Stephen R. Donaldson – Der Schritt zur Vision: Verbotenes Wissen (Amnion-Zyklus 2)

Hammerharte Amnion-Fortsetzung

Dies ist der 2. Band in Donaldsons AMNION-SF-Zyklus um die Auseinandersetzung zwischen Menschenwelten und Amnion-Aliens. Morn Hyland ist ihrem Peiniger Angus Thermopyle zwar entronnen, hat aber niemandem verraten, dass er ihr illegal ein Implantat ins Gehirn eingesetzt hat, mit dem er sie kontrollieren konnte. Im Austausch für ihr Schweigen erhält sie das Kontrollgerät.

Nun lebt sie an Bord von Nick Succorsos Schiff, der für ihre Rettung gewisse Gegenleistungen von Morn erwartet. Doch die ehemalige Polizistin ist schwanger – von Angus Thermopyle. Weil an Bord kein Platz für uneheliche Kinder ist, fliegt Succorso eine Raumstation der Amnion an. Die Bio-Ingenieure der Aliens kennen eine Möglichkeit, Föten binnen Stunden reifen zu lassen und die Entwicklung von Kindern radikal zu beschleunigen. Morn Hyland steht vor der schwersten Entscheidung ihres Lebens… (Verlagsinfo)

Der Autor

Stephen R. Donaldson, geboren 1947 in Cleveland, Ohio, lebte im Alter von drei bis 16 in Indien, wo sein Vater, ein orthopädischer Chirurg, ausgiebig mit Leprakranken arbeitete. (Nachdem Stephen einen der Vorträge seines Vaters über Lepra gehört hatte, konzipierte er die Figur des Thomas Covenant als Protagonist für eine epische Fantasygeschichte.) 1968 machte Stephen seinen Abschluss am College of Wooster, Ohio, diente zwei Jahre als Zivildienstleistender (damals herrschte ja Krieg) in einem Krankenhaus in Akron, Ohio, besuchte danach die Kent State University, wo er 1971 seinen Magisterabschluss in Englisch machte (1974 wurden an der Kent U vier Studenten von Nixons Truppen erschossen.) Danach lebte er in Albuquerque, New Mexico.

1977 veröffentlichte Donaldson seine erste Fantasy-Trilogie, und mit „Mordants Not“ ließ er diesem ernsten Epos 1986/87 ein Scherzo folgen. Ab 1990 folgte mit dem fünfteiligen Amnion-Zyklus (siehe meine Berichte) ein umwerfendes Science-Fiction-Epos. Unter dem Pseudonym Reed Stephens veröffentlichte er eine Trilogie von Detektivromanen (1980, 1984, 1990). Inzwischen hat Donaldson drei Trilogien um Thomas Covenant den Zweifler veröffentlicht.

Der Amnion-Zyklus

1) Der Schritt in den Konflikt: Die wahre Geschichte
2) Der Schritt zur Vision: Verbotenes Wissen
3) Der Schritt zur Macht: Ein dunkler hungriger Gott erwacht
4) Der Schritt in den Wahnsinn: Chaos und Ordnung
5) Der Schritt ins Verderben: Heut sterben alle Götter

Später wurden Band 1 und 2 auf Wunsch des Autors zusammengelegt.

Handlung

Gibt Morn Hylands Verhalten schon in „Die wahre Geschichte“ Anlass zu Rätselraten, so führt die Handlung von „Verbotenes Wissen“ unsere Heldin geradewegs an den Rand des Wahnsinns. Ihr neuer „Retter“ Nick stellt sich als ebenso übler Vergewaltiger heraus wie Thermopyle. Als großer Frauenheld, dessen Crew mit Ex-Geliebten gespickt ist, herrscht Nick Succorso unumschränkt im Nimbus des Unbesiegten und Unbesiegbaren. Schon sehr bald kann Morn seine „Aufmerksamkeiten“ nur mit Hilfe ihres Implantats ertragen, das ihr Lustgefühle und übermenschliche Nervenstärke verschafft. Succorso „fliegt“ auf sie.

Die Amnion

Um ihren bei einem Gefecht mit Thermopyles Schiff beschädigten Sprungantrieb zu reparieren, fliegt Succorsos Crew zu den Aliens, den Amnion, die Meister in der Elektronik und der Gentechnik sind. Sie können mit Hilfe eines Serums Menschen in Amnion umwandeln. Da die Amnion ein Schwarmbewusstsein haben, verliert der davon betroffene Mensch seine Identität und Individualität – der absolute Horror, der noch eine wichtige Rolle im Gap-Zyklus spielen wird.

Auf der Amnion-Station im verbotenen Raum nimmt Morn Schicksal eine schlimme Wende. Kurz vor der Ankunft eröffnet sie Nick, sie sei von ihm schwanger, während das Kind in Wahrheit von Thermopyle ist. Um das Kind nicht jahrelang lästig aufziehen zu müssen, lässt er die Aliens Morns Fötus einer Schnellwachstumbehandlung unterziehen: Davies Hyland erwacht als 16-jähriger Jüngling mit der Persönlichkeit und den Erinnerungen seiner Mutter, aber dem Körper seines genetischen Vaters. Daher sieht Nick sich sofort von Morn betrogen und will den Aliens den Jungen zu genetischen Forschungszwecken überlassen.

Am Rande des Wahnsinns

Als er auch noch erfährt, dass Morn ein Implantat hat, mit dem sie ihm Lust und Liebe vortäuschen konnte, rastet er vollends aus. Morn gelingt es nur durch die Drohung mit der völligen Zerstörung von Nicks Schiffs und der Alien-Station, ihren Sohn zurückzubekommen und Nick in Schach zu halten – für eine gewisse Zeit.

Sie zieht Crewmitglieder auf ihre Seite: Nick hat nicht nur die Menschheit – in Form von Morns Sohn – an die Aliens verraten, sondern auch die Crew an die VMK-Polizei, deren Doppelagent er ist. Und von der VMKP hat er ein geheimes Anti-Mutations-Serum erhalten, das der Menschheit von der VMKP vorenthalten wird – so verrät er die Menschheit nochmals, indem er sie weiterhin in Furcht vor der Bedrohung der Alien-Genetik leben lässt.

Mit Hilfe der wütenden Crew gelingt es Morn, eine zweite Auslieferung ihres Sohnes an die Amnion zu vereiteln und das Serum an sich zu bringen. Morn und Davies fliehen zu einer Piratenwelt namens Kassafort, verfolgt von Aliens und Nick.

Unterdessen

Mittlerweile, Lichtjahre entfernt, wird Angus Thermopyle von den Mächtigen der VMK-Polizei zu einem fernsteuerbaren Kyborg umgemodelt, der als Geheimwaffe gegen die Raumpiraten eingesetzt werden soll. Doch sein Pakt mit Morn bleibt weiterhin unentdeckt…

Mein Eindruck

Donaldsons Amnion-Zyklus (im Original heißt die Serie der Gap-Zyklus, weil „das Gap“ das Hyperspatium ist, das Morn in die Katastrophe geführt hat) ist zweifelsohne ein weiterer Höhepunkt in seinem Schaffen, aber auch für das Genre – darin sind sich fast alle Kritiker einig. Hier hat der Autor nicht nur hohes Drama verwirklicht, sondern auch die niedrigsten wie auch besten Kräfte im Menschen in Extremsituationen sichtbar und erlebbar gemacht. Dieser Stoff macht süchtig!

Der Erzähler enthüllt die ganze Geschichte dem gespannten Leser nur häppchenweise, so als würde er die Schalen einer Zwiebel abschälen, um von der Sensations-Story, die den Voyeur anmacht, über die Geschichte der flüchtigen Bekannten des Trios zur eigentlichen Wahrheit vorzudringen, die in keinster Weise zur Befriedigung von Sensationslust geeignet ist: Hier warten Grauen, Leiden und Schmerz, wie man sie in dieser Häufung und Intensität selten in der Literatur findet, allenfalls in einem Thriller von Andrew Vachss. Zartfühlende Gemüter sollten sich auf das Schlimmste gefasst machen.

Dass ihn Wagners Oper „Der Ring des Nibelungen“ dazu inspiriert hat, kann jeder glauben, wie er will. Unübersehbar sind jedoch gewisse Ähnlichkeiten in den Namen – Min Donner, Warden Dios, Holt Fasner – mit den Gestalten in Wagners Opern. Und es gibt Dinge wie das Zonenimplantat, die zu übermenschlichen Kräften verhelfen, sowie „Alberiche“ wie Thermopyle, die sie anwenden. Es gibt die „Riesen“, die die Götter bedrohen: die Amnion.

Die Übertragung ins Deutsche ist Horst Pukallus kongenial gelungen. Lediglich das Schlusskapitel von Band 2 weist Unstimmigkeiten auf („Inter-“ statt „Hyperspatium“ usw.).

Es lohnt sich, den kompletten Zyklus zu lesen, um die Tragödie in fünf Akten, die der Zyklus darstellt, bis zu Ende genießen zu können. Leider sind die Folgebände sowohl umfangreich als auch recht teuer in der Anschaffung. Mittlerweile gibt es eine relativ preisgünstige Kindle-E-Book-Serie, in der jeder „Band“ 6,99 Euro kostet (5 x 7 = 35 EU).

Taschenbuch / E-Book: 636 Seiten
Originaltitel: II: The Gap Into Vision: Forbidden knowledge, 1992.
Aus dem Englischen von Horst Pukallus
ISBN-13: 978-3453109391

www.heyne.de

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