemaligen Dozenten, zieht mit ihm aufs Land und begibt sich in die gefürchtete Abhängigkeit von einem Mann.

Und sie wird nicht glücklich. Sie hat Fehlgeburten und bringt schließlich zwei Mädchen auf die Welt, zu denen sie einfach keine Verbindung aufbauen kann. Häufig kommt der Gedanke, die Mädchen seien ohne sie besser dran. Als Gil dann schließlich immer mehr Zeit in London verbringt, beginnt sie, in schlaflosen Nächten Briefe an ihn zu schreiben. Doch statt sie ihm zu geben oder zu schicken, versteckt sie die Briefe in den zahllosen Büchern zuhause. Später verschwindet sie spurlos…

Tristes Eheleben

Das Buch beginnt Jahre nach Ingrids Verschwinden: Gil ist gerade in einem Buchladen, als er meint, seine verschwundene Frau zu sehen. Er läuft aus dem Laden und stürzt schwer, die Frau aber ist verschwunden. Weil Gil so schwer gestürzt ist, kommt auch die jüngere Tochter Flora nach Hause, die ihren Vater vergöttert. Ihre große Schwester Nan ist nie von zuhause weggekommen. Als ihre Mutter verschwand, musste sie mit nur 15 Jahren die Rolle der Hausfrau und Mutter übernehmen – den Frust darüber merkt man ihr immer noch an.

In der Zeit, in der Flora in ihrer alten Heimat ist, erfährt sie nach und nach Dinge über ihren Vater, die sie nicht für wahr gehalten hat. Langsam bröckelt ihr Idealbild ihres geliebten Vaters. Zudem fragt sie sich, ob ihre Mutter noch lebt und wohin sie verschwunden sein könnte.

Das Buch ist im steten Wechsel erzählt – in einem Kapitel begleiten wir Flora, die ihren schwerkranken Vater besucht, im nächsten lesen wir einen von Ingrids Briefen, in denen wir nach und nach alle Geheimnisse aus der Vergangenheit erfahren. So nähern wir uns sukzessive den Familiengeheimnissen, von denen auch Flora keine Ahnung hat. Dabei müsste sie im Bücherchaos bei ihrem Vater zuhause nur in die richtigen Bücher schauen, denn dort hat Ingrid die Briefe versteckt.

Die ersten Briefe zeugen von einer tiefen Liebe zwischen Ingrid und dem viel älteren Gil. Sie blickt zu ihm hoch, erkennt dabei aber einige Warnzeichen nicht. Auch Gils bester Freund warnt sie schon bei einem der ersten Dates vor Gil und davor, dass er nie würde treu sein können. Doch Ingrid muss noch mehr erleiden in ihrer gemeinsamen Ehe…

Je weiter Ingrid in ihren Briefen und ihren Erzählungen kommt, umso mehr schwingt der Ton um, Anrede und Schlussgruß verändern sich und auch die rosa Wolken schweben immer weiter davon. Die letzten Briefe sind nur noch traurig und verzweifelt, bis sie im letzten Brief vor Ingrids Verschwinden münden.

Schicksale

Mich hat das Buch tief bewegt. Da ist ein junges, ehrgeiziges und intelligentes Mädchen, das viele Pläne für die Zukunft hat. Dann aber beginnt sie eine Affäre mit ihrem Professor, und als diese auffliegt, verliert nicht nur Gil seinen Job, sondern Ingrid muss hochschwanger nur eine Woche vor ihrem Abschluss die Uni verlassen – mit einem Säugling, aber ohne Abschluss.

Und schon steht ihre Welt Kopf. Noch denkt sie, alles würde gut, doch immer mehr bröckelt die heile Welt. Als sie beispielsweise mit dem Baby ihre beste Freundin Louise in London besucht, bricht die Verzweiflung in Ingrid durch. Schon hier merkt man, dass auch Ingrid gemerkt hat, dass sie sich für den falschen Weg entschieden hat. Louise dagegen lebt ihr Leben in Freiheit, und Ingrid muss aus der Ferne zusehen.

Alle Figuren kommen einem in diesem Buch ganz nah. Im Mittelpunkt stehen natürlich Flora und Ingrid – beides Frauen, die Gil vergöttern. Ingrid schreibt ihre Briefe schon aus der Rückblende, zu einem Zeitpunkt, als sie ihren Mann bereits durchschaut hat. Flora ist allerdings noch an einem Punkt, an dem sie ihren Vater vergöttert. Aber auch sie muss lernen, dass nicht alles Gold ist, was glänzt…. Die Autorin schafft es ganz hervorragend, diese Schicksale authentisch zu zeichnen und uns die Figuren näher zu bringen. Alle Menschen haben ihre Ecken und Kanten, ihre schönen Erlebnisse und ihre Schicksalsschläge. Besonders mit Ingrid leidet man natürlich von Brief zu Brief mehr mit. Auf den letzten 150 Seiten konnte ich das Buch praktisch nicht mehr aus der Hand legen, weil ich endlich alles wissen wollte.


Unter dem Strich…

… hat mich das Buch wirklich fasziniert. Es beginnt ganz allmählich, wird aber immer interessanter, je weiter Ingrids Erzählungen reichen und je tiefer der Einblick in diese Familiengeschichte wird. An diesem Buch gibt es aus meiner Sicht nichts auszusetzen, außer dass ich gerne noch länger darin gelesen hätte. Aber auf der anderen Seite hat mich das Ende sehr versöhnt, insofern gibt es für diese wunderschöne und bewegende Familiengeschichte die Höchstnote.

Gebundene Ausgabe: 368 Seiten
ISBN-13: 978-3492057912
www.piper.de

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