Wallace Stroby – Zum Greifen nah (Sara Cross 01)

Konventioneller Frauenkrimi

„Wieder eine starke Frau, wieder ein starker Thriller von Wallace Stroby! Als die junge Polizistin Sara Cross mitten in der Nacht zu einem abgelegenen Highway gerufen wird, erfährt sie, dass ihr Kollege und Ex-Freund Billy einen Mann erschossen hat. Er behauptet, der Mann habe während einer Verkehrskontrolle plötzlich eine Waffe gezogen. Sara will ihm glauben, dass es Notwehr war, doch es bleiben Zweifel.“ (Verlagsinfo)

Der Autor
Wallace Stroby wurde 1960 geboren und wuchs südlich von New York in Ocean Grove auf. Er studierte Journalismus und Medienwissenschaften. Bei einer Zeitung arbeitet er als Polizeireporter. Stroby wurde mehrfach für seine Buch- und Filmkritiken ausgezeichnet. Seit 2003 veröffentlichte Stroby zahlreiche Romane, darunter 4 Crissa-Stone-Krimis, die auf Deutsch bei Pendragon erschienen sind.

Alle Romane

The Barbed-Wire Kiss (2003) ISBN 0-312-99547-4
The Heartbreak Lounge (2005) ISBN 0-312-93912-4
Gone ‚Til November (2010) ISBN 978-0-312-67319-2

Cold Shot to the Heart (2011) ISBN 978-0-312-56025-6
Kings of Midnight (2012) ISBN 978-1-250-00037-8
Shoot the Woman First (2013) ISBN 978-1-250-000385
The Devil’s Share (2015) ISBN 978-1-250-065759

Some Die Nameless (2018) ISBN 978-0316440202
Heaven’s a Lie (2021)

Crissa Stone Reihe

1) Kalter Schuss ins Herz (Cold Shot to the Heart, 2015)
2) Geld ist nicht genug (Kings of Midnight, 2017)
3) Fast ein guter Plan (Shoot the Woman First, 2018)
4) Der Teufel will mehr (The Devil’s Share, 2019)

Handlung

Sara Cross arbeitet als Deputy Sheriff in der kleinen Stadt Hopedale in Florida. Eines Nachts wird sie von der Disponentin zum Einsatz an einem Sumpf gerufen. Ihr Kollege und Ex Billy Flynn hat einen farbigen Mann erschossen, welcher nun am Rande des Sumpfes liegt. Im Kofferraum des Wagens des Toten finden sie ein beachtliches Arsenal von Waffen, darunter eine MAC-10 Maschinenpistole, ein Vorrat, den sie sich nicht erklären können. Der Typ hat jedenfalls auf Billy gezielt, also war es Notwehr. Sagt Billy.

Nachdem beide ihren Bericht bei Sheriff Hammond über den toten Mr. Willis erstattet haben und der Staatsanwalt Boone Billy durch die Mangel gedreht hat, treffen sie einander in einer Bar, um alles zu besprechen. Bislang gibt es keine Probleme, aber das könnte sich ändern. Sara kann beruhigt zu ihrem kranken Sohn Danny und dessen Betreuerin JoBeth zurückkehren.

Morgan

In Newark, New Jersey, erhält der Berufskiller Morgan von einem Drogendealer den Auftrag, mal in dieser schiefgelaufenen Sache in Florida zu ermitteln. Anscheinend ist ein Geschäft, das er einfädeln wollte, irgendwie schiefgelaufen. Morgan hat gerade einen Auftrag erledigt und zwei Drogendealer umgenietet und ist jetzt gut bei Kohle. Deshalb interessiert ihn diese nebulöse Geschichte herzlich wenig, aber er will es sich nicht mit einem großzügigen Auftraggeber verderben. Er hat gerade erfahren, dass er Darmkrebs im Frühstadium habe und sein Knie tut höllisch weh. Er ist ein Wrack und hat andere Sorgen.

Als sein Arzt ihm rät, schnellmöglich eine Operation vornehmen zu lassen, gerät er in einen Konflikt. Sein Auftraggeber weiß inzwischen nämlich, was da in Florida gelaufen ist. Er hat Derek Willis als geldkurier zu den dortigen Haitianern geschickt, doch Willis wurde irgendwie in Hopedale aufgehalten und erschossen. Das hat Willis‘ Frau Simone beim Sheriffbüro herausgefunden. Der Knackpunkt ist jedoch, dass die 350.000 Dollar, mit denen er bei den Haitianern einsteigen wollte, verschwunden sind. Jemand hat sie sich gekrallt, und diesen Jemand möchte der Drogenboss auf jeden Fall unter der Erde sehen. Morgan bekommt dafür ein Drittel des Kuriergeldes plus Spesen – und Schmerztabletten bis zum Abwinken. Morgan ist nicht abgeneigt. Diese Summe würde es ihm erlauben, die Krebsbehandlung zu bezahlen, denn er hat keine Krankenversicherung. Außerdem wird Morgan von den Freunden der beiden Getöteten gejagt.

Sara

Erste Zweifel an der Geschichte, die Billy Flynn über den Tod von Derek Willis berichtet hat, tauchen auf, als Simone James, Willis‘ Frau, anfängt, Fragen zu stellen. Sheriff Hammond sieht sich gezwungen, die Theorie der Notwehr, in der Billy schoss, zu bezweifeln. Sara wird nochmals befragt und bekräftigt ihre Aussage: Alles, was sie über die Art, wie Willis zu Tode kam, stammt von Billy. Dessen neue Lebensgefährtin LeAnne hat Billy in den Klauen und verwöhnt Billy mit dem, was Billy am liebsten mag: Sex.

Was Sara zu denken gibt, ist die Anwesenheit von Deputy Sheriff Sam Elwood in der Bar Tiger’s Tail, wo sich Billy mit Lee Anne einen schönen Abend macht. Sie fragt Sheriff Hammond, warum er Billy überwachen lässt. Es gibt ein paar aufschlussreiche Informationen über Lee Anne. Sie hat ein paar Vorstrafen, darunter Drogenbesitz. Zufällig geriet sie auch in eine Verkehrskontrolle bei den Haitianern von Belle Glade, und die sind bekanntlich Drogendealer. Also, was hat eine nette Frau wie Lee Anne mit den bösen Jungs zu tun, fragt der Sheriff. Sara hat eine üble Vorahnung, denn am Morgen hat sie mit Simone James gesprochen, um ihr Beileid auszudrücken, doch statt dies anzunehmen, hat Simone ihr gedroht, dass diese Sache noch nicht ausgestanden sei.

Morgan

Nach drei Tagen Autofahrt ist der 57-jährige, krebskranke Morgan fix und fertig. Nachdem ihm Simone James die Polizeiunterlagen und die Adressen von Sara Cross und Billy Flynn übergeben hat, macht er sich an die Arbeit, die beiden zu beschatten. Als er auch Lee Anne folgt, stößt er auf einen Vertreter der Haitianer, der sie vögelt und mit Marihuana versorgt. Ist sie die Verbindung zu Derek Willis, dem Geldkurier? Dann hat sie die Ankunft des Geldes an Billy verraten und der hat Derk erledigt, um sich das Geld zu schnappen. Aber wo sind die 350.000 Dollar jetzt?

Als sich der Haitianer Delva, Lee Annes Informant und Lover, nicht am Handy meldet, werden seine Kollegen stutzig und stürmen sein Haus. Morgan kommt mit knapper Not davon. Weil sich ärger schnell herumspricht, schickt ihm sein Auftraggeber in Newark die beiden Zwillinge DeWayne und Dante „zur Verstärkung“. Da diese beiden unterbelichteten nicht nur seine Anwesenheit verraten, sondern ihn auch um seinen Anteil bringen könnten, ist Morgan alles andere als erfreut. Eins ist klar: Sie müssen sich diesen Billy Flynn vorknöpfen, um an das Geld zu kommen. Allerdings scheint Billy Vorkehrungen zu treffen, um abzuhauen.

Sara

Die Tatwaffe von Derek Willis ist weg. Sara kann es kaum glauben, als sie in der Asservatenkammer ihrer Polizeiwache in einem Karton von 1988 danach suchen lässt. Das heißt, Billy hat die alte Waffe genommen und sie Willis am Tatort in die Hand gedrückt. Sara sagt aber keinen Ton, sondern tut so, als wäre alles in Ordnung. Denn inzwischen haben ihr diverse Kollegen einen Maulkorb verpasst. Wenn sie nicht ihren Job riskieren will, hält sie sich von diesem Fall fern, zumal sie ja als Exfreundin von Billy alles andere als neutral ist. Dennoch setzt sie sich auf seine Spur. Sie bringt ihren Sohn Danny in die Obhut der Babysitterin und will Billy und Lee Anne zur Rede stellen. Leider kommt sie ein paar Minuten zu spät. Es sieht so aus, als hätten die Haitianer bereits zugeschlagen…

Mein Eindruck
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Diesen Krimi schrieb der Autor vor seiner erfolgreichen Crissa-Stone-Reihe, und das merkt man dem Stil und dem Aufbau der Handlung deutlich an. Fast alles hier ist konventionell und weit weg von Chandlers Hardboiled-Noir-Stil. Statt eines einsamen Privatdetektivs ermittelt hier eine alleinstehende Mutter, die sich in erster Linie um ihren kranken Sohn sorgt. Letzten Endes ist es jedoch genau dieses Detail, das Sara Cross von den Verbrechern unterscheidet und schließlich überleben lässt.

Zu diesen Verbrechern gehört nämlich ihr ehemaliger Freund Billy Flynn, mit dem sie sich den Showdown liefert. Billy ist der Gier nach Erfolg und Geld erlegen und auf die „dunkle Seite“ jenseits des Gesetzes gewechselt. Er kann sie noch ein letztes Mal herumkriegen und Sex mit ihr haben, doch auch der kommt ihr schnell falsch vor, denn Billy denkt in erster Linie an seine eigene Befriedigung. Diese Lustbezogenheit bestimmt auch sein Verhältnis zu Lee Anne, die wie eine Prostituierte auftritt.

Im Showdown erregt Billy Saras Mitleid, denn er will Sara zurückhaben und mit ihr eine Zukunft aufbauen. Aber um rascher zu Erfolg zu gelangen, hat er Geld gestohlen und wird nun von mehreren Seiten aufs Korn genommen: Die Haitianer wollen den stattlichen Batzen Geld ebenso wie Morgan und die beiden Zwillinge aus Newark. Es kommt zu einem geschickt eingefädelten Mehrfach-Finale.

Morgan, der Killer, ist ein ungewöhnlicher Krimineller. Ähnlich wie der Ex-Cop in „Fast ein guter Plan“ ist er am Ende seiner Laufbahn bzw. seines Lebens und will sich nur noch abseilen. Doch der Absprung erfordert eine finanzielle Startrampe, und dafür käme das Geld der Haitianer wie gerufen. Seine Haltung nötigt dem Leser einen gewissen Respekt ab. Er macht zwar schmutzige Arbeit, indem er fremde Leute umlegt, aber er tut bis zuletzt seine Pflicht, indem er das verlangte Geld beschafft und dabei den Dieb – Billy – umlegt. Dass dabei die dämlichen Zwillinge ins Gras beißen müssen, ist quasi eine nebensächliche Notwendigkeit: Sie würden ihm seinen Anteil streitig machen.

Natürlich ist auch ein Duell zwischen Sara, der aufrechten Kämpferin für das Gesetz, und Morgan, dem gesetzlosen Killer, obligatorisch, aber eine hochspannende Angelegenheit. Wie dieses Duell ausgeht, darf hier nicht verraten werden. Ob Morgan sein Ende verdient hat oder nicht, muss jeder Leser selbst beurteilen.

Die Übersetzung
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S. 8: “Sulfur im Sumpf”: Schwefel. Durchgehend wird „Sulfur“ verwendet, ebenso wie „Chrome“ anstelle von „Chrom“.

S. 43: “in deinem Resümee“: gemeint ist aber kein Fazit, sondern ein Lebenslauf. Eine Eins-zu-eins-Übersetzung aus dem Englischen.

S. 51: “Hat Dr. Rosman sie [die Resultate] sie mit Ihnen durchgebrochen?“ Korrekt müsste es „durchgesprochen“ heißen, damit der Satz einen Sinn ergibt.

S. 76: “eine Bestellung beim lokalen Chinamann“. Nicht ironisch gemeint. Üblich ist der Ausdruck „Chinese“.

S. 87: “Oder aber hierbelieben“ statt „hierbleiben“.

S. 104: „Racketeering-Prozess“: Rackeetering lässt sich leicht als „betrügerische Machenschaften“ übersetzen.

S. 160: „sie spürte die kühle Luft auf ihrer feuchten Scham“: auf ihrer Vulva. „Scham“ ist ein antifeministischer Ausdruck aus dem 19. Jahrhundert.

S. 171: “Er pellte ihn [den Pullover] von seiner stickigen Haut.“ „Stickig“ ist hier eine Eins-zu-eins-Übersetzung von engl. „sticky“: klebrig, verschwitzt.

S. 174: “dass Sie sich die Leute vorknüpfen würden“. Nein, man KNÖPFT sich die Leute vor.

S. 223/4: “sein Brustkörper”: kein Fachbegriff. Gemeint ist vermutlich der Brustkorb, Oberkörper oder Torso.

S. 261: “erst heu[t]e Morgen“: Das H fehlt.

S. 298: „Es muss so einiges durchgemacht haben.“ Die Rede ist aber von Morgan, einem Mann. Korrekt muss es also „Er muss so einiges durchgemacht haben“ heißen.

Unterm Strich
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Ich habe den Krimi in wenigen Tagen gelesen, denn mit Sara Cross tritt eine anno 2010 noch relativ ungewöhnliche Polizistin auf. Sie ist ziemlich in allen Aspekten das Gegenteil von Crissa Stone, die aus dem Hardboiled-Subgenre kommt: Sara will die 350.000 Dollar nicht für sich, sondern für die Staatskasse. Sie ist eine treu sorgende Mutter, die es mit einem kranken Sohn – Danny hat Leukämie – keineswegs leicht hat und sich obendrein auch mit zudringlichen Kollegen auseinandersetzen muss.

Diese männlichen Kollegen sind bis auf einen alle auffallend korrekt und respektvoll, was heutzutage alles andere als glaubwürdig wirkt. Der lustbetonte, egoistische Billy will das Geld für sich und Lee Anne. Man braucht nicht Einstein heißen, um vorhersagen zu können, dass Lee Anne ihn bei der ersten Gelegenheit abzocken wird, um ihr eigenes Ding zu machen.

Damals war der Autor offensichtlich noch kein Zyniker, sondern er legt so manches Merkmal eines gläubigen Christen an den Tag. Selbstaufopferung, Sorge um andere, die Welt als Tal des Leidens – in dieser Welt lebt Sara, und ihr Nachname „Cross“ passt genau zu ihrem Verhalten. Aber sie ist nicht auf den Kopf gefallen und lässt auch ihre grauen Zellen spielen, um die Spur zu Billy, Morgan usw. aufzunehmen. Bei ihr kommt der Verdacht auf, dass auch Sheriff Hammond, Deputy Sam Elwood und sogar der Staatsanwalt Boone ein falsches Spiel spielen. Nur zu leicht könnten sie Saras Karriere beenden. Aber auch sie erweisen sich als gute Christen und aufrechte Männer – was mir in der Post-Trump-Ära ebenfalls unwahrscheinlich vorkommt.

Wenn der Leser bereit ist, seinen Unglauben bezüglich der Moral alter weißer Männer zurückzustellen und Sara Cross als eine Art Jesusfigur zu akzeptieren, dann kann der Leser diesen altmodischen Kriminalroman durchaus genießen. Der Autor fädelt die verschiedenen Handlungsstränge fein säuberlich ein, so dass es zu mehreren Showdowns kommen kann. Alle bekommen was sie mehr oder weniger verdient haben. Und das alles ohne GPS und Smartphones.

Fazit: Für die vielen Fehler gibt es Punktabzug. Bleiben noch vier von 5 Sternen.

Taschenbuch: 355 Seiten
O-Titel: Gone ‚til November, 2009
Aus dem Englischen von Bernd Gockel.
ISBN-13: 9783865326744

www.pendragon.de

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