Die drei ??? und der Phantomsee (Folge 2)

Auf Nummer eins folgt Nummer zwei. So ist es natürlich auch bei der Kulthörspielserie der drei Fragezeichen, wobei damals keiner wusste, ob die Serie in Deutschland überhaupt Anklang finden würde, als man die ersten drei Hörspiele bei den EUROPA-Studios (heute einverleibt in BMG Ariola Miller) im Oktober 1979 auf die jugendliche Welt losließ.

Seither hat die Serie einige Wendungen genommen; so musste die damalige Musik in den heute erhältlichen Neuabmischungen komplett wegen Lizenzstreitigkeiten geändert werden, der Drehbuchautor H. G. Francis wird schon seit Folge 60 von André Minninger ersetzt, und wie es in 24 Jahren Laufzeit nun mal so ist, haben einige Stammsprecher in der Zwischenzeit auch den Weg alles Irdischen genommen.

Dennoch ist der Kern der Crew immer noch der alte, angefangen bei Heikedine Körting als Regisseurin und natürlich den Sprechern des detektivischen Dreigestirns nebst vielen Sprecher(innen) aus den Anfangstagen. Bei dieser Folge, dem „Phantomsee“, piepsen sich Justus, Peter und Bob natürlich noch mit ihren Kinderstimmen durch die Geschichte, während sie heute vielen Hollywoodstars ihre erwachsenen Synchronstimmen leihen.

Zur Story

Onkel Titus und Tante Mathilda haben aus einer Museumsauflösung allerhand Kram für ihr Gebrauchtwarencenter erstanden, und Tante Mathilda schickt sich an, das Zeug mitsamt den drei Detektiven und dem Fahrer Patrick dort abzuholen. Unter den Sachen befindet sich auch eine verheißungsvolle Seemannstruhe, die vom berühmten Segler „Argyll Queen“ stammt, die 1870 vor Rocky Beachs Küste sank. Die Kiste gehörte Angus Gunn, einem Überlebenden, dem nachgesagt wird, er habe damals einen Schatz mit von Bord genommen und ihn versteckt. Die Truhe erweckt aber auch das Interesse eines sinistren Patrons namens „Java-Jim“, der sich als Eigentümer ausgibt und die Rückgabe der Kiste fordert – natürlich beißt er sich an der resoluten Tante Mathilda die Zähne aus, da er seine Behauptung erwartungsgemäß nicht beweisen kann.

Als Bob die Truhe vor Ort öffnet, segelt prompt ein Dolch dank eines Sicherungs-Mechanismus heraus und verfehlt Justus nur knapp. Einen Ring fördern die drei Jungs noch aus einem Geheimfach zutage, den sich Java-Jim schnappt und dann Fersengeld gibt, die Truhe selbst können sie ihm abringen, wenngleich er versucht, auch diese doch noch an sich zu bringen. Wer die drei Satzzeichen kennt, weiß, dass spätestens jetzt ihr kriminologischer Spürsinn erwacht und sie mehr über die Umstände erfahren wollen, warum Java-Jim so heiß auf die Kiste und den Ring war und was zum mysteriösen Tod von Angus Gunn anno 1872 führte (er wurde von vier Männern ermordet, unter ihnen angeblich der Captain der Argyll Queen). Justus findet bei weiterer Betrachtung der Truhe noch ein Geheimfach, in dem sich ein Tagebuch befindet – hat der aus Schottland stammende Angus tatsächlich den sagenumwobenen Schatz vom Schiff mitgenommen und ihn versteckt?

Um das herauszufinden, begeben sich Justus, Peter und Bob an den Ort – in der Nähe von Rocky Beach -, wo sich der alte Angus seinerzeit niederließ. Das Anwesen am Phantomsee an der gleichnamigen Phantom Lake Road, dessen gespenstisches Haus auch heute noch von seinen Nachfahren bewohnt wird: Mrs. Flora Gunn, ihrem Sohn Cluny und ihrem Vetter Rory McNap. Letzterer hält die Jungs zunächst für die Einbrecher, die das Haus in letzter Zeit immer wieder heimsuchen. Zudem hält er das Gerücht um den Schatz für Blödsinn, immerhin hat man das ganze Gelände durchsucht und nichts gefunden. Doch der alte Angus hat eine interessante Spur für seine Frau Laura hinterlassen, die erst nach seinem Tod von Schottland nach Amerika übersiedelte. Das Tagebuch ist der Schlüssel und Java-Jim hängt ihnen an den Hacken.

Eindrücke

Nicht nur Truhen haben es in sich, sondern auch das Hörspiel selbst; auch hier liest sich die Sprecherliste wie ein Who-is-who nicht nur der Serie, sondern auch, was bekannte Namen und Stimmen betrifft: Gottfried Kramer (in seiner Doppelrolle) ist den meisten sicher ein Begriff als die Computerstimme des schwarzen Trans Am „Knight Industries Two Thousand“ oder kurz „K.I.T.T.“ aus der Serie „Knight Rider“ an der Seite von David Hasselhoff (synchronisiert ebenfalls von einem EUROPA-Kollegen: Andreas von der Meden). Der junge Fabian Harloff, bekannt aus diversen Kinderserien der 80er und heute der Krimiserie „SK Babies“ bzw. „U18“ (wie sie in der Wiederholung heißt), verdient sich hier seine ersten Meriten als Cluny Gunn.

Sprecherseitig ist alles in Butter – sieht man von meinem Daueraufreger mal ab, dass man in der Neufassung ruhig die Sprecherliste im Inlet hätte auf den neuesten Stand bringen können, aber damit muss man sich wohl oder übel bei den „alten“ Folgen abfinden, denn BMG scheint nicht willens zu sein, diese zu aktualisieren. Die einzige Neuerung der aktuellen Abmischung liegt im Soundtrack; der ist sehr gelungen, denn auch wenn einem die alte Musik doch ein wenig fehlt, so ist die neue keineswegs schlechter und passt auch gut zur Story. Die ohnehin guten Soundeffekte von anno dunnemals sind dagegen die alten geblieben.

Der Spannungsbogen dieser Episode flacht nie ganz ab; vor allem die ständigen Auftritte des sinistren Java-Jim reißen ihn immer wieder hoch. Hinzu kommt das Flair der ganzen Geschichte: Piraten, schottische Volksmythen und eine geheimnisvolle Geisterstadt namens Powder Gulch, in der die drei Jungs und Cluny recherchieren müssen, was der alte Gunn hundert Jahre zuvor so alles getrieben hat. Während Peter – wie immer – einen auf Schissbüx macht, spulen Justus und Bob ihr gewohntes Informationsbeschaffungs-Programm äußerst effektiv ab, wobei Bob der Bücherwurm diesmal den Hauptteil der Arbeit zu erledigen hat, doch es ist ja seine Aufgabe, in alten Büchern und Zeitungsartikeln zu wühlen.

Dies ist mal wieder eine der Folgen, in denen die drei etwas herumkommen und ihr Tätigkeitsfeld außerhalb Rocky Beachs liegt, was der Serie immer ganz gut tut. Besonders der Abschnitt in Powder Gulch ist erwähnenswert, weil dort das alte Suspense-und-Mystery-Spielchen mit dem Hörer getrieben wird, und das nicht nur dank Fiesling Java-Jim. Ach ja: Nebel spielt am Ende auch eine nicht unwichtige Rolle; wie so oft kennzeichnet das Auftauchen von Nebel aller Art meist (mit einigen, wenigen Ausnahmen) die besseren Folgen. Klingt komisch? Ist aber so.

So gut, wie kein Hörspiel ist absolut fehlerfrei. Ein ständig wiederkehrender Makel ist beispielsweise, dass „Patrick Kenneth“ in der Figurenliste genannt wird. Es sind aber zwei unterschiedliche Personen (nämlich die irischen O’Brian Brüder und Angestellten von Onkel Titus), in dieser Folge kommt nur Patrick vor. Dieser Fehler ist häufig und auch auf neuen Pressungen zu finden. Das Gleiche gilt in Sachen Sprecherliste für die Verteilung von Pseudonymen zur Verschleierung der tatsächlichen Größe des Casts und das Weglassen ganzer Figuren und ihrer Sprecher. Die Liste am Ende gibt beredt darüber Auskunft; was aber daran wirklich erstaunt, ist, dass auch solche mittlerweile bekannten und durchaus korrigierbaren Schnitzer seitens des Labels immer noch nicht ausgemerzt wurden.

Bei den kleinen und größeren Patzern bei Regie, Kontinuität oder Umsetzung aus dem Buch ist man dagegen weitgehend machtlos. Es sei denn, man vertont, wie 2004 mit dem „Super-Papagei“ bereits schon einmal geschehen, die komplette Folge neu. Im „Phantomsee“ stecken eine ganze Reihe von Macken, welche sich dem aufmerksamen Hörer teilweise aber erst dann erschließen, wenn er die Buchvorlage kennt. Andere hingegen sind auch ohne dies deutlich auffällig, nämlich Lücken in der Logik und Pannen beim Schnitt der Dialoge. Entschuldigend muss hier erwähnt werden, dass das Produktionsteam noch recht frisch hinter den Ohren war und zudem durch die enge Begrenzung von maximal 50 Minuten auf einer Vinyl-LP ganz schön unter Kürzungsdruck gestanden haben dürfte. Da schleichen sich fast zwangsläufig Fehler ein.

Fazit

„Der Phantomsee“ gehört zur ersten Tranche von 1979 und ist als Nummer zwei der Veröffentlichungen in Deutschland beinahe genauso kultig wie der „Super-Papagei“. Nüchtern mit den Ohren eines Erwachsenen betrachtet, hat die Folge zwar immer noch ihr altes Flair weitgehend behalten (es fehlt dem Re-Relase aber auf jeden Fall die „alte“ Musik) und man verzeiht ihr die kleinen, sympathischen Schrullen, doch fehlt dem Buch gegenüber einfach zu viel. Wem die ansonsten spannend und kindgerecht aufgezogene Hörspiel-Story zwar gefällt, jedoch das Gefühl nicht los wird, dass alles sei irgendwie zu unschlüssig und hastig, dem sei die Lektüre der Vorlage dringend anempfohlen.

Die Hörspieldaten auf einen Blick:

Titel: „Die drei ??? und der Phantomsee“ – Folge 2
Ersterscheinung: Oktober 1979
EUROPA (BMG Ariola Miller)
Lauflänge: ca. 46 Minuten
Drehbuch: H. G. Francis
Produktion & Regie: Heikedine Körting
Musik: Conrad, Morgenstern, Zeiberts
Cover-Design: Aiga Rasch

Die Figuren und ihre Sprecher:

Erster Detektiv – Justus Jonas: Oliver Rohrbeck
Zweiter Detektiv – Peter Shaw: Jens Wawrczeck
Recherchen & Archiv – Bob Andrews: Andreas Fröhlich
Mathilda Jonas: Karin Lieneweg
Patrick: Wolfgang Kubach
Java-Jim: Heinz Überreiter (Gottfried Kramer)*
Mrs. Flora Gunn: Veronika Weckler
Cluny Gunn: Fabian Harloff
Rory McNap: Klaus-Peter Reisch (Peter Buchholz)*
Mr. Stebbins: Hans Meinhardt (Karl-Ulrich Meves)**
Mr. Widner: Ernst von Klipstein
Professor Shay: Gottfried Kramer***
Verwalter von Powder Gulch: Reiner Brönneke***
Bibliothekarin: Katharina Brauren***

*) Pseudonym – Klarname in (Klammern)
**) Irrtum bei der Zuordnung/Sprecher
***) Uncredited

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