Roger Zelazny – Ein Spiel von Traum und Tod

Der scheiternde Held: der Therapeut als Gott

Ein Psychologe, der im Geist seiner Patienten Gott spielt – das ist Charles Render. Bis er an die falsche Patientin gerät, die blinde Dr. Eileen Shallot, die ebenfalls Psychiaterin ist, aber auch sehr wahnsinnig. Zwei Realitätsprinzipien ringen auf einmal miteinander – wer wird die Oberhand behalten?

Handlung

Die Zivilisation ist inzwischen derart automatisiert, dass den Menschen die Lust zu leben vergangen ist. Die Selbstmordrate übersteigt die Geburtenrate. Das beliebteste Spiel besteht darin, auf dem Navi einen beliebigen Punkt anzuklicken und sich dorthin vom Gleiter tragen zu lassen, wie Leuchtkäferchen in der Nacht.

Bedeutende Forschungen auf dem Gebiet der Psychiatrie haben zur Einführung einer neuen Technik, der Neuro-Partizipations-Therapie, geführt. Mit ihrer Hilfe kann der Therapeut direkt in die Virtuelle Realität des Unterbewusstseins seines Patienten eindringen, von dort aus den Heilungsprozess beginnen und den Patienten langsam umformen. Ein solcher „Former“ ist Charles Render. Er spielt Gott, indem er realistische Traumwelten in der Psyche seiner Patienten modelliert, die, richtig angewendet, zur allmählichen Gesundung führen sollen. Bis eines Tages …

Dr. Eileen Shallot, eine von Geburt an blinde Psychiaterin, bittet Charles Render, ihr über den Umweg der Geistesverbindung das Sehen zu ermöglichen, ein lang gehegter Wunsch der Blinden. Trotz der Gefahren, welche die Therapie bei willensstarken Personen mit sich bringt – die von Geburt an blinde Eileen verfügt über ein Realitätsempfinden, das stark von der tatsächlichen Realität abweicht – ist Render bereit, die Therapie zu beginnen.

Um Eileens geistige Gesundheit zu erhalten, muss er ihre „idyllische“ Weltsicht durch das Aufzeigen realer Dinge korrigieren. Aber die Wahnsinnige erweist sich als stärker als er und zieht ihn in ihre Traumwelt hinein, bis es für Render kein Entkommen mehr gibt. Der Psychiater endet im Wahn, aber in einem schönen.

Mein Eindruck

Ist dies nun eine Drogenstory, die sich auf einen Trip begibt, wie ihn Timothy Leary mit Hilfe von LSD verwirklichen wollte und anpries? Oder geht es doch „nur“ um den „Inner Space“, also die Bewusstseinswelt, die ähnlich bizarr ausfallen kann wie eine fremde Welt? Darin folgt Zelazny der britischen New Wave und ihrem wichtigsten Autor James Graham Ballard, dem Autor von „Das Reich der Sonne“ und „The Atrocity Exhibition“.

Der Autor zieht Carl Gustav Jungs Psychologie der Archetypen heran, um den Leser durch eine Galerie mythischer Elemente zu führen, die teils aus der Artussage, teils aus der nordischen Götterdämmerung stammen. Normalerweise müsste jetzt, gemäß des Zyklus‘ des heroischen Lebenslaufs, wie ihn Joseph Campbell in „Hero of a thousand faces“ dargelegt hat, ein Durchbruch im Verständnis (ein „conceptual breakthrough“) folgen. Leider scheitert der Held an dieser Aufgabe, und zwar aufgrund seiner eigenen Überheblichkeit.

Anders als „This Immortal“ („Fluch der Unsterblichkeit“ und „Lord of Light“ („Herr des Lichts“ versagt Charles Render, der Held dieses Buches, in der Aufgabe, zu triumphieren und so unsterblichen Ruhm zu erlangen. Ganz im Gegenteil: Nicht er ist der Herr der Träume, sondern vielmehr seine Patientin, die mythologische Masken bis hin zur Medusa trägt. Ein ironischer Seitenhieb stellt ihr intelligenter Hund mit dem verräterischen Namen Sigmund (wie Freud) dar: Er mag Render überhaupt nicht.

Der Autor

Während Roger Zelazny, geboren 1937, eher für seine ausgezeichneten Science-Fiction-Romane („Herr des Lichts“, 1967, HUGO) und Novellen („He Who Shapes“, 1965, oder „A Rose for Ecclesiastes“, 1966, ebenfalls HUGO) bekannt ist, wird seine Fantasy weniger geschätzt. Eine Ausnahme bilden die Romane aus dem AMBER-Zyklus. Sein Roman „Fluch der Unsterblichkeit“ ist ein echter Klassiker des Science-Fiction-Genres. Das 1966 veröffentlichte Buch „This Immortal“ wurde ausgezeichnet mit dem HUGO Award. Zelazny hat die Novelle „He Who Shapes“ von 1965 zu dem Roman „Ein Spiel von Traum und Tod“ ausgebaut.

Unterm Strich

In diesem Roman versagt Zelaznys ansonsten stets triumphierender Held das erste – und womöglich das letzte – Mal. Der Autor zeigt in einem fesselnden Zweikampf der Seelen und Willenskräfte, welche Defekte der Heiler selbst in sich zu bekämpfen hat: „Arzt, heile dich selbst!“, lautet die Botschaft.

Es ist ein ganz schön bunter Trip, voll faszinierender Erlebnisse, und manchmal wünschte ich mir, auch so einen Former zu kennen, der mal mein eigenes Unterbewusstsein aufräumen würde. Wer mit „Inner Space“ und etwas allzu barocker Sprache (viele Adjektive) etwas anfangen kann, wird durch ein faszinierendes Leseerlebnis belohnt. Noch etwas ironischer wird die Lektüre, wenn man mit den Theorien und Thesen von C.G. Jung (mythische Archetypen) und Sigmund Freud (alles ist sexuell) etwas anzufangen weiß.

Taschenbuch: 186 Seiten
Originaltitel: The Dream Master (1966)
Aus dem US-Englischen von Uta Münch
ISBN-13: 978-3404230525

http://www.luebbe.de

Der Autor vergibt: (4.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Roger Zelazny bei |Buchwurm.info|:
[„Fluch der Unsterblichkeit“
[„Der Clan der Magier“
Der erste AMBER-Zyklus 1-5

Schreibe einen Kommentar