Clifton Adams – Die Schonzeit ist vorüber

Im Jahre 1890 verdingt sich ein Ex-Marshall als Führer einer Jagdgesellschaft im Indianerreservat von Oklahoma. Zu spät wird ihm klar, was tatsächlich geplant ist: Eine Räuberbande wird Mann für Mann aus dem Hinterhalt erlegt, bis sich der Marshall auf ihre Seite schlägt … – Ungewöhnlicher Spät-Western bar jeder Cowboy-Romantik, ohne Helden oder Happy-End, stattdessen düster und realistisch: ein Rückblick in die 1970er Jahre, als sogar Unterhaltungsliteratur mit gesellschaftskritischem Anspruch geschrieben wurde.

Das geschieht:

Oklahoma im Jahre 1890: Zwei Jahre erbarmungslose Dürre haben die Farmer eines ganzen Landes in den Ruin getrieben. Auch Frank Beeler, der einst als Deputy Marshall Gesetzesbrecher jagte, bis er seiner Braut zuliebe ein Stück Land erwarb, ist pleite und verzweifelt. Wie ein Geschenk des Himmels kommt es ihm deshalb vor, als ihn zwei steinreiche Industrielle als Führer einer Jagdgesellschaft anheuern. Warren Conmy und Ben Sutter, sein Schwager, haben schon auf der ganzen Welt gejagt. Nun soll es ins östliche Indianerterritorium gehen. Begleitet werden sie von Duane Keating, dem Privatsekretär, Humphrey O’Toole, dem Koch und Butler – und Verna Conmy, Warrens Ehefrau.

Abgestumpft und arrogant sind sie alle, und was sie tatsächlich treibt, eröffnen sie dem entgeisterten Beeler erst, als sie tief in die Wildnis vorgestoßen sind: Menschen wollen sie jagen, Gesetzeslose und Vogelfreie! Nicht die Belohnung spornt sie an. Als ’sportlichen Wettkampf‘ verstehen sie ihren Ausflug.

Pech für die Brannon-Bande, dass sie den Weg der ‚Jagdgesellschaft‘ kreuzt. Heruntergekommene Strauchdiebe sind sie, einfache Farmer, durch Armut und aus Verzweiflung zu Eisenbahnräubern geworden, nachdem sie die Banken von ihrem Land vertrieben haben, und auch als solche völlig erfolglos.

Conmy und Sutter kommen sie wie gerufen; mit weitreichenden Präzisionswaffen beginnen sie, die hilflosen Banditen aus dem Hinterhalt umzubringen. Als sich der entsetzte Beeler ihnen in den Weg stellt, wird er kurzerhand dem ‚Wild‘ zugeschlagen. Wohl oder übel verbündet sich der Ex-Marshall mit den Brannons und versucht verzweifelt, Conmy und Sutter zu stoppen, ohne dabei das eigene Leben einzubüßen. Seine neuen Gefährten erweisen sich angesichts der Skrupellosigkeit, mit der ihre Gegner die ‚Jagd‘ fortsetzen, als keine große Hilfe. Durch die öde Landschaft geht die erbarmungslose Hatz, bis alle (überlebenden) Beteiligten sich ausgerechnet in einer Missionskirche gegenüberstehen …

Keine Zeit für edle Helden

Ein scheinbarer Dutzend-Western, Jahrzehnte alt und vermutlich schon kurz nach der Veröffentlichung wieder vergessen, entpuppt sich als echte Überraschung. Statt dümmlicher Cowboy-Romantik („Zieh, Schurke mit schwarzem Hut!“) lesen wir ein düsteres, geradezu nihilistisches (und trotzdem spannendes) Werk, das uns heute, im Zeitalter des Infotainments – bloß nichts lernen, denn das erschreckt oder langweilt – fremd vorkommt.

Versetzen wir uns also kurz zurück in eine vergangene Ära, die 1970er Jahre, als sogar in den USA ein politischer und gesellschaftlicher Wertewandel in Gang gekommen zu sein schien. Alte, schon längst verkrustete Ideale wurden im Zuge des desaströsen Vietnamkriegs und der Watergate-Affäre kritisch in Frage gestellt. Film und Kunst, in der Regel zwei differierende Sphären, blieben davon ebenso wenig ausgenommen wie die Literatur. Dass sich die neue Sicht der Welt bis in den Western fortsetzte, sollte deshalb nicht verblüffen.

Zudem galt der alte oder „wilde“ Westen jahrzehntelang als Wiege jener Tugenden, die Amerika zur Weltspitze getragen hatten: Wackere Pioniere machen das Land mit ihrer Hände Arbeit urbar und trotzen der Witterung, den wilden Tieren und natürlich den Indianern. Erst spät begann man sich der unangenehmen Wahrheit zu stellen, dass die Eroberung des Westens mit den üblichen schmutzigen Begleiterscheinungen einherging und neben wenige rücksichtslose Gewinner zahllose Verlierer (an ihrer Spitze die erwähnten Indianer) traten.

Der Western verliert seine Unschuld

Im „New Hollywood“ wurde der Western, das älteste Filmgenre überhaupt, plötzlich sozialkritisch und düster. „Dirty Little Billy“ (1972, dt. „Dreckiger kleiner Billy“), „McCabe & Mrs. Miller“ (1970), „Soldier Blue“ (1970, dt. „Das Wiegenlied vom Todschlag“) sind typische Beispiele. Vorbild für „Die Schonzeit ist vorüber“ mögen aber eher Streifen wie der bizarre „The Hunting Party“ (1971, dt. „Leise weht der Wind des Todes“: ein vor Hass verrückt gewordener reicher Rancher verfolgt die Entführer seiner Frau und löscht sie unerbittlich mit einem Scharfschützen-Gewehr aus) oder „Chatos Land“ (1971 – eine Gruppe vigilantischer Gesetzeshüter zerfleischt sich selbst, während sie von einem unschuldig gejagten Indianer in eine öde Wildnis gelockt wird) sein.

Clifton Adams schuf weiß Gott keine große, d. h. unsterbliche Literatur, aber ihm gelang ein interessantes, durchaus vielschichtiges Stück Unterhaltung, das gleichzeitig Zeit- und Stimmungsdokument ist; eine Entdeckung, mit der zumindest der (erfreute) Rezensent nicht gerechnet hatte.

Müde, desillusioniert, zerstritten

Clifton Adams nennt die Dinge beim Namen, schon der Titel seines Romans macht deutlich, wo er steht: „The Hard Time Bunch“, den „Schwere-Zeiten-Haufen“, nennt er (zunächst) die Brannon-Bande, die zwar Banditen, aber im Grunde unschuldig in ihre aussichtslose Lage geraten sind. Das ist im Land der Tapferen, das Verlierer nicht schätzt, keine Entschuldigung, so Adams‘ bittere Schlussfolgerung; es eint sie nicht einmal im Unglück, ihr Ende ist in jeder Beziehung jämmerlich.

Zur „Hard Time Bunch“ gehört eigentlich auch Frank Beeler, der glücklose Ex-Marshall. Im Spät-Western hat sich die Grenze zwischen Gut und Böse längst aufgelöst. Beeler ist ein geschlagener Mann, seine Ehre und seine festen moralischen Grundsätze retten ihn nicht. Am Ende bleibt ihm nur das nackte Leben, seine Lage ist hoffnungsloser denn je, und womöglich wird ihn das Gesetz, das für Adams stets auf der Seite des Stärkeren steht und oftmals sogar offen korrupt, auf jeden Fall aber blind ist, für seine hilflosen Versuche, die Bransons vor ihren ‚Jägern‘ zu retten, zur Verantwortung ziehen.

Gelangweilte ‚Jäger‘ und gleichgültige Naturmenschen

Conmy und Sutter personifizieren das US-Establishment. Vermögend und als Fabrikanten gesellschaftlich anerkannt sind sie, und das gibt ihnen das Recht, ihren perversen Trieben nachzugehen. Mehrfach schildert Adams, wie Beeler oder die Brannons ihre Peiniger ausschalten könnten und sich doch nicht trauen, weil niemand ihnen Glauben schenken würde, denn das Recht ist auf der Seite von Männern wie Conmy und Sutter; weil sie es gekauft haben. Sie sind nicht einmal grausam, sondern gleichen eher Kindern, die Fliegen die Flügel ausreißen. Niemand konnte sie bisher stoppen. Auch Beeler gelingt dies nicht. Die Jagdgesellschaft geht schließlich an der eigenen Entartung zugrunde.

Die Indianer, allzu oft verkitscht als Gutmenschen im Einklang mit der Natur, geben bei Adams ebenfalls kein heroisches Bild ab. Vom Weißen Mann wieder und wieder verdrängt und ausgerottet, haben sie sich in ihr Schicksal ergeben. Sie bleiben passiv, als der traurige Showdown zwischen der Jagdgesellschaft, den Bransons, Beeler und den doch noch auf der Bildfläche auftauchenden Hütern des Gesetzes beginnt, den kaum jemand überleben wird. Schon gar nicht halten diese Indianer opfermutig den Kopf für die angeblich gute Sache hin, die sie kaum interessiert, weil sie mit ihrer Welt nur am Rande zu tun hat. Diese Entscheidung ist klug, denn schließlich sind die Eindringlinge fast alle tot, und die Ureinwohner dort, wo sie seit jeher lebten; eine weitere, sicherlich vom Verfasser konstruierte Parallele zur Lage der US-Nation anno 1973.

Autor

Clifton Adams wurde 1919 in Comanche, Oklahoma, geboren. Einem Studium an der „University of Oklahoma Business School“ in Norman führte bald zu der Erkenntnis, dass sich Adams lieber als professioneller Schriftsteller versuchen wollte. Der Zweite Weltkrieg, eine Ehe und die Gründung einer Familie ließ ihn jedoch davon Abstand nehmen, bis er es ab 1950 erneut und ernsthaft mit dem Schreiben versuchte.

Adams verfasste Western, die bei Kritik und Publikum gut ankamen. Außerdem schrieb er als „Jonathan Gant“ in den 1950er Jahren einige Kriminalromane. Ein weiteres Pseudonym – wieder für Western – war „Clay Randall“. Adams verfasste außerdem 125 Artikel für die „Saturday Evening Post“, das „American Legion Magazine“, „Argosy“ u. a. Magazine und Zeitungen.

Gleich in zweimal (1969 und 1970) wurde Adams der „Spur Award“ der „Western Writers of America“ verliehen. Am 7. Oktober 1971 erlitt der Schriftsteller in San Francisco einen Herzanfall und starb im Alter von nur 52 Jahren. „The Hard Time Bunch“ erschien postum.

Taschenbuch: 153 Seiten
Originaltitel: The Hard Time Bunch (New York : Doubleday & Company, Inc. 1973)
Übersetzung: Norbert Wölfl
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