Ben Benson – Revolte im Zuchthaus [William Parr 7]

Der Ausbruch aus einem US-Gefängnis scheitert. Drei Verbrecher verbarrikadieren sich in einem Zellentrakt. Sie haben Geiseln in ihrer Gewalt, sind untereinander uneins und unberechenbar, was eine unblutige Klärung der Krise unwahrscheinlich macht … – Der siebte Roman der William-Parr-Serie ist nicht nur spannend, sondern überrascht mit einer für den Autor ungewöhnlich kritischen Sicht auf einen Strafvollzug, der die Rache der Rehabilitierung vorzieht und kriminelle Monster quasi erschafft: trotz mancher Klischees ein kleiner Klassiker.

Das geschieht:

In der Staatlichen Strafanstalt des US-Staates Massachusetts werden Kriminelle in erster Linie weggesperrt und beaufsichtigt. Eine Rehabilitierung ist vor allem aus Kostengründen nicht vorgesehen; die Politik sieht sich hier auf der Seite der braven Bürger, die das Lumpenpack möglichst niemals wieder frei sehen möchten.

Die Schwerverbrecher Dan Oakley, Steve Runstead und Peter Zorba sind drei typische Produkte dieses Gefängnisalltags. Sie werden nie wieder freikommen und haben nichts zu verlieren. Oakley und erst recht Runstead sind gewalttätig und rücksichtslos – und sie wollen ausbrechen! Schon lange laufen die Planungen; zwei Pistolen konnten ihnen zugespielt werden. Direkter Clay weiß von den Waffen, die jedoch nicht gefunden werden, bis es zu spät ist.

Aber die drei Ausbrecher haben Pech. Sie werden zu früh entdeckt, können sich allerdings in einem gut gesicherten Zellenblock verbarrikadieren. Eigentlich würde man sie gnadenlos ausräuchern, aber die Verbrecher haben zwei Beamte als Geiseln genommen. Sie rechnen damit, dass die Verwaltung verhandeln wird, um Opfer zu vermeiden.

Vor allem Oakley ist ein geschickter Manipulator, der auch ein Scheitern des Ausbruchs in Kauf nimmt, wenn er sich ersatzweise vor der Presse brüsten kann. Zorba ist ein geistesschwacher Mitläufer, der allein keine Gefahr darstellt. Runstead stellt das Problem dar; er ist ein mordlüsterner Psychopath, der auch seine Kumpane nicht schonen wird, wenn man seine Forderung nach freiem Abzug nicht erfüllt. Die Situation scheint aussichtslos, als William Parr, Leiter der staatlichen Kriminalpolizei, sich in die Verhandlungen einschaltet. Zugeständnisse soll er nicht machen und die Geiseln trotzdem retten – eine Forderung, die praktisch unmöglich zu erfüllen ist …

Dilemma, Dilemma …

Wie verhandelt man mit Menschen, die nichts zu verlieren haben? Da es sich hier um Schwerverbrecher handelt, spricht Henry Hines von der Staatspolizei Massachusetts aus, was die „moral majority“ denkt: Wer immer wieder gegen das Gesetz verstößt, hat sein Leben verwirkt und kann deshalb wie ein toller Hund abgeknallt werden, wenn er sich auch im Gefängnis nicht fügt! Deshalb will Hines den Zellenblock, in dem sich Oakley, Runstead und Zorba mit ihren Geiseln aufhalten, buchstäblich stürmen – sogar ein Raketenwerfer steht schon bereit! Dass die Geiseln das kaum überleben dürften, ist ein Preis, den Hines zahlen will, wenn nur die Strolche ebenfalls auf der Strecke bleiben.

Gibt es überhaupt Alternativen? Ausgerechnet Ben Benson, dessen Werk keineswegs eine liberale Weltsicht atmet, denkt im Rahmen eines spannenden Kriminalromans ernsthaft über diese Frage nach. Seine Hauptfigur William Parr ist als unbestechlicher und unerbittlicher Verbrecherjäger bestens eingeführt und eignet sich deshalb besonders als Repräsentant von Zweifeln, die tief an die Wurzeln des US-amerikanischen Justizsystems gehen. Hier steht noch heute die staatlich sanktionierte Rache über der Rehabilitation. Verbrecher sind demnach selbst verantwortlich für ihre Kriminalität; dass sie Produkte eines Systems sind, das Außenseiter und Pechvögel gnadenlos aussortiert, ist eher ein akademisches Problem.

In den 1950er Jahren war der Glaube an eine strafende Justiz noch stärker ausgeprägt. Die meisten US-Staaten richteten Schwerverbrecher hin, wobei Irrtümer entweder geleugnet oder hingenommen wurden: Wo gehobelt wird, fallen halt Späne … Zwar gab es bereits Stimmen, die vor der Nutzlosigkeit dieses Systems warnten und einen Kollaps voraussagten, wenn straffällig geworden Menschen weiterhin einfach eingesperrt wurden. Sie galten jedoch als liberale Weichlinge oder sogar Kommunisten, die man leider nicht ebenfalls ins Gefängnis werfen konnte.

Prahlhans, Mitläufer, Lustmörder

Benson geht beinahe didaktisch vor. Weder Parr noch Gefängnisdirektor Clay leugnen, dass es im Strafsystem massiv knirscht. Sie fordern Reformen, ohne sich um die unangenehme Tatsache zu drücken, dass echte Gerechtigkeit eine Wunschvorstellung bleiben dürfte. Die ‚Ausbrecher‘ Oakley, Runstead und Zorba sind Bensons Repräsentanten aktueller Missstände.

Oakley wird als durchaus intelligenter aber undisziplinierter Mann geschildert, dem Benson eine Karriere als Geschäftsmann oder Politiker zutraut, wenn er nicht in die Mühlen des Gesetzes geraten und zermahlen worden wäre. „Lebenslänglich“ ist ein Urteil, das Menschen verzweifeln und endgültig in rücksichtslose Kriminelle verwandeln kann, und die eine zusätzliche ‚Ausbildung‘ durch einen Gefängnisalltag erfahren, der Gewalt evoziert und fördert. Seinen Verstand setzt Oakley nunmehr ein, um seine Träume von Macht und Einfluss als Störenfried zu verwirklichen. Er stilisiert sich geschickt und unter Manipulation der Presse zum Vertreter seiner Mitgefangenen, um sich einen Status zu verschaffen, für dessen Genuss er nicht unbedingt in Freiheit sein muss.

Zorba ist einerseits ein Verbrecher und andererseits ein Opfer – ein geisteskranker Mann, der im Gefängnis landet und sich dort sogar wohlfühlt, weil er einfach seine Ruhe haben will. Am Ausbruch nimmt Zorba nur teil, weil ihn Oakley und Runstead dazu zwingen. Wenn er seine Schuldigkeit getan hat, werden sie ihn im Stich und seinem Schicksal überlassen.

Runstead ist ein Psychopath und in den 1950er Jahren noch eine weitgehend unbekannte ‚Größe‘. Seit Hannibal Lecter ‚weiß‘ die breite Öffentlichkeit, dass es Menschen ohne ‚menschliches‘ Gefühlsleben und Verhaltensnormen gibt. Sie foltern und töten aus reiner Lust und ohne Gewissensbisse. ‚Heilen‘ kann man sie offenbar nicht. Auch hier wagt sich Benson aus der Deckung, wenn er quasi uns die Frage stellt, wie man mit den Runsteads dieser Welt umgehen soll.

Das System ruht perfekt in sich

Benson sieht die hauptsächlich Verantwortlichen dieser Misere in der Politik. Er stellt uns den gesellschaftlich etablierten, aber korrupten und mit dem organisierten Verbrechen verbandelten Senator Boyen vor, der in der Gefängnisrevolte primär eine Gelegenheit sieht, den lästigen Parr zum Sündenbock zu erklären und loszuwerden, weil dieser ihm und seinen ‚Geschäftsfreunden‘ in die Suppe spuckt, statt mit ihnen ins Boot zu steigen. Als unfreiwillige aber eifrige Helfershelfer agieren Reporter, die nur die sensationelle Schlagzeile suchen und auf ‚langweilige‘ Fakten wenig Wert legen.

Parr ist wie Benson ein Vertreter eher konservativer Ansichten. Unter den Geiseln ist der junge Soziologe Kenneth Greentree. Schon der Nachname klingt wie „Greenhorn“. In der Tat ist Greentree ein Idealist, der die Strafjustiz modernisieren und umkrempeln will. Dass solche hehren Pläne mit einer Realität kollidieren können, die sich ihnen nicht fügen will, muss Greentree auf die harte Tour lernen. Welche Konsequenzen er daraus ziehen wird, lässt Benson offen.

Obwohl „Revolte im Zuchthaus“ keineswegs frei von (zeitgenössischen) Klischees ist sowie passagenweise recht didaktisch wird, dominiert eine dynamische Handlung, die spannend trotz der Gewissheit bleibt, dass es im Finale nicht ohne Opfer abgehen wird. Unter den Ben Bensons Kriminalromanen ist dieser eindeutig einer der besten und stellt auch heute eine lohnenswerte Lektüre dar.

Autor

Benjamin Benson gehört zum Heer der Kriminalschriftsteller, die kompetent und vor allem schnell Unterhaltung produzierten. Wirklich berühmt ist er nie gewesen, dafür aber beliebt; so wurden beispielsweise in Deutschland seine sämtlichen Werke veröffentlicht und lange Zeit neu aufgelegt. Diese Gunst erfuhr nicht einmal jeder klassische Könner seines Genres.

Über den Privatmann Benson ist wenig bekannt. 1915 wurde er geboren. Am II. Weltkrieg hat er teilgenommen. Dabei wurde er hoch dekoriert und so schwer verwundet, dass er sich nie wieder richtig erholte. So kam Benson (nach einem Zwischenspiel als Teehändler) zum Schreiben.

Der militärische Hintergrund beeinflusste sein Werk. Zwei Serienhelden schuf Benson: den jungen State Trooper Ralph Lindsey sowie den älteren, schon erfahrenen Detective Inspector Wade Paris, der ebenfalls für diese Behörde (aber an anderem Ort) arbeitet. (In Deutschland wurde Paris aus unerfindlich bleibenden Gründen in „William Parr“ umgetauft – es sollte wohl ‚amerikanischer‘ klingen …)

Benson schätzt klare Hierarchien und Disziplin. Seine Polizeibeamten sind Männer ohne Fehl oder Tadel. („Old Icewater“ nennt man Wade Paris/William Parr hinter seinem Rücken.) Zweifel mögen sie manchmal beschleichen, hin und wieder begehen sie sogar Fehler, aber letztlich bekommen sie solche Anwandlungen in den Griff, reifen an derartigen Konflikten und stehen dem System umso bedingungsloser zur Verfügung.

Dies mag Bensons Beliebtheit in Deutschland erklären. Allerdings sind seine Romane durchaus unterhaltsam. Inhaltlich mögen sie veraltet sein. Ihr sachlicher, fast dokumentarischer Stil hat sie andererseits gut altern lassen. Sie müssen als frühe Beispiele des „police procedural“ gelten, dessen vielleicht berühmtester Repräsentant Ed McBain (ein Zeitgenosse Bensons) mit seiner Serie um das 87. Polizeirevier ist.

Ben Bensons Schriftstellerkarriere währte gerade zehn Jahre, in denen er neben zahlreichen Kurzgeschichten 18 Romane veröffentlichte. Am 29. April 1959 ist Benson im Alter von nur 44 Jahren während einer Versammlung der „Mystery Writers of America“ in New York City den Spätfolgen seiner Kriegsverletzungen erlegen.

Taschenbuch: 179 Seiten
Originaltitel: The Ninth Hour (New York : M. S. Mill Co./William Morrow & Co. 1956)
Übersetzung: Paul Baudisch
http://www.randomhouse.de/goldmann

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