Wolfgang Jeschke (Hg.) – Science Fiction Story-Reader 14. Internationale SF-Erzählungen

Classic SF: Der Terminator lässt schön grüßen

In dieser Anthologie sind 24 SF-Erzählungen internationaler AutorInnen vereinigt, darunter:

– Die Erzählung „Der Henker ist heimgekehrt“ von Roger Zelazny, die 1976 mit dem HUGO Award als beste Novelle des Jahres ausgezeichnet wurde;

– Thomas F. Monteleones Novelle „Feraxya“ (Breath’s a ware that will not keep); und

– Crant Carringtons tragisch-schöne Geschichte “Was tun, wenn die Geliebte an Bord des Raumschiffs weilt?” sowie

– P.J. Plaugers beachtliche Kurzgeschichte „Ein Kind jeglichen Alters“ (A Child of all Ages).

– Stories von den deutschen AutorInnen Irmtraud Kemp, Jörn J. Bambeck, Reinmar Cunis, Gerd Maxímovic, Peter Schattschneider, Lutz Rathenow, Rudolf Stolte und anderen.

Der Herausgeber

Wolfgang Jeschke, geboren 1936 in Tetschen, Tschechei, wuchs in Asperg bei Ludwigsburg auf und studierte Anglistik, Germanistik sowie Philosophie in München. Nach Verlagsredaktionsjobs wurde er 1969-1971 Herausgeber der Reihe „Science Fiction für Kenner“ im Lichtenberg Verlag, ab 1973 Mitherausgeber und ab 1977 alleiniger Herausgeber der bis 2001 einflussreichsten deutschen Science Fiction Reihe Deutschlands beim Heyne Verlag, München. Von 1977 bis 2001/02 gab er regelmäßig Anthologien – insgesamt über 400 – heraus, darunter die einzigen mit gesamteuropäischen Autoren.

Seit 1955 veröffentlicht er eigene Arbeiten, die in ganz Europa übersetzt und z.T. für den Rundfunk bearbeitet wurden. Er schrieb mehrere Hörspiele, darunter „Sibyllen im Herkules oder Instant Biester“ (1986). Seine erster Roman ist „Der letzte Tag der Schöpfung“ (1981) befasst sich wie viele seiner Erzählungen mit Zeitreise und der Möglichkeit eines alternativen Geschichtsverlaufs. Sehr empfehlenswert ist auch die Novelle „Osiris Land“ (1982 und 1986). Eine seiner Storysammlungen trägt den Titel „Schlechte Nachrichten aus dem Vatikan“. Er starb 2015.

Die Erzählungen

1) Roger Zelazny: Der Henker ist heimgekehrt (1975)

Der Chronist sitzt allein in einer einsam gelegenen Hütte unweit des Grenzzauns seines Grundstücks und wartet darauf, dass seine vier Agenten von ihrer Patrouille zurückkehren. Er ist mit mehreren Spezialwaffen ausgerüstet, um sich zu verteidigen. Doch keiner der vier Agenten kehrt zurück. Als ein rotes Licht an seinem Steuerungshelm zu blinken beginnt, weiß er, dass es zu spät ist: Der Feind hat die Postenkette durchbrochen und befindet sich auf direktem Weg zu ihm. Wie konnte es nur soweit kommen?

Sein alter Freund Don besitzt eine der größten Detektiv-Agenturen und nimmt ab und zu Aufträge von Regierungsmitgliedern an. Er hat ihn in dieser Kneipe nahe Washington, D.C. treffen wollen, um ihm ein lukratives Angebot zu machen. Der Chronist – Alan, der sich „John Donne“ nennt – ist bekanntermaßen ein Spezialist für Computer, Roboter und Virtuelle Realität und ein Publizist, der über diese komplizierten Themen schreibt. Alan soll Don erst einmal den Unterschied zwischen ferngesteuerten Drohnen und selbständigen, programmierten Robotern erklären. Das ist der einfache Teil.

Aber dann, so berichtet Don, baute man vor über 20 Jahren einen sogenannten „Henker“: einen selbständig mit einer KI denkenden und arbeitenden Roboter, der mit einem Raumschiff zu den Äußeren Satelliten des Sonnensystems hinausflog und Monde wie Io erforschen sollte. Doch als er auch Callisto erkunden sollte, verschwand er Richtung Uranus.

Nun ist der Henker offenbar heimgekehrt, sagt Don. Das Raumschiff stürzte bei Mexiko ins Meer, doch vom Roboter fehlt jede Spur. Dafür wurde jedoch einer der vier Schöpfer des Henkers, Manny Burns, ermordet in New Orleans aufgefunden. Don glaubt an einen Zusammenhang bzw. sein Klient. Und wer ist sein Klient, will Alan wissen. Es sei Jesse Brockden, der mächtige Senator von Wisconsin. Er war der Operator beim Henker-Projekt. Er habe Rückenmarkkrebs und nur noch sechs Monate zu leben, also sei die Angelegenheit dringend.

Dieser Dringlichkeit, so Don, widerspräche jedoch die Meinung von Leila Thackery, der Psychiaterin, die (als Nr. 3) das Gehirn des Henkers programmiert hatte. Die Ärztin arbeite jetzt in einem Krankenhaus in St. Louis. Sie halte den Henker für relativ harmlos. Allerdings gebe es da noch David Fentris, den Techniker des Projekts, der jetzt in Memphis lebe. Da spitzt Alan die Ohren, denn diesen Fentris kennt er persönlich: Dave war im Raumfahrtprogramm und zusammen mit Alan in einem Datenbankprojekt. Es muss einen Grund dafür geben, dass es Dave nie zu einer leitenden Position gebracht hat, denkt er.

Leila

Alan nimmt Dons bzw. Brockdens Auftrag an und fliegt zunächst zu Leila Thackery. Die Psychiaterin arbeitet heute zu Hause in einer Gruppensitzung. Danach kann sie Alan sprechen, und natürlich geht es um den Henker. Zusammen stellen sie verschiedene psychoanalytische Theorien auf, wie es wohl einem Neuristor-Gehirn gelingen könnte, die Prägung durch vier verschiedene Persönlichkeiten konstruktiv zu verarbeiten. Ein menschliches Gehirn mit einem entsprechenden Geist würde entweder schizoid werden oder in Katatonie verfallen. Alan greift auf den antiken Mythos von Hermaphroditos und der Nymphe Salmacis zurück: Könnte der Henker diese Zwitterwesen vereinen? Leila lacht bloß. Aber sie schickt ihn quasi zu David Fentris.

Dave

Memphis. David Fentris soll laut Leila der Religion anheimgefallen sein, als wäre das ein schreckliches Schicksal. Aber Dave erinnert sich an den Henker und weiß, dass er zurückgekehrt ist. Er erwartet ihn sogar, nennt ihn den Göttlichen Rächer. „Aber woher weiß der Henker, wo alle seine vier Schöpfer sind?“, fragt Alan verwundert. Der Roboter könne die Gehirnströme lesen, ähnlich wie ein Telepath. Möglicherweise auch mithilfe des Steuerungshelms, den Alan bei Leila gesehen hat. Er gibt Dave seine Telefonnummer im Motel.

Erste Opfer

Phil Burns, der Bruder des toten Manny Burns, ist äußerst erbost darüber, dass ein Fremder sich über den Toten lustig macht. Manny soll offizielle Dokumente gestohlen haben?! Wie sich herausstellt, hat man den „wahren“ Mörder von Manny bereits gefasst. Alan glaubt der Schlagzeile keine Sekunde, muss aber sofort zurück nach Memphis Im Motel hörte er die im Telefonsystem hinterlassene Nachricht von Dave Fentris ab: Der Henker hat ihn erwischt. Er eilt weiter nach St. Louis: Auch bei Leila kommt er zu spät. Doch er nimmt den Steuerungshelm an sich und verpackt ihn sorgfältig. Der dürfte Senator Brockden sehr interessieren.

Der Senator

Der Helm ist für Steuerung, Ortung und Kommunikation ausgelegt, ein echtes Wunderwerk moderner Computertechnik (anno 1975). Bei ein paar Drinks lockert sich der todkranke Senator ein wenig und erzählt, warum der Henker überhaupt seine vier Schöpfer im Visier hat: In einer Art Studentenstreich brachten sie den damals kindlichen Roboter dazu, einen Wachmann in einer Bank zu töten. Das bedeutete das Ende seiner Unschuld und vermutlich den Beginn seiner Psychose.

Nachdem der Senator zu Bett gegangen ist, setzt sich Alan in Position, den Helm griffbereit neben sich. Draußen vor der Hütte fallen erste Schüsse, dann wird die Tür aufgerissen, und eine dunkle Gestalt steht darin. Der Henker ist gekommen. Doch auf das, was dann geschieht, ist Alan nicht vorbereitet…

Mein Eindruck

Zunächst scheint dies eine gewohnte Geschichte von Rache und Rächer zu werden, wobei die Schuld beim Roboter liegt, sozusagen bei Frankensteins Ungeheuer. Es erscheint als das personifizierte Böse. Doch genau wie in Mary Shelleys genialem Original von 1818 trifft nicht das Geschöpf die Schuld, sondern seinen Schöpfer. Deshalb heißt ihr Roman nicht etwa „The Monster“, sondern „Frankenstein, und damit nicht genug: „A Modern Prometheus“ steht ebenfalls im Titel. Prometheus war laut Legende jener Typ, der die Menschen erschuf und für sie den Göttern das Feuer stahl. Es stellt sich heraus, dass nicht das erschaffene Ungeheuer böse ist, sondern seine vier Schöpfer.

Zelazny gelingt es nur zum Teil, diese alte Story zu überformen und sie für das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz, die ja seitwenigen Jahren wieder sehr im Aufwind ist, zu aktualisieren. Immerhin macht er klar, was der Unterschied zwischen einer Drohne – die er „Telefaktor“ nennt – und einem selbständig agierenden KI-Roboter ist: der freie Wille. Der Roboter ist ein kybernetischer, also nach Norbert Wiener sich selbst steuernder Mechanismus, den ein ständig lernendes Gehirn steuert. Theoretisch kann der Henker überallhin gelangen, wohin der Mensch nicht gehen kann: auf die Oberfläche des vulkanischen Mondes Io etwa oder unter die Eisoberfläche des Mondes Europa.

Wenn also der Henker potentiell unschuldig ist, kommt es auf die Schuld der Schöpfer an, um die ganze Situation, die sich zuletzt kritisch zuspitzt, bewerten zu können. Jeder der vier hat seinen Teil dazu beigetragen, um den Henker zu verhunzen, und als wäre das nicht genug, haben sie ihn auch noch eine Ursünde begehen lassen: den gewaltsamen Tod eines Menschen. Isaac Asimov würde im Grabe rotieren, dass seine drei Gesetze der Robotik derart mit Füßen getreten werden.

Im Rückblick bewertet, verschiebt sich also das Urteil „böse“ vom Geschöpf auf seine Schöpfer. Jetzt muss der Detektiv, als den sich der „unsichtbare“ Alan aufführt, noch die Wahrheit aufdecken. Wie er erkennen muss, ist auch er alles andere als unfehlbar. Das macht ihm aber erst der Henker klar. Gut also, wenn man einen anderen Standpunkt anhört.

2) Peter Schattschneider: Vakuum (1980)

Manuel hat Herrera bis ins Archäologiemuseum gejagt. Gegen das Vakuum trägt er seine n Schutzanzug, doch hinter der Luftschleuse wird er ihn nicht brauchen. Hinter der Schleuse steht Herrera – mit einem offenbar schussbereiten, antiken Gewehr im Anschlag. Das habe er sich aus einer der Ausstellungsvirtrinen besorgt, sagt er. Manuel ist gezwungen, seine Pistole wegzuwerfen. Wird Herrera ihn jetzt erschießen?

Doch nein: Herrera will quatschen. Das verschafft Manuel eine winzige Chance. Er hat nämlich entdeckt, dass sich Herrera die falsche Waffe besorgt hat. Während er den Knopf drückt, der die Luft aus dem Raum absaugen lässt, geht er auf Herrera zu. Der hebt die Waffe und drückt den Abzug…

Mein Eindruck (SPOILER!)

Leider hat Herrera eine klitzekleine, aber wesentliche Tatsache übersehen, die sein Gewehr funktionsuntüchtig macht: Im luftleeren Raum funktioniert ein Luftgewehr nicht. – Der Autor, der für viele einfallsreiche Stories und Romane bekannt war, belegt auch diesmal, dass er für pfiffige Ideen gut ist. Aber über den Grund, warum Herrera sterben soll, erfahren wir leider nichts.

3) Gerd Maximovic: Das Kampfobjekt (1980)

Die Raumpatrouille wird durch einen Alarm von ihrem Kartenspiel abgelenkt: ein Eindringling im erdnahen Raum! Oberst Irisson informiert seinen General, dass er das Raumschiff ORION losschickt, in dem sich die beiden Mitarbeiter Braun und Ericsson befinden. Die sollen das fremde Raumgefährt mal unter die Lupe nehmen.

Das fremde Schiff hat eine würfelförmige Gestalt, ist aber ansonsten schwerbeschädigt. Einschlagskrater bieten eine willkommen Möglichkeit, ins labyrinthartige Innere des Schiffes, das auf die Sonne zufliegt, einzudringen. Zu ihrem Befremden stoßen die beiden Agenten auf die erstarrten Leichen von blauhäutigen und blauäugigen Männern, die noch in ihren Raumanzügen stecken. Je weiter sie vordringen, desto mehr Leichen finden sie, über fünfzig. Nur auf der Brücke sind drei Offiziere besser konserviert. Ein Operator auf der Brücke hält handgeschriebene Notizen, die Braun mitnimmt. Da der Computer unzugänglich ist, sind diese Notizen das einzige Material, das die Sprachforscher auf der Erde auswerten können.

Demnach kam das Raumschiff aus einem anderen Bereich der Galaxis. Dort tobte ein krieg, den die Minderheit gewann. Damit sich diese Rebellion nicht auch an Bord der STELLARION widerholen konnte, wurden entsprechende Schutzbefehle in den Bordcomputer eingefügt. Als der Aufstand begann und die drei Offiziere bedrohte, tat der Computer alles Notwendige – alle starben…

Mein Eindruck

Kann gut sein, dass Maximovic hier eine Episode für die TV-Serie „Raumpatrouille Orion“ schreiben wollte. Leider ist sie derart langweilig, dass sie offenbar nie verfilmt wurde. Die Lösung des Rätsels der Fremden wird bis zum Schluss aufgeschoben, wie es sich gehört. Und die Menschengestalt der Aliens wird kurzerhand mit paralleler Evolution erklärt. Spannung und Pointe sehen anders aus. Genervt hat mich zudem die Eigenart des Autors, ständig Einschübe in seine Sätze einzuflechten.

4) Curd Paetzke: Die Reise nach Andromeda (1980)

Man schreibt das Jahr 2108, und Commander Whiteman befindet sich Anflug auf einen Wanderstern namens Andromeda, der, von 14 Planeten umgeben, auf dem Weg zur irdischen Galaxis ist. Whiteman tritt in die Bremsphase ein, um seine Geschwindigkeit anzupassen. Die nahezu lichtschnelle Reise hat von der Mannschaft ihren Tribut gefordert: Er ist der letzte Überlebende. Das unerwartete Problem: Die ultrahohe Geschwindigkeit lässt den menschlichen Körper offenbar doppelt so schnell altern. Whiteman ist chronologisch erst 45 Jahre alt, aber sein Körper ist der eines doppelt so alten Menschen.

Die Bildschirme werden schwarz, der Antrieb geht auf null, ein Raumschiff dockt an der Luftschleuse an. Whiteman macht sich beriet, die Andromedaner zu empfangen. Doch auf ihn wartet eine böse Überraschung…

Mein Eindruck

Eine weitere Erstkontakt-Story. Nach sorgfältiger Vorbereitung des herbeigesehnten Moments des Erstkontakts bricht die Erzählung unvermittelt ab. Der frustrierte Leser kann nur seine Schlüsse aus der letzten Zeile ziehen: Die Aliens sind alles andere als freundlich gesinnt, der Commander stirbt. Merkwürdig ist allerdings, dass der Autor Einstein widerspricht: Bei einer relativistischen Geschwindigkeit vergeht die Zeit für den Erlebenden immer langsamer, während sie für alle anderen sehr schnell vergeht, etwa für die leite auf der Erde. Beim Commander verhält es sich genau andersherum: Nicht die anderen altern schneller, sondern er selbst.

5) Horst-Günter Rubahn: Teufelskreis (1980)

Oberbefehlshaber Solo bekämpft den vermeintlichen Feind, obwohl es einen „Scheinfrieden“ gibt. Seine Kämpfer geraten in einen Minengürtel und werden getötet. Dieser Verlust äußert sich direkt in einem schmerzhaften Brennen in seinem Rücken. Zur Erholung begibt er sich in Behandlung. Eine Frau namens Dulcey versucht, ihn zu einer friedlicheren Haltung zu verführen, doch er weigert sich, ihrer Versuchung nachzugeben. In der nächsten Runde des simulierten Krieges auf seinem Bildschirm werden seine Düsenjets allesamt abgeschossen, was den Schmerz zurückbringt. Die Computerstimme fragt ihn, ob er aufgeben will.

Mein Eindruck

Derlei Computerspiele sind heutzutage in jedem Jugendzimmer zu finden, allerdings mit einem Unterschied: Der Spieler ist – noch – nicht in eine Schmerzrückkopplung eingebunden. Dabei wäre das mit Datenhandschuhen und -anzug leicht zu bewerkstelligen. Im Silicon Valley wird bereits seit Jahren eifrig daran gearbeitet.

Diese Story leitet den inhaltlichen Schwenk vom negativen Erstkontakt und simulierten Krieg zum Pazifismus ein. Zweifel sind angebracht.

6) Reinmar Cunis: Prinzip der Gewaltlosigkeit (1980)

General Baganda ist als Abgesandter der mächtigen zentralafrikanischen Vereinigung nach Irland zum Nordatlantischen Abwehrcenter gereist. Die Union hat den Nordländern Waffen geliefert, die spurlos verschwunden sind. Er will zudem das Geheimnis aufzudecken, wie es den Nordländern gelungen ist, trotz völliger Entwaffnung und Gewaltlosigkeit nicht erobert und unterjocht zu werden. Die etwa pummelige Mirjam zeigt ihm als seine Reisebegleiterin die Örtlichkeiten. Dabei entdeckt er, dass sie mit ihm per Telepathie kommuniziert.

Okay, aber das hilft den Nordländern ja nicht, Waffen abzuwehren oder die von der Union erhaltenen Waffen zu zerstören, oder? Doch dafür haben die Telepathen gesonderte Spezialisten abgestellt, die über telekinetische Kräfte verfügen. Per Telekinese wurde aus der Waffenlieferung eine bizarr anmutende Skulptur geschaffen. Abends ist Baganda zu einer Opernaufführung eingeladen. Die Aufführung rührt ihn zu Tränen. Er muss seinen Landsleuten unbedingt dieses Geheimnis enthüllen und ihnen solche Fähigkeiten vermitteln.

Als er abreist, wird Mirjam Zeugin einer Konversation ihrer tausend Spezialisten, die sie an deren Pazifismus ernsthaft zweifeln lässt…

Mein Eindruck

Cunis ist ein herausragender Autor, war er doch Leiter der Hörspielabteilung des Norddeutschen Rundfunks. Zahlreiche seiner Erzählungen und ein Roman („Wenn der Krebsbaum blüht“) erschienen in der SF-Reihe des Heyne Verlags. In dieser ziemlich bitter-ironischen Erzählung stellt er körperliche Gewalt dem scheinbaren Pazifismus der Telepathen gegenüber. Scheinbar, weil sie auf ihre Weise genauso gewaltbereit sind wie die Afrikaner. Anscheinend ist das aggressive Gen der Menschheit unausrottbar.

7) Joachim Grünhagen: Sechs Gedichte (1980)
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Die sechs Gedichte tragen folgende Titel:

Roboter
Fremde Galaxien
Entdeckungen
Komparation
Spektrum
Gefühlsinformation

Mein Eindruck

Wenn man Gedichte mag, sind diese Texte durchaus gewinnbringende Kommentare auf die politisch-kulturelle Lage anno 1980, jenem Jahr, in dem Ronald Reagan mit seinen erzkonservativen Republikanern an die Macht kam.

8) Grant Carrington: Was tun, wenn die Geliebte an Bord des Raumschiffs weilt? (1980)

Das erste Siedlungsschiff der Erde ist bereit für den Flug zum nächsten Stern. Die Zahl der Siedler ist streng auf 7000 begrenzt, die der Crew ebenfalls. Primrose Jung ist Computertechnikerin und fest für den Flug gebucht. Eine Freundin nimmt sie auf eine Party mit, auf der sie Philip Steinbrunner kennenlernt. Philip ist beim Theater für die Lichteffekte zuständig und, wie Primrose staunend herausfindet, ein wahrer Virtuose auf dem Gebiet der Computer-gesteuerten Lightshow. Seine Kunst straft seinen plumpen, unansehnlichen Körper Lügen.

Sie bittet ihn, ihr mehr beizubringen, und er nimmt sie mit ans Theater. Sie verliebt sich ihn, und er sich in sie. Doch der Tag der Abreise des Raumschiffs rückt zunehmend näher. Es schmerzt sie wirklich, ihn zurücklassen zu müssen, doch er ist bereit, den Trennungsschmerz zu ertragen. Ihr zuliebe fragt er mal nach einer Chance zur Teilnahme. Sein Antrag wird abgewiesen, denn er müsste ja noch unzählige Fachkenntnisse erwerben. Das tut er tatsächlich, und zwar in Rekordtempo. Besonders auf dem Gebiet der Chirurgie tut er sich hervor, so dass er schließlich in der Lage ist, sein anerkanntermaßen brillantes Gehirn auf ein Computermodul zu übertragen.

Der Tag des Abflugs ist gekommen. Als Primrose Jung den Bordcomputer hochfährt und sich einloggt, um die erste Testaufgabe zu bewältigen, erlebt sie eine Überraschung: Philip grüßt sie als neues Zusatzmodul des Computers. Sie würden für immer zusammen sein, und das ganze Universum werde ihr Heim sein, verspricht er ihr.

Mein Eindruck

Von vornherein betört die romantische Geschichte um ein unmögliches Liebespaar den Leser durch eine ausnehmend romantisch gefärbte Sprache. Die deutsche Übersetzung von J. Jaspert ist kongenial und erinnert im Stil an Werke von E.T.A. Hoffmann oder Ludwig Tieck. Da kann es schon mal passieren, dass ein Satz einfach nicht enden will oder das ein Wort wie „deuchte“ (eine altertümliche Form von „gedacht“) vorkommt. Das passt alles zusammen, sobald der Leser sich der romantischen Stimmung hingegeben hat.

9) Thomas Parczik: Visitation aus dem All (1980)

Die Prüfkommission der Hybriden kommt von den Äußeren Spiralarmen der Galaxis, um zu untersuchen, ob die Bewohner des Solarsystems in den galaktischen Bund aufgenommen werden können, bevor die Prüfer der Inneren Milchstraße sie sich krallen.

Beim Abhören der Funksatelliten fällt ihnen eine Übertragung der Erdlinge auf, die weltweit ausgestrahlt wird: Zwei Vertreter der Erdlinge schlagen aufeinander ein – der Titelverteidiger und sein Herausforderer. Ein gewisser „Muhammad Ali“ gewinnt den Kampf, indem er seinen Gegner zu Boden schlägt. Kein Zweifel: Diesem „Muhammad Ali“ wird man schon bald einen Besuch abstatten müssen – als Weltpräsidenten…

Mein Eindruck

Endlich mal eine nette Variante eines Erstkontakts, noch dazu mit einer sportlichen Komponente. „Muhammad Ali“ kämpfte damals im berühmten „Rumble in the Jungle“ gegen Joe Frazier und besiegte seinen Herausforderer. Wäre er doch nur Weltpräsident geworden, dann wäre manches anders gekommen.

10) Lutz Rathenow: Eine Lektion Geschichte (1980)

Die Universumsentwicklungskommission beschließt die Schaffung des Menschen. Verschiedene Designvorschläge werden ausprobiert, und es dauert eine Weile, bis sich ein menschliches Wesen aus dem Schlamm erhebt. Die Universumsentwicklungskommissionskontrollgruppe stellt jedoch alsbald das Überhandnehmen eines Missbrauchs fest: Die Menschen verwenden den Verschwindemützenstrauch dazu, allerlei Schabernack zu treiben. Schuldner verschwinden vor der Nase ihrer Gläubiger, von erotischem Missbrauch ganz zu schweigen. Schließlich hat sogar der König von Atlantis seinen ganze Palast mit aneinandergenähten Mützen verschwinden lassen. kein Wunder, dass er nach seinem Untergang nicht mehr auffindbar ist.

Die Universumsentwicklungskommissionskontrollgruppe beschließt, auf der Erde für Ordnung zu sorgen und wird für eine Ansammlung von Göttern gehalten. Sie lässt alle Sträucher roden und Mützen verschwinden, außer jenen freilich, wo Mützen die Sträucher verschwinden ließen. Schließlich landen solche Mützen als Tarnkappen in legenden oder in Museen. Ein Glück.

Mein Eindruck

Der DDR-Autor wendet die Prinzipien der sozialistischen Planwirtschaft auf die Schöpfungsgeschichte an. Kein Wunder, dass es dabei viel zu lachen gibt: „Lungen raus, Kiemen rein!“ ist nur eine zum Lachen anregenden Parolen. Solche Kommissionen würden sicherlich auch Kamele mit drei Höckern entwerfen.

Der Punkt ist aber, dass der Verschwindemützenstrauch in seinem kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Potential überhaupt nicht erkannt bzw. anerkannt wird. Er ist ein Wunder, aber auch ein Wunder passt nicht in das Raster, das die Universumsentwicklungskommission vorgegeben hat. Somit ist die Planwirtschaft zur Stagnation verdammt. Die Story ist insgesamt eine flotte, amüsante Kritik an der Planwirtschaft in der DDR, nur neun Jahre vor ihrem Verschwinden.

11) Christian Haderer: In einer Ecke. Gedicht (1980)

In einem galaktischen Szenario betrachtet das Ich das verblassende Foto Gottes, während jemand schmutzige Witze erzählt. Hoffentlich sieht jemand den Gedanken dieses Ichs zu.

Mein Eindruck

Eine Meditation über die Relativität des eigenen Standpunkts? Eine Spielerei mit der Vergänglichkeit des Göttlichen? Dass sich Gedanken SEHEN lassen können, erfordert allerdings einen Telepathen, schätze ich.

12) Bernd Mayer: Regen (1980)

Der Erkunder von Terra ist auf einer fernen Welt gestrandet, denn sein Schiff hat eine Bruchlandung erlitten. Hier regnet es unablässig, aber es ist ein Glück, dass er nicht vom Land leben muss, sonst wäre alle Nahrung im Handumdrehen schimmelig. Nein, der Materiekonverter funktioniert noch einwandfrei, so dass sich das einsame leben erträglich gestalten ließ. Wehmütig denkt er an seine Familie daheim auf der Erde.

Mein Eindruck

Diese selbstgenügsame Romantik ist ebenso unrealistisch wie verlogen. Sie gehört in die Mottenkiste der SF: Wo sind die Aliens, was stellt der Regen mit dem Bewusstsein des Erkunders an und überhaupt: Wo bleibt Eva, wenn man sie braucht?

13) Sven Ove Kassau: Der Einsame von Frediro (1980)

Ein Schriftsteller mit Schreibblockade bekommt den Auftrag, etwas mit SF oder Horror zu liefern. Weil die Umgebung zu laut ist, entflieht er aus Luzern in die Seealpen. Doch diese Cottischen Alpen zwischen Frankreich und Italien wurden mithilfe von Atombomben eingeebnet, um einen Raumhafen zu schaffen. Das das gebiet verstrahlt ist, lässt er auf einem billigen gekauften Grundstück Roboter sein neues Domizil erbauen.

Die menschenleere stimuliert seine Vorstellungskraft. Sogleich fällt ihm eine Geschichte ein: Sein draufgängerischer, aber unerfahrener Held springt per Zeitraummaschine zum Pluto, wo er prompt eine Leiche vorfindet. Wann starb der Mann, lautet die naheliegende Frage, und mit der Zeitmaschine hüpft der Held Jahr um Jahr zurück, bis die Leiche verschwunden ist. Danach muss er sich nur Monat für Monat „vorwärts“ bewegen, bis die Leiche auftaucht. Als er die Zeitmaschine aus Versehen fortschickt, wird ihm klar, das diese Leiche einmal er selbst sein wird…

Unser Autor wandert über das verstrahlte Plateau, als er stürzt: menschliche Überreste mit Goldknöpfen, also kein Fossil aus der Vorzeit. Es dauert eine Weile, bis er begreift, worin sein eigenes Schicksal bestehen wird…

Mein Eindruck

Obwohl die erfundene Binnenhandlung eindeutig an James P. Hogans SF-Roman „Der tote Raumfahrer“ von 1977 (dt. bei Moewig) angelehnt ist, vermag die Story doch zu fesseln. Insbesondere die Pointe mit der für den Leser offensichtlichen, aber umso unheimlicheren Übereinstimmung zwischen „Realität“ und Fiktion hinterlässt Eindruck. Die Botschaft dürfte klar sein: Wer mit Atombomben spielt, darf sich nicht wundern, wenn dabei Menschen zu Schaden kommen, beispielsweise übermütige Schriftsteller, die so blöd sind, auf strahlenverseuchtem Grund eine Hütte zu bauen…

14) Gertrud Hanke-Maiwald: Begegnung (Gedicht, 1980)

In diesem Gedicht träumt das lyrische Ich von „Fledermausmenschen mit Krallenhänden“, die nach ihrem Schatten greifen. Sie haben offenbar Erfolg, denn am Schluss fällt ihr Schatten spurlos in die Nacht.

Mein Eindruck

Hoffentlich bleibt dies nur ein Traum. Der Gedanke ist mir neu, dass Fledermausmenschen – also Vampire – nach den Schatten von Sterblichen greifen, um diese zur Strecke zu bringen. Das klingt ein wenig nach H.P. Lovecraft.

15) Peter Schattschneider: Ein traumhafter Erfolg (1980)

Berthold ist ein genialer Erfinder, der nur einen Fehler hat: er ist ein ungelenker Loser. Dafür gibt er Connery die Schuld, denn dieser Geist taucht immer im falschen Augenblick auf und vereitelt seinen Erfolg, sei es in der Technik, sei es bei Frauen. Connery stellt ihm ein Bein. Das würde Berthold aber seinem Chef Mildling gegenüber jedoch nie zugeben, dem er unterwürfig zu Willen zu sein versucht. Mildling ist ein Verkaufsgenie und Berthold ein Technikgenie – sie verstehen einander nicht einmal.

Erst als Berthold seinen eh schon genialen Traumrekorder mit dem Nanoprozessor umbaut, um seine eigenen Ganglien zu stimulieren, überkommt Berthold das Hochgefühl der Erfolgs und Triumphs gegenüber Mildling. Der kleine Kasten mit dem Prozessor und der Steuereinheit verändert sein Leben: Er kündigt und versucht, seine eigene Firma zu gründen. Aber sein Geist verlässt sich zunehmend auf die geistige Krücke, wird von der drögen Realität abgestoßen, geht zurück in Erfolgs- und Allmachtsphantasien. Bis er merkt: Er ist wie Sean Connery und kann in der Zeit zurückgehen zu jenem Loser-Berthold, der endlich einen Kick braucht, um Erfolg zu haben. Gesagt, getan…

Mein Eindruck

1980 geschrieben, wirft diese Geschichte doch schon einen visionären Blick in die Gamerszene von heute. Der Anfang der Story schildert eine Art Jump-and-run-Game mit dem Spieler als Erlebendem. Er schießt allerlei Raubzeug und gewinnt immer. Schließlich gelangt er durch einen „Schwarzschild-Konverter“ (vulgo „Schwarzes Loch“), das ihn um das Tausendfache verkleinert. Auf einmal ist er das Wild und nicht der Jäger…

Der Connery-Geist natürlich eine Anspielung auf die Figur „James Bond“, also die Verkörperung des Erfolgsmenschen: Auf einmal wird die Realität zum Game, und Berthold muss sich entweder aufrappeln oder endgültig untergehen. So gerät die Handlung in eine Schleife, wie wir sie bereits aus der Kassau-Story kennen. Verblüffend, wie Ursache und Wirkung sich die Hand reichen können, um in einer Endlosschleife zu enden.

16) P.J. Plauger: Ein Kind jeglichen Alters (1975)

Die Psychologin May Foster muss sich heute eines Mädchens annehmen, das in der Schule unangenehm aufgefallen ist. Melissa ist knapp 14 Jahre alt, sehr mager und erstaunlich altklug. Sie weiß alles über die Industrielle Revolution, und das hat ihrem Geschichtslehrer offenbar nicht gefallen. Aber Melissa hat die Umgangsformen einer Erwachsenen. Nach einer Weile fragt sie: „Was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen sagte, dass ich 2400 Jahre alt bin?“ Nun, May Foster hat sich unter Kontrolle. Sie meint: „Ich würde sagen, du solltest unbedingt meinen Mann kennenlernen.“

Es ist ein denkwürdiges Abendessen, zu dem May das Mädchen eingeladen hat. George Junior ist der Historiker, sein Vater George Senior ist Biochemiker – und schon über 80 Jahre alt. Melissa entgeht die Tatsache keineswegs, dass die Fosters kinderlos sind. Am Ende des Abendessens bittet sie die Fosters – etwas verklausuliert -, sie als Pflegetochter aufzunehmen. Mrs. Foster bricht in Tränen aus, George jr. fragt seinen Vater, und der nickt. Die Sache ist abgesegnet.

Doch die Existenz als neues Pflegekind geht nur fünf Jahre gut, dann muss Melissa abhauen. Sie hat es erwartet, schließlich hat sie schon unzählige Pflegefamilien gehabt. Der unterschwellige Ärger fing wohl damals an, als George Senior seinen ersten Herzinfarkt hatte. Daraufhin schien jeder zu erwarten, dass sie, Melissa, die Pflicht hatte, das Unsterblichkeitsserum, das ihr Vater sie einst gelehrt hatte, an die Fosters weiterzugeben. Das geht leider nicht, denn die Unsterblichkeit eines alten Mannes würde sofort auffallen. Aber sie half ihm bei der Biochemie. Der Ofen war endgültig aus, als der Senior seinen zweiten Infarkt hatte und Melissa nirgends zu finden war – sie hatte gerade das Serum genommen und musste schlafen. Da rief George Junior die Behörden, Tochter hin oder her…

Mein Eindruck

Die Geschichte der unsterblichen Melissa ist so einfühlsam und anschaulich erzählt, dass der Autor höchstwahrscheinlich weiblich ist. Obwohl auch Pseudonyme wie „James Tiptree jr.“ in die Irre führen können, so gibt es doch ein weiteres Indiz: Die Initialen vor dem Familiennamen werden bevorzugt von Frauen verwendet, die als Schriftsteller nicht nach ihrem Geschlecht beurteilt werden wollen – oder sonst gar nicht erst veröffentlicht werden würden: C.L. Moore, C.J. Cherryh und – natürlich – J.K. Rowling.

Die Erzählung vereint sowohl umfassendes historisches Wissen als auch tiefes Einfühlungsvermögen auf der Seite der Psychologie. Das Aufeinandertreffen dieser beiden Bestandteile sorgt hier und da für amüsante Ironie. Weil sich Melissa aber nie über die Unwissenheit der Fosters lustig macht, erscheint sie nie arrogant, sondern versucht vielmehr, das Verständnis für ihre Situation zu vertiefen. Der Punkt ist aber: Warum will Melissa für immer ein Kind kurz vor der Pubertät bleiben? Das erklärt die Pointe…

Am Schluss gibt es einen augenzwinkernden Moment: Im lokalen Kino läuft gerade eine Walt-Disney- Doppelpackung – „für Kinder jeglichen Alters.“ Melissa fühlt sich sofort angesprochen. Und das aus mehr als einem Grund: Kinder gelten zu allen Zeiten, in allen ZEITALTERN („ages“ ist doppeldeutig) als Inbild der Unschuld. Das verhindert, dass sie zu Zielen von Gewaltausübung werden, man nimmt sie nicht für voll und hält sie nicht für gefährlich oder sonderlich nützlich.

Die Autorin unterliegt indes einem verbreiteten Irrtum, wenn sie annimmt und darlegt, dass es Kindheit schon immer gegeben habe und immer geben werde. Das Gegenteil ist der Fall. „Kindheit“ gibt es erst seit dem späten 18. Jahrhundert, und die Befreiung der Kinder von Arbeit erst seit dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Kindheit ist nicht selbstverständlich, sondern ist erkämpft. Und Jugend, ja, die wurde erst im 20. Jahrhundert erfunden. Vorher galten Kinder und Jugendliche als zu klein geratene Erwachsene.

17) Joern J. Bambeck: Das Schachspiel (1980)

Die Aliens sind mit ihrem UFO in Europa gelandet und wollen die Bewohner unterjochen. Der Grund: Die Erdlinge seien ihnen an Wissen und Können in jeder Hinsicht unterlegen. Widerstand ist zwecklos, denn der wird mit körperlichen Lähmungen beantwortet. Doch die Verhandlungen mit den Fremden gedeihen bis zu dem Punkt, dass sie ein Schachturnier akzeptieren. Gewinnen die Erdlinge auch nur ein einziges Spiel, würden die Aliens unverzüglich abfliegen.

Ausgemacht sind zehn irdischen Spieler, die gegen den Schiffscomputer antreten müssen. Bobby Fisher & Co. erreichen immerhin drei Remis, aber das ist nicht gut genug. Wenigstens kann Fisher die Regeln präzisieren: Wer einen Fehlzug tut, hat verloren. Das verhilft der elften menschlichen Spielerin, Viviane vom Lande, zu einem Vorteil: Weil sie ihr Schachbrett manipuliert hat, macht der Schiffscomputer einen Fehlzug – und verliert! Unverzüglich verduften die Aliens, und Viviane bleibt die lästige Aufgabe, der jubelnden Menschheit ihren Trick zu erklären…

Mein Eindruck

Eine spannende Geschichte für Schachfreunde, die viel Sachverstand mit gehörigem Lokalkolorit – sie spielt irgendwo in der germanischen Provinz – kombiniert. Sehr schön fand ich den Kniff, den Sieg einer jungen Frau zu überlassen. Die Pointe, die der Chronist miterlebt, bringt allerdings eine unverhoffte Wendung.

18) Grete Wassertheurer: Ich bin eine Frau (1980)

Die Frau geht regelmäßig ins Museum, um dort alte Bücher zu lesen, ein frevlerisches Laster. Mit ihrem männlichen Gefährten, den ihr der Computer ausgesucht hat, kann sie nicht darüber reden. Außerdem bekommt er am nächsten Morgen ein Kind. Hoffentlich wird es eine Tochter, denn Frauen haben das Sagen. Ein Alarm unterbricht ihre Lektüre, denn einer der hundert Männer, die sie beaufsichtigt, hat einen Fehler gemacht. Man darf Männer einfach nicht allein lassen. Später kommt die Geburt…

Mein Eindruck

Verkehrte Welt: Frauen haben das Sagen, Männer kriegen die Kinder. Aber immerhin: Aus den Büchern erfährt die Leserin, dass sich früher Frauen nach Männern gesehnt, bei ihnen Geborgenheit und Stärke gefunden haben – kaum zu glauben. Aber der Gedanke veranlasst die Frau, ihren Gefährten als gleichberechtigt zu betrachten. Das nennt man Fortschritt.

19) Thomas F. Monteleone: Feraxya (Breath’s a Ware That Will Not Keep, 1980)

In der großen Eugenik-Anlage von Chicago kommt der Operator Benjamin Cipriano ins Schwitzen. Er ist für den Bruttank von Feraxya zuständig, die in ihrem unförmigen Leib mit 30 Föten trächtig ist. Feraxya unterhält sich mit ihm per Telepathie. Sie würde gerne mit ihm ausgehen. Aber das ist nicht das problem, denn Ben hat ja schon eine Freundin: Nein, Feraxyas Brut ist irregulär: Sie wird nicht die vorprogrammierten Verwaltungsbeamten gebären, sondern irgendwelche Zufallsprodukte.

Sofort meldet er das problem seinem Vorgesetzten Barstow. Der zieht Techniker und Bioneure hinzu. Sie bestätigen das Problem. Was tun? Nur eines: Abtreibung. Ben zieht es vor, Feraxya nicht darüber zu informieren, was man mit ihr vorhat. Am nächsten Morgen ist sie sauer auf ihn: Ein anderer Mitarbeiter hat ihr verraten, was los ist. Sie weigert sich, abtreiben zu lassen. Ihr Mutterinstinkt verbiete es ihr. Na und? Sie können nichts dagegen tun, meint er. Doch als die Bioneure und Techniker ihr das Narkosemittel geben wollen, stürzen sie einer nach dem anderen mit einer Gehirnblutung zu Boden.

Offenbar hat Feraxya auch telekinetische Kräfte entwickelt – sehr besorgniserregend, findet Barstow. Er bittet Ben, Feraxya zu beruhigen. Was für einen Plan verfolgt er, fragt sich Ben. Er soll es bald herausfinden…

Mein Eindruck

Die sehr anschauliche und bewegende Erzählung greift das – besonders in den USA – umstrittene Thema der Abtreibung auf. Die betroffene Mutter kommt zwar zu Wort, unterliegt aber letzten Endes. Das liegt daran, so suggeriert die weitere Handlung, dass sich die Menschen durch a) die Retortenproduktion von Babys, b) die Vergnügungsindustrie (lies: Pornos) und c) physische Entfremdung durch virtuellen Sex (zwischen Ben und seiner Freundin) von dem entfremdet haben, was Feraxya den „Mutterinstinkt“ nennt. Es ist der simple Instinkt, die eigenen Nachkommen um jeden Preis schützen zu wollen.

Die Geschichte lässt die heutige Leserschaft nicht nur traurig, sondern wohl auch wütend zurück. Das wäre sicherlich ganz im Sinne des Autors gewesen.

20) Rudolf Stolte: Liebe Deinen Nächsten – auch wenn er kleiner ist als Du (1980)

Der Erzähler arbeitet im Ministerium für Soziale Kontrolle, als Soziologe und Psychologe in der Versuchsabteilung. Er berichtet, wie er eine Testreihe bezüglich Kinderfeindlichkeit bzw. Aggression gegenüber Kinder hat abbrechen müssen. Zunächst ist alles gut gegangen, denn sowohl die „Erwachsenen“ Mann Alpha als auch Frau Omega, als auch die zehn „Kinder“ waren Androiden. Und die sind bekanntlich kostspielig in der Herstellung.

Leider stellte sich heraus, dass physische wie auch psychische Gewalt bzw. Aggression schon auf geringem Level die „Sterblichkeitsrate“ erhöhte. Das war dann erst recht der Fall, als auch das Milieu „ungünstig“ gemacht wurde. Schließlich waren die Ausfälle so zahlreich, dass die Versuchsabteilung kein Budget mehr bewilligt bekam. Wenn es echte Kinder gewesen wären. Nicht auszudenken! Und die Erkenntnisse? Na, ändern muss sich der Mensch schon selbst, oder?

Mein Eindruck

Dieser Beitrag ist heute leider aktueller denn je. In Zeiten der häuslichen Quarantäne nehmen Aggression udn gewalt zu, gerade gegenüber den Schwächsten, also Frauen und Kindern. Diese Story ist nicht für Leser mit schwachen Nerven geeignet.

21) Rudolf Stolte: Kanaken (1980)

Man schreibt das letzte Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Unser Chronist ist besorgt. Die sogenannten „Kanaken“ werden von der Partei des Herrn F.K. ausgegrenzt, und dass es ihm ernst ist, zeigt sich, als er seine eigene Partei gründet, die „Partei zum Schutze Deutschlands“ (PZSD). Sie gewinnt binnen kürzester Zeit 100.000 Mitglieder. Der Wahlkampf ist hart, aber als der Pressesprecher der PZSD vor aller Augen von hinten von einem Jugoslawen erstochen wird (Dolchstoßlegende!), ist der Sieg der F.K. nicht mehr aufzuhalten.

Binnen vier Wochen wird F.K. Bundeskanzler, Bundespräsident und erlässt Notstandsgesetze, die die „Kanaken“ zuerst auf die Barrikaden und dann, als Militär und Polizei sie zusammenschießen, in den Widerstand treiben. Unser Chronist schließt sich ihnen an. Doch nachdem der Anführer seiner Widerstandszelle beim Grenzübertritt in die Schweiz erschossen worden, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie auch ihn erwischen.

Doch inzwischen hat er es geschafft, das Ausland von den Vorgängen in Deutschland zu unterrichten, woraufhin eine Allianz geformt worden, die nun in Deutschland einmarschiert. Rechtzeitig? Die letzte Klopapierrolle, auf die der Chronist geschrieben hat, bricht unvermittelt ab…

Mein Eindruck

Der unaufhaltsame Aufstieg des Herrn F.K. hat nicht zufällig große Ähnlichkeit mit dem eines österreichischen Gefreiten zum Reichskanzler der Deutschen. Die Mechanismen der Propaganda sind erprobt, von 1914 bis 1945. Die „Machtergreifung“ geht ganz legal vonstatten, aber danach passiert das Gleiche: die Verfolgung der Unangepassten, Unzuverlässigen – und die „Kanaken“ kommen natürlich in Spezialwohnsiedlungen“, d.h. in KZs.

22) Manfred Fischer: Wir sind wieder wer (Gedicht, 1980)

Ja, wir sind wieder wer, „von der Maas bis an die Memel“. Die Politiker verteilen Beruhigungspillen, während sie Abweichler, Renitente und Unzuverlässige erfassen und Katastrophenpläne ausarbeiten lassen. Bald werde es den ersten GAU-Leiter geben, heißt es.

Mein Eindruck

Man beachte die Schreibweise: GAU steht für den „größten anzunehmenden Unfall“. Aber GAUs lassen sich instrumentalisieren, etwa zur Jagd auf „Kanaken“. Und dann wird wieder nach Gauleitern gerufen. Genau wie in braunen Zeiten.

23) Thomas Parczik: Schwarzes Universum (1980)

Nach dem Atomkrieg ist die Zivilisation weltweit zusammengebrochen und die Überlebenden sind alle unter die Erdoberfläche gegangen, um sich vor der radioaktiven Strahlung zu schützen. Leider haben sie dabei nicht nur ihre geistig-kulturellen Errungenschaften aufgegeben, sondern auch ihre Sehfähigkeit. Der junge Jäger Linarr sitzt deshalb an einem der Eingänge zum Bau seines Stamms und orientiert sich nur nach Gehör, als die Beute naht…

Mein Eindruck

Trübe Aussichten also für die Überlebenden des atomaren Holocausts. Linarr weiß zwar durch den Ältesten von der Zeit der Altvorderen, aber die Vergangenheit ist tot. Alles, was ihn jetzt interessiert, ist die Gegenwart der Jagd. Er weiß also nicht einmal, was er und sein Volk verloren haben: die Fähigkeit zu sehen.

24) Irmtraud Kremp: Die Stunde des Horus (1980)

Eine achtzigjährige Wahrsagerin mit Zigeunergenen erzählt, wie sie zu ihrer Kunst gekommen ist und wann sie zum ersten Mal das Zeichen des Horus in der Hand eines Soldaten gesehen hat. Das war zur Zeit des Ersten Weltkriegs. Das Zeichen, das wie ein Krallenabdruck die Lebenslinie durchkreuzt, signalisiert laut ihrer Großmutter den gewaltsamen Tod des Trägers. Ob in wenigen Monaten oder Jahren, spätestens aber in 15 Jahren werde der Schnitter den Träger holen.

Inzwischen ist die Wahrsagerin aus Europa nach New York City gezogen und hat dort eine gutgehende Praxis eröffnet. Auch während des 2. Weltkriegs hat sie das Zeichen gesehen. Mit wachsender Besorgnis jedoch bemerkt sie es inzwischen bei allen Besuchern, die zu ihr kommen. Welches Ereignis kündigt es an?

Mein Eindruck

Dies ist neben Cherryhs preisgekrönter Story „Cassandra“ die zweite SF-Geschichte über Seherinnen, die vor Krieg warnen. Der Anlass war seinerzeit wohl die drohende Wahl von Ronald Reagan zum US-Präsidenten, mit dem die massive Aufrüstung der NATO einherging sowie eine Welle der Friedensbewegung in Europa und USA.- Irmtraud Kremp ist eine der besten Erzählerinnen der achtziger Jahre im Genre. Ihre Kurzgeschichten entwerfen stets einfühlsam Lebensbilder von Frauen und bringen deren Anliegen auf den Punkt.

Die Übersetzungen

Die Qualität der Übersetzungen ist recht unterschiedlich. Glücklicherweise betrifft dies nur die vier US-amerikanischen Beiträge. Leider gibt es in fast allen Beiträgen Druckfehler.

S. 18: „Es war praktisch in der Lage…“ Da die Rede von einem Roboter ist, wäre „Er“ angebracht.

S. 43: „…wurde ich mich einmal [dafür] interessiere, ob…“ Das Wörtchen „dafür“ fehlt. Besser wäre es, das Wörtchen „ich“ wegzulassen.

S. 100: „verhältnismaßig“ statt „verhältnismäßig“.

S. 117: „Dulxey“ statt „Dulcey“.

S. 123: „ober“ statt „oder“.

S. 153: „Seine Umwelt deuchte ihm wie eine leere Bühne im Theater“. Das veraltete Wort „deuchte“ wird hier mit Absicht gebraucht (s.o.), um einen poetisch-romantischen Ton anzudeuten.

S. 194: „Wie wissen, was wir brauchen…“ Statt „wie“ muss es korrekt „wir“ heißen.

S. 202: „Ähnlich[k]eit“. Das K fehlt.

S. 222: „Hormone, die einem die verrücktesten Dinge tun lassen.“ Falscher Kasus. Statt Dativ „einem“ müsste hier Akkusativ „einen“ stehen, denn „einen“ ist das direkte Objekt von „tun lassen“.

S. 231: „Die einzelnen sollten unmittelbar dem Krisenstab mitgeteilt werde[n]…“ Da N fehlt.

S. 269: „Hoffen wir[d], dass es …“ Das D ist überflüssig.

S. 271: „Umfragen, vermutlich nicht einmal manipulierte oder beschönigte“: Stilfehler. Gemeint sind offenbar „geschönte“ Umfragen. Wenn beschönigt wird, muss auch gesagt werden, von wem.

Unterm Strich

So „international“, wie der Klappentext tönt, ist diese Sammlung gar nicht: Obwohl bei keinem Autor die Nationalität angegeben (diese Info wurde erst in späteren Bänden geliefert), ist doch deutlich, dass es allenfalls vier bis fünf Nationalitäten gibt: die USA, Großbritannien (mit Vorbehalt), Deutschland (Ost und West!) und Österreich – denn von dort stammt Peter Schattschneider. Lutz Rathenow stammt aus der DDR.

Die Novelle „Der Henker ist heimgekehrt“ von Roger Zelazny rechtfertigt alleine schon den Erwerb dieses Bandes, denn mit 84 Seiten bestreitet sie den Löwenanteil am Umfang des Buches. Und sie ist eine frühe Version des TERMINATOR-Motivs, das wenige Jahre später von James Cameron so effektvoll in einen Spielfilm umgesetzt wurde.

Weitere herausragende Erzählungen aus dem angelsächsischen Raum stammen von Plauger, Carrignton und Monteleone. Letzterer nimmt sich des heißen Eisens Abtreibung und Retortenbabys an. Der SF-kenner fühlt sich sofort in Aldous Huxleys Welt aus „Brave New World“ zurückversetzt. Allerdings ist hier die Leihmutter Feraxya sehr aufmüpfig. Wichtig ist auch die andersartige Form des sexuellen Erlebens, das der Autor skizziert, denn es führt zu jener Entfremdung zwischen den Geschlechtern, die Retortenmütter erst möglich macht. Plaugers Story eines unsterblichen Mädchens hat mich ebenfalls sehr berührt. Und Carringtons Beitrag ist pure Romanze, mit einem Augenzwinkern.

Die zahlreichen Stories und Gedichte kommen von deutschen AutorInnen, unter denen meiner Meinung nach Irmtraud Kemp, Jörn J. Bambeck, Reinmar Cunis, Gerd Maxímovic, Peter Schattschneider und Lutz Rathenow herausragen. Rudolf Stolte hat mit seiner Kritik des Kindesmissbrauchs und der häuslichen Aggression einen wichtigen Beitrag zur Bewusstmachung dieses permanenten Problems geliefert: Er ist in Zeiten der häuslichen Quarantäne leider aktueller denn je. Und Stoltes Text über den Aufstieg eines Faschisten mit demokratischen Mitteln erinnert an die Vorgänge bei der Thüringer Landtagswahl ebenso wie an die in Ungarn, wo sich gerade das Parlament selbst entmachtet hat.

Peter Schattschneider trug wie stets kompetent erzählte Texte bei, und von R. Cunis las man später in der Heyne SF-Reihe noch sehr viel mehr. Leider gibt es auch Beiträge, die anmuten, als stammten sie aus den frühen fünfziger und sechziger Jahren. Sie wirken hoffnungslos veraltet und vertreten teilweise auch überholte Theorien, etwa hinsichtlich Einsteins Relativitätstheorie. Diese Beiträge hätte ich allesamt gestrichen.

Kurzum: Schon wegen der Zelazny-Novelle lohnt sich der Erwerb, aber auch die anderen angelsächsischen Beiträge haben mir gut gefallen. Der Unterschied zu den deutschsprachigen Beiträgen ist augenfällig: Wo die Angelsachsen richtig gut in Szenen erzählen, rackern sich die meisten AutorInnen ab, Beschreibungen des Geschehens zu liefern, gerne auch mal in einer Chronik (Stoltes „Kanaken“). Mit sind die szenischen Geschichten sehr viel lieber: Sie wissen zu unterhalten, ohne den Informationsgehalt zu vernachlässigen. Zelaznys Novelle ist ganz vorne dran an der technologischen Entwicklung: Roboter + KI = Frankensteins Ungeheuer Version 2.0?!

Taschenbuch: 286 Seiten
Aus dem Englischen von diversen Übersetzern, illustriert von Janos Fischer.
ISBN-13: 9783453306400

www.heyne.de

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