Baxter, Stephen – Orden, Der (Kinder des Schicksals 1)

Baxter ist einer dieser SF-Autoren, an denen sich die Geister der Kritiker scheiden. Das mag daran liegen, dass seine Bücher von so unterschiedlicher Art – oder Qualität – sind. Mir hat sein |Xeelee|-Zyklus recht gut gefallen, „Zeitschiffe“ wurde von anderen heftig kritisiert und auch für seine „Multiversum“-Trilogie konnte ich mich nicht so begeistern. Wenn er tatsächlich einer der „weltweit bedeutendsten Autoren naturwissenschaftlich-technisch orientierter Science Fiction“ ist, dann steht es um Letztere wohl ziemlich schlecht.

Das Buch „Der Orden“ (der Originaltitel „Coalescent“ war wohl zu gewagt fürs deutsche Publikum) ist zumindest zu neunzig Prozent keine naturwissenschaftlich-technisch orientierte Science-Fiction. Für etliche hundert Seiten schien es mir sogar, als hielte ich da seinen ersten Versuch in den Händen, Mainstream-Autor zu werden. Aber dann dringt das Phantastische doch noch durch, wenn auch zäh und wirr. Überhaupt ist der Gesamteindruck des Romans einer von Langeweile. Ich fürchte, die einzige Spannung, die sich bei mir einstellte, rührte von der Erwartung her, dass irgendwann doch mal irgend etwas Interessantes passieren müsse.

Die Haupthandlung um einen Mann namens George Poole findet in der Gegenwart oder ganz nahen Zukunft statt. Im Nachlass seines verstorbenen Vaters findet er ein Foto von sich mit einer Schwester, die er nicht kennt. Er beginnt ein wenig herumzuforschen, aber irgendwie halbherzig. Schließlich findet er heraus, dass seine Eltern seine Zwillingsschwester Rosa aus Geldnot zu einem christlichen Orden gaben, der in Rom sitzt. Seitdem hat er nie wieder etwas von ihr gehört. (Dass er ihre Existenz vergessen hat, obwohl sie bis zum 5. Lebensjahr in der Familie war, ist nur eine von vielen Ungereimtheiten.) Poole geht nach Rom und findet sie und den Orden sogar.

Eine zweite Handlung spielt in Britannien zum Ende der römischen Herrschaft. Und jawohl, Baxter kann sich natürlich nicht enthalten, König Artus einzuflechten, obwohl das für die Handlung vollkommen unnötig ist. Regina, eine Tochter aus gutem Hause, erlebt den Niedergang der Zivilisation in Britannien im Laufe ihres Lebens am eigenen Leib. Nachdem sie etliche Stationen hinter sich gebracht hat, darunter die der Geliebten von Artus, landet sie in Rom, wo sie „dank ihres starken Charakters“ – oder was immer – in einem Orden vestalischer Jungfrauen die Führungsrolle übernimmt.

George Pooles Familie stammt von dieser Regina ab, und dass sie es tatsächlich belegen kann, hängt mit der Besessenheit des geheimen Ordens zusammen, Aufzeichnungen anzulegen.

Wie sich zeigt, leben heutzutage Tausende weiblicher Ordensmitglieder tief unter Rom in der so genannten „Krypta“, ohne dass die Außenwelt davon weiß. Man handelt mit historischen Informationen, Genealogie usw., schließlich kann man auf 1600 Jahre alte lückenlose Aufzeichnungen zurückgreifen. Aber das ist nicht alles. Poole und sein Kumpel Peter, ein Verschwörungstheoretiker, finden heraus, dass die „Schwestern“ zu einer Art Mutanten geworden sind. Sie bilden einen „Schwarm“ (im Original vermutlich das übliche hive), existieren wie ein Ameisenhaufen nur zum Selbstzweck der Existenz des Ordens, eine Sache, die Regina damals in Gang gebracht hatte. Einige von ihnen sind dazu verdammt, als Gebärmaschinen zu fungieren, während andere ihr ganzes Leben lang nicht einmal geschlechtsreif werden können. Diese Mutation, die allem widerspricht, was man über die Geschwindigkeit der Evolution weiß, ist eine weitere Ungereimtheit des Buches.

Nebenbei erwähnt werden immer mal astronomische Entdeckungen, wenn man so will. Zu Reginas Zeiten erscheinen Lichter am Himmel – vielleicht Novae? Zu Pooles Zeiten entdeckt man weit außerhalb des Sonnensystems im Kuiper-Gürtel eine geometrische Formation, dann wird dunkle Materie beobachtet … aber was soll’s? Nichts davon hat irgendeine Bedeutung für die Handlung! Es erscheint wie belangloses Geplapper des Autors, wie übrigens so vieles in dem dicken Band.

Eine weitere Person, das Mädchen Lucia aus dem Orden, spielt für einige Kapitel eine Hauptrolle, sie versucht dort auszubrechen, aber das gelingt ihr letztlich nicht. Schließlich soll der Vollständigkeit halber noch die Handlungsebene 20000 Jahre in der Zukunft erwähnt werden, die gegen Schluss ein paarmal auftaucht und so brutal wie sinnlos ist.

Keine der handelnden Personen konnte mein Interesse oder meine Sympathie wecken. Ob in Vergangenheit oder Gegenwart, alles ist einfach nur scheußlich und abstoßend. Vielleicht soll das widerwärtige Leben im Frühmittelalter zeigen, wieso Regina schließlich dazu kam, den Orden so und nicht anders zu begründen. Was dabei herauskommt, sind menschliche Ameisen. Eine Gemeinschaft, die in Arbeitsdrohnen und Gebärmaschinen aufgeteilt ist und vollkommen unerklärlicherweise neben der normalen menschlichen Gesellschaft existieren konnte, ohne dass je etwas darüber bekannt wurde.

Für eine gewisse Zeit dachte ich, Baxters Buch sei feministisch, weil es zunächst wie etwas anmutete, das LeGuin, McCaffrey oder Zimmer-Bradley verzapft haben könnten. Sein Bild von den Frauen, die hier hauptsächlich auftreten, wurde dann aber eher zum Gegenteil. Er stellt sie wie geistlose Brüterinnen hin, die nur die Fortpflanzung um ihrer selbst willen im Kopf haben, instinktgeleitete Gruppenwesen, die von der Erhaltung von „Blutlinien“ faseln und alles und jeden für dieses Ziel opfern. Kein Wunder, dass der Verschwörungstheoretiker Peter sie als Bedrohung für die Menschheit ansieht.

Sicher hat Baxter seine historischen Hausaufgaben gemacht, ich kenne mich da nicht genug aus, um sagen zu können, ob alles korrekt ist, was er sehr ausführlich zur Zeit des Niederganges Roms zu sagen hat. Seine Einbindung eines sozusagen „historischen“ Artus finde ich überflüssig, außerdem haben andere das schon besser gekonnt. Wer sich für diese Zeit interessiert, wird jedoch echte historische Romane lesen, nicht Bücher, die durch Sprünge in die Gegenwart verwirren und mit esoterischen Philosophierereien nerven. Baxter beschreibt ohnehin nur die überaus bedrückende Atmosphäre des Verfalls von Kultur und Zivilisation.

Alles in allem, ein langatmiges, enttäuschendes Werk, das auf der fragwürdigen Idee aufbaut, dass sich Menschen am Rande des Existenzminimums zu „Schwärmen“ zusammenrotten, um zu überleben. Warum beobachten wir das dann eigentlich nicht heutzutage allerorten?

_Wilko Müller jr._
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de veröffentlicht.|