Matt Haig – Ich und die Menschen

Wie macht man auf diesen Titel aufmerksam, und wie erreicht er seine Zielgruppe? Wer ist die Zielgruppe? Zunächst ist das Titelbild sehr ansprechend und großbuchhandlungstauglich gestaltet. Der Mond suggeriert zweierlei: Für Jedermann symbolisiert er Nachdenklichkeit, Philosophie, die Such nach dem Sinn, möglicherweise auch Einsamkeit. Für den Sciencefictionleser ist er ein aufmerksamkeitheischendes Blinklicht: In Verbindung mit dem Titel ruft der Mond »Weltall, Außerirdische, Superlative!« Der Titel bringt auch die Einsamkeit mit sich, Einsamkeit wie in E.T., den Protagonisten, für den der Mond ein Symbol für die Heimat sein kann, für die Abgeschiedenheit, für die – Einsamkeit.

Wer also ist die Zielgruppe? Nachdenkliche Philosophen, meditierende Einsiedler, alleinstehende Mütter? Oder Astrophysiker, Sternenkriegleser, Nerds? Klingt irgendwie melancholisch.

Also schauen wir zunächst einmal hinein: Tatsächlich, ein Außerirdischer wird mit einem bestimmten, erschreckenden Auftrag zur Erde entsandt, und zwar direkt hinein in den Urheber des Problems. Der Mathematiker Professor Andrew Martin hat das letzte große Rätsel der Mathematik gelöst, die Berechenbarkeit von Primzahlen – und damit die Grundlage allen technischen Fortschritts zur Eroberung des Weltalls. Und das ist das Problem, denn die Außerirdischen, die alle jungen Kulturen beobachten und entscheiden, wer in die galaktische Gesellschaft aufgenommen werden kann, sehen in den Menschen vernichtungswütige Kreaturen, die alle Zivilisation bedrohen und ins Chaos stürzen würden, ließe man sie ihren Planeten verlassen.

Und so wird das Bewusstsein unseres Ets zur Erde transferiert, verdrängt Martins und nimmt dessen Platz ein, um alle Hinweise auf dessen Erfolg zu beseitigen, inklusive mitwissender Menschen. Leider ging irgendwas schief bei dem Transfer, denn dem ET, der sich fortan als Andrew versucht zu sehen, fehlen dessen Erinnerungen ebenso wie die Informationen über die Menschen, die ihm ein unauffälliges Leben unter ihnen gestatten sollten. Immerhin verfügt er über seine implantierten Fähigkeiten, die ihm sowohl Suggestion, als auch große Heilungskräfte verleihen.

Ohne die Informationen über unsere Lebensweise findet sich ET anfangs überhaupt nicht zurecht und gerät in Konflikte mit Behörden, Psychiatern, seiner Frau und seinem Sohn – doch je mehr er lernt, desto stärker zweifelt er an der Berechtigung und Sinnhaftigkeit seiner Aufgabe …

Okay. Es scheint tatsächlich ein Roman für Jedermann zu sein. Unbändig humorvoll durchstreift Matt Haig die Eigenarten der Menschen, nimmt ihre Sehnsüchte, ihre Antriebe, ihre Triebe und ihre Eitelkeit, ihre Gleichgültigkeit, ihren Egoismus, ihre Fürsorglichkeit, ihre Liebe und Toleranz, und ihre Aufopferungsgabe zum Objekt seiner Betrachtungen. Philosophisch? Natürlich! Einsam? Anfangs mehr, dann immer weniger. Schlussendlich gelangt ET sogar zur Erkenntnis, dass sein bisheriges Leben ohne Aufregung, ohne Gefahr und ohne Konflikte äußerst langweilig und einsam war.

Neben philosophischen Fragen um den Fortschritt und die verabscheuungswürdigen Seiten unseres Wesens, unserer Zivilisation, widmet er sich aber vor allem der Zwischenmenschlichkeit, der Herzlichkeit. Der Liebe. Mit der Liebe, so lässt er seinen ET mehr als einmal erkennen, verfüge die Menschheit über eine natürliche Kraft, mit der sie alle Grenzen zu überwinden in der Lage sei. Er lernt auch die Schattenseiten der Liebe, die Enttäuschung, die Irrationalität kennen und meint, der Sex sei die beste Sache am Menschsein, warum versteckten sich die Menschen damit, warum sei es ihnen peinlich? ET würde durch die Straßen ziehen und der Welt verkünden: »Ich hatte gerade Sex! Mir geht es gut! Versucht es auch mal!« und auf seine Flagge die Symbole der größten Macht sticken.

Er erhebt keinen Zeigefinger, wenn Haig über die Menschen schreibt. Er erlebt ihre Emotionen und versucht, sie in Worte zu fassen. Meist humorvoll, aber auch herzerwärmend, berührend. Er vermittelt die Gefühle, über die er schreibt. Das Buch ist Gefühl. Science-Fiction? Nun ja, man kann den Außerirdischen nicht verleugnen. Aber es ist Science-Fiction ohne diesen Stempel, denn es ist ein Buch für jeden.

Das Hörbuch, gelesen von Christoph Maria Herbst, gewinnt noch an Intensität. Der Sprecher ist die perfekte Besetzung und fängt die Stimmung in jedem Moment grandios ein. Es ist der gedruckten Form ebenbürtig, man erfährt keinerlei Verlust durch die Wahl dieses Mediums. Einer der besten Titel des Jahres – und wohl der positivste.

1 MP3-CD
Ungekürzte Lesung von ca. 509 Min.
ISBN-13: 9783844514032
Deutsch von Sophie Zeitz-Ventura
Gelesen von Christoph Maria Herbst

der Hörverlag
Der DTV-Verlag bietet auch eine Leseprobe der Romanvorlage an!

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