Die drei ??? – Die Höhle des Grauens (Band 109)

Schon seit einiger Zeit erscheinen die aktuellen „Drei ???“ Bücher ohne den berühmten, aber sachlich eigentlich falschen Zusatz „Alfred Hitchcock“. Auch Reprints älterer Geschichten kommen zukünftig ohne ihn aus, wie etwa das 2003 erschienene „Höhle des Grauens“ aus der Feder von Ben Nevis. Der Weg in die Moderne hat lange gedauert. Genauer gesagt seit Band 70 befinden wir uns in der so genannten „Neuen Ära“. Hier sind die drei Detektive gegenüber den alten, klassischen Fällen bereits neuzeitlicher ausgestattet: Autos, Handy, Computer und Internetnutzung sind nun häufig in ihren Geschichten anzutreffen. Tonbandgerät und Walkie Talkies haben ausgedient, auch die Themen sind moderner ausgerichtet. Ihr 111. Fall führt das Trio raus aus Rocky Beach, hinein in die Welt des Erlebnistourismus.

Zur Story

Die drei Fragezeichen freuen sich über eine Woche Urlaub im angesagten Geisterhotel, welches in der Abgeschiedenheit der Rocky Mountains frisch eröffnet hat und mit allerhand Entertainment in spukigem Ambiente um Gäste buhlt. Hauptattraktion ist die so genannte „Höhle des Grauens“, eine bei den Bauarbeiten des Hotels wieder entdeckte indianische Kultstätte. Den Aufenthalt dort haben sich Justus, Peter und Bob übrigens bei einem Detektivwettstreit erkämpft – sie machten kürzlich dabei den ersten Platz für Nachwuchsdetektive im Großraum Los Angeles für sich aus. Besonders gespannt sind die drei nun auf die weiteren Gewinner des gleichen Wettbewerbs aus San Francisco: Das Duo „Callidae“ (lat.: „Die Cleveren“) bestehend aus den Mädels „Corona“ und „Althena“.

Der erste Einsatz der beiden Detektivteams findet bereits im Zug statt, welcher die komplette Reisegesellschaft zum kleinen, zum Hotel gehörenden Bahnhof mit dem passenden Namen „Haunted Corner“ befördert. Der ganze Waggon besteht ausschließlich aus Gästen des Hotels, soviel ist schnell klar, darunter auch einige illustre Gestalten der Filmindustrie und der kalifornischen High Society. Als eine seltsame Dame plötzlich einen tranceähnlichen Anfall bekommt und düstere Prophezeiungen murmelt, entlarvt Justus die Show quasi aus dem Stand heraus als inszeniert. Er liegt richtig, die Hotelchefin Mrs Jones höchstpersönlich wollte mit dieser kleinen Einlage die Neuankömmlinge schon während der Anreise auf das Gruselhotel einstimmen.

Solcherlei Mummenschanz reicht für den ersten Detektiv gerade mal zum Warm werden, doch es wird sich noch die Gelegenheit ergeben, dass die drei Fragezeichen und Callidae nach anfänglichem Konkurrenzgebaren zusammenarbeiten müssen, denn irgendetwas geht in der morbiden Herberge nicht mit rechten Dingen zu. Schlafmittel im Abendessen und ein kompletter Stromausfall im Haus sind erst der Anfang. Spätestens nach der unerfreulichen nächtlichen Begegnung mit einem Einbrecher sowie einigen Sabotageakten wird klar, dass jemand es darauf anlegt, sie zu vergraulen – und der geht dabei nicht gerade zimperlich vor. Vielleicht der irre Einsiedler, genannt „Der Wilderer“ – oder ist der schwarze Henker, welcher den Eingang zur geheimnisvollen Höhle bewacht, plötzlich real geworden?

Eindrücke

Ben Nevis‘ Erzählungen sind stets etwas zweischneidig. Zum Einen transportieren sie jede Menge moderne Komponenten, meist nämlich Handy und Computer, in die eigentlich ja aus den Sechzigerjahren stammende Jugendserie, die ohne solcherlei Gimmicks auskommen musste. Auch interessant-schräge Figuren trifft man häufig an – oberflächlich betrachtet also viel frischer Wind. Auf den zweiten Blick stellt man jedoch fest, dass diese Geschichten häufig auf tönernen Füßen stehen und nicht bis in die letzte Konsequenz durchdacht wurden. Auch in der Höhle des Grauens packt einen gelegentlich selbiges ob der teils haarsträubend zusammen geschusterten Geschichte. Einige der dicksten Ungereimtheiten sollen weiter unten näher erläutert werden. Für den Spannungserhalt ist dieser Abschnitt gesondert gekennzeichnet.

Wobei anzumerken ist, dass das Buch gegenüber der vollkommen vergeigten Hörspielfassung noch einen Tick besser weg kommt. Allein die zusätzlichen Kapitel machen einen Teil der an sich spannenden Story, trotz der dortigen Patzer, wenigstens ein wenig plausibler. Positiv anzumerken ist in diesem Zusammenhang auf jeden Fall das Einbeziehen des Mädchenduos aus San Franzisco in die Ermittlungen. Trotzdem bleibt noch genug Seltsames übrig, was die beiden Versionen gemeinsam haben. Somit ist klar, dass EUROPA bei der misslungenen Adaption nicht der alleinige schwarze Henker – pardon: Peter – zuzuschieben ist. Die Vorlage selbst erscheint insbesondere in den Details so unausgegoren, dass es nicht wundert, dass die notwendigerweise eingekürzte Hörspielfassung ohne eine drastische Anpassung förmlich so katastrophal ausfallen musste.

SPOILERWARNUNG

Die dicksten Dinger dürften sich beim Einbruch ins Hotel finden. Der gesamte Themenkomplex ist hanebüchen und nicht nachvollziehbar. So wird behauptet, dass der absichtlich herbeigeführte Stromausfall die Alarmanlage ausknockte. So weit, so gut. Allerdings verfügt das Computersystem über eine (Akku-)Notstromversorgung und fällt deswegen nicht aus. Auch gut. Dass dann aber die Effekt-Fliesen (im Hotel befinden sich etliche Bodenfliesen, welche beim Betreten diverse Gruselsounds auslösen) ebenfalls darüber versorgt werden, ist technisch nicht nur höchst fragwürdig, es wirft auch die Frage auf, warum man die Alarmanlage nicht auch daran gekoppelt hat bzw. warum überhaupt eine verbaut wurde – die Fliesen sind offenbar effektiv genug. Und wozu das ganze Brimborium überhaupt, wo sowieso (fast) alle dank des Schlafmittels weggetreten sind?

Bob und Althena sind während des nächtlichen Stromausfalls vom Täter im Computerraum eingesperrt worden. Sie befreien sich, indem sie mit einem Lineal, unter dem Türspalt hindurch, den unter die Klinke gestellten Stuhl zum Kippen bringen. Naja. Realismus sieht anders aus. Wenigstens ist das logischer als die Version, welche das Hörspiel hier dazu dichtet. Nach ihrer Befreiung gehen die beiden dann auf Täterpirsch und wollen den Unbekannten, welcher sich am Eingang zur Höhle hinter einem Vorhang zu schaffen macht, mit ihren Taschenlampen blenden und identifizieren. Das ist nachvollziehbar. Dass sie selbst dadurch unerkannt bleiben wollen, ist dagegen absolut hinfällig, denn der weiß spätestens seit er sie im Computerraum überraschte, mit wem er es zu tun hat.

Auch das Finale des Falles hat bei genauerer Betrachtung einige Macken. Das fängt beim recht leicht zu knackenden Rätselspruch an, denn der ist so leicht zu merken, dass es unwahrscheinlich ist, dass ihn sich jemand auf einen Pfuschzettel schreibt und bei sich führt. Natürlich – was auch sonst – verliert der Bösewicht selbigen, was die 5 Detektive letztendlich auf die richtige Fährte bringt. Welch Zufall. Hinzu kommen die offensichtlich bei Indiana Jones „Jäger des verlorenen Schatzes“ geklauten Fallen und Mechanismen, welche beim Installieren der ganzen Technik überdies niemand bemerkt haben will, sowie das recht plötzliche und nicht schlüssig erklärbare Entkommen aus der sich mit Wasser füllenden Höhle. Warum steigt das Wasser nicht weiter als bis zur Decke und spült sie unsanft nach draußen?

Die meisten anderen Kuriositäten sind vergleichsweise eher Kleinigkeiten und oft stilistischer Natur. Justus‘ Ausruf „Ach du meine Backe!“ klingt ziemlich, na sagen wir mal: sprachlich unelegant. Des Weiteren soll das angeblich so authentisch designte Hotel über „Rollläden“ (welche bei Untersuchung des Zimmers eines Hauptverdächtigen nämlich geschlossen sind) verfügen, „Vorhänge“ oder „Fensterläden“ in die Geschichte einzubauen wären vom Ambiente her wesentlich glaubhafter gewesen. Dass zwischendurch sogar einmal von einer „Gruft“ die Rede ist, wo es ansonsten immer nur um „Höhle (des Grauens)“ oder „(indianische) Kultstätte“ ging, hätte dem aufmerksamen Lektor auch vielleicht auffallen müssen. Der Begriff passt überhaupt nicht zur Handlung bzw. zur eigentlichen Funktion der Höhle.

Fazit

Auf der Haben-Seite eine Story mit Tempo und Action, interessanten Figuren sowie ungewöhnlicher Kulisse. Das konkurrierende Detektivduo wertet die Geschichte auf, wenngleich die Mädels insgesamt etwas blass und recht zahnlos wirken. Saftige Minuspunkte fährt „Die Höhle des Grauens“ hingegen im Handwerklichen ein. Bei genauerer Betrachtung tun sich einige logische Abgründe und unnötige Schnitzer bei den Details auf, welche arg an der Glaubwürdigkeit des gesamten Plots zerren. Schade, hier wurde eine Menge Potenzial verschenkt. Gehören sonst die Fälle außerhalb Rocky Beachs eigentlich prinzipiell zu den Besseren, rangiert Nummer 111 leider nur im unteren Mittelfeld.

Die Buchdaten auf einen Blick:

„Die drei ??? – Die Höhle des Grauens“
Basierend auf Figuren von Robert Arthur
Erzählt von Ben Nevis
Franckh-Kosmos, 2003
128 Seiten Hardcover
Cover Illustration: Silvia Christoph
Redaktion: Cordula Gerndt, Martina Zierold
ISBN-10: 3-440-09468-5
ISBN-13: 978-3-440-09468-6