MacBride, Stuart – Dying Light

_McRae, der Loser: Erfolgreich gegen jede Hoffnung_

In Abderdeen ist Detective Sergeant Logan McRae mit gleich drei Fällen befasst. Es beginnt mit Rosie Williams, ausgezogen und zu Tode geprügelt, die man unten an den Docks findet. Am anderen Ende der Stadt verbrennen sechs Menschen in einem Haus – jemand hat die Haustür zugeschraubt und Benzinbomben in die Fenster geworfen. Menschen verschwinden spurlos. Und schließlich muss sich Logan fragen, wie so sich ein angesehener Journalist wie sein Freund Colin Miller mit einem Typen einlässt, der offenbar für einen Gangsterboss aus Edinburgh arbeitet …

_Der Autor_

Stuart McBride war schon alles Mögliche: ein Grafikdesigner, dann ein Anwendungsentwickler für die schottische Ölindustrie und jetzt Kriminalschriftsteller. Mit seiner Frau Fiona lebt er in Nordostschottland. Seine Krimis um Detective Sergeant Logan McRae spielen in Aberdeen. Mehr Infos finden Sie unter [www.stuartmacbride.com]http:// www.stuartmacbride.com

|Werke:|

1) „Cold Granite“ (2005) = [„Die dunklen Wasser von Aberdeen“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=2917
2) „Dying Light“ (2006) = [„Die Stunde des Mörders“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3739
3) „Broken Skin“ (2007) = [„Der erste Tropfen Blut“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4940
4) „Blind Eye“ = „Blinde Zeugen“
5) „Flesh House“ (2008) = [„Blut und Knochen“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5792
6) „Halfhead“ (2009) – noch ohne dt. Titel
7) „Dark Blood“ (2010) – noch ohne dt. Titel
8) „Shatter the Bones“ (2011) – noch ohne dt. Titel

_Handlung_

Zuerst schraubt der Pyromane die Haustür zu, solange keiner was merkt, dann wirft er die Benzinbomben durch die Fenster im oberen Stockwerk des heruntergekommenen, besetzten Hauses. Während die Schreie anfangen und das Dach nach unten zu sinken beginnt, öffnet er seinen Hosenschlitz und holt sich munter einen runter. Ah, wie sie brutzeln und schreien …

Detective Sergeant Logan McRae von der Polizei in Aberdeen hat sich schon mal besser gefühlt, als er diesen Morgen seinen Dienst antritt. Bei seiner letzten Aktion gegen Diebe oder Hehler – es gab nur einen Tipp – ist sein Kollege Trevor Maitland schwer verwundet worden und liegt auf der Intensivstation. Die Dienstaufsicht in Gestalt von Mr. Napier droht, ihm den Arsch aufzureißen, gibt ihm aber noch eine letzte Chance: In der Vermassler-Schwadron, die von Detective Inspector Steel befehligt wird. Steel ist nicht nur eine Kettenraucherin, sondern auch eine Lesbe, die an ihren männlichen Kollegen stets etwas auszusetzen hat. Kann es schlimmer kommen? Es kann.

Unten bei den Docks, nahe dem Straßenstrich, wurde die Leiche von Rosie Williams gefunden, einer Prostituierten, die Logan kannte. Der Killer hat sie ausgezogen und zu Tode geprügelt. Als sie Rosies Freund Jamie McKinnon suchen, stoßen Logan und Steel erst auf Susie, Jamies Schwester. Die führt sie unwissentlich direkt zu Jamie, dessen Flucht sie zu verhindern wissen. Haben sie ihren Prostituiertenkiller?

Kurz nach diesem Erfolg ruft Inspector Insch Logan zu der Sache mit dem niedergebrannten Haus hinzu. Logan fällt sofort auf, dass dies genau jene Gegend ist, in der die Bande, die Maitland niederschoss, ihr Hauptquartier hatte. Logan verfügt über die seltene Fähigkeit, sich in den Täter hineinzuversetzen. Was würde er tun, wenn er Feuer gelegt hätte und auf die Schreie lauschte? Genau. Logan findet das vollgespritzte Taschentuch in der einzig möglichen Ecke. Immerhin haben sie jetzt eine DNS-Probe.

Wenige Tage später findet eine Spaziergängerin im „Wald der Skulpturen“ eine weitere erschlagene Prostituierte, Michelle Wood. Nicht weit davon liegt ein toter Labrador in einem Koffer – eine Fingerübung, wie Logan es nennt: Der Killer hat die Hurenmorde geübt. Mittlerweile ist der Straßenstrich in Aufruhr: Warum tun die Bullen nicht endlich was? Das Einzige, was Logan einfällt und was er Steel vorschlagen kann: Als Prostituierte verkleidete Polizistinnen sollen den Täter anlocken und so fangen. Steel, die Ketteraucherin mit dem faulen Mundwerk, wird sofort sarkastisch und tauft diese Schnapsidee „Operation Cinderella“. Sie haben maximal fünf Tage Zeit.

Unterdessen wird in einem weiteren Haus Feuer gelegt. Während sich beim Ersten herausstellte, dass ein bekannter Drogendealer dabei ums Leben kam, ist es diesmal eine scheinbar völlig unbescholtene Familie. Logan ist der Erste, der die Leiche hinter der eingeschlagenen Haustür findet. Mittlerweile befindet sich Jamie McKinnon im Krankenhaus: Er hat versucht, sich im Gefängnis umzubringen. Aber er kommt vom Regen in die Traufe: Zwei Gentlemen statten ihm einen Besuch ab, den er nicht so schnell vergisst, wie Logan und Steel finden. Jamies Finger sind gebrochen und in seinem Enddarm befindet sich ein Viertelkilo bestes Crack-Kokain. Offenbar möchte jemand, dass er das Gefängnis damit versorgt, wenn er dorthin zurückkehrt. Das wissen die Cops zu vereiteln.

Auf dem Ü-Video des Hospitals kommt Logan eines der beiden Gesichter bekannt vor. Er hat den hochgewachsenen Kerl, der Jamie die Finger gebrochen hat, schon in einem Pub im Gespräch mit Colin Miller gesehen. Colin ist Journalist bei der Tageszeitung von Aberdeen und ein Freund. Colin hat auch Logans Ex, die Pathologin Isobel McAlister, „geerbt“. Der Kerl, den Logan, kommt entsprechend seinem Akzent nicht aus der Stadt, sondern aus Edinburgh, wo bekanntlich der Gangsterboss Malcolm Maclennan das Sagen hat, den alle nur „Malk das Messer“ nennen. Was wollen Malks Abgesandte in Logans Stadt aufziehen? Wohl keinen Verein der christlichen Wohlfahrt, sondern eher ein Drogengeschäft.

Während sich Operation Cinderalla hinzieht, kann Logan Colin breitschlagen, ihm die Adresse der beiden Gangster zu verraten. Mit Großaufgebot lässt Steel auffahren und die beiden hopsnehmen. Sie darf sie nach schottischem Recht sechs Stunden ohne Anklage verhören und ohne ihnen einen Anwalt zu geben. Die Zeit wird knapp, als die beiden mauern. Die Cops ahnen nicht, dass sie die beiden Ziehsöhne Maclennans vor sich haben.

Um die Wartezeit totzuschlagen, nimmt sich Logan einer Vermisstenanzige an. Mrs. Ailsa Cruickshank Manns Gavin sei spurlos verschwunden, heißt es. Bei dieser Ermittlung stößt Logan unerwartet auf eine heiße Spur im Fall der toten Nutten …

_Mein Eindruck_

Ermittlungen sind einander in aller Welt etwas ähnlich, was wohl in der Natur der Sache liegt. Deshalb muss ein Krimiautor darauf achten, wer die Ermittler sind und vor allem, wo und unter welchen Umständen sie ihre Arbeit tun. Logan McRae, genannt Lazarus, arbeitet in Aberdeen, einer der reichsten und zugleich mörderischsten Metropolen des Vereinigten Königreichs. Die Ölindustrie hat jede Menge Kohle in die Stadt gebracht, die explosionsartig ins ländliche Umland wuchert, doch das Geld lockt auch Drogenhändler und andere Verbrecher an, die ihren Anteil absahnen wollen. Ob es wohl nur am schlechten Wetter liegt, dass es hier mehr Morde pro Kopf gibt als in Wales und England zusammen?

Ein weiterer wichtiger Unterschied, der Logans Arbeit bestimmt, ist das spezielle Strafverfolgungs- und Justizsystem, das in Schottland gilt. Mehrmals im Buch weist Logan seine „Kunden“ süffisant darauf hin, dass alle die Krimis, die sie so eifrig lesen, nur für England Gültigkeit haben, nicht aber im schönen Schottland. Hier bläst buchstäblich ein anderer Wind. Nur Val McDermid lässt er noch gelten, denn sie stammt aus Kirkcaldy, Schottland.

Eine der Folgen dieses andersartigen Systems ist die, dass ein Verhafteter keinen Anwalt gestellt bekommt. Nein, Sir! Erst wenn es den braven Polizisten gefällt, ihm oder ihr einen Anwalt zuzugestehen. Klingt absurd, ist aber Realität. Eine weitere Besonderheit ist der Titel des Staatsanwalts, der einen Haft- oder Durchsuchungsbefehl ausstellen muss, bevor die Bullen tätig werden können: Procurator Fiscal. Klingt eher nach einem Finanzbeamten als nach dem Vertreter der Anklage. Aber keine Angst: Die Assistentin eines solchen PF kann richtig süß und humorvoll sein, wie Logan bald am eigenen Leib zu spüren bekommt. Und hab ich schon erwähnt, dass (drittens) alle Cops unbewaffnet sind? Nun, das erweist sich, als es hart auf hart kommt, als strategischer Nachteil.

Logan, Steel, Insch und all die anderen sind keine perfekten Ermittlungsmaschinen, sondern vielmehr allzu menschliche Vermassler. Sie können von Glück sagen, wenn sie eine Maus in einer Falle fangen. Hartnäckigkeit und Verbohrtheit scheinen eher die Stärke der hochwohlgeborenen Inspectors zu sein, unter denen Logan zu dienen hat. Sie weisen deutliche Macken auf: Steel ist eine kettenrauchende, lesbische Zynikerin, die an nichts mehr glaubt außer an die Privilegien ihres Standes. Und Insch futtert am laufenden Süßigkeiten, bis er so fett wie ein Elefant ist.

Glasklar, dass solchen Figuren eigentlich kein Erfolg zuzutrauen ist, deshalb tut Logan sein Bestes, der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen – was so viel Absurditäten schon schwer genug ist. Er schiebt 22-Stunden-Schichten, bis er halbtot ins Bett fällt, und selbst am Wochenende, wenn er mit der Polizistin Jackie Watson shoppen geht, lässt er sich noch „überreden“, seine Pflicht zu tun. Und es gibt immer ein Druckmittel gegen ihn, beispielsweise die Dienstaufsicht.

|Gewalttätigkeit|

Die Umgebung, in der er sich wie ein Fisch im Wasser bewegt, ist ein raues Pflaster. Aberdeen war schon immer eine Seefahrerstadt, aber jetzt kommen auch noch Neureiche und Drogendealer hinzu. Logan ist an Brutalität gewöhnt und kann selbst mal zuschlagen (wenn keiner zuschaut), aber was er nun zu sehen bekommt, übersteigt jedes Maß: abgefackelte Häuser mit Menschen darin; zu Tode geprügelte Prostituierte; gefolterte Menschen wie seinen Freund Colin Miller. Kein Wunder also, dass ihn Albträume heimsuchen. Es sei denn, Jackie bringt ihn auf andere, interessantere Gedanken.

|Drastische Sprache |

Diese Brutalität ist ein Markenzeichen der Krimis von Stuart MacBride. Der Leser sei gewarnt. Er akzeptiert die grausigen Szenen oder er lässst die Finger davon. Das gilt auch für die raue Sprache des Originals (über die Übersetzung kann ich mir kein Urteil erlauben). Da wird am laufenden Band „shite“, „fuck“ oder „bloody“ gerufen und geflucht, dass ein Henker schamrot werden würde. Hinsichtlich des drastischen Fluchens hält sich der Autor aber auffällig zurück.

|Furien in Mariengestalt|

Das eigentlich so attraktive Markenzeichen, das mir die Lektüre zu einem Vergnügen gemacht hat, ist der sarkastische Sprachwitz. Es gibt jede Menge Beispiele, aber sie hier aufzuführen wäre eine Zumutung für den guten Geschmack. Auffällig fand ich jedoch, dass die drastischsten Sprachbilder von weiblichen Figuren verwendet werden. Die Frauen in diesem Roman stehen den Kerlen in keinster Weise nach, wenns ums Fluchen und Schimpfen geht. Wenn schon mit den Schotten nicht gut Kirschen essen ist – wie ich anno 1984 selbst festgestellt habe – so gilt das für die Frauen aus der Arbeiterklasse noch viel weniger.

Aber der Autor will nicht diskriminierend sein. Frauen der angeblich besser verdienenden Klasse führen sich letzten Endes ebenso mörderisch auf wie die angeblich unter ihnen stehenden Evastöchter. Und das sorgt am Schluss für eine oder zwei schockierende Wendungen.

Dies wäre kein schottischer Krimi, wenn nicht wenigstens ein oder zwei Honoratioren Federn lassen müssten. Ian Rankin hat es mehrfach vorexerziert, z. B. in „Ehrensache“. Der eine Ehrenmann ist Andrew Marshall, ein Stadtrat, der in der Zeitung gerne über die Fehler der Polizei herzieht. Doch wie sich herausstellt, besucht er Prostituierte, um mit ihnen harte Pornospiele zu treiben. Auch wenn die betreffende Prostituierte erst 13 Jahre alt ist. Der andere „Ehrenmann“ ist der vergötterte Ehemann Gavin Cruickshank, der es aber nicht nur mit der Göttergatin trieb, sondern auch mit der Rezeptionistin und einer Stripperin. Der Autor erspart dem bürgerlichen Leser wirklich nichts. Auch nicht in seinen anderen Krimis.

_Unterm Strich_

Logan McRaes drei simultane Ermittlungen sind spannend, abwechslungsreich und grenzen mitunter an Don Quichottes Kampf gegen Windmühlen. Wie in einer absurden Komödie tricksen sich die Figuren gegenseitig aus und einer ist immer der Dumme: Logan natürlich. Er merkt sogar selbst, dass er den anderen dabei hilft, doch als er dann auf eigene Faust ermittelt, Erfolg hat und gelobt werden soll, stellt er sich selbst ein Bein. Sieht so aus, als wäre dieser sympathische Loser selbst sein größter Feind. Aber wozu hat er Freunde wie seine patente und kuschelige Jackie?

|Gewalt|

Die drei Fälle, die ihm (und somit uns) so undurchsichtig erscheinen, sind mehr oder weniger miteinander verwickelt. Und dennoch gilt der alte Ermittlergrundsatz: Es ist alles anders, als es scheint. Die Details mögen blutig erscheinen, doch die Gewalt, wenn sie mal ausgeübt, ist es nicht: Keiner wird aufgeschlitzt, um Tonnen von Blut zu verspritzen. Solche Szenen gehören in Splatter-Romane, und „Dying light“ ist gewiss keiner. Der Grusel entsteht vielmehr im Kopf des Lesers, der sich vorstellen soll, was die Täter – es sind ja mehrere – alles mit ihren Opfern angestellt haben. Diese Vorstellung ist schon schlimm genug.

|Sprachwitz|

Ich möchte nicht verschweigen, dass ich diesen spannenden Krimi in nur zweieinhalb Tagen gelesen, weil er auch sehr witzig ist. Abgesehen von der Absurdität, ist es vor allem der Sprachwitz des Originals, der mir ausnehmend gut gefiel. Die sprachlichen Witze ließen zwar im letzten Drittel zugunsten der Spannung nach, sind aber immer noch sehr ausgefallen.

|Taschenbuch: 528 Seiten
ISBN-13: 978-0007193165|
[www.harpercollins.com]http://www.harpercollins.com

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