Diana Menschig – So finster, so kalt

Die erfolgreiche Rechtsanwältin Merle Hänssler fährt zur Beerdigung ihrer Großmutter in ihr Heimatdorf Steinberg im Schwarzwald. Oma Mago wohnte nicht nur im perfekten Abbild eines verwunschenen Hexenhäuschens, sie war auch sehr an Märchen interessiert, vor allem an der Geschichte von Hänsel und Gretel. Aber was soll Merle davon halten, dass ihre Oma die Geschichte offenbar nicht nur für ein einfaches Märchen hielt? Und warum legt ihr Vater so viel Wert darauf, dass sie so bald wie möglich in Omas Häuschen zieht …?

Die meisten Märchenadaptionen, die ich bisher gelesen habe, ließen sich unter Fantasy ablegen. Dieses Buch hingegen würde ich dort nicht einordnen.

Das fängt schon damit an, dass Diana Menschig sich nicht auf ein einziges Märchen beschränkt hat. Zwar dominiert die Geschichte von Hänsel und Gretel, es finden sich aber auch Anklänge an „Brüderchen und Schwesterchen“ und „Rotkäppchen“. Außerdem hat die Autorin auch noch Spuren keltischer Mythologie mit ins Spiel gebracht.

Was diese Geschichte aber vor allem von meinen bisherigen Erfahrungen unterscheidet, ist der Bösewicht, und dabei meine ich nicht allein die Tatsache, dass die Rollenverteilung von Gut und Böse nicht der im Original entspricht. Vielmehr ist es so, dass das Böse in diesem Roman den üblichen Märchenrahmen sprengt. Denn es handelt sich nicht um einen der bekannten Märchenbösewichter wie Hexen, Stiefmütter oder den bösen Wolf, sondern um einen Dämon, eine Ausgeburt der Hölle, die nicht einmal ein Motiv wie Neid, gekränkte Eitelkeit oder Gier für ihr Tun braucht. Und während im Märchen der böse Wolf die Großmutter und Rotkäppchen in einem Stück verschluckt, zieht der Dämon eine Blutspur hinter sich her.

Dass die Autorin ihre Geschichte vollkommen in die Realität verlegt hat, tut ein übriges, man muss weder den Ort noch die Zeit wechseln, um mit dem Übersinnlichen in Kontakt zu kommen. Das Märchen als solches hat hier keinen eigenen Raum, sondern es findet in unserer Welt statt, ohne die geringste Trennlinie.

Aufgrund all dieser Faktoren habe ich die Geschichte nicht mehr im geringsten als Märchen empfunden, sondern bestenfalls als Mystery-Thriller.

Dazu kommt die Charakterzeichnung.

Merle entspricht zu Beginn der Geschichte dem Klischee der unabhängigen erfolgreichen Powerfrau mit dem miesen Privatleben. Das verlagert sich im Laufe der Geschichte ein wenig, da jedoch ihr Zwiespalt zwischen Realitätssinn und persönlichen Erfahrungen sowie ihr widersprüchlicher Umgang mit dem Germanisten Jakob Wolff die Handlung über weite Strecken dominiert, kam erst ganz am Ende so etwas wie Sympathie bei mir auf.

Jakob Wolff wiederum bleibt extrem blass, da er fast ausschließlich aus Merles Sicht beschrieben und seine Darstellung somit durch ihre persönliche Situation und Wahrnehmung gefiltert wird. Dadurch wird er zu einem nicht unerheblichen Teil auf seine animalische Ausstrahlung und seine Anziehungskraft auf Merle reduziert. Die wenigen Szenen, in denen aus Jakobs Sicht erzählt wird, bilden dazu kein ausreichendes Gegengewicht.

Andererseits hat diese Vorgehensweise aber auch zur Folge, dass der Leser nie genau weiß, wie weit sich der übernatürliche Anteil der Handlung erstreckt: ist er nur auf Merle und ihre Familie begrenzt oder gibt es auch andere Menschen, die ein solches Erbe mit sich herumtragen?

Leider wird diesem Rätsel letztlich kaum Rechnung getragen. Auch viele weitere Andeutungen verlaufen im Sande. So wirft Merle lediglich einen flüchtigen Blick auf die Dokumente in dem Koffer auf dem Dachboden, obwohl ihr Vater ihr das Studium dieser Unterlagen nahegelegt hat. Statt dessen will sie unbedingt das Lebkuchenrezept finden, was ihr auch gelingt, letztlich aber nicht im geringsten dabei geholfen hat, den Dämon zu besiegen.

So kommt es, dass die Handlung lange Zeit dahinplätschert wie ein schlechter Liebesroman. Erst nach der Hälfte des Buches, als Merle zum zweiten Mal nach Steinberg fährt, entwickelt sich allmählich so etwas wie Spannung. Die zunächst eher latente Bedrohung wird allmählich immer deutlicher spürbar, das ist der Autorin wirklich gut gelungen.

Deshalb war ich von der Auflösung der Situation dann fast ein wenig enttäuscht. Schon, dass Merle und Jakob die Kinder so ungehindert zurück nach Hause bringen konnten, fand ich befremdlich, aber auch der Showdown verlief außergewöhnlich glatt, wenn man bedenkt, dass keiner der beiden auch nur die geringste Ahnung hatte, um was für ein Geschöpf genau es sich bei dem Dämon handelte, und wie er für immer gebannt werden konnte.

Unterm Strich muss ich sagen, dass Liebhaber von Mystery-Thrillern das Buch sicherlich mögen werden, wer jedoch die moderne Umsetzung eines Märchens erwartet, wird hier sicherlich enttäuscht. Auf jeden Fall war das bei mir so.

Zunächst einmal ging mir der ständige Hickhack zwischen Jakob und Merle ziemlich auf die Nerven, zumal ich Merles Verhalten – selbst unter Berücksichtigung ihres Schlafmangels – nicht wirklich nachvollziehen konnte.

Dazu kamen ein extrem märchenuntypischer Bösewicht sowie eine massive Realitätsnähe, die beide die Entwicklung einer märchenhaften Stimmung, wie sie zum Beispiel Daniela Winterfeld in „Der geheime Name“ zu erzeugen wusste, vollständig verhindern. Das gilt selbst für die mittelalterlichen Rückblenden!

Zudem gefiel mir die Vermischung von Märchen, Legenden und keltischer Mythologie nicht, die wohl lediglich dazu dienen sollte, die Existenz des Dämons zu erklären, was aber nicht wirklich gelungen ist, da dieser Aspekt gerade mal rudimentär angedacht und dann lose im Raum stehen gelassen wurde. Überhaupt wurde alles, was mit dem Dämon zusammenhing, nicht im geringsten erklärt, zum Beispiel, warum er erst ein Kind austrug, um dann unmittelbar nach der Geburt zu versuchen, es zu töten, oder was ihn nach der Geburt aus dem Haus vertrieb. Genauso verliefen sämtliche Andeutungen in Bezug auf Jakob Wolff schlicht im Sande, was wohl heißen soll, dass sie nur zur Irreführung des Lesers dienten.

So blieb letztlich bei mir der Eindruck zurück, dass die Autorin im Grunde nicht ein Märchen neu erzählen wollte, sondern einfach nur nach einem fantastischen Stoff gesucht hat, den sie zu einer völlig neuen, finstereren Geschichte umbiegen konnte. Ich frage mich nur, warum sie dafür nicht gleich irgendeinen alten Aberglauben über Dämonen genommen hat. Schade um das Märchen.

Diana Menschig studierte Psychologie und arbeitete in der Marktforschung und als Personalmanagerin, ehe sie sich als Dozentin und Autorin selbständig machte. Aus ihrer Feder stammen neben „So finster, so kalt“ das Kinderbuch „Die Windprinzessin“, das offenbar auf Englisch verfasst wurde, und der Roman „Hüter der Worte“ sowie ein Kurzgeschichtenbeitrag zur Anthologie „Das Tarot“ der Herausgeberin Fabienne Sigmund, erschienen im Verlag Torsten Low.

Taschebuch 384 Seiten
ISBN-13: 978-3-426-51493-1

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