Die unsichtbaren Krallen des Dr. Mabuse (Hörspiel)

Man schreibt das Jahr 1961. 29 Jahre nach dem Selbstmord des Verbrechergenies Dr. Mabuse scheint jemand dessen Vermächtnis anzutreten, um die Grundfesten der Staatsgewalt zu erschüttern.

Der geniale Professor Erasmus hat eine Möglichkeit gefunden, Gegenstände sowie Personen für das menschliche Auge unsichtbar zu machen. Als nach einem Theaterstück, in dem die attraktive Schauspielerin Liane Martin auftritt, ein Kriminalbeamter ermordet wird, ruft Kommissar Brahm FBI-Agent Como zu Hilfe. Dieser erkennt, dass Dr. Mabuse sich für die Erfindung interessiert und hinter dem Verbrechen steckt. Da Joe Como auch ein Auge auf Liane Martin geworfen hat, wird diese kurzerhand von Mabuse hypnotisiert, um den Beamten in eine tödliche Falle zu locken …

Im Unterschied zu den meisten Hörspielen dient diesem nicht ein literarisches Werk als Vorlage, sondern ein Kinofilm. Das wirft die Frage auf, wie es gelingen kann, einen Thriller von 89 Minuten Länge auf 66 Minuten einzudampfen.

Die Mabuse-Reihe

Dr. Mabuse, der Spieler (1922, Regie: Fritz Lang, nach dem Roman von Norbert Jacques)
Das Testament des Dr. Mabuse (1932, Regie: Fritz Lang)
Die 1000 Augen des Dr. Mabuse (1960, Regie: Fritz Lang)
Im Stahlnetz des Dr. Mabuse (1961, Regie: Harald Reinl)
Die unsichtbaren Krallen des Dr. Mabuse (1961, Regie: Harald Reinl)
Das Testament des Dr. Mabuse (1962)
Scotland Yard jagt Dr. Mabuse (1963)
Die Todesstrahlen des Dr. Mabuse (1964)
Die lebenden Leichen des Dr. Mabuse
Dr. M schlägt zu

Die Macher des Films

Gesamtleitung: Artur Brauner
Drehbuch: Ladislaus Fodor
Regie: Harald Reinl
Musik: Peter Sandloff

Die Darsteller (Sprechrollen)

Siegfried Lowitz als Kommissar Brahm
Lex Barker als Joe Como (mit der Synchronstimme aus „Winnetou“)
Wolfgang Preiss als Dr. Mabuse/Primarius Krone
Karin Dor als Liane Martin
Rudolf Fernau als Prof. Erasmus
Werner Peters als Martin Droste
Walo Lüönd als Polizist Hase
Kurd Pieritz als Dr. Bardorf
u.v.a.
Regie beim Film führte Harald Reinl, der auch Karl-May-Romane verfilmte.

Der Erzähler

Wolf Frass spricht die Zwischentexte. Er erlernte die Schauspielkunst an der Folkwang-Hochschule in Essen. Er hat sich vor allem durch sein Engagement am Ernst-Deutsch-Theater in Hamburg sowie durch seine Mitwirkung in mehreren TV-Produktionen wie etwa „Großstadtrevier“ und „Tatort“ einen Namen gemacht. Darüber hinaus arbeitet er als Synchronsprecher. Seine markante Stimme ist in zahlreichen Hörspielen und auf Hörbüchern zu vernehmen. (Verlagsinfo)

Die Regisseurin des Hörspiels

Susa Gülzow arbeitet seit 1988 als Autorin, Regisseurin und Sprecherin. Aus ihrer Feder stammen u. a. die Hörspielfassungen von „Happy Hippos“ und „Lucky Luke“ sowie zahlreiche Synchronbearbeitungen, u. a. für Pro7. Zudem verfasste sie den Text für das Kindermusical „Das Parlament der Tiere“. (Verlagsinfo)

Handlung

Im „Metropol“-Theater der Stadt beobachtet ein Kriminalbeamter etwas sehr Merkwürdiges: eine leere Loge, in der sich ein Opernglas in der Luft bewegt. Sofort folgt er dem unsichtbaren Besitzer des Opernglases, gerät dabei ins Gewirr der Gänge hinter der Bühne, stürzt durch eine Falltür in die Requisite und wird dort von einem maskierten Clown in die Mangel genommen: „Was wissen Sie vom Unternehmen X?“ Der arme Mann weiß leider nichts darüber, so dass andere Saiten aufgezogen werden. Als ein weiterer Mann ihn befragt, ist von dem Polizisten nur noch ein Halbtoter übrig, mit dem sich nichts mehr anfangen lässt. Seine Leiche wird in einem Schrankkoffer am Hafen gefunden.

FBI-Agent Joe Como (Lex Barker) soll die Leiche dieses Nick Prado identifizieren, er trifft sich über Umwege mit dem „Sonderdezernat für Staatssicherheit“. Como erfährt, dass das „Unternehmen X“ etwas mit Atomraketen zu tun haben soll. Im Leichenschauhaus trifft er eine junge Frau (Karin Dor), die sich ebenso wenig wie er zu erkennen gibt. Außerdem erhält er eine Warnung von „einem alten Freund“ – Dr. Mabuse?

Ein freundlicher Polizist mit dem harmlosen Namen Hase (Lüönd) nimmt Como fest und bringt ihn zu Kommissar Brahm (Lowitz). Brahm interessiert aus verständlichen Gründen brennend, welche Agenten in seiner Stadt herumschleichen und was sie im Schilde führen. Como enthüllt seine Identität und dass der ermordete Nick Prado sein Kollege war. Prado war Mabuse und dessen „Unternehmen X“ auf der Spur. Brahm und Como besuchen das Metropol-Theater, den mutmaßlichen Tatort. Hier tritt die junge Dame, die Como schon kennt, unter dem Namen „Liane Martin“ auf. Im Stück wird eine echte, scharfe Guillotine verwendet, was Como recht bedenklich findet. (Mit Recht, wie sich später zeigen wird.)

Als Como sie allein befragt, gesteht sie ihm einen gewissen Verfolgungswahn. Sie fühle sich von einem Unbekannten auf Schritt und Tritt beobachtet. Auch der Clown Bobo kommt Como recht neugierig vor, und der Pförtner sowieso. Como rät ihr, ins Grand Hotel zu ziehen, wo er auch logiert. Er lässt sich ein Zimmer neben ihrem geben, um sie besser „schützen“ zu können.

Inzwischen hat Kommissar Brahm Informationen erhalten, denen zufolge es sich bei „Unternehmen X“ um den Versuch handeln soll, die Erfindung eines gewissen Professor Erasmus zu erwerben. Diese Erfindung ermögliche, sich für menschliche Augen unsichtbar zu machen. Für Como ist sofort klar, dass Dr. Mabuse brennend an einer solchen Erfindung interessiert sein muss: Dann könnte er überall zuschlagen, ohne erkannt zu werden. Ist er der Unbekannte, der Liane Martin auf den Fersen ist? Doch wo ist dann Prof. Erasmus abgeblieben?

Mein Eindruck

Wieder einmal inszeniert Harald Reinl eine Mabuse-Episode, wie man sie sich nur im Kalten Krieg vorstellen kann: Paranoia allenthalben. Und verrückte Erfindungen wie etwa ein Unsichtbarkeits-Frequenzmodulator entstammen nicht nur dem Gehirn von mehr oder weniger verrückten Wissenschaftlern, sondern drohen auch, in die falschen Hände zu fallen.

Alles, was mit Atomtechnik zu tun hat oder mit Raketen, ist sowohl aufregend als auch umkämpft und dubios. (Als Atomraketen auf Kuba stationiert werden sollen, kommt es um ein Haar zu einem Dritten Weltkrieg.) Professor Erasmus arbeitet in einem fiktiven „Kosmografischen Institut“ – ein Hinweis darauf, dass das „race in space“ zu einem Machtfaktor geworden ist. Historischer Hintergrund, der dem Publikum selbstverständlich bewusst war, ist die Ankündigung Präsident John F. Kennedys, noch innerhalb des Jahrzehnts der 1960er einen Mann auf den Mond zu bringen – die Schlappe, die die Amis durch Sputnik und Gagarin erlitten hatten, muss wettgemacht werden.

Was diesen Plot um das Unsichtbarkeitsgerät (dessen Funktionsweise überraschend genau erklärt wird) allerdings etwas ad absurdum führt, ist der Umstand, dass der Professor verliebt ist und sich dem Objekt seiner Leidenschaft aus verständlichen Gründen nur in unsichtbarer Gestalt nähern möchte oder kann. Unsichtbarkeit soll verbergen, dass sein Gesicht seit einem schrecklichen Unfall entstellt ist. Sein Gerät lässt sich also sowohl für menschlich verständliche als auch für verbrecherische Zwecke einsetzen. Dabei hat der Professor nicht einmal Probleme mit der Wahrnehmung der Realität, wie sie dem Wissenschaftler Sabrehm in „Stahlnetz“ eigen ist. Und sobald Erasmus die Bedrohung durch Mabuse erkannt hat, reagiert er angemessen. Leider gibt es Verräter überall …

Hier kommt Joe Como, unser Mann vom FBI, ins Spiel. Wie in sämtlichen je geschriebenen Agentengeschichten, vereinigt er männliche Tatkraft, die Mächte der Gerechtigkeit wie auch den Erretter von Jungfrauen aus Not (Stichwort: Guillotine!) in Personalunion, und das natürlich mit links. Nur James Bond ist sich dieser Rolle bewusst und kokettiert mir ihr – zumindest in den Filmen. (Sean Connery hielt Bond für ein arrogantes Schwein. Das hielt ihn nicht davon ab, sich von höheren Gagen dazu überreden zu lassen, einen weiteren Bond-Film nach dem anderen zu drehen.)

Die Jungfrau in Not wird diesmal gespielt von Karin Dor, die ja später auch in den Karl-May-Filmen als hübsche Indianerin mit den Wimpern klimperte. Ihre Figur der Liane Martin verleiht dem Film – und somit dem Hörspiel, das darauf basiert – einen Hauch Erotik. Um ihre strapazierten Nerven zu kurieren, wird sie in ein ruhig gelegenes Schlosshotel einquartiert. Doch wie es die Logik der Drehbuchklischees verlangt, lauern in solchen Schlössern bekanntlich die schlimmsten Gefahren. (Sie müssen dazu nicht einmal in Schottland liegen.)

Es kommt zu einer dramatischen Szene, als Liane Martin merkt, dass sie das Badezimmer, in dem sie sich gerade ausgezogen hat, mit noch jemandem teilt, den sie leider nicht sehen kann. Kreisch – da hilft einerseits nur die beherzte Flucht und zweitens das noch beherztere Eingreifen des männlichen Helden (Lex Barker). Erstaunlich, wie es Joe Como gelingt, immer zur rechten Zeit am rechten Ort aufzutauchen. Das grenzt schon an übernatürliche Fähigkeiten. Dass gerettete Jungfrauen Trost erfordern und verdienen, liegt ja wohl auf der Hand. Man wundert sich bloß, dass der Serienheld in der nächsten Episode schon wieder unbeweibt ist. Das Agentenleben scheint nicht einfach zu sein. Vielleicht liegt es teils daran, dass seine Kontrahenten zuweilen wiederaufzuerstehen pflegen: Bei Bond ist es Dr. Blofeld (oder seine Parodien), und für Joe Como eben Dr. Mabuse.

Die Inszenierung

Aller überflüssiger Schnickschnack wurde aus der Hörspielfassung entfernt. Dazu gehören sowohl die Vor- und Abspänne als auch verschiedene Übergänge. Deswegen heißt es aufpassen, wenn die Szene wechselt. Der Zusammenhang geht trotzdem nicht verloren, weil der Erzähler (s. o.) die entsprechend notwendigen Erklärungen liefert.

Positiv ist zu vermerken, dass die deutsche Synchronstimme von US-Import Lex Barker endlich auch der gewohnten Kehle entstammt, die wir in den Winnetou-Filmen (1963-65) zu hören gewohnt sind: Gert Günther Hoffmann, geboren 1929 in Berlin, gestorben 1997. Etwas vermisst habe ich jedoch eine persönlichere Charakterisierung von Kommissar Brahms. Soegfried Lowitz‘ Figur erscheint dadurch nur als Erfüllungsgehilfe des Amerikaners Joe Como, die Deutschen als treue Partner an der Seite Amerikas – ganz im Sinne Adenauers.

Die Musik begleitet die Action mit Originaltönen. Das klingt also für uns ziemlich schräg. Aber für die Übergänge wurde neue Musik geschrieben, die ein Synthesizer-Motiv enthält, das wesentlich angenehmer und zeitgemäßer klingt. Dessen Sound entspricht heutigem Standard, während dies für das Filmoriginal nicht gilt.

Das Booklet

Das Booklet umfasst zwölf Seiten, die sich sehen lassen können. Der zweite Teil des erhellenden Essays von Prof. Dr. Günther Scholdt über Norbert Jacques, den „Erfinder“ des Dr. Mabuse, spürt den historischen Hintergründen der Mabuse-Filme nach (der erste Essay-Teil ist im Booklet zu „Im Stahlnetz des Dr. Mabuse“ zu finden). Allerdings konzentriert sich Scholdt – zu Recht – auf die 20er Jahre, während der vorliegende Film zwar ebenfalls in einer Nachkriegsgesellschaft entstand, aber unter völlig anderen Vorzeichen. Immerhin finden sich interessante Hinweise auf drei Werke Jacques‘ aus den Jahren 1930 bis 1932, von denen bislang nur „Das Testament des Dr. Mabuse“ (s.o.) verwertet wurde. Von „Mabuses Kolonie“ (1930, Typoskript) fehlt eine Auswertung, und ob der Kolportageroman „Der Chemiker des Dr. Mabuse“ (1931) dem Plot von „Im Stahlnetz des Dr. Mabuse“ als Vorlage diente, entzieht sich meiner Kenntnis. Wahrscheinlich wäre es.

Im Booklet sind zahlreiche Filmfotos in ausgezeichneter Qualität abgedruckt. Insbesondere in der Mitte sind beeindruckende Fotos des entstellten Prof. Erasmus zu bewundern. Ein Bild zeigt sogar die Maskenbildner bei der Arbeit an Rudolf Fernau! Leider sind die Actionszenen, von denen es nicht wenige gibt, viel zu klein abgedruckt, um sie gebührend würdigen zu können. Dafür ist Lex Barker groß abgebildet, der seine Arme schützen/besitzergreifend um Karin Dor legt.

Im Booklet sind nicht nur die Macher des Films detailliert vorgestellt, sondern auch die Verantwortlichen des Hörbuchs. Natürlich fehlt auch Produzent Sven Michael Schreivogel nicht. Er dankt mehreren Quellen, ohne deren Unterstützung das Produkt wohl wesentlich magerer ausgefallen wäre.

Unterm Strich

Das Hörspiel weiß auf spannende Weise zu unterhalten, ohne dass weder die Intelligenz noch die Romantik zu kurz kommen. Allerdings heißt es angesichts der Fülle der Dialogtexte aufpassen. Ich musste das Hörspiel in aller Ruhe zweimal anhören, um die zahlreichen versteckten Hinweise und falschen Fährten zu verstehen und auf die Reihe zu bekommen.

Das Drehbuch des dritten Mabuse-Films ist nicht mehr so ausgetüftelt wie das des Fritz-Lang-Vorgängers „Die 1000 Augen des Dr. Mabuse“ (1960), und die Qualität des Films hat sich merklich den Edgar-Wallace-Filmen angenähert. Die Essenz der Mabuse-Filme ist leicht zu kapieren: Grusel, Spannung, Romantik und Terrorismus gehen hier eine bemerkenswerte Verbindung in Thrillern ein, die heute leider schon wieder vergessen sind.

Das Booklet zu der qualitativ hoch stehenden Hörbuchproduktion wartet mit wertvollen Hintergrundinformationen zu der Dr.-Mabuse-Filmreihe auf und lässt uns verstehen, warum die Reihe eigentlich Kult ist, aber zu ernst in ihrer Thematik, um sie parodieren zu können – wie das ja inzwischen für Edgar-Wallace-Streifen mit „Der Wixxer“ gelungen ist. Seltene Filmfotos – auch von den Dreharbeiten – ergänzen die Informationen zu zahlreichen Mitwirkenden damals und heute.

Wenn der Rest der Reihe ebenso gut produziert wird, könnte das Thema „Dr. Mabuse, der Staatsfeind Nr. 1“ eine Wiederauferstehung mit Langzeitwirkung feiern. Der Käufer erhält für sein Geld einen reellen Gegenwert. Und es wäre zu wünschen, dass die DVD-Ausgaben eines Tages ebenso sorgfältig ediert würden. Für die ganze Reihe gilt jedoch der Vorbehalt, dass sie vor allem für nostalgisch eingestellte Krimi- und Hörspielfreunde von Interesse sein dürfte. Diese Fans und Sammler jedoch erhalten die beste momentan mögliche Qualität zu einem vertretbaren Preis.

Hinweis

Der Verlag weist darauf hin, dass im Frühjahr 2006 die Hörspiel-Reihe mit „Das Testament des Dr. Mabuse“, dessen Filmvorlage im Jahr 1962 entstand, fortgesetzt werde.

66 Minuten auf 1 CD
ISBN-13: 9783821853970