Der Mord an einem nur bedingt ehrenwerten Kunsthändler führt den Polizisten Parr in einen Mikrokosmos aus Gier und Lügen, die ihn selbst in Lebensgefahr bringen, bis die Gerechtigkeit schließlich doch siegt … – Der sauber geplottete und rasante Krimi erfreut durch die präzise Beschreibung der zeitgenössischen Polizeiarbeit und verärgert durch eine aufdringliche „Law-&-Order“-Mentalität: Lesefutter für krimihistorisch interessierte Leser.
Das geschieht:
In White Sands Beach an der Atlantikküste des US-Staates Massachusetts schlägt Kunstsammler Charles Endicott das letzte Stündlein. Ein wenig Vertrauen erweckender Mann bietet ihm eine tönerne Pferdestatuette aus der chinesischen T’ang-Periode an. Vorsichtshalber zieht Endicott Dan Hallmark, Leutnant der Staatspolizei, zu Rate, der ihm während der Verkaufsverhandlungen zur Seite stehen soll. Als dieses Treffen endet, liegen sowohl Charles Endicott als auch der Polizist erschossen am Boden.
Der Mord an einem Mann wie Charles Endicott schlägt hohe Wellen in Eastern City. Weil er politische Verwicklungen fürchtet und gleichzeitig publizistisches Kapital aus diesem Fall schlagen will, übergeht der ehrgeizige Direktor der Staatspolizei sowohl Gus Kay, den Chef der örtlichen Polizei, als auch Inspektor William Parr, der eigentlich zuständig wäre. Stattdessen ermittelt Paul Coyne, eine Marionette des Direktors, dem der ungleich tüchtigere Parr nur beratend zur Seite stehen soll; ein Affront, dem der Inspektor sich beugt, weil der getötete Hallmark sein alter Freund und Mentor war.
Seltsame Verbindungen werden offenbar: Charles Endicotts Verlobte Karen Wyman arbeitete bis vor kurzem für den zwielichtigen Galeristen Victor Konstanz. Außerdem unterhält sie wohl ein Verhältnis zum Maler Walter Almieda, der von Endicott finanziert wurde und diesen ordentlich zur Ader ließ. Oder ist Harold Dane der Mörder? Der Geschäftspartner des senilen Trödlers Abner Shapp hatte das chinesische Pferd einst entdeckt und für ein paar Dollar dem Kunsthändler und Hehler William Lakos verkauft. Als Parr diesen ermordet in seiner Wohnung vorfindet, liegt der Verdacht nahe, dass Harold seinen Irrtum gewalttätig korrigiert hat. Seitdem ist er verschwunden. Seine Schwester Judy behauptet, Harold schon länger nicht mehr gesehen zu haben. Parr beschattet sie. Dass er eine heiße Spur verfolgt, weiß er spätestens dann, als neben seinem Kopf eine Kugel aus jenem Revolver einschlägt, der schon drei Menschen das Leben gekostet hat …
Verbrecherjagd ist eine Mission!
Munter geht es weiter in diesem lange vergessenen Krimi eines weitgehend unbekannten Schriftstellers, der außerdem geradlinig, schnörkellos und völlig unsentimental ist. Dazu kommt der Nostalgiefaktor, der einen vor vielen Dekaden entstandenen Roman ähnlich adelt wie die wunderbaren B-Movies aus dem Hollywood der vierziger und fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts, in denen die Männer noch Männer waren, die Frauen lieblich oder verdorben und der lange Arm des Gesetzes jeden Strolch im Finale garantiert zu Boden streckte.
Ganz so einfach (oder dümmlich) ging es freilich damals nicht zu, wenn wir die Filme und Romane dieser Zeit ein wenig genauer studieren. Auch „Das chinesische Pferd“ überrascht mit unerwarteten Brüchen. Sechs Jahre nach dem zwar gewonnenen aber trotzdem verlustreichen II. Weltkrieg waren die Erinnerungen derer, die daran teilgenommen hatten, noch frisch. William Parr und die meisten seiner Altersgenossen hatten im Krieg gekämpft. Dies hat deutliche Spuren hinterlassen, die Autor Benson nicht unter den Tisch kehrt.
Harte Zeiten für harte Profis
Überraschend deutlich fällt auch die Kritik an den Medien aus – dies zu einer Zeit, da der „rasende Reporter“ noch gern als Idol und Streiter für die Wahrheit besungen wurde. Noch verblüffender ist indes die Schärfe, mit der Benson jene (Polizei-) Behörden geißelt, die am Spiel um Ruhm und Macht allzu bereitwillig teilnehmen und die eigentliche Ermittlungsarbeit in den Hintergrund abdrängen.
Parr ist der personifizierte Gegenentwurf; ein Polizist, dem nichts über Recht & Ordnung geht – ganz besonders nicht die eigene Karriere. Auch hier differenziert Benson: Parrs Eifer hat durchaus etwas Manisches, er kann auch nicht damit rechnen, für seine Erfolge, die gute, alte, harte Polizeiarbeit ihm beschert, mit einer Beförderung oder auch nur Lob rechnen, weil er sich gar zu strikt weigert, mit den Wölfen zu heulen, wie ihm der alte Captain Springer, sein längst mürbe gewordener Kollege, nüchtern vorwirft.
Bleibt bei euren Leisten!
Weniger erfreut dürften weibliche Krimileser sein. Benson bleibt in diesem Punkt überaus konservativ. Martha Endicott hält die Fäden ihres Lebens fest in der Hand, aber sie ist Mutter und Witwe und außerdem alt, so dass ihr die Selbstständigkeit gegönnt wird. Judy Dane ist die Jungfrau in Not, deren eigene Versuche, sich und den Bruder aus dem Dreck zu ziehen, rührend wirken aber erfolglos bleiben, bis sich endlich ein kühner Ritter ihrer erbarmt.
Und dann gibt es Frauen wie Karen Wyman, die der brave Dorfpolizist Gus Kay so beschreibt: „Eines Tages kam sie in so einem Bikini an den Strand herunter. Ich wusste nicht, ob ich sie wegen unanständigen Auftretens einlochen oder schnell eine Kamera holen sollte. Ich habe weder das eine noch das andere getan. Ich stand bloß mit großen Glotzaugen da.“ Eine Frau, halt: ein „Mädchen“, das sein Schicksal selbst in die Hand nimmt, sich dabei aus juristischer Sicht einige Freiheiten erlaubt und mit seinen Reizen nicht geizt, ist in dieser Welt mindestens doppelt so verworfen wie jeder männliche Verbrecher. Schlimmer noch: Frauen wie Karen Wyman verstoßen gegen gesellschaftliche Regeln, die eher Naturgesetzen gleichen.
Ähnlicher Verdammnis fallen allzu selbstbewusste Jugendliche oder andere Strolche anheim, die nicht durch harte, ehrliche Arbeit auffallen, sondern nach Höherem streben und dabei Abkürzungen nicht verschmähen. Ben Benson betrachtet seine Welt durch die „Law-&-Order“-Brille. Diese Sicht muss man teilen oder akzeptieren, um seine Krimis schätzen oder wenigstens unterhaltsam finden zu können.
Autor
Benjamin Benson gehört zum Heer der Kriminalschriftsteller, die kompetent und vor allem schnell Unterhaltung produzierten. Wirklich berühmt ist er nie gewesen, dafür aber beliebt; so wurden beispielsweise in Deutschland seine sämtlichen Werke veröffentlicht und lange Zeit neu aufgelegt; diese Gunst erfuhr längst nicht jeder klassische Könner seines Genres.
Über den Privatmann Benson ist wenig bekannt. 1915 ist er geboren. Am II. Weltkrieg hat er teilgenommen. Dabei wurde er hoch dekoriert und so schwer verwundet, dass er sich nie wieder richtig erholte. So kam Benson (nach einem Zwischenspiel als Teehändler) zum Schreiben.
Der militärische Hintergrund beeinflusste sein Werk. Zwei Serienhelden schuf Benson: den jungen State Trooper Ralph Lindsey sowie den älteren, schon erfahrenen Detective Inspector Wade Paris, der ebenfalls für diese Behörde (aber an anderem Ort) arbeitet. (In Deutschland wurde Paris aus unerfindlich bleibenden Gründen in „William Parr“ umgetauft – es sollte wohl ‚amerikanischer‘ klingen …)
Benson schätzt klare Hierarchien und Disziplin. Seine Polizeibeamten sind Männer ohne Fehl oder Tadel. („Old Icewater“ nennt man Wade Paris hinter seinem Rücken.) Zweifel mögen sie manchmal beschleichen, hin und wieder begehen sie sogar Fehler, aber letztlich bekommen sie solche Anwandlungen in den Griff, reifen an derartigen Konflikten und stehen dem System umso bedingungsloser zur Verfügung.
Dies mag Bensons Beliebtheit in Deutschland erklären. Allerdings sind seine Romane durchaus unterhaltsam. Inhaltlich mögen sie veraltet sein. Ihr sachlicher, fast dokumentarischer Stil hat sie andererseits günstig altern lassen. Sie müssen als frühe Beispiele des „police procedural“ gelten, dessen vielleicht berühmtester Repräsentant Ed McBain (ein Zeitgenosse Bensons) mit seiner Serie um das 87. Polizeirevier ist.
Ben Bensons Schriftstellerkarriere währte gerade zehn Jahre, in denen er neben zahlreichen Kurzgeschichten 18 Romane veröffentlichte. Am 29. April 1959 ist Benson im Alter von nur 44 Jahren während einer Versammlung der „Mystery Writers of America“ in New York City den Spätfolgen seiner Kriegsverletzungen erlegen.
Taschenbuch: 185 Seiten
Originaltitel: Beware the Pale Horse (New York : Mill 1951/London : Muller 1952)
Übersetzung: Paul Baudisch
www.randomhouse.de/goldmann
Der Autor vergibt: