Paul J. McAuley – Vierhundert Milliarden Sterne (Alien-Trilogie 1)

Alien-SF mit Sense of Wonder

„Vierhundert Milliarden Sterne“ ist der erste Band einer wichtigen Science Fiction-Trilogie, des sogenannten „Alien-Zyklus“. Noch 16 Jahre nach ihrer Veröffentlichung erweist sich die Trilogie als ein Startpunkt der aktuell blühenden „New Space Opera“, die in erster Linie von britischen Autoren geformt wird: Stephen Baxter, Alastair Reynolds, McAuley, Charles Stross, Ken MacLeod – dies sind die englischen Namen, die man sich merken muss. (Natürlich gibt es auch Vertreter auf der anderen Seite des Teiches.)

Nach der unten skizzierten Handlung zu urteilen, würde man nicht denken, dass dieser Band eine Vision der Entwicklung von Zivilisationen in unserer Galaxis enthält. Aber genau das ist der Fall. Und das macht diese Space Opera so wichtig. Das amerikanische Gegenstück wäre wohl Gregory Benfords CONTACT-Zyklus, der immerhin sechs Romane umfasst.

Der Autor

Von Paul McCauley, einem 1955 geborenen Biologen aus Großbritannien, sind bei uns nur wenige Romane erschienen.

Der ALIEN-Zyklus:

1) Vierhundert Milliarden Sterne (Philip K. Dick Award)
2) Verborgene Harmonien
3) Ewiges Licht

sowie:

– Roter Staub
– Feenland (1995, Arthur C. Clarke Award)
– Die Herren der Erde (Erzählungen)
– Pasquales Florenz

Handlung

Dorthy Yoshida ist Astronomin von der Alten Erde – und sie ist telepathisch begabt. Nach einer nicht gerade leichten Jugend, in der sie sich mit ihrem „Talent“ auseinandersetzte, und einer Laufbahn als Astronomin, wird sie – wegen fehlender politischer Protegierung – vom Militär eingezogen und auf einen Spezialauftrag geschickt. Man hat sie sozusagen shanghait oder zwangsverpflichtet.

Man kann sich vorstellen, dass Dorthy nicht gerade beigeistert ist, als sie auf einem wunderlichen Planeten mit dem unaussprechlichen Namen Pthrsn abgesetzt wird. Doch beim Eintauchen in die Atmosphäre erhellt ein telepathischer Blitz ihr Bewusstsein, der sie ohnmächtig werden lässt. Dorthy fühlt sich gewarnt und teilt dies den Leuten von der Kriegsmarine ebenso mit wie den Wissenschaftlern, die den Planeten erkunden.

Der Planet umrundet einen kleinen Zwergstern, eine rote Sonne, die nur wenig Licht gibt. Merkwürdig ist, dass sich Flora und Fauna vor gar nicht langer Zeit entwickelt haben: vor etwa einer Million Jahren. Die Navy vermutet hier die Anwesenheite des FEINDES, mit dem sie sich in einem anderen Sternsystem, BD-20, im permanenten Krieg befindet. Wie Dorthy insgeheim erfährt, ist die Navy bereit, den kompletten Planeten zu vernichten, indem sie die Sonne instabil macht.

Aliens

Dabei gäbe es so viel zu entdecken! Es gibt zwei Sorten von menschen- oder affenähnlichen Wesen: die Critter und die sie dirigierenden Hüter. Diese halbintelligenten Zweibeiner sehen nicht gerade wie der erbittert kämpfende FEIND aus, findet Dorthy, als sie mit anderen Wissenschaftlern diese Wesen erforscht. Erst nach einer Stampede, in der ihr Lager von den Critters vernichtet, beginnt sie vorsichtiger zu werden. Nun muss sie sich zusammen mit einem Mann, Arcady Kilczer, hunderte von Kilometern durch die Wildnis schlagen, um zu überleben.

Dieser Marsch verändert sie und zwingt sie, kooperativ zu sein – nicht nur mit ihren Artgenossen, sondern auch gegenüber der Welt, die immer noch ein großes Geheimnis verbirgt. Als alle Critter und Hüter beginnen, sich im Kraters eines riesigen erloschenen Vulkans um eine künstlich errichtete Biurg zu versammeln, geraten die Dinge deutlich in Bewegung.

Und Dorthy spielt mit ihrem „Talent“ eine Schlüsselrolle bei der Entscheidung, ob der Planet vernichtet wird oder nicht.

(Die direkte Fortsetzung der Geschichte folgt in „Ewiges Licht„.)

Mein Eindruck

Es erweist sich nicht als sonderlich schwer, den Roman zu lesen. Erst gegen Schluss, als das Geheimnis enthüllt wird, wird es schwieriger, das Gesagte zu BEGREIFEN, selbst wenn es in einfachen Begriffen ausgedrückt wird. Aber das macht ja gerade den Reiz guter Science Fiction aus: Sie fordert den leser heraus, auf eine höhere Ebene des Denkens emporzusteigen, um einen neuen Horizont des Verstehens zu erreichen.

Die Hauptfigur der Dorthy Yoshida bringen wir Sympathie entgegen, denn wir erfahren, dass sie es nicht einfach hatte. Und ihr „Talent“ ist weniger ein Grund zum Jubeln, als vielmehr eine Bürde – und es muss ständig unterdrückt werden. Dazu hat sie ein Implantat. Wenn sie als Telepathie gezielt einsetzen will, muss sie erst Antiblockierpillen nehmen. Dorthy ist also kein Übermensch, sondern eher so etwas wie eine Kämpferin, die starrköpfig auf ihre Selbständigkeit, ja, sogar, Einsamkeit bedacht ist. Schließlich ist es nicht angenehm, die Gedanken von Dutzenden anderer Menschen im eigenen Kopf zu hören. So mancher „Begabte“ hat darüber schon den Verstand verloren. Ich mag Dorthy wegen ihrer Menschlichkeit – und wegen ihres Namens, der mich an Dorothy in „Der zauberer von Oz“ erinnert. Und natürlich kommt hier auch die „Wicked Witch of the West“ vor!

Dorthy wandelt zwar nicht gerade auf dem gelben Ziegelsteinweg, doch ihre Erkundungen und vor allem ihr Trek durch die Wildnis sorgen in gleichem Maße für Überraschungen und Erkenntnisse. Danach folgen die Erforschung der „Burg“ und des „Kerns“, über die ich hier nichts verraten darf, um die Spannung nicht zu verderben.

Am Ende ihres Weges steht der Leser zusammen mit Dorthy auf einem erhöhten Horizont, mit Blick auf ein gründlich gewandeltes Universum. Es ist erfüllt von Leben, ja, aber dieses Leben hat nicht so ganz das Wohl der Menschheit im Sinn – was Wunder! Der FEIND, den die navy im System BD-20 bekämpft, ist nur ein kleiner Vorposten. Der wahre Feind lauert im Kern der Milchstraße: Diejenigen, die die Aliens von BD-20 und Pthrsn verjagt und beinahe vernichtet hatten. Und es ist nur eine Frage der Zeit – vielleicht 200 Jahre – bis auch diese „Marodeure“ auf die Menschheit stoßen.

Mit diesem Szenario liefert McAuley eine mögliche Antwort auf Enrico Fermis Paradox von 1950: Wenn a) wir Menschen nicht einzigartig sind und b) sich intelligentes Leben vor uns dort draußen entwickelt hat, wo sind dann die Aliens? Warum haben wir noch keinen Kontakt mit ihnen aunehmen können? Der Antwort auf dieses Paradox widmet sich beispielsweise das globale Aliensuchprojekt SETI (das am Anfang von „Independence Day“ und in „CONTACT“ zu sehen ist).

Unterm Strich

McCauleys erster Teil seiner Trilogie spricht jeden echten Science Fiction-Fan an, der sich mit Wissenschaft angefreundet hat – und der das Kürzel „SF“ nicht automatisch mit „Star Trek“ oder „Star Wars“ gleichsetzt. Natur-Wissenschaft, Telepathie und wagemutige Abenteuer führen in “ Vierhundert Milliarden Sterne“ zu einer faszinierenden Erkenntnis. Der gute alte „sense of wonder“ – hier ist noch ein Abglanz davon zu finden.

Und das ist erst der Anfang…

Taschenbuch: 381 Seiten
Originaltitel: Four hundred billion stars, 1988
Aus dem Englischen von Peter Pape
ISBN-13: 9783453085626

www.heyne.de

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