Joan D. Vinge – Psion (Cat 01)

Zukunftskrimi: Der Telepathenheld aus der Gosse

Der etwa 15 Jahre alte Stadtstreicher Cat lebt in der Altstadt der reichsten Stadt der Galaxis, in Quaarro. Doch aufgrund seiner Abstammung ist er ein Kind der Unterwelt und lebt von Diebstahl und Drogen: Er ist halb Hydraner, halb Mensch, kenntlich an seinen grasgrünen Augen.

Als man ihn einsperren und zum Arbeitsdienst zwingen will, meldet er sich freiwillig zu einem Psi-Experiment. Dabei entdeckt man das ungeheure Psi-Talent, das in Cat schlummert. Er soll ausgebildet und zusammen mit anderen „Psions“ bei der Jagd auf die gerissensten Verbrecher der Galaxis eingesetzt werden.

Doch Cat kann sich nicht anpassen und hat nicht das geringste Interesse an einem solchen Job. Er glaubt, seine Auftraggeber übertölpeln und einfach abhauen zu können. Aber er hat es mit Profis zu tun, denen Psi-Talente nichts Ungewohntes sind. (abgewandelte Verlagsinfo)

Die Autorin

Joan D. Vinge wurde 1948 in Baltimore geboren und heiratete den SF-Autor Vernor Vinge, von dem sie ihren Namen übernahm und beibehielt. Nach zwei Fingerübungen im „Heaven’s Belt“-Universum (1978 und 1980) und zahlreichen preisgekrönten Erzählungen veröffentlichte sie 1980 mit „Die Schneekönigin“ ihren bislang größten literarischen und kommerziellen Erfolg (bei Heyne SF als Nr. 3950 veröffentlicht). Diesem mit dem HUGO Award ausgezeichneten SF-Roman ließ sie drei Fortsetzungen folgen. Auch zu „Psion“ schrieb sie drei Fortsetzungen. In den letzten Jahren schrieb sie die Romanfassungen für zahlreiche Fantasyfilme (s. unten).

Der Cat-Zyklus

1. Psion (1982)
2. Catspaw (1988, dt. als „Katzenpfote“ bei Heyne)
3. Dreamfall (1996)
4. Psiren (Story)
5. Alien Blood (Roman)

Handlung

Wieder einmal befindet sich Cat auf der Flucht vor den Anwerbern der Vertragsarbeit-Company. Die kennen keine Rücksicht, wenn es um Stadtstreicher wie ihn geht, die eh keiner vermisst. Cat schlängelt sich durch die dunkelsten und engsten Gassen der Unterstadt von Quarro, doch er befindet leider gerade in einem Drogenrausch: Er steht eben auf Camph. Schließlich erwischen sie ihn doch.

Bevor sie ihn aber endgültig zu einem Vertrag „überreden“ können, kriegt er noch eine allerletzte Chance, sich anderweitig zu verdingen. Bei einer Untersuchung stellen Behördenmitarbeiter, die mit dem Skaffe-Institut zusammenarbeitet, ein gewisses, rohes psi-talent an ihm fest. Welches genau er hat, können sie allerdings nicht sagen: Empathie auf jeden Fall, und eine sehr mächtige Abschirmung seiner Gedanken. Genau diese Eigenschaft macht ihn für Sakaffe interessant. Cat landet in der luxuriösen Oberstadt, doch auch dort wird er nicht glücklich.

Institutsmitarbeiter wie Mr Siebling sind Kotzbrochen, die wenig von einem halbmenschlichen Mischling halten. Denn zur Hälfte ist Cat Hydraner, und das sind nun mal Aliens, wenn auch humanoide. Und die scheint Mr Siebling aus irgendeinem Grund zu hassen. Da ist Mr Cortelyou ein ganz anderes Kaliber. Zu ihm kann Cat Vertrauen fassen. Er wird in die aktuelle Gruppe aufgenommen. So lernt er Jule kennen, die ebenfalls voller Geheimnisse steckt. Das Mädchen kann teleportieren und beherrscht Telepathie. Dass sie außerdem Sprössling des reichsten Transportkonzerns zu sein scheint, will sie aber keinesfalls verbreitet wissen. Klar, das sich die beiden Außenseiter mögen.

Diese Psione solle nach dem Willen des Instituts auf Verbrecherjagd gehen. Der gewiefteste Dieb der Galaxis heißt Quecksilber und trickst alle Behörden aus. Seine Raubzüge sind bereits legendär. Durch Psychotricks sollen sich um Cat und Jule als Spione oder Helfer anbieten. Er kommt höchstpersönlich zu ihnen und zwar früher als gedacht. Er scheint selbst mehrere verborgene Talente zu haben, darunter das teleportieren.

Bevor sie jedoch zu einem ersten Einsatz gegen ihn geschickt werden können, setzt sich Siebeling gegen Cortelyou durch – Cat schmeißt die Klamotten hin und verdünnisiert sich. Prompt schnappt ihn wieder die Vertragsarbeits-Company. Will er überleben, muss er die ausgefallensten Jobangebote annehmen. Wie wäre es mit Schneemobil-Fahren auf einem Eisplaneten im Crab-Nebel? Null problemo, ruft Cat, der den dünnsten Strohhalm ergreift, um bloß aus seiner Zelle herauszukommen.

Hydraner

Der Eisplanet im Krebsnebel heißt „Schlacke“ – und sieht auch genau so aus. Cat muss in den Minen schuften, in denen das Telhassium abgebaut wird, der wertvollste Rohstoff für die Wirtschaft der Föderation. Zu seinem Leidwesen erfährt er, dass er bei dieser Maloche radioaktiv verstrahlt werden wir. Klar, dass er sich anstrengt, dort gleich wieder wegzukommen. Dagegen hat aber der Vorarbeiter etwas.

Auf dem Weg zur Schlafstadt zurück verunglückt das Fahrzeug. Die Besatzung kann sich in ein Höhlensystem in Sicherheit bringen, um den Schneestürmen zu entgegen. Dort unten in den Höhlen glaubt Cat zu halluzinieren: Er sieht blauhäutige Aliens. Es sind aber keine Einbildungen, sondern die Ureinwohner dieser Welt: Hydraner. Nun sind die menschen gekommen, um ihnen abermals eine Welt wegzunehmen; dagegen haben sie etwas einzuwenden, wie sie Cat, der wie sie Telepath ist, klarmachen. Sobald er seine Furcht überwunden hat, zeigen ihm die erstaunten Aliens – er ist ja zur Hälfte selbst ein Angehöriger ihrer Rasse – wie man eine Geisteskopplung zustandebringt.

Rubiy

Im Krankenhaus stellt Cat fest, dass er nun ein besserer Telepath ist als je zuvor – und als alle um ihn herum. Jule ist wieder da, seine große Liebe, und liest ihm aus ihren Gedichten vor. Sie sind voller Schmerz, und er ist dankbar dafür. Aber Siebeling ist auch da, und leider scheint er ebenfalls Jule zu lieben. Sie erwidert sogar dessen Liebe.

Was Cat schockiert, ist die Entdeckung, dass Siebeling ihn, den Ausgestoßenen mit der Gedächtnisblockade, für seinen eigen Sohn hält. Dieser ist seit Jahren verschwunden, als Siebelings Frau, eine Hydranerin, bei einer menschlichen Invasion ums Leben kam. Gegen so etwas wehrt sich Cat mit Händen und Füßen.

Doch gegen einen weiteren Besucher hat er kein Machtmittel. Der galaktische Gangster Rubiy will ihn, Cat, engagieren, um sich die Telhassium-Minen unter den Nagel zu reißen. Es ist im Grunde ganz einfach. Aber will Cat das wirklich? Hat er eine andere Wahl?

Mein Eindruck

„Psion“ ist der Auftakt zu einer Trilogie um Cat, den Mischling mit den telepathischen Fähigkeiten. Sein Werdegang ist interessant geschildert und durch eine Krimihandlung spannend gemacht. Im Original besitzt Cat, der Außenseiter aus der Gosse, ein scharfes Profil, weil er anders spricht als alle anderen Telepathen. Telepathie ist für alle Psionen der große Gleichmacher und Vereiniger: ein exklusiver Klub der theoretisch Gleichen. Doch seine Sprache markiert Cat als einen aus der Gosse: Er verschleift alle Wörter wie ein Großstadtjunge. Und dass er ein Verbrecher ist, wissen die anderen eh schon. Er ist also keineswegs ein Abklatsch von Oliver Twist.

Durch seine Abstammung von den Hydranern ist er nicht nur als Außenseiter gebrandmarkt. Auf der Welt Schlacke (im Original: „Cinder“) lernt er bei den echten Hydranern, welch großes Potential sein Talent darstellt: Er kann Psionen zusammenkoppeln, um so eine größere telepathische Schlagkraft zur Verfügung zu bekommen, für sie und für ihn. Für die Hydraner ist er der prophezeite Retter. Dieses Klischee wurde offensichtlich aus DUNE übernommen. Zum Glück bleibt Cat gegenüber dieser Versuchung resistent.

Aber eine Gabe wie die Telepathie kann sich auch zu einem Fluch entwickeln. Sie ist ein Werkzeug und als solches ebenso zum Nutzen wie zum Schaden geeignet. Zwar kann er sich frühzeitig einen psychischen Schild erschaffen, doch für Rubiy, den stärksten Telepathen im besiedelten Universum der Menschen, ist er nur ein Werkzeug, mit dem er die Telhassium-Minen auf Schlacke übernehmen kann. Außerdem kann Rubiy sowohl teleportieren als auch Telekinese einsetzen – ein übermächtiger Gegner, der zudem Cats Geliebte Jule als Geisel in der Hand hat.

Der Showdown mit Rubiy ist spannend und wendungsreich herbei- und durchgeführt. Mehr darf darüber nicht verraten werden. Aber ich hätte erwartet, dass Cat eine Geisteskopplung mit den Hydraner eingeht, das findet jedoch nicht statt. Statt dessen findet er in seinem tiefsten, streng geschützten Persönlichkeitskern eine Erinnerung, die ihn überleben und siegen lässt. Auch das ist in Ordnung. Es macht uns nämlich neugierig, ob dieser Strang in der Fortsetzung „Katzenpfote“ weiterverfolgt wird.

Die Übersetzung

Die Übersetzung ebnet alle sprachlichen Unterschiede, die für Cat und die anderen Psione so markant sind, völlig ein. Das ist m.E. ein schwerer Fehler. Aber es ist nur der erste von mehreren dicken Fehlern, die mich veranlasst haben, nach S. 227 die Übersetzung in die Ecke zu feuern und nur noch das Original zu lesen.

S. 135: „Etwas schnappte zu..“ Im Original schnappt nichts zu, sondern zerreißt: „something snapped“.

S. 190: „verurschate“ statt „verursachte“. Nur ein harmloser Buchstabendreher, aber doch störend.

S. 227: „Ist… nicht meine Schuld.“ Richtig muss es „ist nicht deine Schuld“ heißen!

Das Titelbild von Klaus Holitzka ist zwar halbwegs zutreffend, aber längst nicht so anregend wie das Cover des Originals. Wenigstens sieht man, wenn man genau hinsieht, dass die Figur grüne Iriden und geschlitzte Pupillen aufweist. Das Armband, das ihn als Lohnsklaven in den Telhassium-Minen ausweist, fehlt allerdings.

Unterm Strich

Da der Held ein Jugendlicher ist, eignet sich das Buch am ehesten für junge Leser. Cats romantische Liebe zu Jule spielt sich ausschließlich oberhalb der Gürtellinie ab und weit entfernt von Sex. Aber die Lovestory ist nicht derart romantisch, dass Cat am Schluss sein Mädchen, die reiche Prinzessin, kriegt, sondern er verliert sie vielmehr an seine Vaterfigur Siebeling.

Bei Joan D. Vinge besteht immer die Gefahr, dass sie Andersens Märchen als Vorlage nimmt: Sie tat dies in „Die Schneekönigin“ und „Der tapfere Zinnsoldat“. Wenigstens macht sie immer etwas Neues, Eigenes aus der bekannten Vorlage. Diesmal bekommt sie gerade noch die Kurve, um die Vorlage von Frank Herberts DUNE zu umschiffen. Cat ist zwar ein genetisches Produkt, aber nicht das Ergebnis eines Experiments, sondern das einer Liebschaft zu einer Alienfrau. Er ist nicht der Messias, sondern eine Art Herakles aus der Gosse.

Sein Vater ist kein Adliger wie Herzog Leto Atreides, sondern ein gebrochener Mann, der nur ein guter Psionlehrer sein will. Es ist ausgerechnet Cat, der ihm wieder zu neuer Hoffnung verhilft. Ist Siebeling wirklich sein Vater? Dann ist es sehr pikant, dass die ausgerissene Prinzessin, nämlich die Konzernerbin Jule, nicht Cat wählt, sondern seinen Vater. Man könnte jetzt die antiken Mythen bemühen, doch die Suche wird nicht weiterhelfen.

Interessant fand ich die finale Wendung, dass Rubiy für Cat die ultimative Versuchung darstellt. Auch Rubiy stammt aus der Gosse, hatte eine Lehrerin wie Siebeling und wurde schließlich zum Super-Psion. Cat soll sein Nachfolger und Verbündeter werden. Aber Rubiy ist die negative Variante von Cat selbst: Er benutzt Menschen wie Objekte und Werkzeuge, wohingegen Cat Menschen als Subjekte mit einer unveräußerlichen Würde betrachtet. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Aber es haben sich schon mehr Menschen als Cat von der Verlockung absoluter Macht korrumpieren lassen …

Man sieht also, dass in der Story eine Menge Potential steckt, das hier, im Auftaktband, erst zur Entfaltung finden muss, um schließlich die erste Bewährungsprobe zu bestehen – oder nicht. Leider ist die Übersetzung nicht derart ausgerichtet, die sprachlichen Unterschiede zu verdeutlichen. Zwei Fehler haben mir zudem das Lesen vergällt, so dass ich den Rest nur im Original las. Ich rate dringend zum Lesen des englischen Originals.

Taschenbuch: 316 Seiten.
Originaltitel: Psion, 1982
Aus dem US-Englischen von Joachim Körber
ISBN-13: 978-3453312111

www.heyne.de

Der Autor vergibt: (3.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (1 Stimmen, Durchschnitt: 3,00 von 5)

(wg. Punktabzug für die Übersetzung)