Joe Eszterhas war ein „Hollywood Animal“ – ein Platzhirsch in der Stadt der Filme, deren Einwohner 24 Stunden täglich damit beschäftigt sind, sich gegenseitig übers Ohr zu hauen. Lügen und betrügen, einander mit offenen Armen empfangen, den Dolch für den Stoß in den Rücken stets griffbereit, fixiert auf den Dollar, getrieben von Ruhmsucht, umschwärmt von schönen (und willigen) Frauen, den Medien, von Speichelleckern und falschen Freunden: eine (Alb-)Traumwelt, in der sich Eszterhas ein Vierteljahrhundert pudelwohl fühlte. Kein Wunder, war er doch der wohl erfolgreichste Autor aller Zeiten: Dreißig Drehbücher hat er verfasst, von denen 15 verfilmt wurden. Darunter waren Blockbuster wie „Flashdance“, „Das Messer“ und natürlich „Basic Instinct“, aber auch nicht minder berüchtigte Flops wie „Showgirls“ oder „Jade“.
An die Spitze hat sich Eszterhas durch eine typische Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Karriere gekämpft, wie sie die US-Amerikaner so lieben, weil es ihnen die Existenz in einem Land der Chancengleichheit suggeriert. Geboren wurde Eszterhas 1943 in Ungarn in den Wirren des II. Weltkriegs. Vertreibung und Flucht, elende Jahre in diversen Lagern folgten, dann die Emigration und nicht minder schwere Anfangsjahre in den Vereinigten Staaten, die sich nicht unbedingt von ihrer freundlichen Seite zeigten. Das Ergebnis: ein junger Mann aus Cleveland, der raucht wie ein Schlot, säuft wie ein Loch, nach Anerkennung giert und gelernt hat sich „durchzubeißen“ – ohne Rücksicht auf Verluste.
Nach einem mehrjährigen Zwischenspiel als Reporter des „Rolling Stone“-Magazins landet Eszterhas 1974 in Hollywood, wo er – noch völlig unbedarft – beim Verfassen des Drehbuchs zum Sylvester-Stallone-Vehikel „F.I.S.T. – Ein Mann geht seinen Weg“ einen Crashkurs in Sachen Hollywood-Falschheit durchläuft. Eszterhas lernt schnell – das Drehbuch-Schreiben und das Intrigieren. Immer höher steigt er auf, der als Autor eigentlich das soziale Schlusslicht der Hollywood-Society bildet, kassiert Millionengagen, wird selbst ein Medienstar, hofiert von den Großen und Mächtigen der Stadt, die sich seiner Dienste versichern wollen.
Parallel zum wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg wird Eszterhas von Hollywood „infiziert“. Er verliert jegliches Maß, jede Rücksicht, legt sich mit Gott & der Welt an, weil er es kann und damit durchkommt. Spektakuläre Misserfolge im Kino läuten seinen Sturz ein; seine langjährige Ehe scheitert, er erkrankt an Kehlkopfkrebs. Das 21. Jahrhundert erlebt einen völlig gewandelten Joe Eszterhas, der aus Hollywood geflohen ist und sich vom Saulus zum Paulus wandelte; eine Genese, die er nur für die Niederschrift dieser Lebenserinnerungen unterbrochen hat …
Ach ja, er war schon ein genialer, beinharter Macho-Kotzbrocken; voll uneingestandener Wehmut und Stolz lässt es uns Joe Eszterhas wissen. Er hat zweifellos ein buntes Leben geführt, viel erlebt, noch mehr erduldet. Das haben andere Menschen zwar auch, aber die waren halt nicht in Hollywood tätig. Die Filmstadt und ihre Bewohner faszinieren noch immer ihr Publikum in der ganzen Welt. Objektiv betrachtet gibt es dafür wenige Gründe, aber in Hollywood werden seit jeher Träume fabriziert, was denjenigen, die diesem Job nachgehen, ein Höchstmaß an kollektiver Aufmerksamkeit garantiert.
Ohne diesen Bonus würde uns „Hollywood Animal“ wohl kaum über eine Distanz von 900 Seiten fesseln. Es gibt interessantere und auch angenehmere Zeitgenossen als Joe Eszterhas. Den wilden Mann markiert er noch immer ein wenig zu offensichtlich, als dass man ihm – „weise“ und sogar „fromm“ geworden – seine „Läuterung“ glauben möchte. Da gibt es augenscheinlich mehr als eine Rechnung, die offen geblieben ist, nachdem Eszterhas Tinseltown verlassen hat.
Autobiografien sind niemals objektiv, denn Objektivität gegenüber dem eigenen Leben liegt nicht in der Natur des Menschen. Eszterhas gibt genau das über weite Strecken vor, geißelt sich als Egoist, Ehebrecher, undankbarer Sohn, Verräter usw. usf. Das führt er sehr richtig auf seine schwierige Kindheit und Jugend zurück und deutet es außerdem als Reaktion auf die fragwürdigen Methoden, die im Hollywood-Business an der Tagesordnung sind.
In diesen Punkten kann „Hollywood Animal“ unbedingt fesseln. Nicht einmal die Tatsache, dass Eszterhas deutlich zu episch in seinen Clevelander Jugendjahren schwelgt, schmälert dies. Der Mann kann schreiben, wenn er denn will bzw. sich selbst diszipliniert: „Hollywood Animal“ ist nämlich als Buch an sich recht gewöhnungsbedürftig für den Leser. Eszterhas scheint es mit der wilden Energie in die Tasten seiner alten mechanischen Schreibmaschine gehauen zu haben wie seine Drehbücher, denen es in weiten Passagen auffällig gleicht. Kontinuierliches oder chronologisches Erzählen ist Eszterhas’ Sache nicht. Er bricht – für ihn selbstverständlich – mit entsprechenden Konventionen. „Hollywood Animal“ bietet ein komplex gedachtes, tatsächlich aber vor allem kompliziertes Nebeneinander von Vergangenheit/en und Gegenwart. Eszterhas springt zwischen Zeiten und Ereignissen, splittert sein Leben auf in die wilde Konfusion, als welche er es verstanden wissen möchte. Manche „Unterkapitel“ umfassen nur wenige Zeilen. Ein roter Faden wird lange nur ansatzweise oder gar nicht sichtbar.
Der Mann hat Ehrgeiz; vielleicht vermisst er das Verfassen von Drehbüchern auch mehr als er sich selbst eingestehen mag. Verstehen wir uns nicht falsch: Eszterhas versteht sein Handwerk. Sein Werk liest sich deutlich flüssiger als manche „Autobiografie“, die ihren Weg in die Buchläden findet statt echten Pferdemist als Blumendünger zu ersetzen. Auch an das „künstlerische“ Durcheinander gewöhnt man sich.
Was hingegen erheblich stört, ist Eszterhas’ Neigung zu scheinbar „saftigem“ Klatsch. Am „Basic Instinct“-Skandal klammert er sich beispielsweise förmlich fest. Nur war der vor allem ein Medienprodukt, dessen Schockwirkung primär auf die prüden USA beschränkt blieb. Vor allem liegt das Geschehen mehr als ein Jahrzehnt zurück. Wer interessiert sich heutzutage noch so exzessiv für „Basic Instinct“ – oder für Sharon Stone (die ihrem Drehbuchautoren eine Liebesnacht gewährte, was dieser allen Ernstes zu einem zentralen Kapitel seiner Biografie aufschäumt), wie Eszterhas dies offensichtlich glaubt?
Wie man es viel besser macht, beweist der Autor mit der präzisen Chronologie seiner Auseinandersetzung mit dem Agenten Michael Ovitz, die in die Hollywood-Geschichte eingegangen ist – und das mit Recht, denn hier wurden dank Eszterhas, der dafür allerhand Federn lassen musste, wahrhaft beängstigende, quasi mafiöse Strukturen offen gelegt. So etwas ist allemal spannender als die pseudo-schockierenden Schmuddel-Histörchen, mit denen Eszterhas das uralte Klischee von Hollywood-Babylon bedient. Ähnlich fesselnd wird der Schock des Verfassers geschildert, der seinen Vater nach und nach als Kriegsverbrecher enthüllt sehen muss.
Wie es sich gehört für ein Hollywood-Drehbuch, schreibt sich Eszterhas einen Neuanfang nach großer Katharsis auf den Leib. Aus dem „Hollywood Animal“ wurde ein treu sorgender Ehemann und Familienvater. Bis es so weit war, erlegte das Schicksal selbst Joe Eszterhas eine Reihe gewaltiger Prüfungen auf. So muss es gewesen sein, denn wie konnte dieser große Mann sonst so tief fallen? Darüber grübelt er selbst anscheinend immer noch nach – und dies ist seine Interpretation der Ereignisse.
Auf Abbildungen verzichtet Eszterhas vollständig. Man vermisst sie auch nicht; was außer den üblichen Starporträts und nichts sagenden Familienschnappschüssen könnten sie auch bieten? Dass Eszterhas noch immer „heiß“ ist, bezeugt die Geschwindigkeit, mit der seine Lebenserinnerungen auch ins Deutsche übertragen wurden: Gleich drei Übersetzungen bemühten sich, „Hollywood Animal“ hierzulande möglichst zeitgleich mit der amerikanischen Ausgabe erscheinen zu lassen. Sie haben ihren Job gut erledigt, wobei ihnen Eszterhas selbst mit seiner Vorliebe für kurze, prägnante Sätze entgegen gekommen sein mag. Auf jeden Fall liest sich dieses wahrlich seitenstarke Buch die meiste Zeit sehr flüssig. Im letzten Viertel nehmen allerdings die Längen zu. Wieso fand Eszterhas es notwendig, Tagebucheintragungen seiner geliebten Neufrau Naomi geradezu exzessiv zu zitieren? Einmal mehr zeigt sich, dass eine Beziehung vor allem bzw. fast ausschließlich für jene lebenswichtig ist, die sie führen – Außenstehende können damit nur wenig anfangen, zumal auch Joe & Naomi nichts wirklich Neues zum uralten Tanz der Gefühle beizutragen haben.
Der durch Krankheit & Lebensweisheit geläuterte Joe Eszterhas ist zudem nicht wirklich ein neuer Mensch. Mit derselben Intensität, mit der er früher „gesündigt“ hat, zieht er jetzt gegen Unmoral & Suchtverhalten zu Felde. Heuchlerisch mokiert er sich über die Unwilligkeit der Welt, sich belehren und bekehren zu lassen – dabei ist dies exakt die Reaktion, die er selbst früher an den Tag gelegt hat. So liest man das letzte Kapitel von „Hollywood Animal“ lieber nicht allzu intensiv, sondern überfliegt es, was den überwiegend positiven Eindruck dieser Rock’n’Roll-Autobiografie nicht mehr allzu stark beeinträchtigen kann.