Dashiell Hammett – The Continental Op. Detektiv-Stories

Klassische Detektiv-Stories: knallhart und voller Überraschungen

Continental Op war der erste der Detektive, die Dashiell Hammett schuf, der Vorläufer von Sam Spade und Nick Charles. Der namenlose Held ist ein fetter Kerl, der für die Continental Detective Agency in San Francisco arbeitet, und der sich nur für seine Arbeit interessiert, in einer Welt, in der Betrug, Täuschung und Gewalt die Norm sind. Aber manchmal sorgt er für seine eigene Version von Gerechtigkeit.

Alle Hammett-Stories sind im Diogenes-Verlag erschienen, allerdings über mehrere Ausgaben verteilt. Meiner Besprechung lag das englischsprachige Original vor, das eine Einleitung von Steven Marcus enthält.

Der Autor

Dashiell Hammett gehört zusammen mit Raymond Chandler zu den geistigen Vätern des »Hardboiled«, des realistischen, härteren Krimis amerikanischer Art. Im Gegensatz zu den klassischen Krimis des Golden Age (Arthur Conan Dolye / Sherlock Holmes, Agatha Christie / Miss Marple / Hercule Poirot, etc.) sind in Hammetts Krimis sowohl die Gesellschaft als auch seine Protagonisten verroht. Habgier, Betrug und Gewalt bestimmen das Leben, seine toughen Detektive ermitteln ohne Moral, aber mit Prinzipien. Wie seine »Helden« ist auch der Autor vom Leben hart getroffen.

1894 wurde Dashiell Hammett als Sohn eines Politikers und Farmers und einer gelernten Krankenschwester geboren. Sie zogen nach seiner Geburt von St. Mary´s County, Maryland nach Philadelphia und Baltimore. Bereits mit 14 Jahren verließ er die Schule, um seine Familie zu unterstützen. Hammett übte die verschiedensten Berufe aus, war Zeitungsjunge, Kurier, Leiter einer Werbeabteilung, bis er schließlich bei der Detektei Pinkerton in Baltimore anfing.

Während des Ersten Weltkriegs erkrankte Hammett an der Spanischen Grippe, was zu einer schweren Tuberkulose führte, an der Hammett sein ganzes Leben leiden sollte. Nach dem Krieg fing er wieder bei Pinkerton an. Doch das Gehalt war gering, er schrieb Anzeigentexte für ein Juweliergeschäft in San Francisco. Zu dieser Zeit erblickt „Continental Op“ das Licht der literarischen Bühne, Dashiell Hammetts erste kriminalistische Schöpfung und gleichzeitig der erste wirklich glaubhafte Detektiv in der amerikanischen Literatur. Über ihn schrieb Hammett insgesamt 30 Geschichten.

Auch Hollywood wurde aufmerksam auf den Schriftsteller: Sam Spade, eine weitere Figur Hammetts, wurde später mit dem legendären Humphrey Bogart als dessen Darsteller in „Der Malteser Falke“ verfilmt.

In den 30ern wurde Hammett politisch aktiv, engagierte sich in der Kommunistischen Partei. Während des 2. Weltkriegs diente Hammet drei Jahre in der US Army, war mitverantwortlich für ein Truppenblatt. 1948 wurde er Vorsitzender des Civil Right Congress.

1951 sollte sich seine politische Gesinnung und Aktivität als folgenschweres Verhängnis erweisen. Schon verfolgt vom Ausschuss für »unamerikanische Aktivitäten« im Rahmen von Senator McCarthys Anti-Kommunismus-Feldzug, wanderte er für fünf Monate ins Gefängnis, wurde jeglicher Publikationsmöglichkeiten beraubt.

Den Rest seines Lebens verbrachte der schwerkranke Hammett in New York, lehrte »Creative Writing« an der School of Social Science von 1946 bis 1956. Seine treue Weggefährtin Lilian Hellman pflegte den Autor ohne Berührungsängste vor dessen Tuberkulose ab 1956. Dashiell Hammett starb am 10. Januar 1961 völlig verarmt an Lungenkrebs. (aus „krimi-couch.de“) In dem Erzählband „Fliegenpapier“ liefert Hellman eine anschauliche Skizze vom Leben des Schriftstellers und seiner Ehe mit Hellman.

Kriminalromane von Dashiell Hammett:

1) „Bluternte / Rote Ernte“ (Red Harvest, 1929)
2) „Der Fluch des Hauses Dain“ (The Dain Curse, 1929)
3) [„Der Malteser Falke“ (The Maltese falcon, 1930)
4) [„Der gläserne Schlüssel“ (The Glass Key, 1931)
5) [„Der dünne Mann“ (The Thin Man, 1934)

Die Erzählungen

1) The Tenth Clew (1923)

Continental Op, der Agent der Privatdetektei Continental Detective Agency, ist zum Haus von Leopold Gantvoort in San Francisco gerufen worden, einem Unternehmer im Ruhestand. Doch der Mann taucht nicht auf. Erst als ein Anruf dessen Sohn Charles erreicht, wird der Grund deutlich: Gantvoort ist ermordet worden. Dabei hatte Gantvoort den Detektiv gerufen, um vor einem Mann beschützt worden, der Drohungen gegen ihn ausgestoßen hatte, einem gewissen Emil Bonfils.

Inspektor O’Gar ist ein guter Bekannter des Op und zeigt ihm wie auch Charles sowohl die übelst zugerichtete Leiche als auch die Gegenstände, die am Fundort gesammelt worden sind. Gantvoort wurde im Golden Gate Park in einem Auto gefunden. Etliche der Gegenstände gehören ihm gar nicht, sagen Charles und sein Butler Whipple. Und wie sich zeigt, führt keine einzige dieser Spuren zu einem Ergebnis. O’Gar und unser Mann sind ratlos.

Also fragen sie Creda Dexter, die, wie Gantvoorts Anwalt verrät, in wenigen tagen die gattin der gutbetuchten Millionärs werden und per Testament Anspruch auf die Hälfte des Vermögens bekommen sollte. Sie hatte sicherlich keinerlei Tatmotiv, wohingegen sowohl ihr Bruder Madden als auch Charles Gantvoort, der bislang einzige Erbberechtigte, gegen die heirat waren. Creda ist die Verkörperung einer Katze und ebenso schön. Hatte sie etwa einen zweiten Liebhaber? Sie sagt nein und beharrt darauf.

Als unser Detektiv dem aus New York City zurückkehrenden Madden Dexter entgegenreist, um ihn abzufangen, bevor er zuviel erfahren hat, taucht ein Mr. Smith auf der Fähre von Oakland nach Frisco auf. Ein keineswegs zimperlicher Bursche, denn nach einem Schlag auf den Hinterkopf landet unser Detektiv in der nebligen San Francisco Bay…

Mein Eindruck

Dass dies nicht sein Ende sein kann, versteht sich von selbst. Er hat noch viele Abenteuer zu bestehen. Es kommt zu einem gewalttätigen Showdown mit „Mr. Smith“ und zu einer überraschenden Aussage von „Creda Dexter“. Natürlich sind das nicht die wahren Namen der beiden Vermögensjäger.

Man merkt an dem realistischen, nahezu journalistischen Tonfall, dass hier jemand aus der eigenen Erfahrung erzählt. Die Agency ist natürlich Pinkerton, für die der Autor von 1914 bis 1918 arbeitete und später noch einmal, dann aber bereits unter der Last der Tuberkulose, die er sich 1918/19 in einem Sanatorium der US-Armee zugezogen hatte. Deshalb verwundert es auch nicht, dass die „Agency“ in allen US-Großstädten sowie in Paris ihre Leute hat, Telegramme in Windeseile austauschen und Informationen überprüfen kann, genau wie das FBI heute. Denn aus Pinkertons wurde das FBI, und unter J. Edgar Hoover wurde das FBI eine eigene Macht im Staate.

Erzähltechnisch hält sich diese frühe Story noch an die Konventionen der Zeit. Die Aussprache am Schluss klärt alle Rätsel auf, und die junge Dame steht fein da. Das soll sich bis zum „Malteser Falken“ radikal ändern. Als sozialen Hintergrund hat man sich die Prohibitionszeit vorzustellen, die ganz zu Recht als besonders verlogen gilt – denn das Prohibitionsgesetz selbst war schon verlogen, wie Steven Marcus (s.u.) erklärt. Daher der Auftritt von Mitgiftjägern, Betrügern und so weiter.

2) The Golden Horseshoe (1923)

Der Privatdetektiv wird von einem Anwalt beauftragt, einen vermissten Engländer zu suchen, einen gewissen Ashcraft, seines Zeichens Architekt, der seine Frau nach einem Streit in England hat sitzen lassen. Nun soll er sich irgendwo zwischen Seattle und San Francisco aufhalten, und seine inzwischen reuig gewordene Gattin schickt ihm nach Frisco postlagernd monatlich geld. Leider hat sie alle Fotos, die den Ausgebüxten identifizieren könnten, aus Wut verbrannt. Dieser Fehler erweist sich später als verhängnisvoll. Inzwischen weilt sie selbst in der Stadt und hofft, dass der Detektiv Erfolg hat.

Auf dem Postamt passt er den Geldabholer ab, einen kleinen Einrecher, doch er hat eine Verbindung nach Tijuana, wohin er einem gewissen Ed Bohannon das abgeholte Geld schicken soll. Bohannon logiere in einer Spelunke namens „The Golden Horseshoe“, also Das goldene Hufeisen.

Ed Bohannon alias Ashcraft dort zu finden, ist einfach. Schwieriger ist es, ihn zum Reden zu bringen. Dafür muss der Detektiv ganz besonders trinkfest sein. Er lernt dabei auch Eds 18-jährige „Freundin“ Kewpie kennen, die sich später als exzellente Messerwerferin erweist. Besser, man kommt ihr nicht blöd. Aber der Detektiv von Continental kann es nicht lassen, sie bei einem zweiten Besuch ein wenig aufzuziehen: Ob ihr Ed jetzt noch bei ihr bleiben wird, wo doch die feine Lady mit dem vielen geld in die USA gekommen ist?

Der Detektiv sollte Ashcraft lediglich finden, mehr nicht. Als der Anwalt ihn zu Mrs. Ashcraft schickt, um ihr Bescheid zu geben und um weitere Instruktionen zu bitten, findet er ein sehr stilles Haus vor. Er dringt durch die Küchentür ein und sieht in der Spüle ein blutiges Messer, das nichts Gutes verheißt. Der Boy, ein Filippino, liegt mit durchschnittener Kehle im Flur. Eine Blutspur führt nach oben in die Schlafzimmer…

Mein Eindruck

Der Fall nimmt nach Mrs Ashcrafts Ermordung eine dramatische Wendung, und unser Detektiv fordert mehr Personal an. Wie sich herausstellt, muss er es mit einem Mann fürs Grobe aufnehmen, den Bohannon angeheuert hat. Es kommt zu einem gewalttätigen Showdown. Am Schluss nimmt der Fall erneut eine unerwartete Wendung, denn Bohannon ist wirklich Bohannon und nicht etwa der gesuchte. Wo aber ist der echte Mr. Ashcraft abgeblieben?

Das Milieu, das Südkalifornien und die mexikanische Grenze beherrscht, erinnert bereits an heutige Zeiten, allerdings noch im Larvenstadium: der Schmuggel von Alkohol, harten Drogen und Menschen. Bohannon ist Opiumraucher, als stamme er aus dem 19. Jahrhundert. Doch er bietet auch C an, also Cocaine. Und natürlich gibt es in Mexiko, wo keine Prohibition herrscht, jede Menge Alkohol – und völlig legales Glücksspiel. Was für ein Kontrast zum prüden Frisco.

Die Sprache zeichnet diese Erzählung besonders aus. Die lowlife-Typen, denen unser Detektiv hier vorwiegend begegnet, reden nicht nur Umgangssprache, sondern richtigen Szene-Slang. Da ist von „yeggs“ die Rede, also Einbrechern und Safeknackern, von „Vagging“, also dem Festnehmen wegen Landstreicherei („vagrancy“) und dergleichen. Es gibt eine Unmenge Slang-Synonyme für Knarre, Dietrich, töten, saufen, beschatten und so weiter. Vieles davon lässt sich aus dem Zusammenhang erschließen, manche Wörter musste ich nachschlagen. Es muss aber schon ein sehr gutes Wörterbuch sein, welches auch nordamerikanischen Slang aufführt.

Diese Erzählung gibt es auch als deutsches Hörbuch.

3) The House in Turk Street

Eigentlich wollte der Detektiv nur nach dem jungen Rüpel suchen, der eine alte Dame aus der Straßenbahn gestoßen hat. Ahnungslos ist er der Einladung des weißhaarigen, sanftmütigen Ehepaars gefolgt und hat das Haus in der Turk Street betreten, um gemütlich ein Tässchen Tee zu schlürfen und die Nachbarn durchzuhecheln. Bis ihm unvermittelt der kalte Lauf eines Revolvers in den Nacken gestoßen wird.

Der Besitzer der Kanone wird Hook genannt und ist eindeutig zu nervös für die Bedürfnisse unseres Helden. Eine junge Frau, die später Elvira genannt wird, und ein distinguiertes Englisch sprechender Chinese namens Tai komplettieren das Trio. Auch die beiden Senioren zücken nun ihre Knarren, um den Detektiv in Schach zu halten. In was ist er da bloß hineingeraten, fragt er sich, als Hook ihn an den Stuhl fesselt.

Offenbar bieten die Senioren einem Räubertrio Obdach (gegen einen Anteil), das an der ganzen Westküste Kuriere von Wertpapieren und dergleichen überfällt. Elvira spielt dabei die Venusfliegenfalle für den jungen Kurier, Hook ihren wütenden Ehemann, Tai kümmert sich ums Geschäftliche. Sie glauben, der Detektiv sei ihnen wegen des L.A. Jobs auf die Schliche gekommen und wolle die Wertpapiere, die immerhin an die 100.000 Mäuse bringen könnten, wiederbeschaffen.

Allerdings erweist es sich als Tais Fehler, ihm das Leben zu retten, indem er Hook daran hindert, den Detektiv abzuknallen. Denn einmal im Besitz der von Elvira versteckten Papiere verfügt er über ein Trumpf-Ass im Ärmel. Nun muss er die bleihaltigen Verhandlungen nur noch überleben…

Mein Eindruck

Wie später in „Der Malteser Falke“, zu dem diese Story wie eine Fingerübung wirkt, streiten sich die Gangster, bis kaum einer davon mehr am Leben ist. Ihr zentrales Problem ist, dass sie einander einfach nicht vertrauen können. Jeder kocht sein bzw. ihr eigenes Süppchen. Es ist verblüffend zu lesen, wie sie es schaffen, ihre Zahl Schritt für Schritt zu dezimieren. Nur ein Mitglied der Bande kommt davon, und dieses will sich der Detektiv später schnappen.

Im Unterschied zu den vorhergehenden und vielen anderen Conti-Op-Stories (in „The Big Knockover“) herrscht hier eine Umkehrung der Konfliktsituation. Der Detektiv sitzt in der Falle, dem titelgebenden Haus, und es entwickelt sich ein spannendes Kammerspiel, das in krassem Gegensatz zu den vielen Verfolgungsjagden in den anderen Geschichten steht. Es ist, als befände sich der Konflikt in einem Dampfkochtopf und müsse sich jeden Moment gewaltsam entladen. Auch auf diese Weise lässt sich immense Spannung erzeugen.

4) The Girl with the Silver Eyes

Der Dichter Burke Pangburn vermisst seine Freundin, die er als Jeanne Delano kennengelernt hat. Die Detektei soll nach ihr in Baltimore suchen, von wo sie ihre letzten Briefe schickte. Doch nun ist sie verstummt, und alle Briefe an ihre Adresse kommen als „unbekannt“ zurück. Pangburn ist verzweifelt. Er liebt Jeanne offenbar über alles und wollte sie heiraten. Was unserem Detektiv rein gar nicht weiterhilft. Ist der Dichter überhaupt zurechnungsfähig? Pangburn weiß als seinen Schwager einen der wichtigsten Industriellen an der Westküste anzugeben, R.F. Axford. Das ändert natürlich alles. Axford bürgt für seinen Schwager.

Als der Detektiv und Axford zusammen den Dichter nach dieser ominösen Jeanne Delano fragen wollen, ist er wie vom Erdboden verschluckt. Ein besuch auf Axfords Bank, bei der auch die Delano ihr Konto hatte, fördert eine weitere Überraschung zutage: Ein gefälschter Scheck über 20.000$ auf Axfords Namen wurde Delano gutgeschrieben und die löste einen weiteren Scheck über genau diesen Betrag ein, um ihr Konto ausbezahlt zu bekommen: nicht weniger als über 21.000 Dollar. Das hat sich gelohnt.

Für den Detektiv ist der Betrugsfall klar. Doch dann nimmt die Sache eine dramatische Wendung. Nicht nur Pangburn und Delano wurden in der Kaschemme White Shack des Alkoholschmugglers Joplin gesehen, sondern auch ein feiner Pinkel, mit dem Delano gesehen wurde, ein gewisser Kilcourse. Nachdem er von Porky Grout, seinem Informanten vor Ort, einen Tip bekommen hat, fährt der Detektiv zusammen mit Axford zu der Kaschemme an der abgelegenen Halfmoon Bay.

Sie kommen zu spät. In der Einfahrt liegt eine Leiche. Die erste von mehreren, die es an diesem Abend geben wird.

Mein Eindruck

Diese längere Erzählung ist die direkte Fortsetzung zum „Haus in der Turk Street“. Denn das titelgebende Mädchen ist keine andere als die gesuchte und entkommene Elvira, die sich nun „Jeanne Delano“ nennt. Obwohl unsere Detektiv weiß, weiß sie ein Mädchen aus der Hölle ist, lässt er sich um ein Haar von ihrem Sirenengesang betören. Doch man sollte nie die Fakten aus dem Blick verlieren, ermahnt er sich, und zählt ihr all die Lügen auf, die in ihrer Verteidigungsrede enthalten sind. Dann liefert er sie bei der Polizei ab.

Die Masche, einen leichtgläubigen Trottel wie etwa einen Dichter erst zu betören und dann abzuzocken, ist uralt. Wahrscheinlich schon die Hetären im antiken Griechenland eine gute Ahnung davon, wie das zu bewerkstelligen ist (und selbst Staatsmann Perikles war stolz auf seine Hetäre). Delanos Verhängnis bestand darin, einen winzigen Fehler zu machen: Sie lief Kilcourse über den Weg und sagte ihm, sie wollte ehrbar werden. Das machte sie automatisch von einer Verbrecherkollegin zu einem Opfer. Der Rest ergab sich von alleine: Er erpresste sie damit, dass er sie verriete, sollte sie ihm nicht 20.000$ zahlen.

Eine andere wunderbare Charakterstudie, mal von dem verliebten Pangburn abgesehen, ist Porky Grout. Der Informant kehrt gern den tapferen Maulhelden hervor, doch wenn man hart bleibt und ihm zusetzt, verwandelt er sich geradezu zu Knetmasse in der Hand. Grout könnte direkt aus dem Personalfundus von Shakespeare stammen, vielleicht aus dem Umfeld von Falstaff und Henry V. Er nimmt ein ganz erstaunliches Ende während der furiosen Verfolgungsjagd im letzten Viertel der Geschichte: Er stellt sich dem heranrasenden Auto mit feuernden Revolvern entgegen. Dreimal darf man raten, welche Figur ihn dazu gebracht haben mag…

5) The Whosis Kid (zw. 1925 und 1929)

Nach acht Jahren, die seit seinem Aufenthalt in Boston vergangen sind, erkennt der Continental Op in San Francisco einen Killer wieder, vor dem er seinerzeit gewarnt wurde: der Whosis Kid. Markantes Merkmal sind seine Ohren. Und der Blick seiner blassen, toten Augen verheißt nichts Gutes für jeden, der ihm dumm kommt oder den er im Visier hat.

Der Whosis Kid bewegt sich auf merkwürdig unauffällige Weise. Offenbar beobachtet er ein bestimmtes Haus und ein Apartment, das sich darin befindet. Wenig später wird der Killer selbst fast auf offener Straße über den Haufen geschossen, aus einem langsam fahrenden Auto heraus. Der Detektiv greift natürlich ein, sonst hätte er seine Deckung aufgegeben.

Aber im Wagen der Angreifer, so seine Entdeckung, sitzt ein Ausländer, der im vornehmen Marquis Hotel logiert, ein gewisser Maurois. Diesen beschattet er mit einem eigenen Fahrzeug. Diesmal attackiert der Franzose ein Pärchen, das aus einem Restaurant kommt: einen Riesen und eine Zwergin. Zumindest sieht sie neben dem Fleischberg wie eine Zwergin aus.

Die Frau kann sich bei dem Schusswechsel in Sicherheit bringen, und als der Detektiv seine Beifahrertür öffnet, schlüpft sie herein. Die Pistole, mit der sie ihn bedroht, entwindet er ihr und haut sie ihrem Verfolger auf die Rübe. Dann rast er davon, zu ihrem Apartment, das sich als genau jenes entpuppt, das der Whosis Kid beobachtet.

Die Frau hat dunkle Haut und schwarzes Haar, verführerische Augen und eine ausländische Ausdrucksweise. Einem Briefumschlag entnimmt unser Mann ihren exotischen Namen: Inés Almad. Auf ihre Verführungskünste fällt er nicht herein, obwohl er eine Menge Brandy trinken muss, um ihr standzuhalten. Ihr kleiner, lila angemalter Hund stört das traute Beisammensein, ebenso der Verdacht, sie könnte nicht ganz richtig im Oberstübchen sein.

Um zwei Uhr morgens trifft dann die Gesellschaft ein, auf die unser Agent gewartet hat: Maurois und sein Fahrer mit dem großen Kinn. Der Franzmann verlangt von Ines die Beute aus einem Verbrechen, das sie zusammen begangen haben. Von seiner Detektei weiß unser Mann bereits, worum es sich handeln könnte: Rohdiamanten aus Boston, wegen der der Whosis Kid gesucht wird.

Wenig später tauchen weitere unangenehmen Gäste auf, darunter der Riese und der Whosis Kid, so dass der Detektiv auf eine kleine muntere Party hoffen darf. Wenn die Luft nicht auf einmal so bleihaltig wäre…

Mein Eindruck

Der Schluss ist leider schon meilenweit vorauszuahnen, denn die Sache geht genauso aus wie der Showdown im Haus in der Turk Street. Die Bösen gehen drauf, der Detektiv überlebt, ebenso wie die Frau, die alle ihre Komplizen hereingelegt hat. Dass sie vielleicht nicht ganz zurechnungsfähig ist, dürfte für den Hammett-Leser auch nicht gerade neu sein, und dass sie egomanisch ist, versteht sich von selbst. Sie ist der Typ des Überlebenskünstlers, der seine eigenen Bedürfnisse über die aller anderen stellt, denn das sind nur Opfer oder Komplizen.

Der Showdown der Komplizen enthüllt wieder einmal, wieviel Misstrauen unter Verbrechern herrscht und dass dies verhindert, dass das Böse siegt. Diese Szene, die vom Whosis Kid beherrscht wird, lieferte quasi die Vorlage für jene lange Szene in „Der Malteser Falke“, die dem Finale vorausgeht.

Auch wenn sich der Auftakt zu dieser langen Erzählung spannend anlässt, so wirkt die zweite Hälfte doch wie ein Neuaufguss des „Hauses in der Turk Street“, wenn auch wesentlich besser ausgearbeitet. Bemerkenswert ist vielleicht noch, dass alle drei Komplizen – die Spanierin, der Franzose und der Bostoner Killer – nicht aus Frisco kommen, sondern hier nur wegen Ines gestrandet sind. Durch den lila angemalten Hund Frana – ein tschechischer Vorname – wird das ganze Geschehen auf die Ebene einer Theateraufführung gehoben. Das arme Tierchen überlebt die Vorstellung nicht.

6) The Main Death

Ray Main ist in seiner Wohnung vor den Augen seiner Frau von Räubern erschossen worden. Er war der Kurier des Antiquitätenhändlers Bruno Gugen, der die Detektei beauftragt hat, das Geld, das Main aus Los Angeles nach einem Verkauf dabei hatte, wiederzubeschaffen: immerhin 20.000 Dollar. In bar. Das kommt unserem Ermittler schon mal merkwürdig vor.

Bemerkenswert findet er auch, dass die bei dem Überfall auf Main verwendete Waffe in der Gasse hinterm Haus landete, die Brieftasche Mains aber nicht. Sie landete bloß auf dem niedrigeren Dach eines Gemüsehändlers, noch dazu mit einem Damentaschentuch daran, auf dem das Monogramm E eingestickt und das Parfüm Desir de coeur deutlich zu riechen ist. Mains Frau sagt aus, einer der beiden Räuber sei schlank und von mädchenhafter Statur gewesen.

Ungefähr so wie Enid, Bruno Gungens 18-jährige Frau, aussieht. Und sie duftet nach Desir de Coeur. Aber wo ist das Geld geblieben, will der unsympathische Gungen wissen. Und nicht nur das interessiert ihn: Er vermutet offenbar eine Affäre zwischen Enid und Ray Main. Da will sich der Detektiv nicht einmischen.

Das Geld ist leicht zu finden: Er braucht bloß das Zimmermädchen von Enid Gungen beschatten zu lassen und stößt sofort auf zwei verurteilte Verbrecher, die gesucht werden. Dort stellt er das Geld sicher, aber getötet haben sie Main nicht. Aber wer hat denn nun den Kurier auf dem Gewissen und welche Rolle spielte dabei Enid Gungen? Der Fall birgt noch einige Wendungen.

Mein Eindruck

In diesem kurz und rasant geschilderten Fall muss sich der Detektiv, ob er will oder nicht, als Ritter mit Feingefühl erweisen. Er lügt, dass sich die Balken biegen, um zwei Frauen vor weiterem Unglück zu bewahren. Keiner ist eigentlich Leidtragender, sieht man mal von dem unglücklichen Ray Main ab. Seine Witwe kassiert die Lebensversicherung. Gungen bekommt keine Information, die seine junge Frau in seine Hände spielen würde, und Enid wird nicht belastet.

Auf diese Weise sind alle fein raus, nur das Gesetz ist völlig im Eimer. Wie später bei Robert B. Parker, der über Hammett und Chandler eine Doktorarbeit schrieb, sind Gesetz, Recht und Gerechtigkeit drei verschiedene Dinge. Und für den Detektiv steht die Gerechtigkeit manchmal über dem Gesetz.

7) The Farewell Murder (1929)

Unser Mann in San Francisco fährt per Bahn ins ländliche Städtchen Farewell, wo ihn ein sehr einsilbiger Fahrer abholt. Er ist von einem Mr. Karalov beauftragt worden, eine Morddrohung zu untersuchen und ihn dagegen zu schützen. Auf dem Weg zum Herrenhaus, das mit einer Fabrik kombiniert worden zu sein scheint, wird der Detektiv durch eine lange Chaussee chauffiert – bis plötzlich ein Schwarzer mit einem messer in der Brust auf der abendlichen Straße liegt. Als er zurückfährt, um nachzusehen, ist die vermeintliche Leiche verschwunden. Seltsame Dinge gehen in diesem Distrikt vor sich.

Das bestätigt sich auch beim Abendessen, bei dem der gerade mal 52 Jahre alte ehemalige britische Kolonialoffizier Karalov von seiner zeit in Kairo vor zwölf Jahren erzählt. Sein Schwiegersohn Ringgo und seine Tochter, eine Orientalin, lauschen. In Kairo hätten er und Ringgo diesen Captain Sherry kennengelernt, der nun auf ihrem Land aufgetaucht sei. Jeder von ihnen dreien machte damals Geschäfte mit dem Verhökern von Militärmaterial. Als der Handel aufflog, wurde nur Sherry unehrenhaft entlassen. Seine Zukunft war ruiniert. Dafür wolle er sich nun rächen, ist Karalov überzeugt: „Ich will Sie sterben sehen“, habe ihm Sherry gesagt.

Das muss keine Morddrohung sein, findet der Detektiv, doch der gebrochene Arm, den Ringgo ihm zeigt, soll das Gegenteil belegen: von Sherry oder seinem messerwerfenden Gehilfen Marcus, diesem Afrikaner, gebrochen, sagt Ringgo. Da kommt die Meldung, eines der Felder der Plantage brenne. Vor Ort sehen Ringgo und der Detektiv nur die auf den auf einem Spieß steckenden Kadaver eines Basset-Hundes, der über einem Feuer brutzelt. Sehr unprofessionell, findet der Mann aus Frisco. Ringgo ist abgestoßen von soviel Kaltblütigkeit. Er liebte den Hund.

Am nächsten Morgen ist es an der Zeit für einen Besuch bei Sherry. Der Ex-Hauptmann macht überhaupt nicht den Eindruck eines Wahnsinnigen, den die Karalovs vermittelten. Allerdings redet er von einer „Stimme aus einem Orangenbaum“, die ihm, als er in Nordafrika weilte, befahl, nach Farewell zu gehen, zu Karalov. Und letzte Nacht habe er, Sherry, geträumt, eben dieser Karalov sei mit durchschnittener Kehle aufgefunden worden – genau das also, wofür er hergekommen sei. Er lässt Marcus seine Sachen packen.

Doch am nächsten Morgen findet das Personal den Hausherrn tatsächlich mit durchschnittener Kehle vor. Und Sherry ist schon über alle Berge, lauten die Meldungen. Doch irgendetwas ist faul an der Sache, ist sich der Detektiv gewiss. Es dauert allerdings Monate, bis er die unglaubliche Wahrheit zutage gefördert hat…

Mein Eindruck

Wieder sind es Ausländer, mit denen es der Detektiv zu tun bekommt, und wieder liegen die Wurzeln des Verbrechens in der Vergangenheit, ähnlich wie in „Der Malteser Falke“, der bald nach dieser Erzählung erscheinen sollte. Doch diesmal kommt noch ein Schuss Unerklärliches hinzu, das ans Übernatürliche grenzt: Eine Leiche mit einem Messer in der Brust, die auf geheimnisvolle Weise verschwindet. Zwei scheinbare Verbrecher, die offenbar ein wasserdichtes Alibi haben, aber einen aufgeschlitzten Magnaten hinterlassen.

Es folgt eine Farce, in deren Mittelpunkt die Gerichtsbarkeit in gestalt des Bezirksstaatsanwalts und der Sheriff stehen. Beide sind ratlos, und der Staatsanwalt kaut erst seine Nägel ab, dann sogar die Fingerspitzen, wie uns erzählt wird. Der Verteidiger Sherrys lacht sich indes ins Fäustchen, bis sein Mandant schließlich freigesprochen wird. Ist der Fall damit geschlossen? Mitnichten, denn jetzt nehmen die Ereignisse eine dramatische Wendung – über diese darf hier aber nichts verraten werden.

Was über das britische Militär in Kairo erzählt wird und so empörend klingt, ist keineswegs an den Haaren herbei gezogen. Denn anno 1918 trat, wie Steven Marcus berichtet, Hammett selbst den Streitkräften bei, kämpfte in Europa und landete in einem Lazarett an der US-Ostküste. Dort steckte er sich mit TBC an, unter der er zeit seines Lebens zu leiden hatte. Es war also ein denkwürdiger Aufenthalt bei der Army und nicht gerade Anlass zu Lobeshymnen. Dass er sich 1941 nochmals zur Army meldete und sogar (trotz der narben auf seiner Lunge) angenommen wurde, um auf den Aleuten stationiert zu werden, verwunderte nicht nur seine Lebensgefährtin Lillian hellman, sondern sämtliche Biographen.

Die Einführung von Steven Marcus

Nach einer standardmäßigen Skizze über das Leben und die wichtigsten Werke Hammetts widmet sich der Englischprofessor intensiver einer Analyse der wichtigsten Themen und Aussagen des Autors. Er selbst wurde durch Huston-Verfilmung des „Malteser Falken“ (1941) mit Humphrey Bogart mit Hammetts Ideen bekannt. Durch seine Untersuchungsergebnisse macht er nachvollziehbar, wie es einem einzelnen Autor gelingen konnte, das Genre des Kriminalromans vom Niveau des Groschenheftes à la „Black Mask“ zur Mainstream-Literatur, ja, sogar zu Kunst emporzuheben – und das in nur zehn Jahren.

Das Englischniveau

Einige Stories warten mit sehr viel US-Slang der zwanziger Jahre auf, so dass Leser, die schon mal Noir-Filme im Original gesehen und verstanden haben, im Vorteil sind.

Unterm Strich

Bis auf eine oder zwei der Erzählungen habe ich alle Stories sehr genossen. Wer sich für die Anfänge des modernen Krimis bzw. die Detektivgeschichte interessiert, kommt an Hammetts Erzählungen über den Continental Op nicht vorbei. Hier sind sie alle: der abgebrühte Detektiv, der auf eine große Organisation zurückgreifen kann; die zwielichtige femme fatale mit dem Sirenengesang; die skrupellosen Gangster; und schließlich die Trottel, die sich immer wieder ausnehmen lassen.

Immer wieder bemerkenswert ist die Charakterstärke von Hammetts Frauenfiguren: Sie haben eigene Motive, einen eigenen Willen und sind entschlossen, sich zu befreien. Manchmal hilft ihnen der Detektiv sogar. Diese Vorgabe findet sich auch bei Chandler wieder, wo die starke Frau zur Gefährtin werden kann, wie etwa in „The Big Sleep“. Beide varianten finden sich bei Robert B. Parker wieder, wo der Detektiv Spenser auf die Unterstützung und Mitarbeit seiner Lebensgefährtin Susan Silverman, einer promovierten Psychotherapeutin, bauen kann.

Die einzige Enttäuschung dieses Bandes ist die Wiederholung des Grundmotivs des Gaunerzwists, das erst in „House in Turk Street“ und dann nochmal in „The Whosis Kid“ verwendet wird. Auf diese Weise erscheint dem Leser der Ausgangs des Streits schon lange vor Ende vorhersehbar: fast alle Beteiligten werden ins Gras beißen. Dass der Detektiv überlebt, versteht sich von selbst, da er ja der Chronist ist.

Die Einführung des Literaturprofessors Steven Marcus fand ich sehr erhellend. Er liefert biographische Angaben als Grundlage, bevor er auf die wichtigsten Merkmale, Motive und Elemente der Werke eingeht. Auf diese Weise ergänzt er die ausführlichen biographischen Erinnerungen, die Lillian Hellman in der Sammlung „Fliegenpapier“ bzw. „The Big Knockover“ veröffentlicht hat.

Taschenbuch: 321 Seiten
Vintage Books, Random House, 1974.
ISBN 9780394720135

https://www.randomhousebooks.com/