Vlugt, Simone van der – Schattenschwester

Brennpunktschulen scheinen nicht nur in Deutschland ein Problem zu sein. Auch in Holland gibt es sie, und Simone van der Vlugt hat diese Tatsache genutzt, um daraus einen Thriller zu basteln.

Die junge Marjolein, verheiratet und Mutter einer sechsjährigen Tochter, ist Lehrerin am Rotterdams College, das mit sinkenden Schülerzahlen und vielen ausländischen Schülern zu kämpfen hat. Eines Tages wird sie von einem ihrer Schüler mit einem Messer bedroht. Obwohl zutiefst verängstigt, gibt sie keine Anzeige auf, unter anderem auch deshalb, weil der Rektor um den Ruf des College fürchtet.

Wenig später wird ihr Auto demoliert und immer wieder wird Marjolein von dem Schüler, der sie bedroht hat, verfolgt. Doch niemand kümmert sich um die junge Frau, und wenig später ist sie tot.

Doch damit ist das Buch natürlich noch nicht zu Ende. Marjoleins eineiige Zwillingsschwester Marlieke ist fest davon überzeugt, dass der Schüler, der ihre Schwester bedrohte, sie auch auf dem Gewissen hat. Doch während sie sich immer mehr mit dem Fall beschäftigt, stellt sich heraus, dass sowohl in Marjoleins als auch in ihrem Leben nicht alles so ist, wie es scheint. Und dass sie den Täter vielleicht ganz woanders suchen muss …

Die Besonderheit von „Schattenschwester“ sind die beiden Perspektiven von Marjolein und Marlieke. Beide im Präsens geschrieben, finden sie zu zwei verschiedenen Zeiten statt. Während Marjolein von den Tagen bis zu ihrem Tod berichtet und davon, wie sie sich währenddessen immer wieder verfolgt fühlt, setzt Marlieke beim Mord an ihrer Schwester an. Sie erzählt, wie es danach mit ihr und Marjoleins Familie weitergeht und wie sie dem Täter auf die Spur kommt.

Diese Kombination ist insofern spannend, dass die Täterentlarvung auf zwei Ebenen passiert. Marjolein steht ihm am Ende ihres Lebens gegenüber und ein Kapitel später findet Marlieke heraus, wer ihre Schwester auf dem Gewissen hat. Das ansonsten in Krimis und Thrillern so oft vorkommende einleitende Kapitel, in dem der Mord geschieht, fällt weg, wodurch ein gewisses Maß an Spannung erhalten bleibt.

Wirklich spannend ist das Buch allerdings nicht, jedenfalls nicht im Sinne von mitreißender Thrillerspannung. Das Buch von van der Vlugt kann sich einer gewissen Frauenbuchlastigkeit nicht erwehren. Die Schwestern erzählen aus der Ich-Perspektive und so viel aus ihrem Alltag, dass man sich oft fragt, worauf die Autorin eigentlich hinauswill. Möchte sie das Leben der beiden Zwillingsschwestern sezieren oder möchte sie dem Leser hochwertige Thrillerkost servieren? Falls sie Letzteres vorgehabt hatte, gelingt ihr Ersteres wesentlich besser. Das Spannungspotenzial wird dementsprechend nicht vollständig ausgeschöpft.

Das Alltagsgeschehen der beiden Schwestern wird dafür sehr authentisch dargestellt. Hierfür muss man die Autorin loben, genau wie für ihre reifen Charaktere. Auch wenn man ab und an das Gefühl hat, dass die Protagonistinnen ein bisschen zu gut dargestellt werden, weisen sie eine seltene Tiefgründigkeit auf. Man erfährt viel über ihr Privatleben, ihre Vergangenheit sowie Gedanken und Gefühle, da sie aus der Ich-Perspektive erzählen. Ab und an schweift van der Vlugt dabei ein wenig ab, aber letztendlich hilft das nur, die beiden Schwestern noch plastischer darzustellen. Das ist auch notwendig. Schließlich tragen die beiden Frauen die Geschichte. Sie sind sogar wichtiger als die eigentliche Handlung, die, wie bereits erwähnt, nicht so viel hergibt.

Einher mit der guten Darstellung geht der Schreibstil, der ungekünstelt und einfach ist, dabei aber alles auf den Punkt bringt. Da in der Ich-Perspektive, also mehr oder weniger aus dem Kopf der Erzählerinnen, geschrieben wird, ist es wichtig, dass ihre Worte so klingen, als ob sie auch aus dem Mund des Lesers kommen könnten. Das gelingt van der Vlugt sehr gut. Sie schafft eine angenehme Leseatmosphäre, auch wenn das Präsens anfangs gewöhnungsbedürftig ist. Hat man sich aber erst mal mit dem seltenen Tempus zurechtgefunden, fühlt man sich tatsächlich so, als ob man am Leben der beiden Schwestern teilhaben würde.

„Schattenschwester“ ist eine zwiespältige Angelegenheit. Obwohl es eine Kriminalhandlung beherbergt, ist es auf weiten Strecken doch eher ein Buch für das weibliche Geschlecht. Die genaue Darstellung der Leben der beiden Frauen führt dazu, dass dies so ist. Allerdings wird der Alltag der beiden sehr authentisch dargestellt und der Schreibstil ist sehr warm und zieht in den Bann. Wer also ein Freund der milden Unterhaltung mit vielen Belletristikelementen ist, kann bei „Schattenschwester“ von Simone van der Vlugt beruhigt zugreifen.

http://www.diana-verlag.de

|Siehe ergänzend dazu: [„Klassentreffen“ 3850 (2006/2007)|

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