Clute, John – Sternentanz

In der Dämmerung des vierten Jahrtausends ist für den Händler Nathanael Freer alles „business as usual“. Die „Fliesentänzer“, sein Schiff, ist in den sicheren Händen von KathKirtt, einer künstlichen Intelligenz mit zwei Bewusstseinen, und einer loyalen Crew aus kybernetischen und androiden Helfern.
Freer lebt in einer Welt, in der Menschen mit zahllosen anderen Lebensformen auf tierischer, pflanzlicher oder quantenelektronischer Basis eine lockere Gemeinschaft bilden. Überlichtschnelle Raumschiffe, Nanotechnik und intelligente Daten-Netzwerke erlauben ein hohes zivilisatorisches Niveau, führen aber auch zu einer extremen Abhängigkeit von der Technik. Der so genannte „Schimmel“, eine Art Systemabsturz, verursacht durch Datenrückstau, wird in zunehmendem Maße ein schwerwiegendes Problem, dem ganze Welten zum Opfer fallen. Die weniger anfälligere, aber veraltete Technik wird plötzlich zu einer heißbegehrten Handelsware.
Freers letzter Auftrag lautete, eine Schiffsladung Materie-Compiler von dem ziemlich heruntergekommenen Planeten Schanzer an Bord zu nehmen und zu einem zunächst unbekannten Bestimmungsort zu bringen. In seinen eigenen Worten ist alles „okey-dokey“. Doch schon bald gerät er zwischen die Fronten einer uralten Auseinandersetzung, deren Wurzeln in der fernsten Vergangenheit liegen und deren Ausgang die Zukunft des gesamten Universums bedrohen kann.

Selbst wenn man eine hohe Anzahl von verschiedenen Möglichkeiten annimmt, so muss man am Ende doch feststellen, dass die Science-Fiction-Literatur sich immer wieder auf ausgetretenen Pfaden bewegt, so ähnlich, wie wir immer den gleichen Weg von der Arbeit nach Hause fahren.
Wenn wir einen Sci-Fi-Roman aufschlagen, können wir bestimmte Situationen, Schauplätze und Charaktere erwarten und in der Regel werden wir da auch nicht enttäuscht. Völlig wertungsfrei kann man feststellen, dass nahezu das gesamte Genrepotenzial mit vollen Händen verschenkt wird und man keineswegs ein Interesse daran zeigt, mal etwas völlig Anderes auszuprobieren, aber …

… aber es gibt natürlich Ausnahmen zu dieser goldenen Regel, eine kleine Gruppe von Autoren, die Sci-Fi mit Vision gleichsetzen, auf inhaltlicher ebenso wie auf sprachlicher Ebene. Es ist an dieser Stelle nicht nötig, andere Namen zu nennen, da werden wohl jedem ein paar einfallen; hier soll es vielmehr um die Frage gehen, ob wir einen weiteren Autor in diesem erlesenen Kreis begrüßen dürfen.
John Clutes „Sternentanz“ sticht auf jeden Fall aus der Masse der Sci-Fi-Literatur heraus, daran kann schon einmal kein Zweifel bestehen. Mit seinem ersten Roman hat der gefeierte und einflussreiche Kritiker Clute die Frage beantwortet, was er denn nun, da er mit „Science-Fiction. Die illustrierte Enzyklopädie“ ein Standardwerk vorgelegt hat, eigentlich mit seiner Zeit anfangen will.

„Sternentanz“ ist einfach anders, so, als läse man einen Roman aus der fernen Zukunft. Vermutlich wird man auch noch in vielen hundert Jahren Romane schreiben, aber ein Buch, das irgendwie beispielsweise aus dem 24. Jahrhundert zurückkäme, wäre vermutlich ziemlich unverständlich für uns. Das ist vielleicht die treffenste Umschreibung für „Sternentanz“; was Cute auf gerade einmal 363 Seiten packt, sind genug Bilder, Ideen und Neologismen, um eine ganze Armada an Weltraumschiffen mit Treibstoff zu versorgen.
„Sternentanz“ verhält sich zu anderen Sci-Fi-Büchern wie ein Raumschiff zu einem Kleinwagen – gewiss, beide fahren mit dir irgendwo hin, aber ersteres bringt dich auf eine Art und Weise, an die du nie gedacht hast, an Orte, von denen du nicht einmal zu träumen gewagt hast.

Darin liegt natürlich auch das Manko des Romans – „Sterntanz“ ist mit Sicherheit eines nicht: leicht zu lesen. Tatsächlich ist das Internet voll von Beschwerden über Clutes unverständliche und vermeintlich sinnfreie Sprache, aber lasst euch nicht täuschen und bildet euch eure eigene Meinung. Ein anderer Kritiker hat einmal über dieses Buch gesagt: „Wenn du der Typ bist, der einen doppelten Espresso mag, dann ist das definitiv deine Tasse Kaffee.“
Es ist vielleicht kein Buch für jeden Leser, aber das sollte es sein. In ein paar Jahren, da bin ich mir fast ganz sicher, wird „Sternentanz“ ein Klassiker sein, der zu den großen Standardtexten des Genres gehört.

_Marcel Dykiert_
|Diese Rezension wurde in Kooperation mit unserem Partnermagazin [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|