Roger Zelazny – Die Insel der Toten (Francis Sandow 1)

Der Torso eines Buches: Kampf um eine Welten-Schöpfung

Francis Sandow gehört im 32. Jahrhundert zu den hundert reichsten Leuten der Galaxis, deren 1500 Welten von 17 intelligenten Rassen bewohnt werden. Eines Tages wird der Mann, der aus dem 20. Jahrhundert stammt, von drei Nachrichten aufgeschreckt. Ein Unbekannter hat einen Rachefeldzug gegen ihn begonnen, der Sandows Vernichtung zum Ziel hat. „Die Schatten der Vergangenheit werden real und drohen den Weltenbauer in einen apokalyptischen Strudel zu reißen“, tönt der uralte Klappentext vollmundig.

Der Autor

Während Roger Zelazny, geboren 1937, eher für seine ausgezeichneten Science Fiction-Romane und Novellen („He Who Shapes“, 1965, oder „A Rose for Ecclesiastes“, 1966, ebenfalls HUGO) bekannt ist, wird seine Fantasy weniger geschätzt. Eine Ausnahme bilden die zehn Romane aus dem AMBER-Zyklus. Es gab sogar Fortsetzungen von der Hand anderer Autoren.

Sein Roman „Fluch der Unsterblichkeit“ („This Immortal“ ) ist ein echter Klassiker des Science-Fiction-Genres. Das 1966 veröffentlichte Buch wurde ausgezeichnet mit dem HUGO Award, und ebenso erfolgreich war er ein Jahr später mit „Herr des Lichts“. Zu Ende seiner Laufbahn veröffentlichte er zahlreiche, wenig erfolgreiche Kollaborationen mit anderen Autoren, so etwa mit Philip K. Dick und Fred Saberhagen. Zelazny starb 1995.

Wichtige Werke

1) Herr des Lichts (HUGO Award)
2) Fluch der Unsterblichkeit (HUGO Award)
3) AMBER-Zyklen 1 + 2 (10 Bände)
Und viele weitere.

Handlung

Francis Sandow besitzt seinen eigenen Planeten, schließlich ist er im 32. Jahrhundert die Nr. 87 auf der Forbes-Liste der 100 reichsten Leute der Galaxis. Er ist etwa eins achtzig groß und wiegt etwa 75 Kilo, was für einen Mann, der über tausend Jahre alt ist, doch eine recht fitte Figur darstellt. Partys mit Drogen und viel Erotik sind an der Tagesordnung, und um die Klagen kümmern sich seine Anwälte.

Botschaften

Eines Tages aber entdeckt er eines von bereits sechs Kästchen. Darin befindet sich das Foto von Kathy, seiner größten Liebe. Merkwürdig daran ist nur, dass die gute Kathy bereits vor 500 Jahre das Zeitliche gesegnet hat. Wer also schickt ihm all die Fotos von ihr? Der Hintergrund mit Felsen und blauem Himmel, der hinter Kathy zu sehen ist, verrät es ihm nicht.

Nachdem er sich mal so richtig ausgekotzt und eine Kanne Kaffee einverleibt hat, schaut er in dem Berg Tagespost nach hilfreichen Hinweisen. Eine weitere Verflossene, diesmal die nette – und wesentlich aktuellere – Ruth Laris, lädt ihn ein, sie mal auf Aldebaran-5 zu besuchen, denn sie brauche seine Hilfe. Dass auch der Terranische Geheimdienst seine Hilfe erbittet, um die Erde zu retten, kümmert Francis wenig. Der Planet, auf dem Frank im 20. Jahrhundert geboren wurde, existiert schließlich immer noch.

Botschaft Nummer drei kommt jedoch von seinem alten Freund Marling, der auf der Welt Megapei sein baldiges Ableben erwartet und um eine tröstende Hand seines Freundes Francis bittet, die ihm den Übergang erleichtern möge. Dies ist eine ernste Verpflichtung, die Frank nicht ablehnen kann, denn Marling war sein Mentor.

Die Suche

Mit seinem Weltenflitzer ausgestattet und nach einem exklusiven Essen und einer Nacht mit einer schönen Kurtisane düst er unter der Identität des Lawrence John Conner los. Sein erstes Ziel ist die fünfte Welt der roten Riesensonne Aldebaran im Sternbild Stier (Alpha Tauri). Driscolls Welt ist von Menschen und der uralten Rasse der Pei’an bewohnt. Die Pei’an, grünhäutige, zwei Meter große Weltenbauer, haben Francis Sandow jahrzehntelang im Weltenbauen ausgebildet. Im Laufe dieser Ausbildung ist er eine mystische, telepathische Verbindung mit ihrem Donnergott Shimbo, einem Blitzeschleuderer à la Zeus, eingegangen.

Von Ruth Laris keine Spur. Also folgt er ihrer Fährte und erhält eine bestürzende Botschaft: Ruth sei wie alle alten Freunde aus Sandows früherem Leben auf der Insel der Toten zu finden. Gezeichnet: Green Green, Inkarnation von Belion, dem pei’anischen Feuergott, der unter der Erde lebt. Er ist der Erzfeind von Shimbo, dem Donnergott, der in einer Himmelsfestung wohnt. Die Insel der Toten auf Illyria befindet sich auf einer der von Frank gebauten Welten.

Marling verrät ihm kurz vor seinem Ableben, um wen es sich bei „Green Green“ handelt: Es ist ein abtrünniger, fundamentalistischer Pei’an, der sich an dem Nicht-Pei’aner Francis Sandow rächen möchte. Die Pei’an haben Rache zu einer Kunstform entwickelt. Green arbeitet bereits seit Jahrhunderten an seiner eigenen. Und als ein Vertreter des terranischen Geheimdienstes Frank verrät, dass sechs seiner früheren Freunde und Feinde, darunter Kathy, wiedererweckt worden sein könnten, fühlt Frank einen kalten Schauder.

Es führt kein Weg daran vorbei: Er muss zur Toteninsel, um seiner Nemesis zu begegnen. Doch dort wartet eine böse Überraschung auf ihn…

Mein Eindruck

In diesem Roman führt der Autor verschiedene Motive zusammen, die er in den frühen sechziger Jahren entwickelte und die in seinem Roman „Herr des Lichts“ (1967) einen doppelt preisgekrönten Gipfel erreichten: Dass es Wesen – wie etwa Menschen – mit Gottstatus geben kann, die sich ihrer Schöpfung gegenüber verantwortlich fühlen müssen. Sie verfügen über die Macht eines Gottes, zu Erschaffung und Vernichtung nämlich, und können ihre Macht infolgedessen zum Guten oder Bösen verwenden.

Gottgleich

Schon 1966 schilderte Zelazny in der Erzählung „Dezemberwelt“, wie sich eine ganze Welt von einem Tropenparadies in eine Eishölle verwandeln lässt, wenn man nur genügend Technik und Zeit investiert. Aber die gottähnliche Kreatur, die dies tut, ist gezwungen, sich mit der Evolution auseinanderzusetzen, die seine Geschöpfe zeitgleich durchlaufen: Darf er sie wirklich vernichten oder wächst ihm daraus nicht eine besondere Verantwortung zu?

Wiederauferstehung

In „Insel der Toten“ findet eine parallele Entwicklung statt, diesmal jedoch mit zwei Gegenspielern, die Frank Sandow, den Weltenbauer, austricksen wollen. Er hat die Toteninsel nach der Vorlage des bekannten Gemäldes von Arnold Böcklin geschaffen. Doch die Toten, die Frank zurückgelassen hat, kehren hierher zurück, als wäre dies eine Poe-Story à la „Der Untergang des Hauses von Usher“: Die auf der Erde gesicherten Speicherabbilder von Kathy und weiteren fünf Freunden/Feinden wurden gestohlen und passenden Körpern eingepflanzt – virtuelle Egos, die ein Scheinleben führen. Der SF-Kenner fühlt sich an Richard Morgans „Unsterblichkeitsprogramm“ erinnert.

Zwei Gegner

Unglücklicherweise befindet sich unter den Speicherabbildern, die Mr Green gestohlen hat, ein alter Erzfeind Franks: Mark Shandon war ein Wirtschaftsspion mit den Eigenschaften eines James Bond. Und nun hat Shandon, zu Mr Greens unendlichem Verdruss, nicht nur die geliebte Kathy für sich gewonnen, sondern auch die Loyalität des Gottes Belion errungen, ganz nach dem Vorbild eines Pei’aners. Götter aber sind nun mal flatterhafte Wesen: Sie wenden sich dem zu, der sie am meisten und treuesten verehrt und ihnen den größten Vorteil verschafft. Und das ist nicht Green, sondern Shandon.

Showdown

Es kommt unweigerlich zum Showdown zwischen Frank und Shandon. Die Ereignisse überschlagen sich, und es ereignen sich tragische Zwischenfälle. Mehr darf nicht verraten werden. Danach muss die Welt, die Green, der abtrünnige Pei’an Jahrhunderte lang vergiftet und missgestaltet hat, geheilt werden.

Die Übersetzung

Ich traue dieser Übersetzung nicht über den Weg. Nicht etwa deshalb, weil es einige Druckfehler gibt, sondern weil hier offensichtlich radikal gekürzt wurde. Das macht sich ganz besonders im letzten Viertel bemerkbar, das ausgerechnet das spannendste ist. Es gibt Sprünge in der Handlung, den Gedanken, der Argumentation. Von den 192 Seiten des Originals blieben in der Übersetzung nur noch 128 übrig. Ein ähnlich bedauernswertes Schicksal erlitten meines Wissens auch die Gor-Romane John Normans, die von Heyne um bis zu 60% gekürzt wurden.

Begriffe wie „Pai’badra“ (rituelle Rache) werden aufgrund der Lücken nicht erklärt, sondern müssen vom Leser erschlossen werden. Auch ein Begriff wie „Esper“, den die Übersetzerin Birgit Reß-Bohusch für einen Telepathen benutzt, ist heute nicht mehr geläufig. „Esper“ ist abgeleitet von ESP = extrasensory perception, also außersinnliche Wahrnehmung oder Psi. Praktisch alle Figuren von Bedeutung in diesem Roman sind in diesem Sinne Esper. Der Vorteil: Sie brauchen keine Übersetzungsgeräte.

Unterm Strich

Wie schon vielfach zuvor vermischt der Autor Mythologie und Jung’sche Archetypen mit dem Plot des „Helden der tausend Gesichter“ (Joseph Campbell). Doch diesmal hat der Plot ganz aktuelle Züge. Francis Sandow, obwohl superreich und dekadent lebend, ist nicht korrumpiert, sondern erweist sich als moralisch integer, weil er der Philosophie und Mythologie der Pie-An-Aliens anhängt. Er fühlt sich seinen Welten-Schöpfungen daher verantwortlich und bedauert es zutiefst, wenn seine Kreaturen ihn nicht mehr lieben, weil ein anderer sie manipuliert hat.

Dieser andere, der Widersacher, ist ein abtrünniger Pei’an, den Frank Mr. Green nennt. Hinzukommt aber auch, dass ein amoralischer Mensch dabei ist, Franks Werk ebenso zu zerstören wie den Rachefeldzug Mr. Greens zu sabotieren. Daher kommt es auf höchst ironische Weise zu einer vorübergehenden Allianz zwischen Mr. Green und Frank, um Mark Shandon zu besiegen.

In einem fulminanten Showdown bekämpfen sich die Götter der Kontrahenten in gestalt von Feuer und Wasser, bis die titelgebende Insel der Toten untergeht. Die Elemente und Aussagen dieses Zweikampfes sind mit symbolischem Gehalt aufgeladen. Übertragen auf unsere Welt sagen sie aus, dass die Erde, die wir bewohnen und täglich (mit-)gestalten (Francis Sandow), von uns auf dem Altar von Wirtschaft (= Mark Shandon) und Wissenschaft geopfert wird. Die Synthese aus Weltenbau und positiver Philosophie (beide Pei’an) kann gegen dieses Zerstörungswerk antreten. Mag die alte Welt (= Insel der Toten) auch untergehen, so könnten wir doch woanders eine neue aufbauen. Das waren noch Träume. Inzwischen ist auch dieser Traum zertrümmert worden.

Die Übersetzung

Die radikalen Kürzungen durch die Übersetzerin lassen von diesem grandiosen Szenario nur noch die gröbsten Begebenheiten und skizzenhaft erscheinende Ereignisse übrig. Daher fiel es mir äußerst schwer, mich zu orientieren, geschweige denn, auch nur mit einem der Freunde Francis Sandows Sympathie zu fühlen. Es gibt zahlreiche witzige ironische Seitenhiebe (Mr Green wird als Frosch und Grünkohl etc verspottet), aber alle werden von der verwirrend raschen Abfolge der Ereignisse niedergewalzt, so dass keinerlei Vergnügen aufkommen kann.

Sicher, die Handlung endet angemessen tragisch, denn Francis Sandow ist, wie gesagt, ein moralisch integrer Mensch mit einer ausgezeichneten Philosophie. Aber das Gefühl, es mit der Ruine eines einst schönen, reichhaltigen Buches zu tun zu haben, frustrierte mich mehr. Finger weg von dieser Ausgabe!

Fazit: drei von fünf Sternen.

HINWEIS

Die Fortsetzung „Der Tod in Italbar“ (Original 1973, Übersetzung 1975) ist der zweite und letzte Roman mit Francis Sandow.

Heyne: 128 Seiten
Originaltitel: Isle of the Dead, 1969.
Aus dem Englischen von Birgit Reß-Bohusch
ISBN-13: 9783453302433

www.heyne.de

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