Interview mit Oliver Plaschka

|Oliver Plaschka gehört 2008 zu den Newcomern in der deutschen Literatur-Szene, seit er mit [„Fairwater oder die Spiegel des Herrn Batholomew“ 4864 einen beachtlichen Debütroman veröffentlicht hat. Eigentlich wollte ich schon damals ein Interview mit ihm machen; als ich dann aber gehört habe, dass er Mitautor beim neuen „Narnia-Rollenspiel“ werden würde, haben wir das Ganze terminlich noch ein wenig nach hinten verschoben, damit die Leser gleich das Komplettpaket an Informationen bekommen.

Nun haben wir uns zum Sommeranfang in einer Bar in der Heidelberger Altstadt getroffen und ein sehr ausführliches Interview geführt. Ein wenig dazu beigetragen hat sicher auch, dass sich Oliver aus Versehen einen Kaffee mit „Schuss“ bestellt hat. Gerüchte, die besagen, ich hätte den Barkeeper bestochen, um Olivers Zunge zu lösen, sind allerdings frei erfunden – ganz sicher.|

_Martin Schneider:_
Hi Oliver, zuerst stell dich doch bitte einmal vor.

_Oliver Plaschka:_
Ach, das weißt du doch sicher alles schon …

_Martin:_
Ich schon, aber ich bin mir sicher, dass es den einen oder anderen Leser ebenfalls interessiert.

_Oliver:_
Nun gut: Mein Name ist Oliver Plaschka. Ich schreibe jetzt schon sehr lange und in den letzten ein, zwei Jahren werden die Sachen endlich auch veröffentlicht. Mein Debütroman „Fairwater“ ist letztes Jahr beim |Feder & Schwert|-Verlag erschienen und meine letzte Veröffentlichung war das „Narnia-Rollenspiel“, welches beim |Brendow|-Verlag erschien und das ich zusammen mit Ulrich Drees geschrieben habe.

_Martin:_
Wie bist du zum [„Narnia-Rollenspiel“ 5037 gekommen?

_Oliver:_
Das lief über meine Agentur. |Brendow| hat meine Agentin Natalja Schmidt gefragt, ob es in ihrer Agentur Leute gäbe, die dafür geeignet wären, so etwas zu machen. Ulrich Drees war dann der erste, der „Hier!“ geschrien hat, und ich war der zweite. Dann hab ich mich mit Ulrich darauf verständigt, dass wir das zusammen machen. Wir haben uns dann auch schnell darauf geeinigt, wer was macht, und dann konnte es losgehen.

_Martin:_
Wie bist du zu „Narnia“ selbst als Thema gekommen?

_Oliver:_
Genau so, ehrlich gesagt. Natürlich kannte ich „Narnia“ schon und es lag lange auf meinem Stapel „Noch zu lesender Bücher“. Dann habe ich die Gelegenheit beim Schopfe gepackt und das endlich getan.

_Martin:_
Dann war das ja genauso wie bei mir. Ich habe „Narnia“ auch erst gelesen, kurz bevor ich das Rollenspiel bekam.

_Oliver:_
Ja, stimmt. Ich habe mich dann hingesetzt und die ganzen Bücher in ungefähr drei Wochen durchgelesen.

_Martin:_
Das ist ja auch nichts Schlechtes. Dann hattest du noch ganz frische Eindrücke und noch keine vorgefertigte Meinung.

_Oliver:_
Man würde natürlich gerne behaupten, man habe das schon in frühester Kindheit gelesen, aber das war bei mir nicht so. Natürlich waren mir der Wandschrank, der Löwe und die Kinder ein Begriff. Daran kommt keiner vorbei, der sich auch nur ein wenig mit Fantasyliteratur auseinandersetzt.

_Martin:_
Wie hat dir denn der erste Film gefallen?

_Oliver:_
Zwiespältig. Im Endeffekt fand ich ihn sehr schön, aber er war mir teilweise ein kleines bisschen zu kitschig – auf so eine moderne Art. Beim Soundtrack haben mich diese poppigen Beats gestört. Außerdem wurde der zauberhafteste Moment der Story, das Treten durch den Wandschrank, endlos lange zu halten versucht. Da läuft Lucy rum und staunt und staunt, aber das wird dann irgendwann langweilig. Das zweite große Problem, das ich mit dem Film hatte, war, dass Narnia so gigantisch dargestellt wurde: Da wurden Heerscharen von Minotauren gezeigt, die durchs Land marschierten, und mir stellte sich die Frage: Was machen die eigentlich in ihrer Freizeit? Wo bekommen die ihr Essen her? Denn so groß ist Narnia nicht. Bei der Menge an Minotauren wäre Narnia leer gefressen. Die Welt, wie C. S. Lewis sie beschreibt, ist deutlich kleiner und Pauline Baynes, die die Originalkarte gezeichnet hat, hat den Maßstab schon mal drei genommen. Wir haben uns dann auch dazu entschieden, diese Karte als Maßstab zu verwenden.

_Martin:_
Da muss ich nochmal kurz nachhaken. In einem Artikel im |Envoyer| (Rollenspielmagazin, Hrsg. André Wiesler, Anm. d. Red.) hast du geschrieben, dass Narnia so etwa die Größe von Irland hat.

_Oliver:_
Der bekannte Teil davon. Ich stelle mir Narnia insgesamt noch etwas größer und eierförmig vor, so tausend Kilometer hoch und etwa halb so breit. Das ist natürlich alles geschätzt. Man könnte sich denken, dass jenseits von Kalormen noch unendlich viel mehr kommt. Aber das halte ich für unwahrscheinlich, weil ja im Süden schon der Flammende Berg steht, der die Welt begrenzt, und oben sind die eisigen Nordlande. Auch wo Telmar liegt, weiß man nicht genau: Ob es jetzt direkt westlich der Gebirge liegt oder ob es eine Insel im Meer ist, wird völlig offengelassen.

_Martin:_
Wie habt ihr denn die Arbeit aufgeteilt?

_Oliver:_
Im Prinzip haben wir einfach geschaut, wer auf was die meiste Lust hat. Ich habe mir schnell das Kapitel über die Magie unter den Nagel gerissen, weil ich auch früher beim Rollenspielen fast immer Zauberer gespielt habe. Und auch auf die Hintergrundkapitel wie „Die Welt“ und die Timeline hatte ich große Lust und hab das dann aus der Sekundärliteratur erarbeitet. Auch |Wikipedia| war mir da eine große Hilfe. Aus diesen ganzen Daten habe ich dann versucht, einen einheitlichen Überblick zu schaffen. Ulrich wollte das Kapitel über den Kampf und die Einleitung machen. Den Rest haben wir dann gerecht aufgeteilt.

_Martin:_
Wart ihr euch gleich darüber einig, dass ihr das ganze Regelwerk eher märchenhaft halten wolltet?

_Oliver:_
Diese grundlegenden Sachen gingen relativ schnell, zumal von vornherein klar war, dass es der Verlag so haben wollte. Und es passt ja auch gut zu „Narnia“. Das „Narnia“-Rollenspiel soll sich auch an ein jüngeres Publikum richten, es soll möglichst gleichermaßen Jungen und Mädchen ansprechen. Dazu soll es auch eine Anbindung an den normalen Buchhandel haben und nicht nur in Rollenspielläden zu bekommen sein. Die Regeln sind einfach gehalten, so dass sie jeder verstehen dürfte, auch wenn die Spieler noch sehr unerfahren sind, und auch die Würfel sind nicht exotisch.

Über Details haben wir natürlich diskutiert, aber das ging eigentlich immer sehr schnell, auch weil Ulrich da einen sehr professionellen Ansatz hatte. Er war da immer super unkompliziert.

Das einzige kleinere Problem trat beim Magiesystem auf. Bei meiner ersten Version des Magiesystems gab es richtige Spruchzauberei. Der Verlag wollte aber Konflikte mit christlichen Stammlesern vermeiden, und man ging davon aus, dass diese ein Problem damit haben würden. Deshalb haben wir uns dann darauf verständigt, das System rein komponentenbasiert zu gestalten. Man benutzt jetzt die Komponenten und der Effekt tritt ein, ohne dass der Zaubernde etwas sagen muss.

_Martin:_
„Narnia“ ist ja bekannt für seinen christlichen Hintergrund. Meinst du, das haftet dem Spiel eher negativ an?

_Oliver:_
Das kommt ganz darauf an, wen du da fragst. Bei den Rollenspielern ist das vielleicht zum überwiegenden Teil richtig, aber bei den christlichen Lewis-Lesern wird das gerade umgekehrt sein.
Kennst du Jack T. Chick?

_Martin:_
Nein, der Herr sagt mir jetzt nichts.

_Oliver:_
Der hat seit den 70er und 80er Jahren eine Reihe unsäglicher Pamphlete gegen Rollenspieler, Fantasyliteratur und Rockmusik verfasst. Von dem ist auch dieses berüchtigte „Dark Dungeons“, wo dargelegt wird, dass das Rollenspiel „AD&D“ zum Satanismus führt. Des Weiteren meinte er, dass das „Necronomicon“ von Howard Phillips Lovecraft echt und daher gefährlich wäre … Und genau dieser Chick hat auch sehr lange gegen Tolkien und Lewis gewettert. Selbst die waren ihm nicht christlich genug.

Lange Rede, kurzer Sinn: Man muss das ein wenig abwägen. Wir haben probiert, die christliche Weltsicht von Lewis zu übernehmen, aber eben nicht auf so eine didaktische Art und Weise. Wir wollen niemanden vergraulen, weder die christlichen Lewis-Fans noch die vielleicht nicht so christlichen Rollenspieler. Wir wollen niemandem vorschreiben, wie er zu spielen hat. Ein Beispiel, das wir da gerne zitieren, ist die „Bundkraft“. Das funktioniert ein wenig wie der „Gruppenkarmapool“ bei [„Shadowrun“: 2097 Wenn die Gruppe gut zusammenhält und kooperiert, bekommt sie zusätzliche Würfel und erhöht damit ihre Chancen, Aktionen gut zu bewältigen. Ein weiteres Beispiel sind die Tugenden, die ein wenig wie die Menschlichkeit bei „Vampire: Die Maskerade“ funktioniert: Sie sollen eine rollenspielerische Hilfe sein. Damit vermeidet man zu sagen: „Du bist gut“, „Du bist böse“, „Du kommst in den Himmel“, „Du kommst in die Hölle“. Ein schlechter Wert darin führt halt bei Menschen dazu, dass man unter Umständen nicht mehr so gut mit Narnia und seinen Geschöpfen interagieren kann. Und sprechende Tiere werden wieder wild.

_Martin:_
Das finde ich auch sehr passend. Was mich ein wenig gewundert hat: Wenn die sprechenden Tiere ihre besonderen Fertigkeiten benutzen, kann es sein, dass sie von ihrer Tugend (Moral) Punkte verlieren. Warum das?

_Oliver:_
Weil die tierischen Kräfte eigentlich immer wilde Kräfte sind. Die Tiere geben sich eine unheimliche Mühe, menschlich zu sein. Das hat ja fast schon lächerliche Ausmaße. Beispielsweise liegt bei den Bibers zu Hause das schöne Tischtuch über dem Essenstisch, dort wird gekocht und Tee getrunken und Frau Biber sitzt an einer Nähmaschine. Und wenn die dann eben in der Wildnis rumrennen, andere Tiere fressen und blutrünstig kämpfen, widerspricht das diesem Menschlichkeitsideal. Insofern sind diese Kräfte nicht nur was Tolles, sondern auch was Gefährliches. Genau eben wie auch bei der Zauberei. Daher soll man auch sparsam damit umgehen. Klar kann man das auch wieder als ein Entgegenkommen an die christliche Seite interpretieren … Ich habe mal vor kurzem einen Artikel gelesen, in dem eine Autorin darlegte, warum sie vom christlichem Standpunkt aus Tolkien gut findet, „Harry Potter“ aber nicht: Bei Tolkien wird Magie ganz dezent eingesetzt. Sie ist in den Händen von eigentlich nicht menschlichen Figuren – solchen Überwesen wie zum Beispiel Gandalf. Und die machen damit immer nur so viel, wie gerade unbedingt nötig ist. Und du hast immer das Gefühl: Magie ist nichts für einen kleinen Hobbit. Und bei „Harry Potter“ ist das halt gerade umgekehrt.

_Martin:_
Wie denkst du denn, wird das System bei erfahrenen Rollenspielern ankommen? Es ist ja schon sehr einfach und einsteigerfreundlich gehalten.

_Oliver:_
Solche Publikumsreaktionen kann man nur ganz schwer vorhersagen. Es wird sicherlich Spieler geben, die vom Regelsystem enttäuscht sein werden, weil es ihnen nicht genug strategische Möglichkeiten bietet. Es kann natürlich auch sein, dass wir irgendwelche Dinge nicht gut genug gewichtet haben. Ich warte heute noch auf den schrecklichen Moment, zu dem ein Spieler ankommt und den unbesiegbaren Charakter gebastelt hat. Ich hoffe zwar, dass das nicht geht, aber eine hundertprozentige Sicherheit gibt es halt leider nicht.

Aber um zur Frage zurückzukommen: Ich kenne auch viele ältere Rollenspieler, die mit den Jahren lieber ein wenig „back to the roots“ gehen. Ich kenne das auch von mir. In meiner Anfangszeit habe ich sehr viel und leidenschaftlich „Shadowrun“ gespielt. Ich erinnere mich noch an den Anfang meines Studiums, als ich noch nicht so schrecklich am Studium interessiert war, da saß ich mal ein dreiviertel Jahr in einem Seminar und habe einen „Shadowrun“-Charakter gebastelt. Heute bin ich eher so drauf, dass ich mir denke: Man muss eigentlich an einem Spielabend gar nicht würfeln. Es reicht, wenn zwei Würfel auf dem Tisch liegen, und wenn einer denkt, er muss würfeln, dann würfelt er halt. Und ich denke, gerade für diese Art von Spielern ist „Narnia“ ein sehr freundliches System. Ich bin sehr stolz darauf, dass man in fünf Minuten einen Charakter bauen kann: Will man es ganz einfach machen, lässt man alle Attribute auf null, das heißt, sie geben keinen Bonus und keinen Malus. Dann verteilt man seine paar Fertigkeitspunkte, und das war es auch schon. Ich denke auch, dass das Spiel besser wird, je näher du an deinen Charakter gehst und je kleiner deine Geschichten sind – je mehr Rollenspiel also betrieben wird.

Ich habe mal in einer Testrunde erlebt, dass ein Spieler einen Erdenmenschen gespielt und sich fast geweigert hat, sich auf das Abenteuer einzulassen – weil er so von diesem Weltenwechsel eingenommen war und die Figur dachte, sie sei tot. Und das hat sehr viel Spaß gemacht. Wenn man die Beziehungen zwischen den Charakteren oder die Eigenheiten von Fabelwesen oder Tieren ausspielt, kann man mit „Narnia“ viel Spaß haben. Man sollte nicht jede Reise gleich überspringen. Eben noch in Cair Paravel, jetzt in Tashbaan, dazu kennt man noch alle wichtigen NSCs (Nicht-Spieler-Charaktere, d. Red.) … Ich glaube, dann erschöpft sich die Welt sehr schnell.

_Martin:_
Der größte Kritikpunkt, der mir bisher im Internet untergekommen ist, war die Kritik an der enthaltenen Karte. Ist das nicht schon ein Kompliment an euch?

_Oliver:_
Eigentlich ja. Zur Karte: Es gibt zwei bekannte Karten. Das eine ist die schon erwähnte von Pauline Baynes und die andere ist die von |Disney|, die für die Filme angefertigt wurde. Beide gefallen mir sehr gut, doch wären bei beiden die Lizenzgebühren viel zu teuer für uns gewesen. Zumal die von |Disney| auch falsch ist. Da sind Flüsse falsch eingetragen und Städte liegen an den falschen Flussmündungen. So was geht einfach nicht. Ich gebe zu, man hätte die Karte noch schöner machen können, unser Zeichner probiert auch gerade noch, eine aufgebesserte Version zu erstellen, die wir dann ins Internet stellen werden (auf |www.laternendickicht.de|). Aber die Karte ist funktional und richtig, und das war mir deutlich wichtiger als das Aussehen.

_Martin:_
Wie sieht es denn aus mit weiteren Publikationen zum „Narnia“-Rollenspiel?

_Oliver:_
Von uns aus gerne, aber es ist noch zu früh, um etwas Genaues zu sagen. Natürlich hängt es auch davon ab, wie erfolgreich das System wird. Wenn |Brendow| sich entschließt, Folgebände zu veröffentlichen, würde ich das sehr gerne machen. Was mich reizen würde, wären ein Abenteuerband und eine eingehendere Weltbeschreibung. Vielleicht ein Erweiterungsband zu verschiedenen Ländern und Regionen, wobei man sich dann die Freiheit nehmen müsste, Dinge dazuzuerfinden. Wir waren da bisher sehr, sehr sparsam, denn es gibt nur wenige Sachen im Regelwerk, die wir dazuerfunden haben. Und da gibt es jetzt schon manche Fans, bei denen die Alarmglocken schrillen.

_Martin:_
Was habt ihr denn so erfunden?

_Oliver:_
Bei den sieben Inseln sind fünf Namen von mir. Der Name von Prinz Kaspians Ehefrau ist auch von mir. In einem Internetforum habe ich darüber eine Diskussion gefunden, ob die Dame überhaupt einen Namen haben sollte – die Fans waren sich nicht einig. Ansonsten noch ein, zwei kleine Dinge – wie eine Prinzessin in der Historie, zu der es bei Lewis widersprüchliche Angaben gab. Auch die Frage, wer denn König von Narnia war, als die Pevensies weggingen, blieb bei Lewis offen. Da habe ich dann verfügt, dass die Nachfahren des Königs von Archenland als Truchsesse eingesprungen sind. Aber im Großen und Ganzen haben wir versucht, alles in das Regelwerk zu packen, was Lewis je über Narnia geschrieben hat. Und ich denke, das haben wir geschafft.

_Martin:_
Im Band habt ihr relativ wenige sprechende Tiere aufgeführt. Nach welchen Gesichtspunkten habt ihr die ausgewählt?

_Oliver:_
Wir mussten auf die Gewichtung achten. Ich wollte kein Spiel machen mit fünfzehn Tieren, drei menschlichen Kulturen und ein paar Fabelwesen. Daher haben wir uns auf eine überschaubare Anzahl an Beispielcharakteren beschränkt. Dann haben wir uns für die Tiere entschieden, bei denen wir uns am ehesten vorstellen konnten, dass sie aufrecht gehen und ihre Hände benutzen können, und natürlich jene, die in den Büchern eine prominente Rolle spielen. Ich wollte die Bären drin haben, wegen der Sache mit dem Honig, dann natürlich Dachse wegen der Trüffeljäger und weil ich persönlich Dachse toll finde. Mäuse mussten selbstverständlich auch sein, alleine wegen Riepischiep, denn es hätte uns sicher kein Fan verziehen, wenn die Mäuse nicht dabei gewesen wären. Ein paar haben wir auch als Hommage an andere Werke reingenommen. Ich hab zum Beispiel die halbe Belegschaft aus „Der Wind unter den Weiden“ im Abenteuer auftreten lassen: Maulwurf, Otter und Ratte. Wir wollten uns eigentlich noch mehr beschränken, aber das hat nicht geklappt.

Du hast also schon Recht: Die Versuchung war sehr groß, viele Tiere mit reinzunehmen. Aber das ist ja für die Spieler kein Problem: Das System ist sehr einfach, so dass sich jeder seine Lieblingstiere basteln kann. Wenn du die Tiere durchrechnest, wirst du auch feststellen, dass sie nicht alle die gleiche Punktezahl haben. Ist ja auch kein Wunder, denn man kann halt einen Bären schlecht mit einer Maus vergleichen. Das macht die Spieler aber auch freier, sich eigene Tiere zu erschaffen: Da sagt man dann einfach „Ich gebe meinem Fuchs ein Plus auf Charisma und Intelligenz und ein Minus auf Stärke“, und das war’s. Wichtiger ist auch hier wieder, es rollenspielerisch darzustellen.

Also nochmal an alle Fans: Spielt alle Tiere, die ihr wollt! Ich finde Eulen ganz toll, damit kann man jede Gruppe in den Wahnsinn treiben! (lacht)

_Martin:_
Wo wir gerade dabei sind, gefallen mir die Vor- und Nachteile besonders gut.

_Oliver:_
Dass es Vorteile und Nachteile geben würde, war die Idee von Ulrich Drees. Ausgearbeitet haben wir sie dann zusammen. Ich mag so was auch ganz besonders, weil es eine schöne Methode ist, seinem Charakter Tiefe zu verleihen. Zumal man sich bei uns ja nur durch Nachteile auch Vorteile erkaufen kann. Nachteile sind interessanter. Charaktere, die keine Schwächen haben, finde ich uninteressant. Es müssen keine furchtbaren Benachteiligungen sein, aber kleine Charakterschwächen machen das Ganze viel interessanter.

_Martin:_
Welches Zeitalter in Narnia empfiehlst du denn zum Spielen?

_Oliver:_
Ich würde sagen 2310, das ist die Zeit von Prinz Kaspian, weil das Zeitalter der Pevensies für meinen Geschmack noch zu unentwickelt ist. Das ist auch ein typisches Problem bei Lewis. Ihm fiel zum Beispiel erst beim siebten Band auf, dass Cair Paravel von einer Stadt umgeben sein könnte. Bis dahin ist das eigentlich nur ein Schloss auf der grünen Wiese. Und da wir uns dachten, dass uns das kein Rollenspieler durchgehen lässt, ist bei uns schon immer Stadt außenherum, auch schon zu Zeiten von „Aslan gegen Jadis“. Aber trotz dieser Korrektur bietet das frühere Zeitalter einfach zu wenig. Bei Kaspian gibt es dann noch die Telmarer als Machtblock, und es ist es auch einfach stimmungsvoller, denn wer möchte schon von einem fünfzehnjährigen Jungen regiert werden?

_Martin:_
Mir ist bei Lewis aufgefallen, dass Dunkel oder Schwarz sehr negativ belegt sind. Die dunkelhäutigen Telmarer sind fast alle verschlagen und die Helden sind alle blond. Siehst du Lewis da einfach als Kind seiner Zeit?

_Oliver:_
Das ist mir offengestanden noch gar nicht so arg bei ihm aufgefallen. Auffälliger finde ich es zum Beispiel bei Tolkien. Aber natürlich würde ich ihn als Kind seiner Zeit sehen. Dabei würde ich dann auch Tolkien und Lewis in einen Topf werfen, weil die beiden sich ja wöchentlich getroffen und alles ausdiskutiert haben. Das sind halt auch die alten Klischees, die auch heute noch drin sind. Die Orks etwa haben noch immer diesen Untermenschen-Touch, und den werden sie auch nie loswerden – so dieses affige Degenerierte. Und das sind halt Vorstellungen, die sicherlich auch noch aus der Viktorianischen Zeit stammen. Ganz deutlich wird das bei Oscar Wildes „Das Bildnis des Dorian Grey“: Körperlicher und moralischer Verfall wird einfach gleichgesetzt. Wenn jemand böse ist, siehst du ihm das an. Und dieser Gedanke pflanzt sich immer weiter fort. Wo Lewis damit bricht, ist bei Jadis, denn sie ist ja schön und furchtbar, eine ähnliche Mischung wie Galadriel beim [„Herr der Ringe“, 1330 als sie darüber nachdenkt, wie das so wäre, den Einen Ring zu besitzen.

Aber ganz klar: Wenn solche Klischees auftauchen, bin ich bereit, sie Lewis zu verzeihen. Ein bisschen kritischer wird es, wenn man auf seine Islamklischees schaut, denn Kalormen ist schon ein sehr klischeebehaftetes Land und Tash eine eher böse Gottheit. Wir haben probiert, das ein bisschen zu relativieren, denn wir wollten natürlich nicht, dass der Eindruck erweckt wird, es gäbe in unserem Spiel Menschen, die alle das Böse anbeten. Andererseits wollten wir schon eine Tausendundeine-Nacht-Kultur, in der es so ein paar Wesenheiten gibt, die auch etwas unheimlich sind. Da war es schwierig, die richtige Balance zu finden. Auf der anderen Seite gab Lewis dann Aslan einen türkischen Namen, denn „Aslan“ ist türkisch und heißt „Löwe“. Da ist Lewis auch irgendwie eigenartig gewesen.

Ich würde vorschlagen, darüber einfach nicht so viel nachzudenken und hineinzuinterpretieren, sondern es einfach als klischeehafte Märchenwelt anzunehmen.

_Martin:_
Das ist doch ein schönes Schlusswort zu „Narnia“. Kommen wir zu deinem ersten Roman „Fairwater“. Erzähl uns doch mal ein bisschen was darüber.

_Oliver:_
„Fairwater“ liegt mir sehr am Herzen, weil es ja mein erster Roman war und weil ich ihn so geschrieben habe, wie man ihn eigentlich nicht schreiben sollte: Einfach mal drauflos, und dann hinterher versuchen, einen Verleger dafür zu finden. Welche Probleme ich damit hatte, sieht man auch gut daran, dass beim „Narnia“-Rollenspiel zwischen Idee und Drucklegung ein Jahr lag und bei „Fairwater“ waren es sieben! Das ist natürlich was ganz anderes. Dieser Roman entstand aus einer Mischung verschiedener Umstände. Einerseits habe ich viel gelesen, sowohl privat als auch an der Uni, und ich glaubte auch, ich hätte unheimlich viel zu sagen. Dazu kam, dass ich gerade ein Auslandssemester in England hatte und mutterseelenallein war. So habe ich also angefangen, diese Geschichten zu schreiben. Dabei ist das Ganze komplett ausgeufert und ich habe über ein Jahr daran geschrieben.

_Martin:_
Worum geht es denn grundsätzlich bei „Fairwater“?

_Oliver:_
Fairwater ist eine kleine Stadt, die so ein bisschen in der Tradition der seltsamen amerikanischen Stadt steht, wie man es aus „Twin Peaks“ oder aus manchen Stephen King-Romanen kennt. Diese Stadt ist bevölkert von merkwürdigen Leuten, die alle keine realistischen Sorgen und Leben zu haben scheinen. Die beschäftigen sich alle mit so komischen Dingen wie Magie oder Kunst … Die Leute führen eine Art Doppelleben. Auf der einen Seite sind es Künstler, Studenten, Bohèmiens, Aussteiger oder Stadtstreicher. Auf der anderen Seite scheinen sie Außerirdische, Weltenreisende, Zauberer oder Wahnsinnige zu sein. Und diese intrigieren gegeneinander und erleben dabei furchteinflößende, aber auch schöne Erfahrungen. Und genau diese Mischung wollte ich auch damals so haben.

_Martin:_
Neben meiner eigenen Rezension habe ich auch sonst fast nur positive Stimmen zu „Fairwater“ gehört, und auch der Vergleich zu Neil Gaiman ist mir oft aufgefallen: Ist das positiv, oder …

_Oliver:_
(Antwortet wie aus der Pistole geschossen) Auf jeden Fall! Ich freue mich sehr, dass der Roman so positiv aufgenommen wird. Das bedeutet mir sehr viel, weil es mit diesem Buch sehr schwer ist, ein größeres Publikum zu erreichen, und ich daher auf Mundpropaganda angewiesen bin. Solange das so funktioniert, bin ich sehr zufrieden damit, eine Art Geheimtipp zu sein. Der Vergleich mit Gaiman ist sehr schmeichelhaft. Ich muss gestehen, dass ich zu ihm damals gar nicht so viele Bezüge hatte. Mein Hauptkontakt waren die „Books of Magic“, die ich inbrünstig geliebt habe, aber ich muss gestehen, dass ich bis heute keinen seiner Romane gelesen habe. Ein Vergleich, der auch häufig angeführt wurde, war „Fool on the Hill“ von Matt Ruff. Allerdings ist das auch ungerechtfertigt, denn den kannte ich damals auch noch nicht. Ich muss aber gestehen, als ich das Buch dann gelesen hatte, war ich froh, es erst jetzt getan zu haben, denn ich hätte garantiert versucht, ihn zu imitieren.

_Martin:_
Du machst es deinem Leser in diesem Roman mit deinen vielen popkulturellen Andeutungen ziemlich schwer, da er sich diese selbst herleiten muss. War das so gewollt?

_Oliver:_
Das gebe ich zu und würde es heute auch nicht mehr ganz so extrem machen. Ein guter Freund von mir sagte mal, man merkt dem Roman an, dass es ein Erstlingswerk ist. Da stimme ich ihm auch zu. Ich war einfach manchmal zu bemüht, alles darin unterzubringen, was ich jemals irgendwie toll fand. Ich muss allerdings auch sagen, dass ich nicht vom Leser erwarte, alles zu verstehen. Es ist auch in keinem der Liedtexte ein Rätsel drin, das man unbedingt verstehen müsste – es hat eigentlich mehr dekorativen Charakter. Wenn sich ein Leser dabei denkt „Ich könnte mal wieder Pink Floyd hören“, hat sich das Ganze schon gelohnt.

_Martin:_
Wie würdest du jemandem „Fairwater“ ans Herz legen?

_Oliver:_
Darin bin ich ganz schlecht. Ich würde das nicht tun, weil ich Autoren total ätzend finde, die zu jedem gehen und sagen: „Lies mal mein Buch!“

_Martin:_
Gut, anders gefragt: Wie würdest du deinen Roman einordnen?

_Oliver:_
Damit haben sich alle schwergetan. Das war auch einer der Gründe, warum es sieben Jahre gedauert hat, das Buch zu verlegen. Ich würde es als moderne Phantastik beschreiben. Es ist eine Geschichte, in der nicht immer klar ist, was real und was nicht real ist. Und das ist ein Genre, das so ein bisschen aus der Mode geraten ist. Das florierte zu Zeiten Poes und Lovecrafts und ist heute im Horror aufgegangen. Und es gibt nur ganz wenige Autoren, die Geschichten schreiben, in denen etwas Phantastisches passiert, und die Leute laufen nicht schreiend weg, sondern finden es interessant. Dafür sind Matt Ruff und Peter Beagle („Das letzte Einhorn“, d. Red.) gute Beispiele. Und so was wollte ich auch schreiben. Meine Figuren sollten Leute sein, die es toll finden, wenn die Realität nicht das ist, was sie zu sein scheint.

_Martin:_
Wie sieht es aus mit weiteren Projekten?

_Oliver:_
Die gibt es natürlich. Ein Konzept nimmt gerade Gestalt an, aber da ich abergläubisch bin, möchte ich darüber momentan noch nicht reden. Außerdem gibt es noch zwei Romane, die ich auf jeden Fall schreiben möchte: Das eine ist ein Science-Fantasy-Szenario, in das ich mich seit Jahren reingedacht habe, und das andere wäre ein klassischer High-Fantasy-Roman.

_Martin:_
In welche Richtung geht dein Projekt, über das du nicht sprechen möchtest?

_Oliver:_
(lacht) Urban Fantasy. Wobei da ja die Meinungen schon sehr auseinandergehen, was denn Urban Fantasy eigentlich ist. Ich habe den Begriff das erste Mal vor ungefähr einem Jahr gehört, und ich würde damit am ehesten Neil Gaiman oder [„Wächter der Nacht“ 3028 von Lukianenko in Verbindung bringen. Die meisten Verlage scheinen momentan darunter so was wie die unsäglichen „Paranormal Romance“-Geschichten zu verstehen, in denen es hauptsächlich darum geht, dass Vampire Sex mit Werwölfen haben … Es ist teilweise sehr erschreckend. Ich lese so was ab und an für Gutachten und bin mir sicher, dass ich so was nicht schreiben möchte.

_Martin:_
So, dann bedanke ich mich herzlich für das ausführliche Interview. Nun hast du noch die Gelegenheit, das Wort direkt an unsere Leser zu richten:

_Oliver:_
Auch ich bedanke mich für das Interview! Und wem [„Fairwater“ 4864 gefallen hat – der Roman ist beim Deutschen Phantastikpreis als „Bestes Debüt 2007“ nominiert. Auf http://www.deutscher-phantastik-preis.de kann man noch bis zum 31. August dafür abstimmen.

http://gazette.rainlights.net
http://www.narnia-welt.de

|Fairwater oder Die Spiegel des Herrn Bartholomew|
Feder & Schwert, Oktober 2007
ISBN-10: 3867620113
ISBN-13: 978-3867620116

|Narnia – Das Rollenspiel|
Brendow, Mai 2008
ISBN-10: 3865062148
ISBN-13: 978-3865062147