Heidi Rehn – Das Haus der schönen Dinge

Glanz und Elend einer Kaufhausdynastie

Als der jüdische Kaufmann Jacob Hirschvogl 1897 zum Königlich Bayrischen Hoflieferanten ernannt wird, glaubt er sich und seine Familie als gleichwertige Mitglieder der Münchner Gesellschaft anerkannt. Das von ihm begründete Kaufhaus Hirschvogl am Rindermarkt bedeutet für ihn die Verwirklichung eines Lebenstraums. In den „Goldenen Zwanzigern“ folgt ihm Tochter Lily mit ebenso großer Begeisterung in der Leitung des Hauses nach – zunächst mit Erfolg, doch dann muss sie erleben, wie sich ihre Heimat Anfang der 30er Jahre plötzlich gegen sie wendet…

Beinahe 100 Jahre und drei Generationen umfasst die Geschichte einer jüdischen Kaufmannsfamilie, die Bestsellerautorin Heidi Rehn packend und voller Emotionen erzählt – vom glanzvollen Aufstieg über ruhmreiche Zeiten bis hin zum tiefen Fall. (Verlagsinfo)

Inhalt und Einrücke:

Die Eröffnung des Kaufhauses Hirschvogl am Rindermarkt ist ein großes gesellschaftliches Ereignis: zwar gibt es bereits eine Handvoll anderer Warenhäuser in der weltgewandten Stadt München. Am ersten Tag gibt sich hier bereits die große Prominenz die Klinke in die Hand: der Prinzregent samt Gattin höchstpersönlich, aber auch der Bürgermeister und weitere hochrangige Magistratsräte sind unter den geladenen Gästen. Kein Wunder, da die Inhaberfamilie Hirschvogl doch eine seit Generationen in München geachtete Familie ist.

Fast schon traditionsgemäß werden größere Warenläden überwiegend von jüdischen Kaufmannsfamilien geführt. Auch Jacob Hirschvogl und seine Frau Thea sind Juden, allerdings steht für beide das Geschäft klar im Vordergrund: die Bedürfnisse ihrer überwiegend christlichen Kunden gilt es zu erkennen und zu bedienen, darin sind sie sich einig. Eher zum Leidwesen von Jacobs Mutter Recha, die mit der Familie zusammen wohnt. Sie würde sich ein bisschen mehr Achtung der jüdischen Feiertage und Traditionen wünschen und gerät darüber von Zeit zu Zeit mit ihren Kindern in Diskussionen. Glücklicherweise hat Schwiegertochter Thea ein echtes Gespür und Händchen für die schönen Dinge des Alltages, so dass das Kaufhaus Hirschvogl sich schon bald von den anderen Konsumtempeln in der Stadt hervorheben kann.

Liebevoll arrangierte und aufwändige Dekorationen, ein hochwertiges und exklusives Warenangebot und die Präsentation in einer freundlich ansprechenden Atmosphäre: Jacob Hirschvogl und seiner Frau gelingt es außerdem, ein gutes Team von langgedienten und fähigen Mitarbeitern um sich zu scharen. Auch Tochter Lilith fühlt sich im Kaufhaus der Eltern bereits mehr als wohl und kann es nicht erwarten, dort zu helfen. Genau wie ihre Mutter liebt sie Mode und schöne Dinge und das Mädchen ist überglücklich, als es die Mutter zu einer Reise nach Frankreich begleiten darf. Dort lebt Louis, einer von Theas Brüdern und ist in der Modebranche tätig. Von ihm erhalten die Hirschvogls jedes Jahr die aktuellen Modetrends direkt in ihr Haus – sehr zur Begeisterung der Damen der feinen Münchner Gesellschaft.

Lilys älterer Bruder Benno hingegen kann dem ganzen Trubel jedoch nicht so viel abgewinnen. Sehr zum Ärger des Vaters interessiert er sich mehr für die Arbeit des Hausarztes und träumt vom Medizinstudium statt von einer Kaufmannslehre. Der jüngste Sohn Joseph wird von allen nur Sepp gerufen. Er ist ein kränklicher Junge, der seinen Eltern ob seiner schlechten Gesundheit eine Menge Sorgen bereitet.

Das Kaufhaus ist und bleibt der Lebensmittelpunkt der Familie Hirschvogl. Während ihre Kinder aufwachsen und die Welt sich weiter dreht, entwickeln auch Thea und Jacob ihr Lebenswerk stetig weiter: von neuem Warenangebot in ständig expandierenden Abteilungen bis hin zu Veranstaltungen im Kaufhaus, die von sich reden machen. Das Kaufhaus ist bekannt und beliebt, so wie die Familie dahinter. Einige hochrangige Namen zählen zu Hirschvogls guten Freunden: der Brauereibesitzer Alois Rossbach etwa, den er seit Ewigkeiten kennt. Und doch gibt es natürlich Neider, die den großen Erfolg missgönnen und selbst innerhalb der eigenen Familie läuft nicht alles so, wie es Jacob lieb wäre. Während der Welt ein Krieg droht, gibt es auch bei den Hirschvogls finanzielle Probleme, die dem so florierenden Geschäft ernsthaft schaden könnten.

Was zunächst aber eher Sticheleien gegen die tüchtigen jüdischen Geschäftsleute sind, wird schon bald deutlich drastischer. Besonders Jacobs Tochter Lilith, inzwischen längst kein Kind mehr, sondern selbst verheiratet, bekommt die gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen Anfang der 1930er Jahre deutlich und in aller Härte zu spüren. Als die Farbe Braun das Münchner Stadtbild zu dominieren beginnt und das Wort „Jude“einem Schimpfwort gleichkommt, wird die Luft für die vormals so geachtete und erfolgreiche Familie Hirschvogl dünner und es beginnen schicksalshafte Jahre.

Die Geschichte wird aus wechselnden Perspektiven erzählt und spielt in der Zeit von 1897 bis zum Jahr 1952. Gegliedert ist der Roman dabei in insgesamt drei Teile, die wie folgt überschrieben sind:

Teil 1: Große Erwartungen (1897-1914)
Teil 2: Stürmische Zeiten (1920-1933)
Teil 3: Bittere Enttäuschungen (1933-1938)

Gelungen ist die Gestaltung des Covers, die einen Blick in das Herzstück des Romans, nämlich die Verkaufsräume des Kaufhauses zeigt. Die Innenseiten des Umschlages zieren ein Familienstammbaum und ein Stadtplan von München, außerdem gibt es eine gedruckte Werbeseite, die anlässlich der Eröffnung die exquisiten Waren des Kaufhauses bewirbt. Sogar ein Emblem hat die Familie Hirschvogl von der Autorin bekommen: Der springende Hirsch, auf dessen Widerrist ein Vöglein sitzt, ziert den Beginn eines jeden Kapitels.

Ein ausführliches Glossar am Ende des Buches lässt den Leser außerdem von der guten Recherchearbeit der Autorin profitieren.

Mein Fazit:

Heidi Rehn hat mit „Das Haus der schönen Dinge“ eine wirklich tolle Familiensaga geschaffen, die man kaum wieder aus der Hand legen kann. Charakteristisch sind die vielen detailreichen Beschreibungen und ausschweifenden Schilderungen, zum Beispiel bei allen Passagen, in denen es um das Kaufhaus Hirschvogl am Rindermarkt und all die schönen Dinge geht, die dort angeboten werden. Rehn versteht es, damit eine tolle Atmosphäre zu schaffen und der Leser erlebt dadurch fast schon selbst die Faszination des tollen Warenhauses.

Die damalige Zeit ist auch in der zeitgemäßen Sprache („Famos!“) der zahlreichen Dialoge gut und stimmig dargestellt. Darüber hinaus zeugen eine Vielzahl in den Plot eingebauter Orte und Ereignisse von wirklich gründlicher Recherche. Der Roman überzeugt aber nicht nur als interessantes und anschauliches Geschichtsbuch, welches einen beachtlichen Zeitraum nicht nur der deutschen Geschichte abdeckt. Vielmehr ist es auch eine gefühlvoll erzählte und unterhaltsame Familiengeschichte über mehrere Generationen, die nicht ohne Dramatik auskommt. Rehn hat eine ganze Menge vielschichtiger Charaktere geschaffen, die rund um die Familie Hirschvogl kleinere und größere Rollen einnehmen. Alle Handlungen sind schlüssig und glaubhaft.

„Das Haus der schönen Dinge“ bekommt von mir für das wirklich tolle Gesamtpaket eine klare Empfehlung!

Taschenbuch: 656 Seiten
ISBN-13: 978-3426519370

www.droemer-knaur.de

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