Fritz Lang, Heinz Oskar Wuttig, Susa Gülzow – Die 1000 Augen des Dr. Mabuse (Film-Hörspiel)

Gruselkrimi mit Tiefgang, sauber produziert

Man schreibt das Jahr 1957. Exakt 25 Jahre nach dem Selbstmord des Verbrechergenies Dr. Mabuse scheint jemand dessen Vermächtnis anzutreten, um die Grundfesten der Staatsgewalt zu erschüttern. Eine neue obskure Organisation ermordet den allzu neugierigen Fernsehreporter Peter Barter, bedroht die Mordkommission und nimmt als nächstes Opfer einen amerikanischen Industriellen ins Visier. Die Intrige gegen ihn ist fein gesponnen, doch wird Kommissar Kras rechtzeitig zur Stelle sein?

Im Unterschied zu den meisten Hörspielen diente diesem nicht ein literarisches Werk als Vorlage, sondern ein Kinofilm. Das wirft die Frage auf, wie es gelingen kann, einen Thriller von 104 Minuten Länge auf 55 Minuten einzudampfen. Bei den Folgen einer Krimiserie wie „Derrick“, die |Der Audio Verlag| als Hörspiele publiziert, erscheint dies schon machbarer.

Die Macher des Films

Gesamtleitung: Artur Brauner
Drehbuch: Fritz Lang und Heinz Oskar Wuttig nach einer Idee von Jan Fethge
Regie: Fritz Lang
Musik: Gerhard Becker, Werner Müller

Der Originalregisseur

Fritz Lang (1890-1976): Das Verbrechergenie Dr. Mabuse begleitete den Regisseur („M“, „Metropolis“) während seiner ganzen Karriere. Einen seiner ersten großen Erfolge feierte Lang 1922 mit „Dr. Mabuse – Der Spieler“ (bestehend aus den zwei Teilen „Der große Spieler“ und „Das Inferno des Dr. Mabuse“). 1932 folgte „Das Testament des Dr. Mabuse“, den Joseph Goebbels aber sofort verbieten ließ, als die Nazis an die Macht kamen.

1960 bildete Langs Pilotfilm „Die 1000 Augen des Dr. Mabuse“ den Auftakt zu einer mehrteiligen Mabuse-Filmserie, die Artur Brauners CCC-Studio fürs Kino produzierte, also in Konkurrenz zum Fernsehen. Entsprechend erstklassig waren Darstellerriege, Ausstattung und natürlich Regisseur. Fröbe, Preiss und van Eyck spielten in mehreren dieser Filme wechselnde Rollen und wurden zu Stars. Später hatte Fröbe eine seiner besten Rollen als Superverbrecher „Goldfinger“ an der Seite von „James Bond“ Sean Connery.

Die Darsteller (Sprechrollen)

Gert Fröbe als Kommissar Kras
Wolfgang Preiss als Prof. Dr. Jordan
Dawn Adams als Marion Menil
Peter van Eyck als Henry B. Travers
Werner Peters als Hieronymus B. Mistelzweig
Andrea Cecchi als Hoteldetektiv Berg
„Lupo Prezzo“ als Hellseher Cornelius
Reinhard Kolldehoff als Klumpfuß, u. v. a.

Der Erzähler

Wolf Frass spricht die Zwischentexte. Er erlernte die Schauspielkunst an der Folkwang-Hochschule in Essen. Er hat sich vor allem durch sein Engagement am Ernst-Deutsch-Theater in Hamburg sowie durch seine Mitwirkung in mehreren TV-Produktionen wie etwa „Großstadtrevier“ und „Tatort“ einen Namen gemacht. Darüber hinaus arbeitet er als Synchronsprecher. Seine markante Stimme ist in zahlreichen Hörspielen und auf Hörbüchern zu vernehmen. (Verlagsinfo)

Die Regisseurin

Susa Gülzow arbeitet seit 1988 als Autorin, Regisseurin und Sprecherin. Aus ihrer Feder stammen u. a. die Hörspielfassungen von „Happy Hippos“ und „Lucky Luke“ sowie zahlreiche Synchronbearbeitungen, u. a. für Pro7. Zudem verfasste sie den Text für das Kindermusical „Das Parlament der Tiere“. (Verlagsinfo)

Handlung

Kommissar Kras (Fröbe) von der Kripo wird gewarnt: Der blinde Hellseher Cornelius (Prezzo) sieht zwei Wagen nebeneinander in der Innenstadt am „Hansaring“ stehen. Ein Mord wird geschehen!

Wenig später findet man die Leiche des Fernsehreporters Peter Barter in seinem Wagen vor. In den TV-Nachrichten schluchzt die Ansagerin, Kollege Barter sei an einem Herzschlag verstorben. Doch dem ist keineswegs so. Bei der Obduktion findet der Pathologe eine winzige Stahlnadel aus purem Iridium, die man mit einem neu erfundenen Spezialgewehr durch Barters Hirn gejagt hat. Er war auf der Stelle tot. Das Gewehr war in den USA noch in Erprobung bei der Armee, als der Prototyp gestohlen wurde. Den Dieb, einen US-Soldaten, fand man in Berlin in einem verlassen Bunker wieder – mit durchschnittener Kehle.

Aber warum wurde Barter ermordet? Er hatte seinem Sender den größten Knüller des Jahres angekündigt. Sollte die Enthüllung verhindert werden? Die ungewöhnliche Tatwaffe ruft das Bundeskriminalamt auf den Plan, ebenso Interpol. Man erinnert sich an den größenwahnsinnigen Superverbrecher Dr. Mabuse, der 1932 in einem Irrenhaus starb und ein Testament mit seinen Umsturzplänen hinterließ. Ist er doch nicht tot, oder ahmt ihn jemand nach?

Diverse Spuren deuten auf das Hotel Luxor hin, das 1944 von der SS gebaut worden war: Eine Reihe von Verbrechen, bei denen große Geldsummen den Besitzer wechselten, hatte in dieser Nobelherberge ihren Ausgangspunkt. Dort werden wir auch (Ohren-)Zeuge eines spektakulären Ereignisses: Der US-Milliardär Henry B. Travers (van Eyck) rettet der lebensmüden Marion Menil (Addams) das Leben, die sich vom Fenstersims des benachbarten Zimmers in den Tod stürzen will.

Der Industrielle Travers ahnt nicht, dass er für eine Organisation interessant geworden ist, die das Hotel Luxor – in dem die Nazis ihre Gegner bespitzelten und das über eine TV-Überwachungsanlage verfügt – als Basis für lukrative Fischzüge benutzt. Denn Travers hat mit Kernspaltung zu tun; er betreibt „Atomare Werke“ – was auch immer das sein mag. Und Marion Menil hat bestimmte Absichten, als sie seine Bekanntschaft macht.

Bei seinen Ermittlungen im Hotel Luxor, wo sich viele Wege kreuzen, stößt Kommissar Kras an der Bar auf einen zwielichtigen Typen, der sich Hieronymus B. Mistelzweig nennt. Und wie ihm dessen Barbekanntschaft vertraulich verrät, trägt dieser Mistelzweig eine Waffe in einem Holster unter seiner Jacke. Sehr verdächtig. Ist er etwa der gesuchte Superverbrecher?

Mein Eindruck

Ein Krimi aus deutschen Landen, und noch dazu aus den drögen Endfünfzigern? Das scheint nicht allzu viel zu versprechen, wenn der heutige Zeitgenosse an Werke wie die ersten Edgar-Wallace-Streifen zurückdenkt. Doch bei „Dr. Mabuse“ ist mit Fritz Lang ein Regisseur von Weltrang am Werke. Er hatte schon 1922 und 1932 zwei politisch engagierte Mabuse-Thriller gedreht, von seinem Meisterwerk „Metropolis“ mal ganz abgesehen. Mit den „1000 Augen“ führte er den deutschen Krimi auf eine politische Ebene, die den Stoff auch heute noch – oder leider schon wieder – relevant erscheinen lässt. Stichwort: Terrorismusbekämpfung und rechte Extremisten.

Dr. Mabuse ist Staatsfeind Nr. 1, da gibt es kein Vertun. Wie der BKA-Beamte in „1000 Augen“ berichtet, wollte Mabuse durch gezielte Verbrechen die Staatsmacht so erschüttern, dass er selbst aus dem Untergrund eine Herrschaft der Verbrecher errichten konnte. Und das ist einem erfolglosen Kunstmaler aus Wien und späteren Reichskanzler ja auch gelungen.

Das zweiteilige Debüt „Dr. Mabuse, der Spieler“ wies 1922 explizit auf politische Zustände in der Weimarer Republik hin, die ja durch Reparationszahlungen an die Siegermächte wirtschaftlich ausgeblutet war. Die sozialen Unterschiede waren eklatant. Die junge Demokratie, nur wenige Jahre alt, wurde von den Reaktionären von rechts und den Kommunisten von links zunehmend erschüttert. Die Demokratie war relativ wehrlos. Der zweite Mabuse-Film „Das Testament des Dr. Mabuse“ von 1932 gilt als Parabel auf den Aufstieg des Nationalsozialismus, in der Lang auf die kommenden Gefahren hinweist. Goebbels hat den Film sofort verboten, „weil er (der Film) beweist, dass eine zu allem entschlossene Gruppe von Männern, wenn sie es nur ernstlich genug will, durchaus dazu im Stande ist, jeden Staat mit Gewalt aus den Angeln zu heben.“

Ob in dieser Liga auch „1000 Augen“ mitspielen kann? Der Thriller lässt sich – insbesondere in der gekürzten Hörspielfassung – als simpler Gruselkrimi mit einer eingebauten Lovestory verstehen. Darin hebt er sich nicht von Edgar-Wallace-Streifen deutscher Machart ab. Doch es ist mehr als spannende Unterhaltung, was Lang in seinem letzten Spielfilm bietet.

Auf einer zweiten Ebene lässt sich das Verbrechergenie Dr. Mabuse – oder dessen Nachfolger – politisch auch als Schatten der Vergangenheit interpretieren, als Schreckensbild, das aus dem Bewusstsein der Massen verdrängt worden ist. „Der braune Spuk“, wie das der BKA-Beamte nennt, ist im Jahr 1957, in dem die Filmhandlung spielt, erst zwölf Jahre zuvor vertrieben worden – und zwar keineswegs vom deutschen Volk selbst. „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“ – gilt dieses Zitat weiterhin?

Obwohl an dieser Stelle nicht verraten werden darf, wer denn nun eigentlich der Nachfolger des Dr. Mabuse ist – das würde die doppelte Überraschung zerstören -, handelt es sich doch offenbar um Ex-Nazis als Drahtzieher. Das ist allerdings nur dem „Heyne Lexikon des Science Fiction Films“ (Seite 883/4) zu entnehmen. Im Hörspiel ist leider überhaupt nicht die Rede davon, woher die Schurken kommen und was sie genau vorhaben: Sie wollen ein paar „atomare Werke“ übernehmen? Und was dann? Da hatten doch Ernst Stavro Blofeld und Goldfinger weitaus konkretere Vorstellungen. Man kann lediglich konstatieren, dass die Drahtzieher über internationale Beziehungen (das US-Gewehr wurde vom Militär geklaut) verfügen, aber über keinerlei Skrupel, Leute umzulegen.

Was wir also zu hören bekommen, ist ein Gruselkrimi bekannter Machart. Wir haben eine Reihe von Männern, die alles Mögliche sein können. Sogar der saubere Mr. Travers reist unter falschem Namen. Und wir haben natürlich eine trügerische Dame in Nöten, die sich als Köder in einer Falle für Mr. Travers entpuppt (wenn auch erst ziemlich spät). Wir haben einen aufrechten Kommissar, der sein Möglichstes versucht, erstens am Leben zu bleiben (explodierende Telefone!) und zweitens, ein Genie des Verbrechens zu jagen.

Und schließlich, als Krönung, erwarten wir den Auftritt des titelgebenden Schurken. Doch er scheint weit und breit nicht zu entdecken zu sein. Kein Wunder: Wir haben ihn nämlich in doppelter Ausführung direkt vor unserer Nase. Und fieserweise sehen wir ihn zwar nicht, aber er durchaus uns: Denn er verfügt über besagte „1000 Augen“, installiert in jedem Zimmer des Hotels Luxor …

Der Erzähler, die Inszenierung

Der Hör-Film geht sofort los! Es gibt keine Einleitung, lediglich eindringliche Musik, wie man sie aus den 1959 gestarteten Edgar-Wallace-Verfilmungen kennt. Die Musik dirigiert die Emotionen, die den Zuhörer (so wie einst den Zuschauer) erfüllen sollen: Beklemmung, Furcht, Entsetzen, aber auch romantische Gefühle, nach dem Finale schließlich Triumph und Erleichterung.

Schon nach wenigen Minuten gibt es die erste Leiche. Einige weitere werden folgen. Die Polizei wird auf ungewöhnliche Weise gewarnt – durch einen Hellseher. Natürlich fällt es dem Kommissar schwer, Cornelius zu glauben. Er wird jedoch eines Besseren belehrt – wenn auch mit einem fiesen Trick.

Wir hören ständig durchdringendes Telefonklingeln, das es heutzutage nur noch in Wiederholungen alter Krimis gibt. Das Klingeln ist stets das Signal, dass eine Hiobsbotschaft eintrifft. Stets ist der Zuhörer überrascht oder erstaunt. Doch einmal ist Kommissar Kras auch entsetzt: Das Telefon explodiert! Sein Assistent Neuber, den wir als erste Stimme gehört haben, überlebt nicht, und hätte nicht ein Schrank zwischen Kras und dem Telefon gestanden, wäre auch er jetzt „a dode Ratt'“, wie sich einer der Polizisten so drastisch im Dialekt seiner Heimat (ein Pfälzer?) ausdrückt. In diesem Vorfall steckt schon sehr viel Ironie.

Die Geräuschkulisse entspricht dem Niveau eines Edgar-Wallace-Krimis. Was mich jedoch völlig enttäuscht hat, ist die mickrige Qualität der Schüsse, Hier wurden offensichtlich nur Platzpatronen benutzt, deren Geräuschentwicklung doch sehr begrenzt ist. Aber es klingt einfach nach den Spielzeugpistolen, die wir Jungs beim Räuber-und-Gendarm- oder Cowboy-und-Indianer-Spielen benutzten (ich war immer der Indianer, logo!).

Zum Ausgleich erklingt durchdringendes Reifenqietschen, wenn die Polizeiautos auf der Verfolgungsjagd nach dem flüchtigen Schurken die Kurve kratzen. Auch das abschließende Platschen und Blubbern des Flusses erweckt einen halbwegs realistischen Eindruck. Was doch die Geräuschemacher in ihrer Stube damals alles fertig gebracht haben!

Da der Sound keineswegs DD-5.1-Standard entspricht, knarren auch die Stimmen der Darsteller recht kernig und obertonlastig daher. Diese Qualität ist jedoch offenbar die des Originals, denn das Hörspiel wurde durchgehend, wie die DDD-Signatur auf der Hülle verrät, mit digitalen Mitteln hergestellt. Um mehr aus dem Original herauszukitzeln, wäre wohl ein teures Remastering nötig. Und das können sich meines Wissens nur die großen Studios leisten.

Das Booklet

Das Booklet umfasst zwölf Seiten, die sich sehen lassen können. Neben den historischen Hintergründen der Mabuse-Filme sind hier nicht nur die Macher des Film detailliert vorgestellt, sondern auch die Verantwortlichen des Hörbuchs. Natürlich fehlt auch Produzent Sven Michael Schreivogel nicht. Er dankt mehreren Quellen, ohne deren Unterstützung das Produkt wesentlich magerer ausgefallen wäre, darunter der Tochter von Filmproduzent Artur Brauner, interessanterweise aber auch dem Karl-May-Archiv.

Im Booklet sind zahlreiche Filmfotos in ausgezeichneter Qualität abgedruckt. Zu sehen sind nicht nur der unheimliche Hellseher Cornelius, sondern auch die Killer mit einer Maschinenpistole. Auch Gert Fröbe ist hier einmal in einer raren Szene in voller Action zu sehen. Meistens sieht man ihn – etwa in „Goldfinger“ – ja nur mit vorgestreckter Wampe herumstehen. Die finale Verfolgungsjagd darf ebenfalls nicht fehlen.

Ganz besonders interessant ist das Foto einer Drehszene, in der „Marion Menil“ auf einem „Fenstersims“ des Hotels Luxor zu sehen ist. Der Sims befindet sich in der Schwindel erregenden Höhe von ungefähr 30 Zentimetern! Und Regisseur Lang gibt Fräulein Addams offenbar genaue Anweisungen, wie sie sich in die Tiefe zu stürzen hat. Sie schaut auch schon ganz beklommen drein …

Unterm Strich

Das Hörspiel weiß auf spannende Weise zu unterhalten, ohne dass weder die Intelligenz noch die Romantik zu kurz kommen. Allerdings heißt es angesichts der Fülle der Dialogtexte: Aufpassen! Ich musste das Hörspiel in aller Ruhe zweimal anhören, um die zahlreichen versteckten Hinweise, falschen Fährten und Doppelidentitäten zu verstehen und auf die Reihe zu bekommen. Das Drehbuch ist schon ziemlich ausgetüftelt. Doch auch beim ersten Anhören ist die Essenz leicht zu kapieren: Grusel, Spannung, Romantik und Terrorismus gehen hier eine bemerkenswerte Verbindung in einem Thriller ein, der heute leider schon wieder vergessen ist. Die antifaschistischen Untertöne des Films fehlen im Hörspiel allerdings.

Das Booklet zu der qualitativ hoch stehenden Hörbuchproduktion wartet mit wertvollen Hintergrundinformationen zu der Dr.-Mabuse-Filmreihe auf und lässt uns verstehen, warum die Reihe eigentlich Kult ist, aber zu ernst in ihrer Thematik, um sie parodieren zu können – wie das ja inzwischen für Edgar-Wallace-Streifen mit „Der Wixxer“ gelungen ist. Seltene Filmfotos ergänzen die Informationen zu zahlreichen Mitwirkenden damals und heute.

Wenn der Rest der Reihe ebenso gut produziert wird, könnte das Thema „Dr. Mabuse, der Staatsfeind Nr. 1“ eine Wiederauferstehung mit Langzeitwirkung feiern. Der Käufer erhält für sein Geld einen reellen Gegenwert. Und es wäre zu wünschen, dass die DVD-Ausgaben eines Tages ebenso sorgfältig publiziert würden.

55 Minuten
ISBN-13: 9783821853819