Wolfgang Jeschke (Hrsg.) – Die sechs Finger der Zeit. Anthologie

Sechs Finger der ZeitHumorvoll-ironisch: Kuriose Tricks der Zeit

Dies ist eine der ersten Anthologien, die Wolfgang Jeschke in der 1975 noch jungen Science-Fiction-Reihe herausgab – sie erschien 1971 erstmals im Lichtenberg-Verlag, von dem Jeschke kam. Weil das jedoch eine Hardcover-Ausgabe war, hat sie den Vorteil, gut lektoriert und korrigiert worden zu sein: Es gibt kaum Druckfehler.

Diese Auswahl bietet meist hochkarätige Autoren, darunter R.A. Lafferty, Katherine MacLean und Altmeister James H. Schmitz. Mit Manuel van Loggem sind zudem ein Niederländer und mit Hansjörg Präger ein Deutscher vertreten.

Der Herausgeber

Wolfgang Jeschke, geboren 1936 in Tetschen, Tschechei, wuchs in Asperg bei Ludwigsburg auf und studierte Anglistik, Germanistik sowie Philosophie in München. Nach Verlagsredaktionsjobs wurde er 1969-1971 Herausgeber der Reihe „Science Fiction für Kenner“ im Lichtenberg Verlag, ab 1973 Mitherausgeber und ab 1977 alleiniger Herausgeber der bis 2001 einflussreichsten deutschen Science-Fiction-Reihe Deutschlands beim Heyne Verlag, München. Von 1977 bis 2001/02 gab er regelmäßig Anthologien – insgesamt über 400 – heraus, darunter die einzigen mit gesamteuropäischen Autoren.

Seit 1955 veröffentlicht er eigene Arbeiten, die in ganz Europa übersetzt und z.T. für den Rundfunk bearbeitet wurden. Er schrieb mehrere Hörspiele, darunter „Sibyllen im Herkules oder Instant Biester“ (1986). Seine erster Roman ist „Der letzte Tag der Schöpfung“ (1981) befasst sich wie viele seiner Erzählungen mit Zeitreise und der Möglichkeit eines alternativen Geschichtsverlaufs. Sehr empfehlenswert ist auch die Novelle „Osiris Land“ (1982 und 1986). Eine seiner Storysammlungen trägt den Titel „Schlechte Nachrichten aus dem Vatikan“. Er starb 2015.

Die Erzählungen

1.) R. A. Lafferty: Die sechs Finger der Zeit (1960)

Als Charles Vincent an diesem Morgen erwacht, wundert er sich verschlafen, warum sich die Dinge so langsam bewegen. Doch als einen Blick auf die Uhr des Versicherungsgebäudes auf der anderen Straße wirft, wird ihm klar, wieso: Für etwa fünf Minuten Normalzeit vergehen auf dieser Uhr nur fünf Sekunden, also ein Sechzigstel. Mit anderen Worten: Er selbst bewegt sich um das Sechzigfache schneller als seine Umgebung. Deshalb erscheint er den Autofahrern und Passanten auf der Straße wie ein Gespenst, so etwa wenn er in einem Taxi die Handbremse zieht.

Unbekümmert erledigt Charles im Büro erst einmal einen Rückstand von zwei Tagen in zwei Stunden auf, dann schläft er ein wenig. Als er erwacht, herrscht wieder Normalzeit, wie ihm seine Kollegin Jenny klarmacht. Charles geht zum Arzt. Dr. Mason hat schon von zwei anderen solchen Fällen gehört – beide starben binnen eines Montas. Er warnt Charles, es langsam angehen zu lassen.

Doch Charles hat in einer Bar eine schicksalhafte Begegnung: ein Mann ohne Gesicht. Der fragt ihn nach dem Zusammenhang zwischen Extradigitalis und Genie. Charlie findet die Frage nicht lustig, denn er hat selbst einen doppelten Daumen an der linken Hand, also einen überzähligen Finger – Extradigitalismus. Der Fremde ist um das Sechzigfache schneller als er selbst, zaubert gefüllte Gläser herbei, faselt etwas von einem Geheimnis und einem Klub der Schnellen wie er selbst, dem Charlie beitreten soll, wenn er soweit sei. Weil der Kerl so einen Schwefelgeruch an sich hat, will sich Charlie dieses Angebot lieber gut überlegen.

Zunächst hat er eine Menge Spaß mit seiner Schnelligkeit. Dann lernt er 50 Sprachen, liest die Weltliteratur und vertieft sich in die Geschichte. In den öffentlichen Bibliotheken – er zahlt nirgendwo Eintritt – verbreitet sich das Gerücht eines Gespenstes. In den Büchern über Kulturgeschichte stößt er auf den Ansatz des Geheimnisses und auf sumerischen Tontafeln auf die entscheidende Aussage: Vor der menschlichen Zeitrechnung mit fünf und zehn rechneten Wesen bereits mit sechs, zwölf und sechzig. Doch wo die Bezeichnung für diese Wesen stehen sollte, klafft nur eine Lücke.

Auch der Mann ohne Gesicht, der wieder auftaucht, verrät ihm den Namen nicht. Doch erneuert sein Angebot. Und als Charles diesmal ablehnt, beginnen die Schmerzen, die ihm die Superschnellen zufügen. Soll er wirklich klein beigeben? Jenny und Dr. Mason machen sich wirklich Sorgen um Charlie: Mit 30 Jahren sieht er schon aus wie ein Neunzigjähriger …

Mein Eindruck

Obwohl der Zusammenhang zwischen einem sechsten Finger und der beschleunigten Bewegung nie plausibel erklärt wird, beeindruckt die Geschichte doch ein wenig. Sie erklärt nicht nur die Existenz von Geistern, sondern von Teufeln. Diese bewegen sich superschnell. Und außerdem dienen sie dazu, den Umstand zu erklären, warum die Stunde nur sechzig Minuten hat und nicht etwa hundert.

Dazu muss man wissen, dass die Zeitmathematik zusammen mit der Astronomie im Zweistromland erfunden wurde. Und der historische Garten Eden der Bibel lag ebenfalls dort – leider aber auch der Baum der Erkenntnis mit der Schlange darin. Die Geschichte deutet an, dass diese teuflische Schlange immer noch nach dem Schwefel und Schlamm jenes Landes riecht. Soll sich also Charlie den Teufeln anschließen? Hoffentlich nicht! Schließlich gelingt es ihm, das Geheimnis der Beschleunigung zu lüften. Wir werden es jedoch nie erfahren, denn Charlie tritt endlich den wohlverdienten Langen Schlaf an …

2) R. A. Lafferty: So frustrieren wir Karl den Großen (1967)

An einem geheimnisvollen Institut verfügt ein Rat von neuen Personen über eine außerordentliche Zeitmaschine. Epiktistes, die drachenköpfige Künstliche Intelligenz, vermag Avatare zu erschaffen und in der Zeit zurückzuschicken. Auf diese Weise kann das Institut Fehlentwicklungen der Geschichte korrigieren. Insbesondere um beispielsweise das jämmerliche kulturelle Niveau der eigenen Stadt ein wenig zu heben.

Das erste Zeitziel ist ein entscheidender Vorfall, der im Jahr 778 im Tal von Roncesvalles zutrug. Karl der Große, so die Chronik des Geschichtsschreibers Hilarius, hatte einen Deal mit dem Kalifen von Saragossa abgeschlossen: Christen sollten am Rand der Pyrenäen in Ruhe siedeln und 33 Gelehrte sollten ins Frankenreich reisen dürfen. Leider wurde der Treck von Basken überfallen, woraufhin der erboste Charlemagne den Pass ebenso schloss wie jeden Zugang zum Araberreich. Das führte zu einer Verarmung des Frankenreiches für 400 Jahre.

Die Geschichtskorrektur wird ein voller Erfolg, die eigene Stadt blüht, die Institutsmitglieder sind jetzt 13 und die KIs haben sich um zwei vermehrt. Leider können die Mitglieder des Rates keinerlei Veränderung feststellen. Kein Wunder: Sie haben keine Erinnerung daran, dass jemals anders war als im Jetztzustand.

Und so machen sie ein verhängnisvolles zweites Experiment. Wilhelm von Ockhams ketzterische Thesen des Nihilismus sollen nicht vom Papst verdammt, sondern vielmehr anerkannt werden. Dazu muss lediglich Ockhams Widersacher, ein Oxfordprofessor, sterben, bevor er im 14. Jahrhundert den Papst in Avignon erreicht. Als Ergebnis dieser Korrektur sitzen anschließend vier Ratsmitglieder splitternackt in einer bemalten Höhle vor einem Götzenbild, das Epiktistes darstellen soll …

Mein Eindruck

Ein klassischer Fall von Übereifer, könnte man zunächst meinen. Aber die Aussage geht tiefer: Jede korrigierte Geschichtsversion ist von der vorhergehenden nicht zu unterscheiden, weil sie diese vollständig ersetzt – und somit auch die Erinnerung an jegliche vorher existierende Version: Es ist schon immer so gewesen. Die Ratsmitglieder wirken in ihrer Frustration darüber, dass sich nichts geändert hat, zugleich lächerlich wie bemitleidenswert. Dumm nur, dass sie all ihre Zeitgenossen mit ins Unglück reißen.

Die Story ist ein gutes Beispiel für die ironische Behandlung der altbekannten Zeitparadoxa. Sie besagt: Es nützt gar nichts, die Geschichte korrigieren zu wollen, denn es ist von vornherein ausgeschlosssen, dass irgendjemand den Unterschied zu früher bemerkt!

3) Manuel van Loggem: Greifsehen (1971)

Der Botschafter einer außerirdischen Spezies lebt unerkannt mitten unter den Menschen in einer großen Stadt, um sie zu beobachten. Er wartet auf den Zeitpunkt, dass sie endlich von ihrer permanenten Aggressivität ablassen, die seine Rasse gezwungen hat, kurz nach der ersten Landung wieder in ihre Raumschiffe zu steigen und in einer fernen Umlaufbahn auf die Besserung des Problems zu warten. Dieser Zeitpunkt scheint jetzt gekommen zu sein.

Das Fernsehen kündigt die Einführung des sogenannten Greifsehens an, das die Aliens längst selbst praktizieren. Es handelt sich dabei um die dreidimensionale Projektion von Figuren in das Zimmer des Betrachters. Die Projektion ist nicht nur visuell sichtbar, sondern auch berührbar und greifbar.

Das Versuchsobjekt des Beobachters ist ein junges Ehepaar in der Nachbarwohnung, Roger und Martha. Sie streiten sich ständig, weil Martha ein Kind will und er nicht. Um das Greifsehen zu genießen, begibt sich jeder der beiden in sein jeweiliges Zimmer. Roger bekommen eine sexy junge Frau projiziert. Schon bald hat er festgestellt, dass ihre Nacktheit nicht vorgespiegelt ist und sie für Berührungen empfänglich ist. Auch Martha empfängt einen jungen Liebhaber, mit dem sie sich vergnügen kann.

Als die beiden mit der ersten Sendung fertig sind, schauen sie einander an – und drehen sich wieder um, um getrennt zu schlafen. Der Beobachter sieht, dass es in der Stadt genauso in vielen anderen Wohnungen verläuft, und freut sich: Schon bald wird sich das Bevölkerungsproblem dieser Welt von selbst erledig haben. Dann ist sie zur Besiedelung frei.

Mein Eindruck

Die Story mag 1971 noch relativ intelligent und provokativ – Sex vorm Fernseher – gewirkt haben, heute erscheint sie uns aber nur noch superdämlich. Sex vorm Fernseher ist alltäglich geworden, seit sich jeder eine Porno-DVD mit dem Beamer an die Wand projizieren kann, womöglich noch in HD-Qualität.

Und den virtuellen Sex als Verhütungsmittel einzusetzen, ist eine völlige Schnapsidee. Erstens sind junge Paare allmählich in der Minderzahl, Ehepaare mit Kindern können es nicht vor dem Fernseher treiben – eben wegen der Kids – und in der Dritten Welt gab es DAMALS überhaupt keine Fernseher. Und wo HEUTE TV-Sets in den Familien in Indien oder China stehen, findet alles statt, bloß kein Sex. Wo bleibt denn da die massive Verhütung, die zum Aussterben führen soll?

Und schließlich lässt sich die gute alte Befruchtung nicht bloß zwischen Männlein und Weiblein bewerkstelligen, sondern auch künstlich herbeiführen. Auch so ließe sich das Aussterben vermeiden oder zumindest verzögern. Irgendwie haben die Aliens des Autors nicht gründlich genug nachgedacht. Und wieso sie überhaupt wie Menschen aussehen sollen, kann er natürlich ebenfalls nicht begründen.

4) Katherine MacLean: Incommunicado (1950)

Cliff Baker arbeitet als Kinetik-Experte am Bau der Pluto-Station mit. Er kann sich zwar nicht gut ausdrücken, weil er quasi mit seinen Muskeln denkt, aber fürs Reden hat er Mike Cohen, den Jungen mit der Silberzunge. Sie kommen beide von der Raumstation A im Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter, und dort, auf der Station, lebt Cliffs Familie.

Kaum ist der Psychologe Roy Pierce auf einem von Cliff berechneten Kurs zur Erde abgereist, als Mike Cohen bei einem explosiven Unfall sein Leben verliert, neben drei weiteren Männern. Der Bau wird um Wochen zurückgeworfen, während ständig weitere Bauteile auf ihrer Bahn aus dem inneren System eintreffen. Etwas muss unternommen werden, und zwar schnellstens. Deshalb gibt Cliff letzte Instruktionen, bevor er zu Raumstation A abdüst, um einen Ersatzmann für Mike zu holen.

Als er Archy Reynolds, seinen alten Freund holen will, weigert der sich einfach. Er wolle lieber Musik machen, komponieren, dirigieren, Aufnahmen machen. Das findet Cliff ein wenig beängstigend. Denn nicht nur Archy ist auf der Station so merkwürdig drauf – alle auf der Station scheinen in Rhythmen zu schnippen, zu summen, zu pfeifen. Es ist unheimlich, und es macht Cliff Angst. Er denkt bereits daran, Archy zu entführen, als gerade der Psychologe Roy Pierce auf seinem Erdkurs in die Nähe gelangt.

Roy kennt Cliff besser als der sich selbst, und weil er sich weigert, einen Zwischenstopp einzulegen, der ihn Wochen kosten würde, verpasst er Cliff eine psychologische Schocktherapie: Cliff sei kein Trottel, so denke einfach anders. Er solle endlich mal nachdenken, was mit dem Innenleben der Station nicht stimme. Das wenigstens tut Cliff, und so kommt er deren Geheimnis auf die Schliche.

Es liegt an der Bibliothek. Sie wurde von Archys Vater eingerichtet. Doch um alle Registrierdatenbänke für die Bänder, Mikrofilme und Dateien miteinander zu vernetzen und sie auf intelligenten Schreib- und Lesetischen verfügbar zu machen, erfand Dr. Reynolds ein akustisches System, sozusagen eine musikalische Kurzschrift für die Zugriffsbefehle. Diese Kurzschrift, in sich ein geschlossenes, intelligentes System, haben sich alle Stationsbewohner zueigengemacht. Die Musik der Maschinen ist ihnen in Fleisch und Blut übergegangen, um leicht kommunizieren und verstehen zu können. Ihre Musik ist eine neue Sprache.

Cliffs nächster Schritt besteht darin, sich diese Sprache anzueignen und dann mit den Bewohnern zu kommunizieren. Es klappt hervorragend, und schon bald kann Cliff nicht nur der Pluto-Station neue Befehle geben, die die Bibliothek in Maschinensprache übersetzt, sondern er kann auch den Bewohnern beibringen, effizienter und phantasievoller zu kommunizieren.

Der nächste Schritt der Entwicklung ist die Übertragung dieser Errungenschaft auf die Bevölkerung der Erde, die sich mit Technik, Wirtschaft, Mathematik usw. schwertut und in Angst und Wut verfällt. Und an diesem Punkt kommt ein Vertreter von Industrial Business Machines ins Spiel, besser bekannt als IBM …

Mein Eindruck

Nach allgemeiner Übereinstimmung ist „Incommunicado“ die beste Erzählung der Amerikanerin Katherine MacLean, die mit „The Missing Man“ 1971 einen der begehrten NEBULA Awards errang.

Die Geschichte schildert auf aufregende und überzeugende Weise einen „konzeptionellen Durchbruch“ in der Geschichte der Menschheit. Einfach indem ein ungewöhnlicher Kinetik-Experte beginnt, ein Bibliothekssystem zum Zweck der verbesserten Kommunikation einzusetzen. Man muss die Erzählung selbst lesen, um die minutiös dargestellten Schritte in Cliffs Entwicklung nachvollziehen zu können. Aber das Ergebnis ist sehr zufriedenstellend, denn es hält Hoffnung für die Zukunft der Menschheit bereit.

5) Hansjörg Präger: Apollo + 1 (1971)

8750 Jahre in der Zukunft ist das Universum von Menschen besiedelt. Einer der reichsten Menschen ist Gant Gantsson. Er will sich einen Namen als Archäologe machen und schlägt einem arabischen Historiker eine Wette vor, die er auf einer Pressekonferenz verlautbart: Er will beweisen, dass bereits am Ende des zweiten Jahrtausend Menschen in der Lage waren, einen anderen Himmelskörper zu erreichen.

Als Beweis hat er eine im Sonnensystem gefundene Apollo-Kapsel nachgebaut, sie auf eine Rakete gesetzt und gedenkt nun mit dieser Rakete, den Himmelskörper Sol III Luna anzufliegen. Die versammelten Journalisten finden die Idee interessant, aber die Bedingungen nahezu unglaublich. Und Gants Frau findet den Gedanken, ihn in einer Explosion mit chemischen Treibstoff verlieren zu können, alles andere als amüsant.

Mein Eindruck

Die Story dient dazu, aus einer ganz bestimmten Perspektive die Absurdität des amerikanischen (und nur diesen) Raumfahrtprogramms vor Augen zu führen. Es ist sehr riskant, es ist unvorstellbar teuer – und es bringt überhaupt nichts ein, denn der Mond ist heute wie in Zukunft nur ein unwirtlicher Stein.

Der Story mangelt es an der geringsten Handlung. Vielmehr besteht sie vor allem aus einem langen Monolog des Milliardärs. Dennoch ist dieser Vortrag interessant, denn er enthält alle Argumente, die der Autor gegen das Raumfahrtprogramm vorbringt.

6) James H. Schmitz: Zeitdrift (The Winds of Time, 1962)

Gefty Rammer ist der Kapitän des Tramfrachters Silver Queen, der auch Passagiere mitnimmt. Diesmal wurde sein Schiff von einem geheimnisvollen Fremden namens Maulbow gechartert, der auf einem kleinen Mond eine Ausgrabung vorgenommen und die Fracht im Tresor des Schiffes verstaut hat. Auf einmal gerät die Silver Queen in heftige Turbulenzen, in deren Verlauf Gefty bewusstlos wird.

Als er wieder aufwacht, eilt er zu seinem Passagier. Auch Maulbow ist bewusstlos, und um ihn kümmert sich seine junge Sekretärin Kerim Ruse. Sie erzählt ihm ein wenig mehr über das, was Maulbow an Bord gebracht hat. Doch sie kann den Schlüssel zum Tresor nicht in Maulbows Sachen finden. Gefty muss den Schlüssel selbst herstellen. Mit einem üblen Verdacht begibt er sich in den Tresor.

Darin befindet sich eine von Maulbow offenbar selbst gebaute Maschine, die von einem Feld geschützt wird. Plötzlich wird das daneben liegende Ding, das Gefty für ein Tau gehalten hat, lebendig und beginnt sich rasch auf ihn zuzubewegen: eine Riesenschlange. Und dem Ammoniakgestank nach zu urteilen, gehört sie zu keiner bekannten Spezies. Ist sie es, die Maulbow ausgegraben hat?

Als Gefty aus dem Frachtraum zurückkehrt, wird er von Maulbow beschossen. Eine solch unfreundliche Behandlung lässt sich ein Käptn nicht von seinen Passagieren gefallen, ob sie nun gut zahlen oder nicht. Es kommt rasch zu einem ersten Showdown an Bord. Aber dann muss Gefty feststellen, dass die Riesenschlange ausgebrochen ist und ihn sucht. Wie hat sie denn das geschafft?

Mein Eindruck

Die Story ist ein aufregendes Abenteuergarn, das an gewisse ausgefallene Weltraumabenteuer von A.E. van Vogt oder der „Perry Rhodan“-Reihe erinnert. Insofern ist sie völliger Durchschnitt. Am verblüffendsten ist jedoch die Riesenschlange. Nicht nur dass sie stark an das Alien in Ridley Scotts gleichnamigem SF-Klassiker erinnert, sie verwandelt sich auch noch und ist eindeutig intelligent. Gefty hat die Beziehung zwischen Maulbow und der Schlange verkannt: Nicht der Passagier ist ihr Herr, nein, sie sind auch nicht Partner, sondern vielmehr ist die Schlange der dominierende Teil in dieser nicht nur körperlichen Beziehung.

Man kann sich leicht vorstellen, wie die Sache endet: Gefty setzt patentierte Muster der Problemlösung ein. Wenn du die Ursache des Problem nicht abstellen kannst, dann werde das Ding entweder los oder sprengt es in die Luft. Von der im Titel versprochenen Zeit-Odyssee bleibt leider nur ein Witz übrig. Insofern endet die Story mit einem enttäuschten Lacher.

7) Christopher Anvil: Stein der Weisen (1962)

Dave Blackmer ist ein interstellarer Kurier, der Mikrochips mit Geheiminformationen von terranischen Zentralbüros zu den Niederlassungen auf den Koloniewelten überbringt. Bevor er sich dafür bereiterklärt, machte ihm der Personalchef der Gesellschaft ihm einen besonderen Effekt seines Jobs klar: Während für Dave subjektiv sechs Wochen auf Hin- und Rückflug mit dem fast lichtschnellen Kurierschiff vergehen würden, vergingen hingegen für die auf der Erde Lebenden 14 Monate. Seine Frau könne er nun leider vergessen – sie dürfte wohl kaum 14 Monate allein auf Daves Rückkehr warten wollen. Dafür bekommt Dave aber einen besonderen Bonus: Er bekommt zwar nur 5000 Dollar pro Erden-Jahr – aber das bis zu sechsmal in seinem subjektiven Jahr!

Nach ein paar Jahren bemerkt Dave eine merkliche Veränderung der Technik auf den Raumschiffen, die er benutzt, aber auch hinsichtlich der Zusammensetzung der Passagierliste. Seltsamerweise tauchen immer mehr adlige Briten auf den Schiffen auf. Schließlich ist die „Queen of Space“, mit der er gerade reist, gestopft voll mit Grafen, Baronen und Herzögen. Sie alle tragen als Zeichen ihres Adelsrang ein Stöckchen mit versilbertem oder vergoldetem Knauf. Sobald ein „Goldener“ auftaucht, verbeugen sich die im Rang Niedrigeren vor ihm. Dave denkt überhaupt nicht daran und versetzt solch einem Strolch schon mal einen Handkantenschlag.

Aber es ist doch einsam unter solch adligem Gesocks, und deshalb fällt ihm ein Schicksalsgenosse auf, der ebenso schäbig gekleidet ist wie er selbst: Dovrenin aus der Sowjetunion lädt ihn sofort zu einem Drink ein. In seiner Kabine verbrüdern sie sich bei Hochprozentigem und Keksen. Während sie sich näherkommen und der Raum um sie ins Rotieren gerät, erwähnen sie, dass ihnen die vielen Briten schon aufgefallen sind. Und Dovrenin hat eine Kalkulation über die wachsende Wirtschaftskraft Großbritanniens aufgemacht. Die Kabine dreht sich mit jedem Schluck zwar schneller, aber Dave kann immer noch kapieren, dass Großbritannien in den letzten Jahren einen geradezu phantastischen Aufschwung aufgenommen hat und binnen kurzem alle anderen Industriestaaten überrunden wird. Was ist der Grund dafür?

Die Encyclopaedia Galactica liefert ihnen die Erklärung … Sofort wird Dave klar, dass es doch gelacht wäre, wenn sie das nicht auch fertigbrächten. Nach einem Schluck Rausch-Ex schmieden der Amerikaner und der Russe gemeinsame Pläne …

Mein Eindruck

Der Grund für den Aufschwung der Briten ist folgender: Das Parlament hebt die Vererbbarkeit von Adelstiteln auf und stellt sie auf das Prinzip des Verdienstes um, wie es ja schon heute bei den Members of the British Empire der Fall ist – den einfachen Sirs. Allerdings kann man auch diesen Titel wieder verlieren, wenn man sich nicht anstrengt – ein Abstieg um zwei Ränge.

Der Verdienst, den man für das Vaterland erbringen muss, ist im Grunde simpel: Erfindungen fördern und umsetzen. Je mehr und je bessere Erfindungen man fördert und anwendet, desto höher der Rang im Adel. Infolge der Erfindungen besonders in der Raumfahrt haben die Briten bald die Nase vorn und überflügeln die Konkurrenz aus USA und UdSSR (ja die Sowjetunion betrachtet der Autor immer noch als existent).

Dieses Modell hat kuriose Auswirkungen auf die Passagiere an Bord der „Queen of Space“, und Dacve und Dovrenin bekommen sie hautnah zu spüren. Diese Stöckchenträger, die sich alle naselang verbeugen – unerträglich. Ein Konkurrenzsystem muss her! Dave denkt an ein Modell wie in der Football-Liga, das ebenfalls mit Auf- und Abstieg verbunden wäre.

Leider bricht die Story hier ab, bevor es zur Umsetzung kommt, was ich schade finde. Die Story ist nämlich während des Sauf- und Rechengelages der beiden Kuriere sehr lustig. Der Erzähler hält zwar seine Ernsthaftigkeit durch, aber seine Beschreibungen sind herrlich. „Nachdem sie diverse Trinksprüche ausgetauscht hatten, drehte sich der Raum mit beträchtlicher Geschwindigkeit.“ Und: „(Dave) versuchte zum Tisch hinüberzugehen, aber aufgrund der mächtigen Zentrifugalkräfte, die im Raum wirkten, erwies sich dies als unmöglich.“ Und: „Er nahm sehr vorsichtig einen kleinen Schluck (Rausch-Ex) … Er hatte das Gefühl, werde mit dem Kopf voran gegen eine Ziegelwand geschmettert.“

Die Story heißt „Stein der Weisen“, aber offenbar liegt die Wahrheit mehr im Vino, als im Stein.

Die Übersetzung

Es gibt kaum Druckfehler. Aber seltsam ist es schon, dass die Übersetzerin Gisela Stege nicht in der Lage ist, zwischen großem „Sie“ und kleinem „sie“ zu unterscheiden, sowie zwischen „dass“ und „das“.

Unterm Strich

Sieben Erzählungen umfasst dieser schöne Auswahlband. Schwarzer Humor, psychedelischer Irrwitz, ein Schuss Erotik, verdrehte Logik und kauzige Schnurrpfeifereien, ganz nach Jeschkes Geschmack, sind hier zum Spaß und zum Nachdenken vereint.

Die Auswahl beginnt mit zwei der kuriosen und einfallsreichen Erzählungen, die Raphael Aloysius Lafferty zu schreiben pflegte und die Jeschke & Co. bevorzugt veröffentlichten. „So frustrieren wir Karl den Großen“ taucht beispielsweise wieder in der Anthologie „Die Fußangeln der Zeit“ wieder auf, die die „schönsten Zeitreisegeschichten“ enthält (siehe meinen Bericht).

Wesentlich ernster, aber ebenso genial ist Katherine MacLeans Erzählungen „Incommunicado“. Hier stellt die amerikanische Autorin eine neue Kommunikationsmethode vor, die auf musikalischen Tonfolgen basiert und hilft, das Denken und Kommunizieren zu beschleunigen. Der Titel ist also eher ironisch gemeint.

Nach Präger Kritik an exorbitant teuren Raumfahrtprogrammen und Van Loggems dämlicher Story über Sex vorm 3D-Fernseher folgt endlich wieder eine gute Story: Altmeister James Schmitz erzählt von zwei gefährlichen Wesen an Bord von Käptn Rammers Schiff: ein Mann aus der Zukunft und eine intelligente Riesenschlange. Selbstredend ist es Rammers Aufgabe, die Jungfrau in Not, nämlich Kerim, zu retten. Wer sich hier an „Alien“ und A.E. van Vogt erinnert fühlt, liegt richtig.

Den Abschluss eine weitere pfiffige Story à la Lafferty, diesmal aus England. Zwei interstellare Kuriere finden heraus, warum die Briten einen derartigen Aufschwung ihrer Wirtschaft hingelegt haben, dass es bei ihnen vor Lords und Herzögen nur so wimmelt. (Es taucht keine einzige Lady auf – weiß der Himmel, warum). Nun müssen sie nur noch eine Methode finden, den Erfolg der Briten auf ihre eigenen Nationen zu übertragen – kuriose Einfälle sind die Folge.

Die Schwächen der Auswahl liegen einerseits im auffallenden Mangel an selbstbewussten Frauen – sofern vorhanden, benötigen Frauen stets Hilfe – und an der mitunter kurios fehlerhaften Übersetzung. Letzteres lässt sich aber verschmerzen.

Taschenbuch: 156 Seiten
Aus dem US-Englischen von Elke Kamper und Gisela Stege
ISBN-13: 978-3453303546
www.heyne.de