Kureishi, Hanif – Intimacy

_The Saddest Night_

|“Intimacy“ (dt. „Rastlose Nähe“) unterstreicht Hanif Kureishis Abkehr von der postkolonialen Thematik, steht jedoch in Offenheit, Ehrlichkeit und Tiefe der Beschreibung von inner- und zwischenmenschlichen Vorgängen in der Tradition der Werke, für die er bekannt geworden ist („The Buddha of Suburbia“, „My Beautiful Laundrette“ u. a.).|

„It is the saddest night, for I am leaving and not coming back.“ (dt. etwa: „Es ist die traurigste Nacht, da ich weggehen und nicht zurückkommen werde.“), konstatiert der Ich-Erzähler zu Beginn von Hanif Kureishis kurzem Roman und macht den Leser damit zum Mitwisser seines Plans, Lebensgefährtin und Kinder zu verlassen. Beschrieben wird auf den 118 Seiten im Wesentlichen die letzte Nacht, in der Jay (ein erfolgreicher Drehbuchautor) die zurückliegenden Jahre seiner eheähnlichen Beziehung mit Susann resümiert. Liebe und Leidenschaft sind abgekühlt und einem Nebeneinanderherleben gewichen. Was die beiden Menschen noch verbindet ist die Liebe zu ihren Kindern. In Flashbacks erfährt man, dass sein Sexualleben inzwischen mit Nina stattfindet – einer jungen Frau, die gekennzeichnet wird durch ihr unbeständiges Leben, geprägt von Ziellosigkeit, wechselnden Sexualpartnern und Drogenkonsum. Die Affäre mit ihr ist zum Zeitpunkt der Überlegungen, Susann zu verlassen, bereits vorüber, hat jedoch durch das tabulose Ausleben von Erotik Wünsche in Jay geweckt, die er nicht mehr bereit ist, hintenanzustellen.

Der Leser erfährt weiterhin von einer erfolglosen Paartherapie, von anderen Lebensentwürfen – dem seines Freundes Viktor oder des Familienmenschen Asif („Wisdom is to know the value of what we have.“) – von dem Verhältnis des Erzählers zu seinen Eltern, die das „bürgerliche Glück“ einer aufrechterhaltenen Ehefassade der individuellen Selbstverwirklichung vorgezogen und zum Schluss doch zu einer neuen „intimacy“ gefunden haben. Er wird hineingezogen in eine Diskussion über Ehe, Liebe, Leidenschaft, Genderkonzepte – kurz: über das universelle Glück der Menschen. Damit sind in diesem Roman des gereiften Kureishis die Pakistanis zumindest auf ihrer Suche nach Selbstverwirklichung nicht länger anders als Engländer. Ihre Probleme, Wünsche und Träume gehen über die Identitätssuche einer hybriden Persönlichkeit hinaus.

Auch „Intimacy“ ist geprägt von Themen, die bei Kureishi immer wieder auftreten. Musik, Drogen und Fashion sind dem Leben seiner Figuren inhärent, wohl auch aus dem Grund, dass sie Kinder der 70er sind, die mit ihrer Lebensphilosophie hier durchaus kritisch betrachtet werden.

Natürlich nimmt der Autor wie üblich kein Blatt vor den Mund, wenn es um sexuelle Handlungen geht. Man erlebt den Erzähler beim Geschlechtsverkehr mit Nina und folgt ihm ins Bad, wo er sich selbst befriedigt. Freimütig und derb wird über die sexuelle Einstellung seiner Freunde geredet. „Sometimes he fucked five people in a day, shoving his arm up to the elbow into men whose faces he never saw.“

Den typisch ironischen Humor Kureishis muss man ebenfalls nicht missen, zum Beispiel wenn er beschreibt, wie verzweifelt in die Jahre gekommene Frauen versuchen, sich ihr Alter nicht anmerken zu lassen oder, wenn es statt der Frauen die Männer der 90er sind, die auf den Büropartys über nichts anderes als ihre Kinder sprechen. Doch im Wesentlichen übernimmt der Roman die Stimmung des ersten Satzes. Der Leser steht mit dem Ich-Erzähler vor den Scherben dessen Lebens und vor philosophischen Phrasen, die nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine Familie zerbrechen wird. Zwei Personen müssen einsehen, dass ihre Beziehung gescheitert ist und dass sie unabhängig voneinander weiterleben müssen. Durch die Schilderung seiner Affäre mit Nina (und anderen Frauen) fühlt man sich als Leser eher bestätigt, dass es Jay vorrangig um die Befriedigung körperlicher Bedürfnisse geht, obwohl er selbst meist von „Liebe“ spricht. Das Ende des Romans hebt diese Sicherheit jedoch wieder auf, denn er endet optimistisch mit einer Beschreibung eines Momentes des vollkommen Glücks, der während eines Spaziergangs erlebt wird.

|Faber und Faber| haben sich in ihrer generell relativ haltbaren Paperback-Aufmachung bei „Intimacy“ zusätzlich für einen (gelben) Schutzumschlag entschieden, der einem Buch in Fragen „Ansehnlichkeit in späteren Jahren“ durchaus zuträglich ist. Die Schrift ist weniger gedrängt als in anderen Ausgaben von Kureishis Werken. Es findet sich sogar ein üppiger Rand, auf den man seine Anmerkungen kritzeln kann.

Alles in allem – ein lesenswerter Kureishi, der mit der Neudefinierung der britischen Identität abgeschlossen hat; ein Buch, das die Qual und die Freuden von Menschen analysiert, die versuchen mit einem anderen Menschen zusammenzuleben.

_Corinna Hein_
http://www.corinnahein.net/

|Eine [deutsche Fassung]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3499229005/powermetalde-21 erschien 2001 unter dem Titel „Rastlose Nähe“ bei Rowohlt.

Besonders lohnend ist sicherlich die Geschichtensammlung [„Intimacy“,]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/349923193X/powermetalde-21 die im Juni 2001 anlässlich des gleichnamigen Films von Patrice Chéreau ebenfalls bei Rowohlt erschien und neben „Rastlose Nähe“ weitere Kurzgeschichten enthält, zusammen mit einem Essay und Szenenfotos aus dem Film.|