Eine Erzfeindin von Artemis Fowl ist aus ihrem Gefängnis in der Privatklinik des Prof. Argon ausgebrochen: Opal Koboi hat nur einen Wunsch – sich an Artemis und Holly Short von der Elfen-Polizei für das verlorene Jahr zu rächen. Bei Artemis, der gerade dabei ist, ein seltenes Gemälde aus einer Münchner Bank zu stehlen, macht sie gleich einen erfolgreichen Anfang.
_Der Autor_
Eoin Colfer, geboren 1968, ist Lehrer und lebt mit seiner Frau und seinem Sohn in Wexford, Irland. Er hat mehrere Jahre in Saudi-Arabien, Tunesien und Italien unterrichtet. 2011 erhielt er den Children’s Book Award, den wichtigsten Kinder- und Jugendbuchpreis Großbritanniens, und 2004 den Deutschen Bücherpreis in der Kategorie „Kinder- und Jugendbuch“. Seine bislang drei „Artemis Fowl“-Romane wurden allesamt Bestseller und sind von Rufus Beck kongenial ins Medium Hörbuch übertragen worden.
_Der Sprecher_
Rufus Beck, geboren 1957, ist Bühnen-, Film- und Fernsehschauspieler und hat als deutsche Stimme der „Harry Potter“-Hörbücher mit seiner vollendeten Sprechkunst die Herzen zahlreicher HP-Fans erobert. Er hat aber auch alle Bücher des Iren Eoin Colfer als Hörbücher aufgenommen, insbesondere die über „Artemis Fowl“.
Beck liest den gekürzten Text. Regie führte Margit Osterwold.
_Handlung_
Der Ärger beginnt damit, dass es Opal Koboi, einer milliardenschweren Wichtelin, gelingt, aus der Privatklinik von Professor Argon auszubrechen. Unbemerkt. Und das, obwohl sie von der Zentralen Untergrund-Polizei (ZUP) rund um die Uhr bewacht wurde und der Professor ständig um den Erhalt seiner wichtigsten Geldquelle, Miss Caboys Fonds, besorgt war. Laufend hatte er ihr DNS-Proben entnommen, denn er ist sicher, dass DNS nie lügt. Falsch gedacht! Insgeheim hatte die Milliardärin einen Klon von sich züchten lassen, der natürlich die gleiche DNS wie sie besitzt – und nach einem raffiniert eingefädelten Austausch anstatt der echten Koboi in der Klinik liegt – und Prof. Argon arglistig täuscht.
Das Kunststück gelingt Koboi mit Hilfe zweier Wichtel, mit deren Assistenz sie ihre finsteren Pläne zu verwirklichen gedenkt. Denn schon ein ganz Jahr ihrer kostbaren Lebenszeit musste sie in dieser öden Klinik verbringen, weil der Menschenjunge Artemis Fowl und die Elfin Captain Holly Short von der ZUP sie hinter Gitter gebracht hatten. Opal gedenkt, sich bitter zu rächen. Und zwar nicht nur an Artemis und Short, sondern an der gesamten Erdbevölkerung, sowohl über als auch unter der Erde.
So, so, Artemis Fowl ist also in Deutschland, genauer gesagt: in München. Bestimmt heckt er dort wieder etwas aus. Ganz genau! In Begleitung seines Leibwächters Butler (von dem nur zwei Menschen den Vornamen kennen) betritt Artemis gerade eine Filiale der Internationalen Bank. Er hat vor, ein seit langem verschwundenes Gemälde zu stehlen, das vor hundert Jahren von einem gewissen Pascal Hervé gemalt wurde und den seltsamen Titel „Der Elfendieb“ trägt. Kontrolle um Kontrolle passieren die beiden, die unter falschem Namen reisen, bis sie endlich im Raum der Schließfächer anlangen. Hier wird’s knifflig, denn der Raum wird natürlich rund um die Uhr per Video überwacht. Sie haben genau 180 Sekunden Zeit. Jede Menge, denkt Artemis.
Unterdessen bereitet sich Captain Holly Short bei der ZUP auf ihre Beförderung zum ersten weiblichen Major in der Geschichte der Polizei der Unterirdischen vor. Ihr Mentor, Commander Julius Root, hat sie dafür vorgeschlagen. Doch etwas kommt dazwischen. Der inhaftierte General Scaleen ist aus der Haftanstalt Howler’s Peak entwichen. Wie er das geschafft hat, ist dem Überwachungsoffizier Foley, einem Zentauren, ein Rätsel. Holly kennt sich jedoch mit Kobolden wie Scaleen aus: Sie können sich häuten, und als Scaleens Neffe Boon ihn besuchte, ließ dieser einfach seine alte Haut dort, so dass Scaleen sie überziehen und unbemerkt hinausspazieren konnte. Jemand hätte aber merken müssen, dass zwei Boones das Gefängnis verließen.
Scaleen und Co. melden sich aus Paris. Sie verlangen, Holly Short zu sprechen, die sich nicht lange bitten lässt. Zusammen mit Captain Kelp und Commander Root macht sie sich durch die Tunnel per Überschall-Shuttle auf den Weg, bis an die Zähne mit Hightech-Ausrüstung bewaffnet.
Leider nützt ihr und ihren Kollegen alle Hightech nichts, denn sie tappen direkt in eine von Opal Koboi teuflisch aufgestellte Falle, die einen von ihnen das Leben kosten wird. Und das, so viel ist sicher, ist natürlich erst der Anfang.
_Mein Eindruck_
Wer etwas genauer hinschaut, wird in den Strukturen der Handlung das Vorbild erkennen: James Bond. Nur mit dem Unterschied, dass Bond diesmal weiblich ist und über magische Heilkräfte verfügt. Aber sonst ist alles da: Hightech mit jeder Menge Gadgets und natürlich ein Schurke bzw. eine Schurkin, die nichts Geringeres als die Weltherrschaft anstrebt, um sich an ihren Widersachern zu rächen. Wie Opal Koboi dies zu Wege bringen will, ist schon ziemlich abgefahren, darf hier aber nicht verraten werden. Folgerichtig findet der Showdown weit, sehr weit unter der Erdoberfläche statt, ist aber um keinen Deut weniger explosiv als der eines jeden ordentlich gemachten Bond-Streifens.
Was die Artemis-Fowl-Romane von Bond und Harry Schotter unterscheidet, ist ja gerade die Kombination beider Welten: auf der einen Seite die Science-Fiction-mäßige Ausstattung der Guten und Bösen, auf der anderen das Personal, das jeder Fantasy entsprungen sein könnte, aber in Irland besonders natürlich wirkt. Denn dort phantasierten schon die eingewanderten Kelten anno dunnemals vom Kleinen Volk im Land Tirnanog unter den Hügeln – und genau darunter haben die Elfen von der ZUP ihr größtes Shuttle-Terminal eingerichtet. Eine ziemlich ironische Wendung der irischen Folklore, die Eoin Colfer da für die heutige technikverliebte Jugend zustande gebracht hat.
In menschlicher Hinsicht ist das Buch diesmal jedoch nur in einem Punkt interessant: Artemis Fowl ändert seinen Charakter. Kenner und Liebhaber dieser Figur dürfte das ziemlich umhauen, aber alles halb so wild. „Aurum potestas est“ lautet das Motto derer von Fowl: „Gold ist Macht“. Und das war bislang Arties Leitspruch, an den er sich bei jeder unpassenden Gelegenheit hielt.
Nun jedoch findet er seine alten Erinnerungen wieder und erkennt in Holly Short und Mulch Diggums zwei sehr nette alte Bekannte, die er diesmal nicht mit einer Rechnung traktiert, sondern mit seiner Freundschaft beehrt. Denn – tatsächlich! – sogar ein eingefleischter Fowl wie Artie hat Gefühle statt eines Steinherzens – wer hätte das gedacht! Zu behaupten, er hätte ein Herz aus Gold, würde allerdings wegen seiner Vorliebe für das gelbe Metall weit in die Irre führen.
_Der Sprecher_
Rufus Beck erhält wieder einmal Gelegenheit, seine sprachakrobatische Kunst voll auszuspielen. Während Holly und Artemis doch recht „normal“ – was ist schon normal? – sprechen, ertönt Butler in tiefstem, grollendem Bass, und Opal Koboi malträtiert mitunter in kreischendem Diskant die Hörnerven des Zuhörers.
Auch Mulch Diggums, der Held der zweiten Epiosde, ist wieder mit von der Partie und erfreut uns mit seinem beinahe (aber nur beinahe) schon urbayerischen Tonfall. Was die oberen Ränge der Zentralen Untergrund-Polizei (ZUP) angeht, so werden alle Klischees von brummigen, Befehle brüllenden oder raunzenden Vorgesetzten erfüllt. Das trifft aber auf den Zentauren Foley nicht zu, der ja nur ein Untergebener ist. Er kann es sich allzu oft nicht verkneifen, dass seine Pferdenatur durch- und er in herzliches Wiehern ausbricht.
Klangfilter bekommen wir wegen der überall eingesetzten modernen Technik allenthalben zu hören. Sei es ein Telefon, ein „Soundchip“, ein Übertragungsmonitor oder nur ein ordinäres Walkie-Talkie – stets erklingt die Stimme des jeweiligen Sprechers entsprechend blechern verzerrt. Na ja, da sind die Telefon- und Handyhersteller doch schon ein wenig weiter, will ich mal unterstellen. Aber es muss halt nach Tonübertragung klingen, und deshalb ist dieser Filter nötig.
Vor allem Jugendliche und Kinder ab 12 Jahren (Handyalter!) dürften an dieser Art der Darbietung dieser Story Gefallen finden. Erwachsene könnte es ein wenig übertrieben vorkommen.
_Unterm Strich_
Der vierte Band von Artemis Fowls Abenteuer im Umgang mit den unterirdischen Völkerschaften erfreut durch eine überschaubare Handlung mit einem eindeutigen Spannungsbogen und einigen Happy-Ends. Auch wenn immer wieder unbekannte Eigenschaften erfundener Gerätschaften das Publikum verblüffen, so ist das Verständnis der Story dadurch nicht getrübt. Das war ja in Band 3 mit seinem „Matrix“-ähnlichen Plot doch relativ frustrierend. Diesmal kennt das Publikum die meisten Elemente schon und hat weniger Mühe, sich das Geschehen vorzustellen.
Nicht nur James Bond stand Pate am neuen Plot, sondern auch die modischen Kunst-und-Klerus-Thriller à la „Sakrileg“ von Dan Brown. Daher darf Artemis diesmal auch ein Bild klauen, und die Tresor-Szene könnte direkt aus „Sakrileg“ stammen, in der Sophie und Robert Langdon vor ein neues Rätsel auf ihrer Schnitzeljagd gestellt werden. Man sieht also, dass Eoin Colfer auch nur mit Wasser kocht, das andere schon vorgewärmt haben. Dennoch bietet das Buch gute Unterhaltung.
Die Zuhörer können sich zusätzlich noch an der Stimmakrobatik eines Rufus Beck erfreuen. Sehr schön charakterisiert er die einzelnen Figuren, von denen die meisten dem Artemis-Fan bereits bekannt sind. Wie Beck es schafft, selbst nach einem Jahr noch die gleiche Klangfarbe wie beim letzten Mal zuzuweisen, ist nicht schwer zu erraten. Er muss sich einfach nur die alte Aufnahme anhören, bevor er loslegt. Und die hat sich ja bekanntlich prächtig verkauft, kann also nicht schlecht gewesen sein.
|Originaltitel: Artemis Fowl – The Opal Deception, 2005
374 Minuten auf 5 CDs|