Gülzow, Susa / Klingler, Walter / Fodor, Ladislas / Stemmle, R. A. / von Harbou, Thea / Jacques, N. – Testament des Dr. Mabuse, Das

_Die Welt als Irrenhaus, regiert vom Bösen_

Dreiste Verbrechen, wie sie nur Dr. Mabuse planen kann, halten Berlin in Atem – doch der sitzt streng bewacht in einer Nervenheilanstalt. Kommissar Lohmann und sein Assistent Krüger kommen einer Bande auf die Schliche, die von einem geheimnisvollen Mann gesteuert wird. Aber wer ist dieser Anführer? Irrenarzt Prof. Pohland schwört, dass es nicht Mabuse sein kann …

_Die Autorin_

Susa Gülzow arbeitet seit 1988 als Autorin, Regisseurin und Sprecherin. Aus ihrer Feder stammen beispielsweise die Hörspielfassungen von „Lucky Luke“, diversen Heinz-Erhardt-Filmen und „Dr. Mabuse“ sowie zahlreiche Synchronbearbeitungen.

Die Dr.-Mabuse-Reihe nach dem Krieg:

1) [Die 1000 Augen des Dr. Mabuse 945 (1957)
2) [Im Stahlnetz des Dr. Mabuse 1717
3) [Die unsichtbaren Krallen des Dr. Mabuse 1738
4) Das Testament des Dr. Mabuse (1962)
5) Scotland Yard jagt Dr. Mabuse (1963)
6) [Die Todesstrahlen des Dr. Mabuse 6040 (1964)

_Die Inszenierung_

Die Regie führte 1962 Walter Klingler, die Musik lieferte Raimund Rosenberger, das Drehbuch stammt von Ladislas Fodor und R. A. Stemmle nach einem Original-Drehbuch von Thea von Harbou und der Figur von Norbert Jacques.

|Die Rollen und ihre Sprecher:|

Kommissar Lohmann: Gert Fröbe
Kriminalassistent Krüger: Harald Juhnke
Nelly: Senta Berger
Johnny Briggs: Helmut Schmid
Mortimer: Charles Regnier
Walter Rilla als Prof. Pohland
Sowie Wolfgang Preiss als Dr. Mabuse
u. v. a.
Erzähler: Wolf Frass

_Handlung_

Dr. Mabuse, das Genie des Bösen, sitzt sicher hinter den Gittern der Irrenanstalt von Dr. Pohland, schreibt und zeichnet. Eigentlich müsste er also ungefährlich sein. Doch das Gegenteil ist der Fall. Aber wie?

Als der Ganove Mortimer eine Gruft auf dem Friedhof betritt, bringt er einen neuen Rekruten der Bande mit. Der Neue staunt nicht schlecht, als sich an einer Wand des Raumes der Chef als Schatten an der Wand zeigt und eine unheimliche Stimme erklingt. Der Chef befiehlt den Überfalls auf einen Goldtransport – mit Hilfe einer Fallgrube. Wie kommt er nur auf solche genialen Einfälle, wundert sich der Neue, Eddie.

Der Überfall klappt wie geplant, und Kommissar Lohmann (Fröbe) und sein Assi Kürger (Juhnke) ärgern sich grün und blau. Der Wert des geraubten Goldes beträgt etwa 1,5 Millionen D-Mark. Kein schlechter Stundenlohn für eine Nacht Arbeit. Am Tatort findet Lohmann eine ungewöhnliche Sorte von Zigarette: eine Spezialanfertigung. Bankdirektor Heinrich verlangt die baldige Ergreifung der Täter.

Als der Chef seiner Bande den nächsten Überfall aufträgt, wagt es Eddie, die Tür zum Aufenthaltsraum des Chefs zu öffnen – er stirbt durch eine Kugel. Johnny Briggs, der Ex-Boxer (Schmid) soll ihn ersetzen, damit alles beim Unternehmen „Diamantenbörse“ klappt. Diesmal tritt die Bande als Fensterputzer auf, bevor sie die Bank betritt und den Tresor ausräumt. In null Komma nichts sind die Herrschaften wieder verduftet, und als Lohmann eintrifft, ist der Spuk vorüber. Auch diesmal entdeckt er die bewusste Zigarettenkippe – eine Art Signatur für eine bestimmte Person …

Lohmann will Dr. Mabuse sehen, und Dr. Pohland lässt ihn bis zu dessen Zelle vor. Mabuse schreibt und zeichnet, ganz harmlos, oder? Aber warum schreibt Mabuse dann in Spiegelschrift? Pohland nimmt alle Notizen mit. Angeredet von Lohmann, antwortet Mabuse nicht, sondern schreibt weiter. Lohmann sagt es Pohland nicht, aber er ist überzeugt, dass Mabuse der Kopf der Verbrecherbande ist, die die Bank ausgeräumt hat.

Johnn Briggs wird zum nächsten Coup abgeholt. Es geht um den Überfall auf den Zugwaggon einer Gelddruckerei. Doch diesmal hat sich ein Polizeispitzel in die Bande gemogelt und verpfeift das Vorhaben. Dumm nur, dass Krüger ihm kein Wort glaubt. So gelingt der Überfall, und fortan druckt die Bande in höchster Eile jede Menge Falschgeld. Als Lohmann wieder zu Mabuse vordringt, rastet ein anderer Patient der Anstalt aus: Mabuse habe ihn durch Gedankenübertragung bedroht. Plötzlich sieht sich Lohmann von einem Irren gewürgt …

_Mein Eindruck_

Die Wirkung des Film-Hörspiels lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Verunsicherung. Die Subversivität dieses Skripts ist allumfassend – Hut ab! Mabuse hat den netten Dr. Pohland zu seiner Marionette gemacht. Als Schattenmann gibt dieser dem Edelgangster Mortimer seine bzw. Mabuses Befehle, die zu drei großen Coups im Verlauf der Handlung führen. Mortimer hat beste Kontakte im Establishment, so etwa einen Anwalt. Er hat auch keine Mühe, die Stadtbank auszuspionieren. Ist es dumm oder dreist, dass er an jedem Tatort seine Unterschrift in Gestalt einer spezialgefertigten Dunhill-Zigarre hinterlässt? Genauso gut könnte er sagen: „Fangt mich doch, wenn ihr könnt!“

Das lässt sich Kommissar Lohmann nicht zweimal sagen. Doch obwohl Bankdirektoren ihn auf Knien um Schutz vor Mabuse bittet und er Mabuse auf die Finger schaut, kann er ihm nichts nachweisen. Denn das Verbrechen erfolgt ja durch den ehrenwerten Dr. Pohland! Dieser doziert als Gipfel der Ironie vor Studenten über das vorzügliche und bemerkenswerte Gehirn Dr. Mabuses. So wird das Böse zum Gegenstand der Bewunderung. Wenn das nicht subversiv ist.

Aber auch Lohmann ist nicht gegen Attacken gefeit. Im Irrenhaus, dieser Metapher für die neue Gesellschaft der Verbrecher, fällt er Pohland in die Hände, der ihn ebenfalls umpolen will. Nur das beherzte Eingreifen seines Assis und zweier Mitpatienten bewahrt Lohmann vor einem üblen Schicksal als Pohland-Mabuses Marionette. Selten wurde die Korrumpierbarkeit der Gesetzeshüter derartig offen angedeutet. In den USA hätte die Zensurbehörde MPAA den Film sofort aus dem Verkehr gezogen.

Dass auch Menschlichkeit und Liebe gegen ein Genie des Bösen keine Chance haben, belegt das Schicksal von Johnny Briggs (Helmut Schmid) und seiner Freundin Nele (Senta Berger). Der ehemalige Boxer Briggs bringt es nicht übers Herz, einen Bahn-Mitarbeiter zu erschießen, und wird deshalb von Mortimer zu Mabuse, dem Schattenmann, gebracht. Solche Insubordination wird lediglich als Verrat aufgefasst und mit dem Tode bestraft. Doch statt ein paar Kugeln ins Hirn ist die Strafe ganz nach dem Geschmack eines Hypnotiseurs: Briggs soll im Spiegelkabinett verrückt werden! Das klappt sogar, und so landen Johnny und Nele ebenfalls in der Irrenanstalt Pohlands.

Doch die Lage ist nicht hoffnungslos. Die Spannung wird durch die verschiedenen Spitzel, Verräter und Aufklärungsaktionen hoch gehalten, so dass Mabuse keineswegs freie Hand hat und für Lohmann Hoffnung besteht, Mabuse das Handwerk zu legen. Nur besteht eben die zentrale Ironie darin, dass Mabuse wie ein harmloser alter Mann aussieht, während der eigentliche Täter den weißen Kittel eines Irrenarztes trägt.

Am Schluss flüchtet Pohland nach Mabuses Tod und nimmt dessen Testament mit. In der nächsten Folge „Scotland Yard jagt Dr. Mabuse“ spielt es wieder eine Rolle. Es erweist sich aber als brisant genug, dass es jemand in seinem Tresor in die Luft jagt. Die Gefahr, die vom Bösen ausgeht, besteht also fort.

_Die Inszenierung_

Nach einer Fanfare in einem schrecklich miesen Sound, die zum Glück nur 30 Sekunden dauert, geht der Hör-Film sofort los. Es gibt keine Einleitung, lediglich eindringliche Musik, wie man sie aus den 1959 gestarteten Edgar-Wallace-Verfilmungen kennt. Die Musik dirigiert die Emotionen, die den Zuhörer (so wie einst den Zuschauer) erfüllen sollen: Beklemmung, Furcht, Entsetzen, aber auch romantische Gefühle, nach dem Finale schließlich Triumph und Erleichterung.

Schon nach wenigen Minuten gibt es die erste Leiche. Einige weitere werden folgen. Die Geräuschkulisse entspricht dem Niveau eines Edgar-Wallace-Krimis. Was mich jedoch völlig enttäuscht hat, ist die mickrige Qualität der Schüsse. Hier wurden offensichtlich nur Platzpatronen benutzt, deren Geräuschentwicklung doch sehr begrenzt ist. Aber es klingt einfach nach den Spielzeugpistolen, die wir Jungs beim Räuber-und-Gendarm- oder Cowboy-und-Indianer-Spielen benutzten (ich war immer der Indianer, logo!). Auch die Explosionen klingen eher nach einem zusammenkrachenden Haus als einer hochgehenden Ladung Sprengstoff.

Die Sprecher entsprechen den damaligen Schauspielern, ist ja klar. Herausragend fand ich Gert Fröbe als Kommissar Lohmann, Charles Regnier als Mabuses Handlanger Mortimer und das Paar Senta Berger und Helmut Schmid (der später eine denkwürdige Rolle neben einer doppelten Lilo Pulver spielen sollte). Schade, dass Harald Juhnke nicht zur Geltung kommt. Er darf mal wieder wie Harry bloß den Wagen holen und dumme Fragen stellen, um Fröbe die Gelegenheit zu geben, seine Weisheit herauszustellen.

Immerhin ist die Geräuschkulisse ziemlich realistisch, besonders in den Interieurs, aber auch auf der Straße. Schade, dass für den Effekt des Telepathiegeräts kein besonderer Sound gefunden wurde. Da der Mono-Sound keineswegs DD-5.1-Standard entspricht, knarren auch die Stimmen der Darsteller recht kernig und obertonlastig daher. Diese Qualität ist jedoch offenbar die des Originals, denn das Hörspiel wurde durchgehend, wie die DDD-Signatur auf der Hülle verrät, mit digitalen Mitteln hergestellt. Um mehr aus dem Original herauszukitzeln, wäre wohl ein teures Remastering nötig. Und das können sich meines Wissens nur die großen Studios leisten.

|Das Booklet|

Das Booklet umfasst zwölf Seiten, die sich sehen lassen können. Neben einem historischen Filmplakat sind hier nicht nur die Macher des Film detailliert vorgestellt, sondern auch die Verantwortlichen des Hörbuchs. Natürlich fehlt auch Produzent Sven Michael Schreivogel nicht. Er dankt mehreren Quellen, ohne deren Unterstützung das Produkt wesentlich magerer ausgefallen wäre, darunter der Tochter von Filmproduzent Artur Brauner, sowie den Erben von Norbert Jacques, dem Schöpfer der Figur des Dr. Mabuse.

Im Booklet sind zwölf Filmfotos in ausgezeichneter Qualität abgedruckt. Zu sehen sind:

Kommissar Lohmann: Gert Fröbe, u. a. als unfreiwilliger Patient des Irrenarztes Pohland;
Sein Kriminalassistent Krüger: Harald Juhnke, mit wilder Haartolle;
Nelly: Senta Berger neben Helmut Schmid als Johnny Briggs, ein smartes Liebespaar;
Mortimer: Charles Regnier, der sich mit einem dubiosen Schattenmann trifft;
Walter Rilla als Prof. Pohland, der sich über Gert Fröbe auf seinem Behandlungsstuhl freut;
sowie Wolfgang Preiss als Dr. Mabuse, an seinen Verbrechensplänen schreibend (in Spiegelschrift).

Außerdem ist ein Werkfoto von den Dreharbeiten zu sehen. Die letzte Seite führt die Trackliste auf.

_Unterm Strich_

Dieses Hörspiel verunsichert auf der ganzen Linie. Es gibt keine Maßstäbe, an denen sich der Filmfreund festhalten könnte: Weder triumphiert die Polizei, noch überleben Liebe und Menschlichkeit. Verrat reckt allenthalben sein hässliches Haupt, und die Zwielichtigkeit aller Beziehungen und Identitäten lässt sich am besten in der Irrenanstalt des Dr. Pohland-Mabuse symbolisieren.

Das Drehbuch ist schon ziemlich ausgetüftelt. Doch auch beim ersten Anhören ist die Essenz leicht zu kapieren: Grusel, Spannung, (sehr wenig) Romantik und (sehr viel) Terrorismus gehen hier eine bemerkenswerte Verbindung in einem Thriller ein, der heute leider schon wieder vergessen ist. Die antifaschistischen Untertöne des Fritz-Lang-Films von 1933 fehlen in den Fortsetzungen, dafür kamen Action und ironischer Humor besser zum Zuge. Ansonsten ist dieser erste Film einer Trilogie ziemlich grimmig. Gert Fröbe hat aber in „Goldfinger“ wesentlich besser gespielt.

Das Booklet zu der qualitativ hochstehenden Hörbuchproduktion wartet mit zwölf interessanten Fotos zum Film und mit einem Bild zum Dreh in Berlin auf. Die Filmfotos ergänzen die Informationen zu zahlreichen Mitwirkenden damals und heute.

Wenn der Rest der Reihe ebenso gut produziert wird, könnte das Thema „Dr. Mabuse, der Staatsfeind Nr. 1“ eine Wiederauferstehung mit Langzeitwirkung feiern. Der Käufer erhält für sein Geld einen reellen Gegenwert. Der Preis erscheint mir der Ausstattung angemessen.

|66 Minuten auf 1 CD
ISBN-13: 978-3-8218-5389-5|
http://www.eichborn.de