David Knight – Der Fall 561

Was als Mordversuch an zwei Polizisten begann, entwickelt sich zu einer mehrmonatigen Jagd auf einen brutalen Verbrecher, der sich findig der Fahndung immer wieder zu entziehen weiß, bis seine Verfolger doch obsiegen … – Scheinbar dokumentarisch im Ton, singt der Verfasser das Loblied einer Polizei, die unaufhaltsam und unerbittlich dem Gesetz Genüge verschafft: ein interessantes Zeitdokument im Gewand eines routiniert geschriebenen, spannenden Kriminalromans.

Das geschieht:

Los Angeles in den 1950er Jahren: Die Polizisten Pete Skinner und Don Crane sollen überprüfen, ob James Borden ein gestohlenes Tonbandgerät besitzt. Als sie den Verdächtigen befragen wollen, eröffnet der das Feuer mit einer schweren Automatik-Pistole, schießt die beiden Beamten nieder und flüchtet.

Weil Polizeibeamte verletzt wurden, geht der Fall, der die Nummer 561 erhält, an die Detectives Joe Friday und Frank Smith von der Mordkommission. Obwohl die erfahrenen Männer alle Hebel in Bewegung setzen, bleibt Borden frei; wenig später erschießt er beim Versuch, in einen Supermarkt einzubrechen, den Detective Timothy Ryerson.

Auch dieses Mal kann Borden entkommen, aber unermüdlich und akribisch verfolgen Friday und Smith jede Spur. Sie aktivieren einen Spitzel und arbeiten schließlich Undercover, doch Borden schlägt ihnen weitere Schnippchen, bis sich die Waagschalen der Gerechtigkeit endlich doch zugunsten des Gesetzes neigen …

„Dragnet“: Im Namen des Gesetzes

Wenn die letzte Zeile der Inhaltsangabe ein wenig theatralisch klingen sollte, so liegt dies am „Dragnet“-Faktor, der nachfolgend kurz erläutert wird. „Dragnet“ ist ein fester Bestandteil der US-Fernsehgeschichte. Für den Schauspieler und Produzenten Jack Webb (1920-1982) wurde diese Krimi-Serie zum Erfolg seines Lebens. Schon 1949 entwickelte er eine Radiofassung, und 1951 kam „Dragnet“ ins Fernsehen; Webb selbst spielte den Vorzeige-Polizisten Joe Friday.

„Dragnet“ legte wie jeder Krimi großen Wert auf Spannung. Das Besondere an Webbs Konzept war jedoch der dokumentarische Faktor. „Die geschilderten Ereignisse entsprechen den Tatsachen; nur die Namen der Beteiligten wurden geändert“, hieß das eingangs jeder Sendung wiederholte Leitmotto. Folgerichtig thematisierte „Dragnet“ die alltägliche Polizeiarbeit. Die sonst im Genre typische Mischung aus Genialität und Glück ging den „Dragnet“-Beamten ab, die sich auf ihr Wissen, ihre Erfahrung sowie Fleiß und Fußarbeit verlassen mussten. Rückschläge während der Ermittlungen wurden nicht verschwiegen oder verkürzt, sondern als Tatsache hervorgehoben: Die Jagd auf den Polizistenmörder Borden zieht sich im Roman zur Serie acht Monate hin.

Wichtig war der finale Triumph des Gesetzes, das sich allen Widerständen zum Trotz durchsetzte. Die krasse, streng schwarzweiß gezeichnete „Verbrechen-lohnt-nicht“-Attitüde passte hervorragend in die konservative Eisenhower-Ära. „Dragnet“ versicherte dem braven Bürger, dass Männer wie Joe Friday die Finsterlinge der Welt in Schach hielten, und warnte den weniger braven Zeitgenossen vor den Folgen verbotenen Tuns.

Wir geben niemals auf!

Schon in den 1950er Jahren waren Romane zu erfolgreichen Filmen und Fernsehserien verbreitet. Solche „tie-ins“ erschienen auch parallel zur Ausstrahlung von „Dragnet“. Die hier erzählten Geschichten griffen den bewährten Stil des Vorbilds sehr genau auf. Autor David Knight geizt deshalb nie mit ‚präzisen‘ Angaben. Immer wieder nennt er Daten und Uhrzeiten oder Adressen. Die Arbeit der Polizei wird beschrieben. Der Tenor des Textes bleibt betont nüchtern. Die Sätze sind kurz und aussagekräftig; sie lesen sich wie ein Polizeibericht und sollen die Wahrhaftigkeit der beschriebenen Ereignisse unterstreichen.

„Dragnet“-Geschichten sind „police procedurals“ in Vollendung. Der menschliche Aspekt, der aus zweidimensionalen Figuren dreidimensionale Personen werden lässt, wird dagegen so gut wie vollständig ausgeblendet. Vor allem Friday ist die personifizierte Ordnungsmacht – ein Polizei-Roboter, der zwischen den Einsätzen daheim auf das Klingeln des Telefons wartet, dessen Nummer nur das Revier kennt. Friday ist unbestechlich, unermüdlich, unaufhaltsam. Spesen zahlt er, obwohl chronisch unterbezahlt wie alle Polizisten, notfalls aus eigener Tasche. Er zweifelt nicht an seinem Tun und erst recht nicht am Gesetz, dem er Geltung verschafft, denn das hat Joseph Friday geschworen! Verbrecher sind Feinde, die es zu fassen und ins Gefängnis zu schaffen gilt, wo sie bestenfalls lebenslänglich bleiben, weil es so etwas wie Rehabilitation nicht gibt: Kriminalität gilt als unheilbare Krankheit.

Kaum milder gibt sich Fridays Partner Frank Smith, der immerhin verheiratet und Vater ist. Doch als wir ihn kennenlernen, hat er gerade die Krimi-Magazine seines nichtsnutzigen Schwagers entsorgt, die nicht nur Schmutz & Schund sind, den ein guter Vater/Mann/Amerikaner aus dem Haus zu schaffen hat, sondern auch die Arbeit der Polizei völlig falsch darstellen und damit verhöhnen. Das ist nicht zwangläufig ironisch gemeint, soll aber dem Geschehen ein wenig Humor einhauchen, für den Smith auch in der TV-Vorlage zuständig war.

Ihr habt es ja so gewollt!

Aus solchem Holz müssen Männer geschnitzt sein, um es mit den Bordens und Wests dieser Welt – unverbesserliche, verderbte, hinterlistige Strolche – aufnehmen zu können. Schlimm genug, dass die Polizei sich an Regeln halten muss, die u. a. besagen, dass nur Patronen des Kalibers .38 abgefeuert werden dürfen! „Ein Verbrecher, der von einer solchen Kugel getroffen wird, hat 70 Prozent Aussicht, trotzdem davonzukommen. Selbst mit drei oder vier solchen Bleistücken im Leibe kann er sich noch auf den Beinen halten.“ (S. 20) Die daraus logisch resultierende, im Text unausgesprochen bleibende Forderung darf der Leser selbst einfügen; wer noch zögert, wird mit der Schilderung von Bordens Gauner-Artillerie entsetzt: „sechs Maschinenpistolen, sechs Revolver vom Kaliber .38, zwölf Pistolen, Kaliber .45, und Tausende von Schuss Munition“ (S. 140).

Damit ist der Reigen der Widrigkeiten, mit der sich ein wackerer Polizist herumzuschlagen hat, keineswegs zu Ende. „Dragnet“ dient auch der Aufklärung unbescholtener Bürger. Diese haben von der wahren Schlechtigkeit der Welt keine Ahnung, weshalb sie es gegenüber den Beamten oft an prompter Unterstützung und Dankbarkeit fehlen lassen. Knight baut gleich mehrere Szenen ein, in denen die Beamten fassungslos die Dummheit von Zeitgenossen zur Kenntnis nehmen müssen, die tatsächlich einen Mann für unschuldig halten, weil dieser „ein ehrliches Gesicht“ habe, oder Zeugen brummig reagieren, nachdem sie von selbst müden aber trotzdem wachsamen Polizisten nachts zur Befragung dem Bett ferngehalten werden. Das muss aufhören! Der Dienst an der Gesellschaft fordert die Mitarbeit der Gesellschaft. Wenn alle an einem Strang ziehen, können verdächtige Elemente, die gegen den Strom schwimmen, viel eher ausgesiebt und ausgeschaltet werden.

„Dragnet“ forever!

Der „Law-&-Order“-Geist von „Dragnet“ war nicht von liberaler Gesinnung, was wie schon erwähnt dem Erfolg der Serie förderlich war. Gerechterweise muss aber auch erwähnt werden, dass „Dragnet“-Krimis spannend, gut erzählt sowie sorgfältig in Szene gesetzt waren und gerade wegen ihrer Sachlichkeit sehenswert blieben. Jack Webb, der Über-Vater, war für seine diesbezügliche Sorgfalt bei den Zuschauern beliebt und bei den Produzenten gefürchtet. Nach siebenjähriger Pause kehrte „Dragnet“ – jetzt in Farbe, aber wieder mit Webb in der Hauptrolle – 1967 bis 1970 auf den Bildschirm zurück; mit „Adam-12“ gab es 1969 sogar ein Spin-off, das bis 1975 ausgestrahlt wurde. 1989 kam „The New Dragnet“, 2003 „L. A. Dragnet“.

In Deutschland lief „Dragnet“ unter dem Titel „Polizeibericht“ im Fernsehen. Auch die Romane zur Serie wurden veröffentlicht. Darüber hinaus schufen Jürgen Roland (Regie) und Wolfgang Menge (Drehbuch) eine deutsche „Dragnet“-Version: 22 oft spielfilmlange „Stahlnetz“-Episoden aus den Jahren 1958 bis 1968 gehören zu den Kronjuwelen des deutschen Fernsehens, die noch heute durch ständiges Wiederholen poliert werden.

Autor

„David Knight“ ist ein Pseudonym für Richard Scott Prather, der am 9. September 1921 in Santa Ana (US-Bundesstaat Kalifornien) geboren wurde. Im II. Weltkrieg diente er in der Handelsmarine, 1945 arbeitete er als Zivilangestellter in einer Air Force Basis, bevor er sich als hauptberuflicher Schriftsteller versuchte. Die Hauptfigur in Prathers erstem Roman, der 1950 unter dem Titel „The Case of the Vanishing Beauty“ erschien, war bereits Privatdetektiv Sheldon „Shell“ Scott.

Prather war als Autor ein Routinier. Er schrieb, was gelesen wurde. Als sich herausstellte, dass sein Publikum Shell-Scott-Romane von ihm verlangte, lieferte er; durchschnittlich zwei Titel pro Jahr, und dies ein volles Vierteljahrhundert. Außerhalb ‚seiner‘ Reihe verfasste Prather nur wenige Romane.

40 Millionen Scott-Romane sollen allein in den USA erschienen sein. Reich ist Prather dadurch nicht geworden, denn wie seinerzeit üblich, zahlte man ihm für seine Bücher Pauschalhonorare und drückte sich davor, ihn an den Auflagenumsätzen zu beteiligen. 1986 wurde Prather mit einem „Life Achievement Award“ der „Private Eye Writers of America“ ausgezeichnet. In seinen letzten Lebensjahren arbeitete er angeblich an einem letzten Scott-Roman, der jedoch nie bis zur Veröffentlichungsreife gedieh. In seinem Heim in Sedona (US-Staat Arizona) ist Richard S. Prather am 14. Februar 2004 im Alter von 85 Jahren gestorben.

Taschenbuch: 155 Seiten
Originaltitel: Dragnet – Case No. 561 (New York : Pocket Books 1956/London : World Distributors 1957)
Übersetzung: Fritz Moeglich
http://www.randomhouse.de/heyne

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