Heitz, Markus – Schatten über Ulldart (Die Dunkle Zeit 1)

|Caradc erbrach Blut, tiefrot lief die Flüssigkeit über die Kleidung auf die Fliesen, füllte dort kleine Rillen und Unebenheiten der Oberfläche aus. „Tadc … Gefahr … jemand … töten“, heulte der Visionär und sackte zusammen. Er packte Matuc im Genick und zog dessen Ohr an seinen Mund. „Die Dunkle Zeit … kehrt zurück“, flüsterte er.|

Diese Prophezeiung des Mönchs Caradc versetzt den ganzen Kontinent Ulldart in Angst und Schrecken. Man schreibt das Jahr 436 nach Sinured, auf den sich diese Prophezeiung bezieht. Alle 111 Jahre droht die Wiederkehr des bösen Gottes Tzulan, dessen schrecklicher Heerführer Sinured und seine Monsterhorden eine Schreckensherrschaft errichteten, die erst eine Allianz aller Völker Ulldarts unter der Führung ihres Schutzgottes Ulldrael besiegen konnte. Sinured wurde mit seiner schwarzen Galeere auf der Flucht im Meer versenkt, Tzulan von den Göttern bestraft und der Legende nach seine Augen als zornig rot funkelndes Doppelgestirn an den Himmel geheftet.

Für Bruder Matuc ist klar: Stirbt Prinz Lodrik, der „Tadc“ und somit Thronfolger des Kabcar (Königs) von Tarpol, bricht die Dunkle Zeit über das Land herein. Der geheime Rat des Ulldrael-Ordens trifft Vorkehrungen, das Leben des Prinzen unter allen Umständen zu schützen.

Dieser ist jedoch ein fetter Nichtsnutz, über den jedermann spottet, sein stolzer Vater hält ebenfalls wenig von ihm und ist enttäuscht von seinem Sohn, der ganz und gar nicht nach dem Eroberergeschlecht des Hauses Bardric schlägt. Deshalb schickt er ihn mitsamt seinem weisen Berater Stoiko Gijuschka und dem starken Leibgardisten Waljakov unter einer Tarnidentität nach Granburg. Das soll nicht nur das Leben des spöttisch „Keksprinz“ genannten Sohnes schützen, er muss nach den Wünschen seines Vaters dort regieren lernen und ein Mann werden! Unter der Anleitung der beiden verliert Lodrik an Speck, lernt einiges über Politik und beweist ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Seine Reformbemühungen stoßen bei den selbstherrlichen Brojaken (Großbauern) auf Widerstand, doch seine Reformbemühungen bringen ihm den Respekt des Brojaken Miklanowo ein, der ein enger Freund und Berater des Gouverneurs wird, – und die Liebe seiner Tochter Norina.

Doch seltsame Kreaturen, die so genannten „Beobachter“, suchen Lodrik auf und nennen ihn „Hoher Herr“. Er selbst nimmt die Exekution eines Aufrührers vor, der für viel Unheil in der Provinz sorgte – und wird von einem Blitz getroffen. Doch er stirbt nicht, seine Augen glühen jedoch oft in einem unheimlichen Licht, die Flammen des Feuers verfärben sich in seiner Gegenwart. Schließlich erreicht eine Nachricht aus Ulsar den Prinzen: Der Kabcar ist tot! Lodrik macht sich umgehend auf den Rückweg in die Hauptstadt …

Derweil beunruhigen den geheimen Rat Nachrichten von Sumpfkreaturen, welche die alte Hauptstadt Sinureds wieder aufbauen. Der Freibeuter Torben Rudgass befördert einen seltsamen Passagier, der sich als tödlicher und skrupelloser Assassine entpuppt. Der Mönch Matuc wird noch einmal vor den geheimen Rat gebeten, um den exakten Wortlaut der Prophezeiung Caradcs zu wiederholen. Zur Bestürzung aller stellt sich dieser als zweideutig heraus: Ist Lodrik nun der Retter Ulldarts oder der Bote Tzulans? Der Rat entscheidet sich für Letzteres, Matuc erhält den heiligen Auftrag, Lodrik zu ermorden.

Der in solchen Dingen wenig erfahrene Mönch trifft auf seiner Mission die Kensustrianerin Belkala, eine Priesterin Lakastras. Mit dieser freundet er sich nach anfänglichen Problemen (er wollte sie als Ketzerin aufhängen lassen) an, und gewinnt mit ihrer Hilfe den übermäßig stolzen Ritter Nerestro von Kuraschka vom Orden der Schwerter des Gottes Angor als Eskorte.

Der 1971 geborene Markus Heitz, studierter Germanist und Mediävist sowie passionierter Rollenspieler, ist mittlerweile zum Shooting-Star der deutschen Fantasy geworden. Neben den sehr populären „Die Zwerge“ und „Der Krieg der Zwerge“ schrieb er bisher Romane für die Shadowrun-Serie. „Die Dunkle Zeit“ wurde 2003 mit dem Deutschen Phantastik-Preis für das „Beste Roman-Debüt National“ ausgezeichnet.

„Die Dunkle Zeit“ ist ein mittlerweile abgeschlossener Romanzyklus, der zuerst beim |Heyne|-Verlag erschien und mittlerweile von |Piper Fantasy| vertrieben wird. Der damalige fünfte Band wurde gesplittet und Kürzungen beseitigt bzw. der Roman ergänzt und erweitert, deshalb besteht die Serie bei |Piper| aus folgenden sechs Teilen:

1. Schatten über Ulldart
2. Der Orden der Schwerter
3. Das Zeichen des dunklen Gottes
4. Unter den Augen Tzulans
5. Die Magie des Herrschers
6. Die Quellen des Bösen

Ein 7. Band, „Trügerischer Friede“, ist geplant, dieser wird jedoch Auftakt des Folgezyklus „Die Zeit des Neuen“ sein.

Markus Heitz verdient ein großes Lob: Fantasyzyklen dieses Umfangs kennt man normalerweise nur aus den USA, man denke nur an David Eddings „Belgariad“-Saga oder Raymond E. Feists „Midkemia“-Romane. Mit diesen wird dieser Zyklus hinsichtlich des Weltentwurfs beziehungsweise hinsichtlich vieler archetypischer Charaktere verglichen, und ganz kann man dies nicht abstreiten.

Dennoch lassen sich diese Zyklen schwerlich miteinander vergleichen. Heitz hat den Ansatz eines Rollenspiel-Leiters gewählt: Er hat bekannte Figuren und Welten neu miteinander kombiniert, variiert und so mehr oder minder seine eigene, fantastische Welt geschaffen. Diese mag zwar nicht originell sein, denn bei vielen Figuren erinnert man sich sofort an ihr literarisches Vorbild, aber gut geklaut ist immer noch besser als schlecht erfunden.

So möchte ich hier nur die Beschreibung Sinureds anführen, der von seinen Feinden auch „Das Tier“ genannt wurde: Schwarze, verbrannte Haut, glühende Augen und eine gewaltige eiserne Rüstung. Auf dem Schlachtfeld führte er eine eisenbeschlagene Deichsel als Keule.

Mir drängte sich hier das Bild Saurons auf, der im Intro des „Herr der Ringe“ auch gegen eine Allianz aller Völker streitet und ebenfalls mit einem riesengroßen Streitkolben um sich schlägt. Geradezu Spoiler-Charakter hat die Prophezeiung hinsichtlich Lodriks, der seine edlen und guten Motive zunehmend mit brutalen Mitteln erreicht. Lodrik ist quasi der Darth Vader der Fantasyliteratur. Norina kann man getrost als das Äquivalent zu Anakins Padme ansehen, der in den Folgebänden auftretende Mortva Nesreca geht problemlos als dunkler Sith Lord durch, er wird Lodrik zum Entsetzen seiner Berater immer mehr „auf die dunkle Seite“ ziehen.

Diese Figuren sind etwas zu offensichtlich entliehen, aber das tut der Handlung keinen Abbruch. Finesse und subtile Charakterschilderungen sucht man zwar vergebens, alle Charaktere sind von vorneherein klar gezeichnet als gut oder böse, bis auf Lodrik, dessen weitere Entwicklung aber schnell absehbar ist. Dafür hält sich Heitz nicht lange mit Plänkeleien auf, er kommt zu Sache, die Handlung geht flott voran, es passiert immer irgendwo etwas auf der Welt. Sei es bei dem sympathischen Freibeuter Torben Rudgass, dem so wenig zueinander passenden Trio Infernale aus Priester, Fanatiker und Ketzerin – sprich Matuc, Nerestro und Belkala – oder bei meinen persönlichen Lieblingen, dem pralinenfressenden König Perdon von Ilfaris (das natürlich berühmt für sein Konfekt ist) und seinem schlauen Berater und Hofnarr Fiorell, die mit ihrem umfassenden Geheimdienst stets über die Lage in Ulldart Bescheid wissen und diese auf lustige und launige Weise kommentieren.

Alles in allem schlägt zu oft der Rollenspieler in Heitz durch, die klaren Archetypen und Charakterisierungen sind leider dementsprechend auch nicht mehr als Rollenspielfassade – aber auch nicht weniger. Unterhaltung und Abenteuer pur sind garantiert. In diesem Band hält Heitz sich angenehm zurück hinsichtlich des Erzähltempos, auch erlaubt er sich keine allzu verwunderlichen Patzer wie plötzliche Kehrtwendungen moralischer Art oder nicht nachvollziehbares Vertrauen zu einem dahergelaufenen Möchtegern-Verwandten bei unverständlichem Misstrauen gegenüber alten Freunden.

Der Einstiegsroman ist in dieser Hinsicht wesentlich besser als die Folgebände, die weniger ausgereift und teilweise gar hektisch erzählt werden. Die Vielfalt der Welt übertüncht sehr gut den nicht vorhandenen Tiefgang. Was Eddings mit Humor und Augenzwinkern erreichte, macht Heitz mit Tempo und Vielfalt und teilweise sogar originellen Einfällen wett. Mit komplexeren Weltentwürfen wie denen eines Robert Jordan, George R.R. Martin oder Raymond E. Feist kann sich seine Kreation aber nicht messen, in dieser Hinsicht sollte man nicht zu viel erwarten.

_Fazit:_ Ein kurzweiliger Zyklus mit echten Pageturner-Qualitäten. Der Plagiarismus kann bisweilen jedoch stören, ebenso die viel zu simplistische Schwarz-Weiß-Zeichnung der Charaktere. Aber Heitz hat sich erwiesenermaßen gute, erfolgreiche Ideen und Konzepte ausgeliehen und damit seine eigene Welt geschaffen, der es demzufolge nur ein wenig an Eigenständigkeit mangelt.

An einem jedoch gewiss nicht: Kurzweiliger, spannender, abenteuerlicher Unterhaltung – und das ist immer noch das Wichtigste. Wer anspruchsvollere Fantasy mit Tiefgang, neuen Ideen oder Szenarien sucht, wird hier nicht fündig. Wer jedoch von ewigen Endloszyklen genug hat, die Klassiker bereits kennt und einfach nur gut unterhalten werden will, kann bedenkenlos zugreifen.

Die einheitliche (das Amulett Tzulans vor einem jeweils wechselnden Farbhintergrund) und sehr ansprechende Neugestaltung der Romancover durch den |Piper|-Verlag setzt sich auch bei der Formatierung des Buchtextes und der Kapitelüberschriften fort, was zu dem wertigen Gesamteindruck beiträgt. Leider biegt sich der Buchrücken bereits nach einmaligem Lesen deutlich durch. Über eine mangelhafte Übersetzung kann man sich bei einem deutschen Autor naturgemäß nicht beschweren, das Lektorat hat zudem einige beklagte Rechtschreib- und Grammatikfehler der |Heyne|-Ausgabe bereinigt.

Homepage des Autors bzw. des Ulldart-Zyklus:
http://www.mahet.de/ und http://www.ulldart.de/