Rebecca Gablé – Die Hüter der Rose

„Die Hüter der Rose“ ist der fünfte historische Roman der deutschen Bestsellerautorin Rebecca Gablé (* 25.09.1964), die sich mit dem Roman „Das Lächeln der Fortuna“ und ihren weiteren historischen Werke einen Namen gemacht hat. Sie studierte nach mehrjähriger Berufstätigkeit als Bankkauffrau Anglistik und Germanistik mit Schwerpunkt auf Mediävistik, wobei ihr besonderes Interesse offenkundig den englischen Königshäusern galt. Denn um das Haus Lancaster und die von ihr erfundene Familie des Robin of Waringham, der ihren Fans bereits aus „Das Lächeln der Fortuna“ bekannt ist, dreht sich in dieser direkten Fortsetzung der Familiengeschichte der Waringhams alles.

John, jüngster und liebster Spross des alternden Robin of Waringham, wird von seinem Vater verhätschelt und verzärtelt. Als er von dessen Plan erfährt, ihn in eine kirchliche Laufbahn zu drängen, flieht er zu seinem älteren Bruder Raymond nach Westminster, um sich ebenfalls in die Dienste von „Harry“, kein Geringerer als König Henry V., zu stellen. An der Seite des Königs bewährt sich John in den Schlachten des hundertjährigen Krieges gegen Frankreich. Doch eine Gefangennahme durch einen rachsüchtigen französischen Ritter, dessen Cousin einer der Gefangenen war, die Henry V. bei Agincourt hinrichten ließ, setzt seinem Höhenflug ein jähes Ende. Der mächtige Kardinal Beaufort, mit dem er eng befreundet ist, kann ihn schließlich freikaufen, doch Johns Gemüt hat durch Folter und Krieg erheblichen Schaden erlitten. Trotzdem scheint sich alles für ihn zum Besten zu wenden, obwohl er den Kardinal in erhebliche Bedrängnis bringt, als er die alleine durch ihre Existenz als Bastardtochter Kardinal Beaufort kompromittierende hübsche Juliana heiratet und sie vor der Hochzeit mit seinem alten Widersacher Arthur Scrope bewahrt. Juliana wird eine der engsten Vertrauten von Katherine de Valois, Harrys französischer Königin, die John im Auftrag des Königs umworben und zusammen mit Owen Tudor auf ihre Rolle als Königin von England vorbereitet hat.

In Waringham hingegen brodelt es seit dem Tod von Sir Robin. Johns Bruder Raymond ist zwar ein Vertrauter und kampferprobter Ritter des Königs seit Jugendtagen, aber auch ein Frauenheld mit nicht nur positiven Charaktereigenschaften. Die für den Krieg gegen Frankreich benötigten Unsummen bedrohen Waringham, der geschäftsuntüchtige Raymond ist drauf und dran, die geliebte Pferdezucht seines Vaters zu ruinieren. Zudem ist seine ihm vom König verordnete Ehe mit einer Hofdame Katherines unglücklich, sie säuft und fühlt sich in England einsam. Ihr gemeinsamer Sohn Robert ist, wie alle bald erkennen, zudem widerwärtig und hinterhältig. Zusätzlich finden sehr zu Raymonds und Johns Missfallen immer mehr verfolgte Lollarden in Waringham Unterschlupf, was beide in Gewissens- und Pflichtkonflikte treibt.

Henry V. stirbt schließlich auf dem Höhepunkt des Frankreichfeldzugs an der Ruhr. Er vertraut John seinen noch minderjährigen Sohn an, er soll der „Hüter der Rose“ von Lancaster werden. Während die Brüder des Königs, Humphrey Herzog von Gloucester sowie John, Herzog von Bedford, sich die Regentschaft teilen und insbesondere Gloucester nach der Macht giert, wendet sich in Frankreich die Lage zum Schlechten für England: Eine Jungfrau, Jeanne von Domrémy, bringt Bedford in Bedrängnis und dem Dauphin das Kriegsglück zurück. Doch damit nicht genug. Sein Freund Owen Tudor bittet ihn um Hilfe: Er hat Königin Katherine geschwängert. John begeht Hochverrat, als er den beiden hilft, ihren Sohn Edmund vor dem jungen König, seinen Regenten, insbesondere Gloucester, und sogar seinem Freund Kardinal Beaufort zu verstecken. Aber seine Treue gilt nach wie vor dem Haus Lancaster, er bewahrt Henry vor den Machenschaften Gloucesters und seiner heimtückischen Gemahlin Eleanor Cobham.

Eine stark historisch orientierte Fortsetzung

Die Handlung des zwischen 1413 und 1442 spielenden Romans ist kein Geheimnis und geschichtlich wohlbekannt: In Henry V. Regierungszeit fielen Höhepunkte des Hundertjährigen Kriegs zwischen England und Frankreich wie die legendäre Schlacht bei Agincourt, die nicht unwesentlich zu seinem Ruhm beigetragen hat. Für die Handlung spielt sie jedoch eher eine untergeordnete Rolle und ist auf nicht einmal drei Seiten erzählt. Ihre Wirkung auf das englisch-französische Verhältnis wird dagegen genau beleuchtet. Henry V. verbot zwar oft Plünderungen, leistete sich aber auch grausige Taten wie das Töten zahlloser gefangener Ritter bei Agincourt, aus Furcht, sie könnten seinen zahlenmäßig immer noch unterlegenen Soldaten in den Rücken fallen, solange die Schlacht noch nicht vollends geschlagen ist. John of Waringham muss den dadurch erzeugten Hass in der Folter durch Victor de Chinon erleben, der sich totstellen konnte und verletzt überlebte, während sein Cousin starb. Gablé zeigt am Beispiel des klugen, ritterlichen John, wie die Schrecken des Krieges selbst jemanden wie ihn zum brutalen, von Rachsucht und Wut getriebenen Mann machen können. Die Folter verstärkt dies nur noch. Es sei erwähnt: Obwohl Gablé nur selten die über das ganze Buch verteilten zahlreichen Folterszenen explizit schildert, ist dieses Buch wesentlich brutaler als ihre vorherigen. John muss schon als Knappe mehr leiden als sein Vater in „Das Lächeln der Fortuna“.

Jeanne d’Arc, im Buch Jeanne de Domrémy genannt, wird auch nur ein eher kurzer Auftritt gegönnt; über sie wird wenig direkt geschrieben, meist nur berichtet, aus englischer Sicht. Für Beaufort ist ihre Hinrichtung eher eine Notwendigkeit denn Gehässigkeit. An dieser Stelle sei erwähnt, dass Gablé im Nachwort freiweg zugibt, eine Schwäche für den klugen Bischof Beaufort gehabt zu haben, wohingegen sie Jeanne nicht mochte und sie in ihren Augen eine Psychopathin war. Das hat sich leider etwas zu deutlich im Buch niedergeschlagen: Die französische Nationalheldin kommt zwar objektiv gut, subjektiv anhand ihrer Darstellung jedoch schlecht weg, wohingegen Beaufort sowie John die reinsten Strahlemänner sind.

Zumindest bei den beiden Waringhams, John und Raymond, relativiert sich diese recht einfältig schönfärberische Charakterisierung. Wenn auch nicht gerade bemerkenswert. John ist nicht mehr gar so sehr ein Freigeist mit selbst für unser Jahrhundert extrem liberalen Gedankengängen wie sein Vater Robin, er hat einen katholischen Einschlag in Sachen Moral und hinsichtlich seiner Haltung zu Ketzern. Seine charakterliche Veränderung durch den Krieg und die lange Folter sowie seine verständlicherweise ablehnende Haltung gegenüber Franzosen und sein Hass werden jedoch von Gablé stets erklärt und in gewisser Weise gerechtfertigt; so bleiben sie nur winzige Flecken auf einer ansonsten blütenweißen Weste.

Raymond hingegen, der stets gutgelaunte Charmeur aus dem Vorgänger, darf auch mal seine schlechten Seiten zeigen: Vor ihm ist keine Magd in Waringham sicher, er zeugt zahllose Bastarde, ist gegenüber seinem Bruder John oft etwas überheblich und versucht ihn herumzukommandieren. Seine Verschwendungssucht und Unkenntnis der Pferdezucht – er treibt das Gestüt seines Vaters fast in den Ruin, als er sofort Geld für den Krieg braucht und fast alle Jährlinge anstelle austrainierter Dreijähriger verkaufen will – sowie seine unglückliche Ehe, die Unbeliebtheit bei der Bevölkerung Waringhams und sein bösartiger Sohn machen ihn zu einem der wenigen ausgewogenen Charaktere. Denn er darf auch Mut und Treue beweisen, nicht nur ein Extrem. Denn an Sympathieträgern nahezu ohne Fehl und Tadel mangelt es in diesem Roman nicht, ebensowenig an genauso schwarzweiß gezeichneten Antagonisten.

So ist Arthur Scrope einfach ein Finsterling, ebensowenig kann man nachvollziehen, warum Raymonds Sohn Robert sich zu einer wahrlich diabolischen Kreatur entwickelt. Das trifft auf alle Bösewichte zu; ebenso wie bei den offensichtlichen Guten gibt es hier keine Überraschungen, die Fronten sind klar abgesteckt. Dabei verschenkt Gablé die Chance, den Leser im Ungewissen hinsichtlich der Gesinnung einiger Charaktere zu halten, obwohl deren Schicksal und Taten meist gewissermaßen historisch vorhersagbar sind.

Die Stärke dieses Buchs ist der historische Hintergrund, der zweifellos in einer der ereignisreichsten und spannendsten Epochen der englischen Geschichte des Mittelalters spielt. Zudem deutet Gablé im Nachwort bereits eine mögliche Fortsetzung an: Die Liebesaffäre Owen Tudors mit Katherine de Valois sowie die später daraus folgenden Rosenkriege zwischen Lancaster und York bieten Stoff für mindestens ein weiteres Buch. Sehr geschickt hat sie John of Waringham in die Historie eingebunden. Es ist nicht bekannt, wer Owen Tudor damals aus dem Gefängnis befreit hat. In diesem Buch natürlich John. Ebenso waren die Waringhams bei dem von John Oldcastle geführten Lollarden-Attentat auf Henry zugegen, die Brautwerbung durften sie übernehmen, bis hin zur Unterstützung der Königin und Owen Tudors. Besonders gut gefallen hat mir, wie Gablé den von Kardinal Beaufort gegen Eleanor Cobham angezettelten Hexenprozess stimmig in die Handlung eingebaut hat.

Die Schwächen dieses Romans ähneln denen ihres ersten Buches. Das grundlegende Schema der Familie Waringham, die teilnimmt an historischen Ereignissen, wurde bereits einige Male wiedergekäut. Dieses Mal fehlt jedoch ein klarer Antagonist wie Mortimer, stattdessen tauchen immer wieder neue kleine Schurken auf. Die Orientierung an der Historie ist stärker ausgeprägt, zum Glück spielt der Roman in interessanten Zeiten, denn sonst hätte er nichts auch nur entfernt an einen Spannungsbogen Erinnerndes aufzuweisen.

Besonders lobenswert ist, wie verständlich und unterhaltsam die Geschichte der englischen Königshäuser miterlebt wird. Kardinal Beaufort erklärt John sowie dem kleinen König Henry regelmäßig Zusammenhänge, so dass man sich im Gewirr der Erbansprüche gar nicht erst verlieren kann. Zudem erläutert Gablé im Vorwort die korrekte englische Aussprache von Warwick, Gloucester, Scrope, Beaufort oder Beauchamp; besonders bei Letzteren neigt man als Deutscher üblicherweise zu falschem Französisieren.

Fazit

Wer „Das Lächeln der Fortuna“ liebte, wird auch dieses Buch verschlingen. Drastische Neuerungen sollte man jedoch nicht erwarten. Nach wie vor verzaubert Gablé mit ihren sympathischen Charakteren, wobei die offenkundige Schwarzweißmalerei sicherlich manchem Leser missfallen wird. Allerdings hat das Buch einen weitaus mittelalterlicheren Einschlag in Sachen Geisteshaltung und Körperlichkeit (es hagelt Hiebe für die Dienerschaft, gefoltert wird auch regelmäßig) als der Vorgänger, allzu neuzeitliche und moderne Gedankengänge wollte und konnte die Autorin den Lancasters und ihren Gefolgsleuten wohl wirklich nicht andichten. Fehlte in „Der König der purpurnen Stadt“ ein wenig die Spannung, kann dieser Roman auftrumpfen. Zwar erzählt „Die Hüter der Rose“ nicht wirklich eine unerwartete oder spannende Geschichte, er hält sich stattdessen eng an die Historie, aber er spielt einfach in geschichtlich hochinteressanten Zeiten. Als störend empfand ich den bitterbösen Robert, der wohl in Folgebänden als Ersatz für Mortimer aus dem „Lächeln“ herhalten muss. Denn einen direkten Widersacher hat John in seiner Rolle als Nachfolger seines Vaters Robin in diesem Buch nicht. Zündstoff für die Zukunft; leider bleibt die Befürchtung, dass Gablé wieder in das alte Schwarz-Weiß-Schema der Charakterisierung zurückfällt, von dem sie in diesem Buch zumindest in einigen Ausnahmefällen abweicht.

Die optisch, qualitativ und auch hinsichtlich Satz und Lektorat hochwertige gebundene Ausgabe des |Ehrenwirth|-Verlages wird wie die Vorgänger mit einem Lesebändchen ausgeliefert. Trotz genannter Kritikpunkte ist „Die Hüter der Rose“ zweifellos einer der besten historischen Romane des Jahres 2005.

Gebundene Ausgabe: 1120 Seiten
www.rebecca-gable.de
www.luebbe.de