Dashiell Hammett – Der gläserne Schlüssel

Ungewöhnlicher Krimi aus Irgendwo, USA

Taylor Henry, der Sohn des Senators Henry, liegt tot auf der Straße. Und das kurz vor den Wahlen. Paul Madvig hatte sich vor Kurzem mit Taylor gestritten, denn Taylor machte Madvigs Schwester Opal den Hof, und das passte Madvig nicht. Ist Madvig der Mörder? Viele glauben das. Madvigs Freund Ned Beaumont beginnt nachzuforschen und stößt dabei auf ein Wespennest.

Der Autor

Dashiell Hammett gehört zusammen mit Raymond Chandler zu den geistigen Vätern des »Hardboiled«, des realistischen, härteren Krimis amerikanischer Art. Im Gegensatz zu den klassischen Krimis des Golden Age (Arthur Conan Dolye / Sherlock Holmes, Agatha Christie / Miss Marple / Hercule Poirot, etc.) sind in Hammetts Krimis sowohl die Gesellschaft als auch seine Protagonisten verroht. Habgier, Betrug und Gewalt bestimmen das Leben, seine toughen Detektive ermitteln ohne Moral, aber mit Prinzipien. Wie seine »Helden« ist auch der Autor vom Leben hart getroffen.

1894 wurde Dashiell Hammett als Sohn eines Politikers und Farmers und einer gelernten Krankenschwester geboren. Sie zogen nach seiner Geburt von St. Mary’s County, Maryland nach Philadelphia und Baltimore. Bereits mit 14 Jahren verließ er die Schule, um seine Familie zu unterstützen. Hammett übte die verschiedensten Berufe aus, war Zeitungsjunge, Kurier, Leiter einer Werbeabteilung, bis er schließlich bei der Detektei Pinkerton in Baltimore anfing.

Während des Ersten Weltkriegs erkrankte Hammett an der Spanischen Grippe, was zu einer schweren Tuberkulose führte, an der Hammett sein ganzes Leben leiden sollte. Nach dem Krieg fing er wieder bei Pinkerton an. Doch das Gehalt war gering, er schrieb Anzeigentexte für ein Juweliergeschäft in San Francisco. Zu dieser Zeit erblickt „Continental Op“ das Licht der literarischen Bühne, Dashiell Hammetts erste kriminalistische Schöpfung und gleichzeitig der erste wirklich glaubhafte Detektiv in der amerikanischen Literatur. Über ihn schrieb Hammett insgesamt 30 Geschichten.

Auch Hollywood wurde aufmerksam auf den Schriftsteller: Sam Spade, eine weitere Figur Hammetts, wurde später mit dem legendären Humphrey Bogart als dessen Darsteller in „Der Malteser Falke“ verfilmt.

In den 30ern wurde Hammett politisch aktiv, engagierte sich in der Kommunistischen Partei. Während des Zweiten Weltkriegs diente Hammet drei Jahre in der US Army, war mitverantwortlich für ein Truppenblatt. 1948 wurde er Vorsitzender des Civil Right Congress.

1951 sollte sich seine politische Gesinnung und Aktivität als folgenschweres Verhängnis erweisen. Schon verfolgt vom Ausschuss für »unamerikanische Aktivitäten« im Rahmen von Senator McCarthys Anti-Kommunismus-Feldzug, wanderte er für fünf Monate ins Gefängnis, wurde jeglicher Publikationsmöglichkeiten beraubt.

Den Rest seines Lebens verbrachte der schwerkranke Hammett in New York, lehrte »Creative Writing« an der School of Social Science von 1946 bis 1956. Seine treue Weggefährtin Lilian Hellman pflegte den Autor ohne Berührungsängste vor dessen Tuberkulose ab 1956. Dashiell Hammett starb am 10. Januar 1961 völlig verarmt an Lungenkrebs. (aus „krimi-couch.de“) In dem Erzählband „Fliegenpapier“ liefert Hellman eine anschauliche Skizze vom Leben des Schriftstellers und seiner Ehe mit Hellman.

Kriminalromane von Dashiell Hammett:

1) „Bluternte / Rote Ernte“ („Red Harvest“, 1929)
2) „Der Fluch des Hauses Dain“ („The Dain Curse“, 1929)
3) „Der Malteser Falke“ („The Maltese Falcon“, 1930)
4) „Der gläserne Schlüssel“ („The Glass Key“, 1931)
5) „Der dünne Mann“ („The Thin Man“, 1934)

Handlung

Der Spieler Ned Beaumont findet die Leiche eines Mannes auf dem Gehweg der China Street: Es handelt sich um Taylor Henry, ebenfalls einen Spieler. Beaumont begibt sich jedoch nicht zur Polizei, sondern zu seinem Freund Paul Madvig, einen Politiker, um dort die Polizei anzurufen. Paul hat nichts dagegen. Tatsächlich ist er so ruhig und gleichgültig, als würde man in diesen Zeitem der Prohibition jeden Tag Leichen auf der Straße finden.

Zur gleichen Zeit findet ein Straßenpolizist den toten Taylor Henry. Dieser ist der Sohn von Senator Henry, um dessen Tochter sich Paul Madvig bemüht: Er will sie heiraten – und natürlich den Senator als Unterstützer bei den anstehenden Senatswahlen. Zugleich weiß Ned Beaumont, dass es Paul nicht recht war, dass Taylor Henry seine Schwester Opal umgarnte. Aber ist das ein Mordmotiv?

Beaumont hat in der Nacht zuvor auf ein Rennpferd gesetzt und gewonnen. Doch wo ist der Buchmacher Bernie Despain? Untergetaucht, meint dessen Freundin Lee wütend – mit all ihrem Schmuck. Nur drei Schuldscheine von Taylor Henry hat das Schwein zurückgelassen. Schau an, Schuldscheine über 1200 Dollar. Beaumont will sie nicht, aber er kann sich denken, wo er Bernie Despain findet: in New York, von wo er selbst stammt.

Beaumont verlangt von Paul Madvig, dass er zum Sonderermittler des Oberstaatsanwalts Farr ernannt wird. Null problemo, meint Madvig. Mit dieser Vollmacht ausgestattet heckt Beaumont einen Plan aus, um Bernie Despain den Mord an Taylor Henry anzuhängen. Denn Ermittlungen, die zu Madvig führen könnten, wären viel zu gefährlich. Findet er. Vorerst. Aber das wird sich ändern.

Alles klappt wie am Schnürchen, und ein über Opal besorgter Hut von Taylor Hwenry leistet dabei ausgezeichnete Dienste. Doch als Beaumont in Madvids Stadt zurückkehrt, tauchen auf einmal anonyme Briefe auf, die unangenehme Fragen stellen, so etwa nach dem Hut. Auch der Oberstaatsanwalt bekommt so einen. Jetzt wird Beaumont der Boden zu heiß und will weg. Das hofft Madvig mit einem dicken Scheck zu verhindern, doch es kommt zum Krach.

Die Gunst der Stunde gedenkt Shad O’Rory zu nutzen, der zwielichtige Boss über die Hälfte der illegalen Spelunken der Stadt – und über die Hälfte der geschmierten Cops. O’Rory will Madvig bekämpfen, weil der ihm das Geschäft dichtmachen will. Und wenn er Beaumont dazu bringen könnte, ihm alle schmutzugen Geheimnisse Madvigs zu verraten, so hätte er eine starke Waffe in der Hand.

Doch als Beaumont Gewissensbisse bekommt und Madvig nicht verraten will, gerät er in Teufels Küche …

Mein Eindruck

Der Roman beginnt scheinbar völlig lapidar mittendrin. Ein langer Dialog zweier befreundeter Geschäftspartner, eben Madvig und Beaumont. Wir erfahren nie, wer sie sind, sondern nur, was sie tun. An keiner Stelle wird die berufliche Position von Paul Madvig explizit genannt: Er ist offenbar Bauunternehmer, Parteiführer und offenbar auch ein hohes Tier in der Stadtverwaltung, denn der sagt er, wo’s lang geht. Durch dieses und etliche weitere Rätsel entsteht eine gewisse Gespanntheit im Leser, der sich nun aufgefordert sieht, einige Puzzleteile zusammenzusetzen.

Folgendes scheint klar zu sein. In der Zeit der Prohibition (1930/31) leben die beiden Hauptfiguren in einer relativ kleinen Stadt, die aber nicht weit von New York entfernt liegt. Dass Politiker und Polizisten geschmiert werden und ihre Prozente bekommen, ist gang und gäbe. Wahlen stehen an – wofür, wird nicht gesagt, und weil wir Madvigs Position nicht kennen, können wir auch nicht darauf schließen, um welche es sich dreht. Aber wenn ein Senator involviert ist, so müssen es wichtige Wahlen sein – vielleicht die des Bürgermeisters?

Über Beaumont hat Madvig, der künftige Schwiergersohn des Senators, Kontakte zur Halb- und Unterwelt. So weiß er, wenn ein Verbrecher in den Knast wandert oder wieder freikommt; wann ein Alkoholschmuggler erschossen wird, weil er einer konkurrierenden Bande angehört; und vieles mehr. Ein Mann wie Beaumont kann vieles deichseln – aber wenn er auf der falschen Seite steht, auch viel kaputtmachen. Besser, man hält ihn sich warm, am besten mit dicken Schecks.

Das sieht Shady O’Rory etwas anders. Er setzt auch mal Gewalt als Mittel zur Überredung Beaumonts ein. Nicht nur seine Bulldogge weiß kräftig zuzubeißen – auch seine Handlanger haben „schlagende Argumente“. Ob Beaumont dies überlebt? Wir können davon ausgehen, aber mehr darf hier nicht verraten werden.

Regelverstöße

Hammett bricht mit etlichen Regeln, die noch für die Krimis von Agtha Christie und Dorothy L. Sayers galten. Das einzige Mittel der Charakterisierung ist die gesprochene Sprache. Die Physiognomie liefert nur geringe Anhaltspunkte über den Charakter einer Figur, so etwa „äffisch“ oder „schäfisch“. Folglich muss der Leser scharf aufpassen, was die Figuren sagen, ähnlich wie in einem Theaterstück.

Die Analogie zum Theater zeigt sich auch in den vielfach fehlenden Beschreibungen. Details der Umgebung werden nur mitgeteilt, wenn sie zum Bühnenbild gehören oder wenn sie zur Charakterisierung beitragen. Oberstaatsanwalt Farr etwa hat die Statue eines nackten Jungen auf seinem Schreibtisch stehen, die nach den Sternen zu greifen scheint. Offenbar ist Farr ein Mann mit geheimen Ambitionen, was im Widerspruch zu seinem Duckmäusertum gegenüber Madvig und Beaumont steht. Er ist Opportunist, der auf die günstige Gelegenheit wartet, um zuzuschlagen – und sich auf die richtige Seite zu schlagen.

Der Ermittler

Beaumont ist für uns ebenfalls ein Rätsel, das wir lösen müssen. Er ist zwar offiziell ein Sonderermittler des Staatsanwalts, also ein Schnüffler, doch er tut alle möglichen Dinge, die ein regulärer Gesetzeshüter nie tun dürfte. So etwa vernichtet er ein wichtiges Testament, kurz nachdem sich dessen Urheber die Kugel gegeben hat. Beaumont verhält sich aber auch nicht wie ein Privatdetektiv, denn er arbeitet nicht für einen Auftraggeber für einen ausgehandelten Tarif, sondern agiert freischaffend – ein freies Radikal sozusagen, dem alles zuzutrauen ist. Das macht diese Figur geradezu unberechenbar – und somit spannend.

Die Handlung wird nie verortet. Die Stadt könnte überall in den USA liegen. Nur New York ist ein realer Schauplatz; hier ist Beaumont zuhaus. Daten werden ebenfalls kaum genannt. Insgesamt scheint sich die Handlung über mindestens einen Monat zu erstrecken.

Träume

Bemerkenswert ist auch die Einführung von zwei Traumsequenzen in die Dialogszenen (der Text besteht zu 90 Prozent aus Dialog). Während von einer geangelten Forelle träumt, die man ihm wegnimmt, erzählt Janet Henry, seine Verbündete in der Ermittlung, dass sie geträumt habe, sie und ihr Vater hätten Essen in einem Hexenhäuschen gesehen, doch sei das Essen von hunderten Schlangen bewacht worden. Erst spät sei ihr eingefallen, wie man die Schlangen dazu bringt, das Haus zu verlassen. Doch beim Aufschließen sei der gläserne Schlüssel zerbrochen. Darauf bezieht sich der Buchtitel. Jeder Freudianer ist eingeladen, den Traum zu deuten.

Moralität

Die hier geschilderte Gesellschaft ist hierarchisch aufgebaut, von den Tieren wie dem Schläger Jeff ganz unten, bis zu den reichen, geachteten Mitgliedern wie dem Senator. Leider stellt sich heraus, dass in moralischer Hinsicht keinerlei Unterschied zwischen oben und unten besteht. Der Leser tut gut daran, Beaumont warnende Worte über die Familie Henry, die er an Madvig schon in der ersten Szene richtet, ernstzunehmen.

Die Übersetzung

Wie schon in der Übersetzung von „Der große Schlaf“ macht sich auch hier das hohe Alter der Übersetzung negativ bemerkbar. Einige Ausdrücke, die der Übersetzer damals ohne Weiteres verwenden konnte, weil viele sie verstanden, sind heute kaum noch verständlich – die Sprechergruppe ist binnen 35 Jahren eben weggestorben.

S. 10 + 93: „Schäfisch“: gibt es im DUDEN nicht; eine Direktübersetzung nach dem Original „sheepish“
S. 27: „einen Rochus haben“ = auf jemanden zornig sein
S. 31: „behumst“ = „ostmitteldeutsch für: übervorteilen“ (DUDEN)
S. 149: Garage = Autowerkstatt, die auch Wagen vermietet
S. 180: Sedan: keine Automarke, sondern ein Wagentyp, den wir heute als „Limousine“ bezeichnen.
S. 236: „Das Grinsen war breit, natürlich, stupid bestialisch.“ Mal von dem unsäglich schlechten Stil abgesehen frage ich mich, ob ein Grinsen wirklich „bestialisch“ sein kann. Diese Bezeichnung wird eher auf unmoralische Taten und das Verhalten dabei angewandt.

Unterm Strich

Ich brauchte für diesen Krimi ungewöhnlich lange, nämlich drei Tage. Obwohl der Text fast völlig aus Dialog besteht und somit flott zu lesen sein sollte, gibt es doch etliche Hindernisse, die dem sorglosen Lesen entgegenstehen. Dazu gehören v.a. die obengenannten Rätsel, die aus der Unbestimmtheit und Diffusität vieler Details herrühren. Hier verstößt der Roman gegen zahlreiche Regeln, die wir heute für selbstverständlich halten. Das erfordert einiges an Umgewöhnung.

Die Hauptperson Beaumont ist zwar ein Schnüffler, aber er verhält sich nicht wie einer – weder wie ein Cop noch wie ein Privatdetektiv, sondern wie ein FBI-Agent (der Autor war bei Pinkertons Detektiven, die das FBI gründeten). Wir folgen seinem unbekannten Weg, wie er von Verdächtigem zu Verdächtigem schlafwandelt, bis er schließlich auf rätselhafte Weise (intuitiv?) beim wahren Täter landet – indem er seine Verbündete, die sich schon auf Madvig eingeschossen hat, überlistet. Das ermöglicht ein feines Finale, dessen Emotionen aber auf mich wie aus einem Stummfilm wirken. Es ist eine versunkene Zeit, kein Zweifel.

Der Fall selbst ist knifflig. Wir wissen nie, woran wir sind, weder mit Beaumont, der uns nichts verrät, noch mit den Verdächtigen, von denen es etliche gibt. Politische Machenschaften im Vorfeld der Wahlen tun ein Übriges, um den Roten Faden zu überdecken. Aber wir brauchen uns bloß an Beaumont halten, dann kriegen wir den Täter schon. Äh, irgendwie. Von Beweisführung keine Spur, von CSI noch weniger, aber dafür jede Menge Verdachtsmomente und Auf-den-Busch-Klopfen, bis mal ein Geständnis rumkommt. Leider gibt es davon auch mindestens eines zu viel.

„Der gläserne Schlüssel“ ist also in jeder Hinsicht ein ungewöhnlich erzählter Kriminalroman. Insofern stellt er jeden heutigen Leser auf die Probe. Aber eines fand ich heraus: Es lohnt sich, bis zum Schluss durchzuhalten.

Taschenbuch: 264 Seiten
Originaltitel: The Glass Key (1931)
Aus dem US-Englischen von Hans Wollschläger
ISBN-13: 978-3257202946

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