Hobb, Robin – lohfarbene Mann, Der (Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher I)

„Der lohfarbene Mann“ ist kein anderer als der Narr aus Robin Hobb’s [„Weitseher“-Trilogie]http://www.powermetal.de/book/anzeigen.php?id__book=229 und der erste Band einer neuen Trilogie, die knapp 15 Jahre nach dem Ende des Krieges gegen die Roten Korsaren spielt.

Fitz, der ehemalige Assassinen-Lehrling und Bastard königlichen Blutes, gilt für die meisten seiner Freunde und den Rest der Welt als tot – und das ist ihm auch sehr recht. Körperlich und geistig geschunden, hat er sich in ein einsames Waldhaus zurückgezogen und möchte mit der Welt nichts mehr zu tun haben, zu viel hat man ihm abverlangt. Nur sein Wolf Nachtauge und sein Ziehsohn Harm, ein Findelkind, das er bei sich aufgenommen hat, leisten ihm Gesellschaft, wenn nicht seine alte Freundin, die Menestrelle Merle, auf einen Sprung vorbeischaut.

Doch die Welt dreht sich weiter, und Harm benötigt eine Lehrstelle, soll er nicht auf ewig im Wald versauern. Auch wenn die Schäden des Krieges gegen die Roten Korsaren behoben sind, Ruhe ist in den sechs Provinzen nicht eingekehrt. Der Thron Königin Kettrickens steht auf wackeligen Beinen, und ihr Sohn, Prinz Pflichtgetreu, soll als Geste der Versöhnung und um einen starken Verbündeten zu gewinnen, eine Narcheska (Prinzessin) der Outislander heiraten, was nicht von allen Herzögen der Königin begrüßt wird. Aber auch sonst rumort es im Lande: Die der Tiermagie mächtigen Menschen vom „Alten Blut“ werden nun noch weit mehr als zu Zeiten einer äußeren Bedrohung verfolgt und grausam misshandelt. Ein idealer Sündenbock für Missernte und sonstige Unbill – stirbt eine Kuh, hatte garantiert ein missgünstiger Zwiehafter seine Hände im Spiel, keine Frage. Doch nicht alle vom „Alten Blut“ laufen davon, sie schlagen zurück: Mit Terror gegenüber nicht nur allen „Normalen“, sondern auch gegen die eigenen Leute – man zwingt gemäßigte Zwiehafte zur Mitarbeit, andernfalls werden sie denunziert und verraten oder auf sonstige Weise genötigt. Diese „Gescheckten“ werden zu einer echten Bedrohung für die Krone, und Chade, Fitz‘ alter Lehrmeister, bittet ihn zurück nach Bocksburg zu kommen, auch um die Ausbildung Pflichtgetreus in der „Gabe“ der Weitseher zu übernehmen.

Da Fitz, selbst ein Zwiehafter, mit dem Wolf Nachtauge verschwistert und als Bastard eines Weitsehers auch der Gabe zuteil ist, wäre sein Wert für Chade in beiderlei Hinsicht immens. Doch Fitz will seine Hütte nicht verlassen und sich der Welt wieder stellen – bis Prinz Pflichtgetreu davonläuft oder entführt wird, Chade vermutet, dass auch er der „Alten Macht“ mächtig ist und sich mit einer Katze verschwistert hat – die anscheinend zu den „Gescheckten“ gehört und einen schlechten Einfluss auf den Prinzen ausübt.

Fitz bringt seinen Ziehsohn in der Stadt unter und macht sich unter dem Decknamen Tom Dachsenbless als Diener des Narren, der jetzt als Fürst Leuenfarb an den Hof in Bocksburg zurückgekehrt ist, und der königlichen Jagdmeisterin Laurel auf die Suche nach Prinz Pflichtgetreu.

Die lange erwartete Fortsetzung der Weitseher-Trilogie beginnt recht verhalten. Für Kenner etwas ermüdend, für Neuleser jedoch absolut notwendig sind die anfänglichen Erklärungen der „Alten Macht“ und der „Gabe“, da diese im weiteren Handlungsverlauf eine wichtige Rolle spielen werden: „Zwiehafte“ mit der „Alten Macht“ können mit Tieren reden, und Tiere mit ihnen – ihre Geschwistertiere können sogar intellektuell auf das Niveau eines Menschen steigen, die Gefahr ist jedoch, dass der Mensch nicht nur von den meist sensorischen Vorteilen der Tiere wie gesteigerten Geruchssinn profitiert, sondern mehr und mehr tierische Verhaltensweisen annimmt und selbst zum Tier wird. Deshalb wird die Tiermagie so geschmäht, auch das Verhalten der Zwiehaften macht dem einfachen Volk große Angst, die oft in Gewalt umschlägt. Einige schwarze Schafe unter den Zwiehaften missbrauchen ihre Brudertiere auch bewusst und nehmen Rache an den Bürgern, die ein immer schlechteres Bild von den Zwiehaften gewinnen. Die Gabe ist eine Fähigkeit, die dem Geschlecht der Weitseher den Namen gab und auf den Thron verhalf: Telepathie, Suggestion und andere Fähigkeiten, die jedoch weitgehend verloren gingen, als die letzte wahre Gabenmeisterin ohne echten Nachfolger starb, gaben den Weitsehern große Macht. Die Gefahr der Gabe ist, dass man sich in ihrer Macht verliert und den Körper vernachlässigt und vergisst, der dann stirbt. Die Verlockungen der Gabe sind für viele zu stark, so dass sie ohne Ausbildung oft sterben. Fitz sind beide Fähigkeiten zueigen – aber in keiner wurde er erzogen oder ausgebildet. Und nun scheint der schlimmstmögliche Fall eingetreten: Die Gescheckten scheinen Prinz Pflichtgetreu zu beeinflussen, könnten seine zwiehafte Veranlagung publik machen, und er scheint zu allen Überfluss auch noch unter ihren Einfluss geraten zu sein.

Diese notwendigen Rückblenden und Erklärungen lesen sich wie gewohnt sehr gut, erzählerisch ist Robin Hobb wie immer in Bestform. Leider, ähnlich der Weitseher-Trilogie, beginnt die eigentliche Handlung erst knapp in der Mitte des Buches. Dann allerdings in einem zügigen Tempo, welches man beim Vorgänger oft vermisst hat.

Starke Charaktere zeichneten die Weitseher-Trilogie aus – viele der alten und zahlreiche neue werden in diesem Buch vorgestellt. In der Fantasy werden oft Archetypen verwendet, die eine Rolle zu spielen haben. Bei Robin Hobb agieren Menschen, sie versteht es ihren Figuren Leben einzuhauchen. Sei es der listige und ständig Intrigen spinnende Chade oder Kettricken, die sich zu einer großartigen Königin entwickelt hat – Robin Hobb’s Figuren leben und gedeihen, entwickeln sich und wachsen einem so ans Herz, in einem unerreichten Maße. Nicht einmal George R.R. Martin kann solche Charaktere erschaffen, auch nicht David Eddings, der bei seinen liebenswerten Charakteren stets Klischees bis zur Neige erschöpft.

Der erste Band bringt Prinz Pflichtgetreu und Fitz zum ersten Mal zusammen, er muss diesen gegen seinen Willen nach Hause zurückbringen, was jedoch für Fitz mit einem sehr tragischen Verlust einhergeht, und auch Pflichtgetreu muss leiden – keine gute Grundlage für gegenseitiges Vertrauen.

Die Handlung um die „Gescheckten“ ist in sich abgeschlossen, man kann diesen Roman einzeln und ohne Kenntnis der Weitseher-Trilogie lesen. Die Übersetzung ist wieder von Eva Bauche-Eppers und genauso hervorragend wie die der Weitseher-Trilogie gelungen. Einzig die „Telling Names“ blieben erhalten, Prince Dutiful ist in deutscher Übersetzung als Prinz Pflichtgetreu zwar gewöhnungsbedürftig, aber das englische Original ist kaum besser. Das Lektorat allerdings hätte besser sein müssen, man stolpert über viel zu viele Buchstabendreher, Trennungszeichen mitten Satz, Anführungszeichen ohne Sinn und Ende und sonstige Nachlässigkeiten, wo man beim Vorgänger maximal ein Fehlerchen pro Buch finden konnte, und das bei bis zu 1200 (!) Seiten Umfang, schade (Anmerkung: Dieses Buch hat „nur“ 916 Seiten Umfang, die Seitenzahlangabe bei Amazon ist falsch). Dafür ist diese Trilogie gebunden und erscheint im edlen Stil der Reihe „Bibliothek der Phantastischen Literatur“.

Wenn man sich durch den etwas zähen Beginn gekämpft hat, wird man mit einer deutlich temporeicheren Handlung als in der Weitseher-Trilogie belohnt. Die Charaktere begeistern nach wie vor – und der zweite Band der neuen Trilogie – [„Der goldene Narr“]http://www.powermetal.de/book/anzeigen.php?id__book=232 – verbindet Teile der fantasievolleren „Zauberschiffe“-Trilogie Robin Hobb’s, die im Süden derselben Welt spielt, mit dem Geheimnis um den Narren und die Narcheska der Outislander. „Der lohfarbene Mann“ ist ein gutes Buch, die beiden Folgebände (Band Drei ist noch nicht übersetzt) sind aber besser und warten mit einer komplexeren und fantastischeren Handlung auf, verbinden somit die Vorzüge der „Zauberschiffe“ mit denen der „Weitseher“-Trilogie – man sollte unbedingt weiterlesen, der „goldene Narr“ schließt nahtlos an dieses Buch an und bietet von Beginn an eine spannendere, komplexere und vor allem fantastischere Handlung mit faszinierenden Geheimnissen. Robin Hobb hat sich gesteigert – diese Trilogie hat all das, was man bei der Weitseher-Trilogie vermisst hat – und hat sich ihre Stärken bewahrt. Ein sehr empfehlenswertes Buch für alle Fantasyfreunde, der Umfang (jedes Buch der Trilogie hat knapp 900 Seiten) dürfte Gelegenheitsleser jedoch abschrecken.