Festa, Frank (Hg.) – Necrophobia – Meister der Angst

Diese Buchbesprechung könnte sich der Rezensent sehr einfach machen. Zwanzig Horrorgeschichten präsentiert uns Herausgeber Festa. Es gibt kein Thema („Spukende Friedhofskaninchen“, „Zombie-Verschwörer aus dem Vatikan“ o. ä.), unter das diese Storys gestellt wurden. Auch eine chronologische Reihenfolge fehlt; „Necrophobia“ deckt etwa ein Jahrhundert phantastischer Kurzliteratur ab. Der Kitt, der diese Erzählungen zusammenhält, ist laut Frank Festa allein ihr Unterhaltungswert. Auf eine Vorstellung der einzelnen Geschichten wird an dieser Stelle deshalb verzichtet; sie wäre wenig sinnvoll und würde den Rahmen dieser Besprechung sprengen.

Den Puristen, der seinen Lesestoff systematisch gegliedert vorzieht, mag die scheinbare Beliebigkeit stören, doch wieso eigentlich? Das eigentlich Verblüffende an „Necrophobia“ ist die reine Existenz dieser Sammlung. Es ist schon eine Weile her, dass Kollektionen wie diese regelmäßig erschienen. Ihr „Sinn“ besteht darin, dem Freund des Phantastischen im Guten wie im Schlechten das Spektrum „seines“ Genres vor Augen zu führen. Die jüngere Generation von Horrorfreunden (und –freundinnen) ist weitgehend in einer Monokultur aufgewachsen. King, Koontz, Hohlbein, Rice – das soll angeblich moderner Horror sein.

Von den alten Meistern ganz zu schweigen. H. P. Lovecraft ist noch präsent, aber William Hope Hodgson, der Verfasser grandioser Seespuk-Storys? Oder Clark Ashton Smith? Wer weiß, dass Bram Stoker nicht nur „Dracula“, sondern auch ausgezeichnete Kurzgeschichten geschrieben hat? Oder ein Gustav Meyrink zumindest symbolisiert, dass es auch in Deutschland eine echte Geschichte klassischer Gruselliteratur gibt?

Zugegeben: Objektiv ist die Auswahl natürlich nicht. Guter Horror entsteht seit jeher nicht nur im angelsächsischen Sprachraum. Die im |Festa|-Verlag veröffentlichten Autoren dominieren auch „Necrophobia“. Aber würden ohne besagten Verlag Namen wie Richard Laymon, Jeffrey Thomas oder Brian Lumley hierzulande überhaupt einen Klang besitzen? Diese und andere |Festa|-Hausautoren weiten das Feld der Phantastik für die deutschen Leser. Das zählt stärker als jeder potenzielle „Vorwurf“ einer selektierenden Eigenwerbung.

Zumal „Necrophobia“ auch haptisch ein echtes Geschenk an sein Publikum ist. Mehr als 400 eng bedruckte Seiten für weniger als 10 Euro – das ist ein echtes Schnäppchen in der heutigen Hochpreis-Ära. Die Übersetzungen lesen sich flüssig, das Cover macht neugierig. Nein, auch hier gibt es keinen Grund zur Klage.

Was die Kriterien der Auswahl angeht, so ließe sich natürlich ausgiebig diskutieren. Storys wie „Die Stimme in der Nacht“ (W. H. Hodgson), „Pickmans Modell“ (H. P. Lovecraft), „Die Rückkehr des Hexers“ (C. A. Smith) oder „Die Squaw“ (B. Stoker) gelten mit Recht als zeitlose, bewährte Meisterstücke des Genres. Sie sind es wert, wieder einmal gedruckt und vor dem Vergessen bewahrt zu werden.

Die modernen Gruselgarne müssen sich ihre Sporen noch verdienen. Seien wir ehrlich: Den meisten wird es kaum gelingen. Das Zeug zum echten Klassiker haben u. a.
– „Summertime“ (S. P. Somtow mit einer wirklich üblen Story über ein psychopathisches Vater-Sohn-Serienmördergespann);
– „Der Mann, der Clive Barker sammelte“ (K. Newman mit einer schwarzhumorigen Satire auf Bücherfreunde, die ihr Hobby allzu ernst nehmen);
– „Puppen“ (R. Campbell mit einer Geschichte, die von einer Hexen- und Hexerschar in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts erzählt; selten wird die übliche Differenzierung zwischen Christentum = „gut“ und Teufelsglaube = „böse“ so überzeugend in Frage gestellt).

Ansonsten regiert das Mittelmaß, was hier keineswegs als Abwertung zu verstehen ist: Michael Marshall Smith, Brian McNaughton oder Graham Masterton sind einfach viel zu gute Horror-Handwerker, als dass ihre Storys den eigentlichen Zweck zu unterhalten nicht erfüllen könnten. Es ist zum Weinen, mit welcher Leichtigkeit die vorgestellten Autoren die deutschen Grusel-„Schriftsteller“ sogar dann deklassieren, wenn es „nur“ um das Abspulen eines ganz einfach gestrickten Gruselgarns geht. „Trentino Kid“ (J. Ford mit einer wunderbaren Spuk-auf-See-Geschichte), „Schluck die üble Saat“ (S. Clark variiert das uralte Thema des unausweichlichen Fluchs) oder „Die Hütte im Wald“ (R. Laymon mit einer richtig guten und unaufdringlichen Hommage an H. P. Lovecraft) seien als Lesetipps hervorgehoben. Aber auch Brian Lumley („Die dünnen Leute von Barrows Hill“) kann überraschen: Wenn er sich nicht gerade als zweitklassiger Lovecraft-Imitator („Titus-Crow“-Reihe) versucht oder als „Totenhorcher“-Fließbandautor tätig ist, bringt der Mann wirklich Lesbares zustande! Das gilt auch für Paul Busson, der die kürzeste Story dieser Sammlung („Rettungslos“) schrieb und uns mit seiner 1903 (!) entstandenen Schauermär vom lebendig Begrabenen und einem wirklich haarsträubenden Schlussgag in Angst & Schrecken versetzt.

Selbst Fehlschläge wie „In der letzten Reihe“ (B. Lumley versucht uns einen Uralt-Schlussschock anzudrehen, den noch der dümmste Leser bereits nach wenigen Absätzen erahnt), „Von Heiligen und Mördern“ (B. Hodge – lang & langweilig) und vor allem „Eine Halloween-Überraschung“ (F. Paul Wilson mit einem ganz legitim auf Ekel und Provokation setzenden, doch lächerlichen Machwerk; wie man Kotzgrusel richtig inszeniert, zeigt G. Masterton mit „Ein gefundenes Fressen“, seiner boshaft witzigen Story vom besessenen Hausschwein) ändern nichts am positiven Eindruck von „Necrophobia“. Es ist wirklich für jede/n etwas dabei – und die Geschmäcker sind bekanntlich verschieden.

„Necrophobia“ – das ist übrigens nicht nur diese Sammlung von Kurzgeschichten, sondern auch der Titel einer Hörbuch-Reihe aus dem Hause |Festa|. Einige der nun gedruckt vorliegenden Storys gibt es – neben anderen – auch professionell vorgelesen auf zwei Doppel-CDs. Viel Potenzial also für eine Fortsetzung des „Necrophobia“-Projekts – als Hör- und Lesebuch.

Die Hörbücher:
[Necrophobia 1 1103
[Necrophobia 2 1073